Samstag, 29. Juni 2013

Die Quellen der Disneyfilme: Rapunzel

 
Von Legenden zu historischen Ereignissen, von Märchen bis zu klassischer Literatur - die Zauberkünstler von Disney haben sich der vielfältigsten Quellen bedient, um Stoff für ihre Filme zu finden. Gemein haben sie jedoch alle, dass das Ursprungsmaterial nicht ohne Veränderung in den Disney-Kanon eingeflossen ist.

 

Diese Reihe von Im Schatten der Maus befasst sich mit dem Entstehungsprozess einiger dieser Meisterwerke:
Die Quellen der Disneyfilme

Bei der Frage, welches die namengebende Pflanze im Grimm‘schen Märchen Rapunzel genau ist, gibt es zwei Anwärter: die Rapunzel-Glockenblume, deren Wurzeln zum Verzehr geeignet sind, oder dem gewöhnlichen Feldsalat. Während die Blume rein optisch sicherlich etwas mehr hermacht, ist zum Feldsalat zu sagen, dass er sehr viel des gerade für Schwangere wichtigen Eisens beinhaltet. Ähnlich sieht es bei der Petersilie aus, die in den französischen und italienischen Vorläufern des Märchens, Persinette beziehungsweise Petrosinella, der Hauptfigur ihren Namen gibt.

Wie so viele Märchen fängt Rapunzel mit einem Ehepaar an, dass nach vielen Versuchen endlich ein Kind erwartet. Doch die Frau verlangt verzweifelt nach den Rapunzeln, die sie im Garten der benachbarten Zauberin sieht, und um ihr zu helfen klettert ihr Mann in den Garten, um die Pflanzen zu stehlen. Es bleibt nicht bei dem einen Versuch, und als der Mann das nächste Mal zur Zauberin hinübersteigt, wird er von ihr erwischt und als Wiedergutmachung für den Diebstahl verlangt sie sein ungeborenes Kind - Rapunzel.
Als das Mädchen zwölf Jahre als ist, sperrt die Zauberin (oder Frau Gothel, was so viel wie Frau Gevatterin heißt) sie in einen hohen Turm, um sie vor der Welt zu bewahren, wobei Rapunzels goldene Haare den einzigen Weg hinein und hinaus darstellen. Dennoch wird der Gesang des Mädchens schließlich von einem Königssohn gehört, der heimlich denselben Weg benutzt, um zu Rapunzel zu gelangen und sich sofort in sie verliebt. Da sie den Turm nicht ohne weiteres verlassen kann, muss sie geduldig warten, während der Prinz ihr bei jedem Besuch etwas Seide mitbringt, um daraus ein Seil zu flechten.
Doch schließlich verrät Rapunzel sich der Zauberin gegenüber, und Frau Gothel schneidet ihr die Haare ab und verstößt das mittlerweile schwangere Mädchen. Sie stellt dem Prinzen eine Falle und wirft ihn vom Turm, so dass er sich die Augen aussticht und sich nun blind auf die Suche nach seiner Liebsten machen muss. Einige Jahre später findet er Rapunzel, die in der Zwischenzeit Zwillinge geboren hat und ihre Tränen geben dem Prinzen das Augenlicht wieder.


Gerade die Beweggründe der „bösen“ Zauberin sind in diesem Märchen überraschend klar. Sie sperrt das pubertierende Mädchen ein, um ihre Reinheit zu bewahren, und um gerade das zu verhindern, was durch den Königssohns später wirklich geschieht. Die Frage um Rapunzels verlorene Tugend war in der ersten Grimm‘schen Version des Märchen sogar noch eindeutiger: Dort verriet Rapunzel sich noch durch die Feststellung, dass ihre Kleider ihr nicht mehr passen, und die Geburt ihrer Zwillinge wurde explizit erwähnt. Da diese Fassung allerdings schnell als anstößig empfunden wurde, war es in der nächsten Ausgabe die so beliebige wie unkluge Äußerung, dass Frau Gothel schwerer wöge als der Königssohn, die der Zauberin alles verrät. Außerdem wurde der sofortige Liebesschwur des Prinzen eingefügt, wohl um mildernde Umstände für das Verhältnis der beiden zu schaffen.
Man könnte es als Ironie auffassen, dass in der Disneyverfilmung des Märchens bewusst betont wird, wie viele Jahre noch vor Rapunzels und Flynns Hochzeit vergeht - und das ebenfalls aus dem Grund, die Moralansprüche der Zeit zu befriedigen. Doch das ist sicher nicht der entscheidende Unterschied, wenn es um die Disney‘sche Adaption von Rapunzel geht.


Gerade der Anfang des Films macht den Anschein, als hätte er wenig mit der ursprünglichen Geschichte gemein, doch bei genauerer Betrachtung verläuft der Märchenanfang ganz parallel: Die Mutter von Rapunzel ist schwanger und braucht eine spezielle Pflanze zum Überleben, und so stiehlt ihr Mann diese Pflanze einer Zauberin. Zur Wiedergutmachung holt Gothel das Baby, um es bei sich aufzuziehen, und daraus folgt das ikonische Bild der in den Turm eingesperrten Rapunzel.
Auch der Rest der Geschichte folgt der Linienführung des Märchens: Ein junger Mann findet das Mädchen, die beiden kommen sich nahe, Gothel erfährt davon und stellt ihm eine Falle, doch schließlich wird er durch Rapunzels Träne gerettet.



Natürlich ist diese recht einfache Grundgeschichte im Disneyfilm groß aufbereitet und zu einem soliden Spielfilm aufgefüllt. Gerade die zusätzliche Idee, dass Rapunzels Haare magische Eigenschaften besitzen, bietet sich definitiv an - ebendiese Haare sind ja der springende Punkt des Märchens, auch wenn es dort keine Erklärung für die übernatürliche Haarpracht gibt.
Was den gesamten zweiten Akt des Filmes betrifft, so wurde Rapunzels Ausflug durch das Königreich und ihre Suche nach den Lichtern offensichtlich neu eingefügt. Doch auch das stellt eher eine Erweiterung des Märchens dar als eine wirkliche Veränderung; schließlich ist es auch bei Grimm der Prinz, der Rapunzel findet und durch seine Besuche aus ihrer behüteten Welt herausreißt. Und im Märchen wie im Film ist genau diese „Aufklärung“, die Gothel erzürnt und dazu bringt, ihre Freundlichkeit dem Mädchen gegenüber fallenzulassen.
Das Finale des Films ist in der Tat verändert, doch auch diese Änderungen gehen nicht weiter als das, was man von einer typischen Adaption erwarten kann; die Intentionen der Figuren sind nach wie vor vorhanden, genau wie Stimmung und angedeutete Tragik. Und wenn es auch nicht Gothel tut, so werden Rapunzels Haare doch auch in dieser Version abgeschnitten - eine Entscheidung, die bewusst die Integrität der Geschichte vor die dauerhafte Vermarktbarkeit der Disneyprinzessin setzt.



Die interessantesten Veränderungen zwischen Film und Märchen betreffen wohl die Charaktere der Figuren selbst. Im Märchen selbst kommen nur Rapunzel, der Prinz und Frau Gothel als wirkliche Personen vor, selbst ihre Eltern werden nur angeschnitten. Und auch im Disneyfilm sind diese drei die tragenden Personen; die restliche Besetzung gehört zu der erweiterten Geschichte und bietet nicht viel Material für eine spezielle Betrachtung.
Wenn man sich die Figurenunterschiede anschaut, dann fällt wohl auf Erstes auf, dass die Herkunft von Rapunzel und Flynn umgetauscht wurde: Bei Disney ist sie es, die von königlicher Abstammung ist und Flynn Rider ist ein gewöhnlicher Dieb.
Für Rapunzel ist diese Veränderung egal; sie könnte ohne weitere Veränderungen der Geschichte auch aus einfachen Verhältnissen stammen. Was dagegen neu ist, ist ihr Verlangen, den Turm zu verlassen: Dadurch, dass Rapunzel diesen Wunsch aus sich selbst heraus findet, bekommt sie eigene Intentionen und Sehnsüchte, die in der Grimm‘schen Fassung nicht zu finden waren. Natürlich ist der Wunsch nach dem Leben draußen auch ohne weitere Begründung schon verständlich, und auch im Film dient die Suche nach den schwebenden Lichtern nur zur Verdeutlichung von Rapunzels Freiheitsdrang und gibt ihr einen Grund, mit Flynn hinauszuziehen, ohne dass sie sich auf den ersten Blick in ihn verliebt.



In Flynns Fall ist die Degradierung zum Dieb dagegen sehr wohl handlungsentscheidend: Da auch er sich in dieser Fassung nicht sofort in sie verliebt, braucht es einen Grund, der die beiden aneinander fesselt.
Generell ist der Grund, dass die augenblickliche Zuneigung des Märchens einer langsameren Beziehung weichen musste, offensichtlich. Das Original bietet in diesem Fall eine allzu typische Märchenliebe, bei der der Prinz die gefangene Jungfer nur einmal singen hören muss, ehe er ihr ewige Liebe schwört. In der heutigen Stellung des Disneyerbes scheint es dagegen schlichtweg unmöglich, die Geschichte so umzusetzen; selbst bei der besten Verarbeitung würde dieses Kennenlernen wie eine reine Selbstparodie daherkommen. Stattdessen wurde eine typisch moderne Streitliebe eingefügt, die den beiden Gelegenheit gibt, sich langsam kennenzulernen - und gerade dafür ist ein anfängliches Zögern gerade auf Flynns Seite wichtig. Ihn zum Dieb zu machen, der auf Rapunzels Hilfe angewiesen ist, bietet dafür zweifelsohne einen guten, einfachen Ansatz.
Und gerade weil Flynn nun nicht mehr von nobler Abstammung ist, war es im Sinne des Disneykonzerns wohl auch unerlässlich, Rapunzel königliche Eltern zu geben, um sie trotzdem in den offiziellen Status einer Prinzessin zu erheben.

Was das Königspaar angeht, so kann man sagen, dass die beiden etwas verantwortlicher erscheinen als die Eltern im Märchen: Zwar besorgen auch sie sich die Pflanze, die die Mutter so dringend braucht (und gerade damals galt es als sehr gefährlich, einer Schwangeren nicht zu geben, worauf es sie gelüstet), doch weder ist es ein wirklicher Diebstahl, noch verspricht der Vater der Zauberin das Kind - ganz einfach, weil er keinerlei Gelegenheit dafür hat.



Doch am interessantesten scheint für mich die Art, wie der Charakter der Zauberin Frau Gothel im Film umgesetzt wurde. Gothel ist die Figur, die im Märchen am meisten Persönlichkeit bekommt, und was typische Märchencharaktere betrifft, so stellt sie definitiv eine der ausgewogensten Gestalten dar.
In der ersten Grimm‘schen Fassung des Märchens wird sie noch als „Fee“ beschrieben, dann als „Zauberin“ - beides Begriffe, die weit positiver klingen als die alternative Bezeichnung „Hexe“. Auch der Name, den Rapunzel ihr gibt, „Frau Gothel“, bedeutet wie gesagt so viel wie Gevatterin oder Patin und deutet an, welch enge Beziehung im Märchen zwischen ihr und ihrem Pflegekind besteht.

Sie ist zu Beginn der Geschichte zornig auf den Mann, der sie bestohlen hat, doch sie lässt sich durch seine Gründe erweichen, und offensichtlich sorgt sie sich in verlässlicher Weise um das so erhaltene Kind. Zum Bösewicht wird sie erst wirklich, als sie von Rapunzels Tugendlosigkeit erfährt, und sie behandelt sie auf die Weise, die für „gefallene Mädchen“ zu jener Zeit als gebräuchliche Strafe galt.
Es gäbe sicher viele Richtungen, in die Disney mit dieser Figur hätte gehen können, die einfachste davon wohl eine simple, märchentypische Hexe. Doch dies ist definitiv nicht der Weg, den man genommen hat: Gothel hat Gründe für Handeln, sie ist verständlich gezeichnet und zeigt sich zu großen Teilen sympathisch. Es ist nicht einmal sie, die den eigentlichen Konflikt der Geschichte anstößt. Sie selbst ist mit ihrer Zauberblume zufrieden, und erst als die Blume gestohlen wird, muss Gothel sich das Baby sichern, will sie nicht sterben. Und auch wenn sie sicher keine vorbildliche Mutter darstellt, so sorgt sie doch all die Zeit lang gut für das Kind.

Allgemein besteht die Frage, ob sie Rapunzel wirklich liebt, oder ob sie nur so tut - eine Frage, die von außen alleine schwer zu beantworten ist. Aber was sich beurteilen lässt, sind Gothels Taten. Sie gibt ihr Bestes, Rapunzels Wünsche zu erfüllen, sie ist zärtlich und kümmert sich um das Mädchen - und das Wichtigste: Trotz aller Sticheleien gibt sie Rapunzel immer das Gefühl, geliebt zu werden. Wie auch im Märchen ist es erst der Verrat, der Gothel böse werden lässt und sie dazu bringt, alle Freundlichkeit fahren zu lassen.
Es besteht kein Zweifel, dass diese vergleichsweise mehrdimensionale Märchenfigur in einen vielschichtigen Charakter verwandelt worden ist, auf eine Weise, wie sie besser kaum geschehen sein könnte.

Der Disneyfilm Rapunzel wirkt in vielem sehr modern, und so kommt leicht das Gefühl auf, dass er sich deutlich von seinem Ursprungsmaterial entfernt - aber wenn man sich die Verfilmung genauer anschaut, dann hätte man das Märchen kaum besser zu einem voll durchdachten Meisterwerk wandeln können. Nicht nur sind die Figuren voll entwickelt und die Geschichte durchdacht; im Gegensatz zu vielen generellen Bearbeitungen ist es in diesem Fall gelungen, die Grundgeschichte quasi im Original zu belassen und nur äußerlich zu erweitern. Damit stellt Rapunzel gerade im Hinblick auf seine lange Tradition ein Musterbeispiel dar für ein wunderbares Disneymärchen
.


Mehr von mir gibt es auf www.AnankeRo.com.

Freitag, 28. Juni 2013

Freitag der Karibik #6


Die Schlussszenen von Fluch der Karibik machten nicht nur mich nervös, sondern auch den damaligen Disney-CEO Michael Eisner, dem eine von Jack Sparrows letzten Handlungen im Film großen Kummer bereitete. Endlich an Deck seiner geliebten Black Pearl angelangt und von einer neuen Crew als Käpt'n willkommen geheißen, zieht es Jack Sparrow mit glückseligem Blick zum Steuerrad seines stolzen Schiffes. Es in vollem Zuge genießend, wieder das Steuer in der Hand zu halten, streicht er zärtlich über das Steuerrad und nimmt schlussendlich fest ein Griffende in die Hand. Eisner fürchtete, dieses Griffende könnte, insbesondere durch Sparrows sinnliche Berührung, einen ungewollt phallischen Eindruck machen und war aufgrund des befürchteten freud'schen Subtext entsprechend nervös, als er sich gemeinsam mit Gore Verbinski die verschiedenen Takes dieser Szene ansah.

Obwohl Michael Eisner 2005 den Konzern verließ, blieb seine Furcht vor Phallussymbolen ganz offensichtlich bei den kecken Autoren Ted Elliott & Terry Rossio, dem schelmischen Regisseur Gore Verbinski und dem bekanntlich nicht sonderlich konformistisch denkenden Hauptdarsteller Johnny Depp hängen. Denn während Käpt'n Jack Sparrow in der 2006 veröffentlichten Fortsetzung ganz selbstverliebt mit Elizabeth Swann turtelt, stellt er verdutzt fest, welche nonverbalen Aussagen über sein Gemächt er dadurch trifft, dass er sich strategisch klug an Deck seines Schiffes platzierte:

"Öhm ... Was ist denn das?!"

"Mister Gibbs? Marty? Cotton? Ähm, ihr seht doch auch, was ich sehe, oder?!"

"Das ist eine echt gut platzierte Kanone ..."

"Hör mal, Lizzie, Liebes, ich schwör' dir ... hoch und heilig ... meine Kanone kann öfter schießen als die da!"

Auf dieser visuellen Zweideutigkeit konnten es unsere Frechdachse der Karibik natürlich nicht beruhen lassen. Und so kam es, dass Barbossa und Jack Sparrow sich in Am Ende der Welt darin messen, wer von ihnen das größere Fernrohr schwingt:






Und da Jack immer noch einen Trick in der Hinterhand hat, ist eine Revanche im Rohrvergleich unvermeidlich:


Nun gut, diese schelmischen Szenen sind nicht sonderlich subtil und daher müsste ich hier im Blog eigentlich nicht extra auf sie hinweisen. Aber sie sind ja nur zwei von drei optischen Männlichkeitsbeweisen in Am Ende der Welt. Einige Zeit später legt Barbossa nämlich nach: Während einer sehr hitzigen und auch mit Fäusten ausgetragenen Diskussion des Rats der Bruderschaft beweist er seine stählernen Nerven und seine mächtig-männliche Durchsetzungskraft, indem er seine Muskete abfeuert, einen Tisch besteigt und zu allem Nachdruck noch ein Paar Kettenkugeln in der Hand hält. Welches sehr ... malerisch ...  herunterbaumelt ...




Und selbst nach Gore Verbinskis Abschied von der Pirates of the Caribbean-Saga ging das heitere Treiben weiter. Obwohl es wieder ein wenig in den Hintergrund rückte,all zu subtil ist Jack Sparrows Flirtattacke in Fremde Gezeiten dennoch nicht ...


Michael Eisner wäre bei diesem Anblick wohl heulend aus dem Schneideraum gerannt ...

Sonntag, 23. Juni 2013

Die Synchronkritik zu "Die Monster Uni"


In den vergangenen Jahren verloren Disneys und Pixars Animationsfilm-Synchronfassungen mehr und mehr von ihrem einst überragenden Charakter. Es gab Zeiten, da fand ich die deutschen Fassungen gerne auch mal dem Original überlegen. Doch so manche fragwürdige Besetzungsidee sowie Texte von schwankender Qualität sorgten dafür, dass neue Disney-Synchros zumindest von mir nicht mehr blind den großen Stempel des Vertrauens erhalten.

Filmisch gesehen ist Die Monster Uni in meinen Augen ein klarer Aufstieg gegenüber den herben Pixar-Enttäuschungen der vergangenen zwei Jahre. Die fesche Studentenkomödie braucht zwar ihre Zeit, bis sie sich wie ein echter Pixar-Geniestreich anfühlt, auf dem Weg dorthin ist sie aber durchgehend kurzweilig und besticht mit tollen, fantasievollen Monster-Campus-Hintergründen und einem charakterstarken Figurendesign. Es ist zwar der dritte Teil von Pixars neuer Blödelphase, doch zugleich der erste mich zufriedenstellende Eintrag in diese verworrene Post-Toy Story 3-Ära. Umso wichtiger ist eine gelungene Lokalisierung, so dass auch dem üblichen Familienpublikum, Synchronfreunden und Kinogängern ohne Option, die Originalversion zu begutachten, ein vergnüglicher Kinobesuch ermöglicht wird. Erfreulicherweise ist die Eindeutschung auch weitestgehend gelungen, auch wenn es ein paar kleine Ärgernisse gibt, die für mich als Pixar-Fan den Gesamteindruck etwas drücken.

Um mit dem Highlight anzufangen: Ilja Richter, sowieso einer meiner liebsten Synchronsprecher, ist einfach göttlich drauf und gibt den jüngeren, vitaleren Mike Glotzkowski mit unbändigem Esprit und perfekt sitzendem Witz. Die ruhigeren Momente erfüllt Richter ebenfalls mit Seele und macht es schwer, sich nicht um das kleine, kugelige Monster zu kümmern. Auch Reinhard Brock trifft die richtigen Töne und man kann kaum glauben, dass es mehr als ein Jahrzehnt her ist, dass er Sully erstmals sprach. Anders als Richter ist Brock stimmlich schon spürbar gealtert, allerdings nutzt Brock die neue Rauheit ins seiner Stimme, um die studentische Arroganz und aufgesetzte Coolness Sullys zu vermitteln. Dadurch ist es glaubwürdig, dass der ältere Sully im 2002 in Deutschland veröffentlichten Die Monster AG sanfter spricht. Natürlich liegt es daran, dass Brock damals jünger war, doch werkimmanent lässt es sich problemlos argumentieren, dass es nur darin ergründet ist, dass Sully einfach nur ein sanfteres, lieberes Gemüt wurde als zu Uni-Zeiten.

Ein weiterer Rückkehrer aus Die Monster AG hingegen wurde nicht kontinuitätsgerecht besetzt: Das Chamäleonmonster Randall, im Original erneut von Steve Buscemi gesprochen, erhält in der deutschen Version von Die Monster Uni weder seinen kongenialen deutschen Erstsprecher Martin Semmelrogge, noch dessen verflixt ähnlich klingenden Sohn Dustin. Stattdessen wird Randall von einem schüchternen Tim Sander gesprochen, was einstiegs zur Persönlichkeit der Figur passt, doch stimmlich besteht leider keinerlei Nähe zum gewohnten Klang dieses Schuppenviehs.

Sander liefert allerdings wenigstens eine gute Performance ab, während gleich zu Beginn des Films ausgerechnet das Monster, das Mike Glotzkowski dazu inspiriert, ein Schrecker zu werden, eine der miesesten Synchronleistungen der Disney-Geschichte spendiert bekommt. Torwart-Star Manuel Neuer bringt seine zwei, drei Sätze völlig verkrampft, ohne jede Sprechdynamik und kurzatmig daher, so dass man sich kurz in eine Amateursynchro versetzt fühlt.

Glücklicherweise sind die restlichen Promibesetzungen talentierter: Axel Stein kommt zu sehr witzigem Ergebnis von dem liebenswerten, knubbeligen Monster Squishy und Elyas M'Barek chargiert mit großer Spielfreude auf dem undurchschaubaren, netten, verpeilten Zottelmonster Art.

Die Synchrontexte sind makellos. An besondere Geniestreiche kann ich mich nicht erinnern, ebenso wenig sind mir irgendwelche Schnitzer aufgefallen. "Adäquat" ist da wohl das treffende Wort.

Siehe auch:

DisneyWar – Teil 5: Der einsame König und sein Reich

Die ersten zehn Jahre unter der neuen Disney-Führungsriege liegen hinter uns, wir sind im Jahr 1994 angekommen. Das Studio ist mit Erfolgen wie „Der König der Löwen“ gekrönt, das Unternehmen macht Rekordgewinne. Hinter den Kulissen aber brodelt es: Unternehmenspräsident Frank Wells – ein loyaler Vertrauter Eisners – stirbt bei einem Hubschrauberunfall. Jeffrey Katzenberg, Vorsitzender der Walt Disney Studios und Hauptverantwortlicher für die erfolgreiche Renaissance der Animationsfilme, hofft auf die versprochene Beförderung zum Präsidenten, doch Eisner weigert sich. Die ohenhin gespannten Verhältnisse eskalieren, Katzenberg verlässt das Unternehmen im Streit.  Plötzlich ist vom einstigen Erfolgstrio, das Disney aus dem Dornröschenschlaf geweckt hat, nur noch einer übrig: Michael Eisner, der vor einem personellen Scherbenhaufen steht. In einem „entzauberten Königreich“, wie das Sachbuch „DisneyWar“ diese nun eintretende zweite Phase der Ära Michael Eisner überschreibt.

Im achten Kapitel zeichnet Autor James B. Stewart das charakterliche Bild von Eisner kohärent weiter: Generell erhält man als Leser den Eindruck eines Mannes, der nun – da er durch den Abgang von Katzenberg und den Tod von Wells sehr viel Macht auf sich vereint hat – nur ungern wieder Macht abgeben will. Und wenn, dann nur an jemanden, den Eisner auch zu kontrollieren fähig ist, der ihm selbst keine Konkurrenz machen kann und der sich ihm bedingungslos unterordnet. Dass die Suche nach solch geeigneten Nachfolgern für Katzenberg und Wells schwierig werden würde, ist ohnehin klar. Nebenbei müssen die Neuen ja auch noch das eigentliche Geschäft perfekt beherrschen, um bei ihrer Arbeit erfolgreich zu sein.

Das achte Kapitel beschreibt zu großen Teilen, wie sich die Nachfolgesuche von Eisner gestaltet. Er selbst sieht sich im Unternehmen Disney mittlerweile als völlig unverzichtbar an: Nach einer Herzoperation von Eisner stellte sich das Board zeitweise die Frage, wer Disney übernehmen könnte, würde der er selbst plötzlich sterben – nach dem Tod von Wells schien dieses Problem nicht mehr allzu abwegig. Doch Eisner kannte niemanden, der ihn ersetzen konnte, wie er in einem Brief an das Boardmitglied Ray Watson mitteilte: „Hier ist die traurige Wahrheit: Ich habe keinen [Nachfolger]. […] Wir haben eine Reihe fantastischer junger Manager, die Führungs-Erfahrung brauchen … aber im Moment kann ich nicht wirklich sagen, wer in die ‚Startlöcher‘ passt.“ (S. 295)

Ob Eisner zu diesem Zeitpunkt die Wahrheit sagte oder nur so tat, um sich selbst für die kommenden Jahre als alleinigen, unumstrittenen Chef darzustellen, ist an dieser Stelle nicht ersichtlich. Liest man aber zwischen den Zeilen, passt die Betonung auf [i]jungen[/i] Fachkräften zu dieser Interpretation: Zwar gibt es geeignete Kandidaten, aber erst, wenn sie (durch Eisner) jahrelang gefördert wurden und irgendwann einmal ‚reif‘ sind für seinen Chefsessel. Wolle man Eisner Narzissmus unterstellen, so fände sich hier ein gutes Argument dafür. Auch ein paar Seiten später, als Eisner über die Restrukturierung von Disney redet, dabei auch über die Durchwechslung von Managerposten – denn seiner Meinung nach könne jeder gute Manager auch jede Position in einem Unternehmen bekleiden. „Es geht dabei um die Gründung eines neuen Unternehmens nach den gleichen Prinzipien und der gleichen Unternehmenskultur. […] Auf mir lastet also ein großer Druck. Ich habe das Gefühl, jetzt würde ohne mich alles zusammenbrechen.“ (S. 297)

Dennis Hightower
Nun hat Eisner nicht unrecht damit, dass sich das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt – 1995 – in einem Umbruch befand und es jemanden brauchte, der diesen Umbruch sorgfältig organisierte. Eisners Probleme, geeignete Leute für die vakanten Posten zu finden, blieben bestehen: Schwierig gestaltete sich vor allem die Position des Chefs der TV-Sparte, für die Eisner einen auf den ersten Blick völlig ungeeigneten Kandidaten auswählte, nämlich Dennis Hightower. Dieser hatte Disneys Merchandising-Geschäft in Europa und Asien erfolgreich gemacht, verstand aber von der Film- und Fernsehbranche nichts (was Eisner nicht hinderte, da ja seiner Meinung nach jeder gute Manager alles könne). Bill Mechanic, damals Studiochef der TV-Sparte des Konkurrenten FOX, konnte eine solche Personalentscheidung kaum fassen: „Nicht einmal Michael könnte so einen großen Fehler machen.“ (S. 299). Die Causa Hightower endete übrigens schon nach einem Jahr, sie ist beispielhaft für andere überraschende Personalentscheidungen zu dieser Zeit.

Zusätzlich zu den internen Problemen bemühte sich der Disney-Konzern um die Übernahme eines Fernseh-Networks, einer Senderkette mit nationalem Primetime- und lokalen Daytimesendungen. Damals, Mitte der 90er Jahre, war ganz Hollywood im Fusionsrausch, billige Kredite machten Übernahmen schmackhaft. Disney war quasi gezwungen, ebenfalls den Kauf eines Networks in Erwägung zu ziehen, auch wenn einige Führungskräfte dagegen waren. Die Synergien, schon lange übrigens von mittlerweile abgewanderten Jeffrey Katzenberg angepriesen, waren aber unverkennbar: Mit eigenen Fernsehsendern könne Disney seine Film- und Fernsehproduktionen über eigene Vertriebskanäle verwerten, außerdem könnten Produktionssparten zusammengelegt werden. Interessant in dieser Hinsicht: Das Network ABC, das letztlich von Disney gekauft wurde, war ursprünglich dritte, eigentlich sogar nur vierte Wahl bei den ersten Übernahmeplänen.

Michael Eisner hatte zu dieser Zeit keine Übernahme-Erfahrungen gemacht. Ein größerer Einkauf unter seiner Führung war bisher lediglich das Filmstudio Miramax gewesen; für diese höchst erfolgreiche Übernahme aber war fast ausschließlich Jeffrey Katzenberg verantwortlich. Eisner selbst hatte aber zumindest TV-Erfahrungen durch sein früheres Amt bei Paramount und glaubte zu erkennen, welches Unternehmen am besten zu Disney passe. Sein erster Favorit war das Network NBC, das damals in einer Krise steckte – für Eisner war interessant, es wieder zur Nummer eins zu machen. Hier lässt sich einmal mehr der ureigene Charakterzug Eisners erkennen, den Reiz in der Herausforderung zu suchen.

Normalerweise zieht Eisner seine Ideen auch durch, wenn er sie sich einmal in den Kopf gesetzt hat – zumindest bisher. Nach den Ereignissen des Jahres 1994 aber wandelt sich das Handen des impulsiven Dickkopfs: Schnell wird die Übernahme von NBC als zu teuer abgehandelt, Eisner selbst soll laut „DisneyWar“ dennoch eine gewisse Enttäuschung über das geplatzte Geschäft empfunden haben. Einen ähnlich überraschenden Rückzug machte er auch beim Themenpark-Projekt „Disney’s America“, dessen Planungen von Bürgerprotesten begleitet wurden. Nach neuen Kostentschätzungen und dem finanziellen Fiasko von Disneyland Paris traute sich Eisner auch hier nichts mehr und stellte das Projekt ein. Vielleicht war Eisner nach seinem Größenwahn, in Paris seine eigenen architektonischen Träume zu verwirklichen und kein bisschen zu sparen, auf den Boden der rechnerischen Tatsachen zurückgeholt worden.

Weitere Übernahmekandidaten im TV-Bereich waren nun noch CBS und ABC, zeitweise plante man sogar den Kauf des damaligen Entertainment-Riesen TimeWarner. Eisner wollte dieses Risiko allerdings nicht eingehen, plädierte zunächst für eine Übernahme eines einzelnen Networks: „Ich bin immer noch für CBS“, sagte er Mitte 1995 zu seinen Finanzmanagern. Im Laufe der nächsten Wochen klopfte er die Chancen sowohl bei CBS als auch bei ABC ab, letzteres Network erschien generell günstig und beinhaltete noch ESPN, einen aufstrebenden Sportsender, der immer bessere Zahlen vorweisen konnte. Eisners Vertrauter Sid Bass riet ihm letztlich zum Kauf von ABC; die Übernahme wurde im August 1995 besiegelt. Öffentlich hatte Eisner einen großen Sieg errungen, viele betrachteten den Deal als äußerst sinnvoll. Im New Yorker überschrieb Ken Auletta seinen Übernahmebericht mit der Schlagzeile „Awesome“ und schrieb: „Eisners Triumph verwandelt ihn erneut; aus dem Frosch wird wieder ein Prinz.“

Ungeklärt war zu diesem Zeitpunkt noch immer die Besetzung des Präsidentenpostens. Als natürlicher Nachfolger von Frank Wells kam dabei Robert ‚Bob‘ Iger ins Spiel, der damals Präsident von ABC war, das Disney ja nun übernommen hatte. In der Branche ist es nicht unüblich, dass der Chef bei einer Fusion dann einen noch höheren Posten bekleidet, in diesem Fall jenen des Disney-Präsidentenpostens. Eisner aber reagierte ambivalent auf den neuen Mann Iger: „DisneyWar“ beschreibt, dass Eisner von ihm zwar in gewisser Weise beeindruckt sei, dass er ihn allerdings intern auch schlecht gemacht habe. Für den Präsidentenposten sei Iger zu weich und zu gut aussehend, zu wenig kreativ (S. 319), letztlich noch nicht reif für diese Position. Eisner soll sogar mit dem Gedanken gespielt haben, Iger bei ABC zu feuern und durch den bereits bekannten Dennis Hightower zu ersetzen – unvorstellbar, wenn man in Gedanken ruft, wie erfolgreich Iger seit Jahren an der Spitze von Disney und als Eisners Nachfolger mittlerweile ist.


Michael Ovitz
Vielleicht, dies geht aber aus „DisneyWar“ nicht hervor, hat Eisner in Iger damals bereits einen Konkurrenten gesehen, der ihm gefährlich werden könnte (eine nicht unbegründete Prognose). Anders ist kaum zu erklären, dass er Iger selbst in seinem alten Job bei ABC feuern wollte, wo dieser dort nachweislich gute Arbeit geleistet hatte und durch seine Erfahrung die Integration von ABC bei Disney vorantreiben konnte. Michael Ovitz, Eisners Vertrauter, riet ihm daher auch von einem solchen Schritt ab: Es wäre ein Desaster, Iger so früh zu ersetzen, er habe eine Chance verdient. Letztlich wurde Ovitz selbst umworben, neuer Präsident bei Disney zu werden – Eisner sah in ihm einen fähigen Mann, den er offenbar kontrollieren konnte (beide kannten sich bereits 30 Jahre) und der ihm kaum in Konkurrenz treten könnte. Das Board war von der Personalie kaum überzeugt, doch Eisner kontrollierte es damals quasi und bewegte die Mitglieder letztlich zu einer Entscheidung pro Ovitz. Dieser war von der neuen Partnerschaft auch nicht wirklich überzeugt, fürchtete um die private Freundschaft mit Eisner, sollte die Geschäftsbeziehung nicht klappen. Als Hollywood-Agent war Ovitz in der Branche ein berüchtigter Mann, von Zeitungen sogar als der „mächtigste Mann Hollywoods“ beschrieben – Erfahrungen im Geschäft eines Entertainment-Imperiums hatte er bisher trotzdem keine.

Für Eisner war diese „private“ Lösung wahrscheinlich die einfachste, weil am einfachsten zu händelnde und für ihn offensichtlich die risikoloseste – auch in Bezug auf seinen eigenen CEO-Posten, der durch Michael Ovitz kaum gefährdet schien. Ob diese Lösung aber auch für das Unternehmen das Beste war, schien – wie so oft bei Eisners Entscheidungen – nur zweitrangig, wie sich später auch herausstellen sollte. Nachdem Ovitz den Job bei Disney angenommen hatte, rief er einen Vertrauten an und sagte: „Ich glaube, ich habe den größten Fehler in meiner gesamten Laufbahn begangen.“ (S. 323)

Über die Krise, die mit Michael Ovitz zu Disney kam, und über schwindende Unterstützung zu Michael Eisner berichtet der nächste Teil des Lesetagebuchs.
 
 
Bei Recherchen zu diesem Artikel bin ich auf ein sehr interessantes Videodokument gestoßen, das zwar nicht zum Inhalt passt, ich euch aber nicht vorenthalten will: eine Diskussion zwischen Bob Iger und Jeffrey Katzenberg über Entwicklungen im TV
 

Freitag, 21. Juni 2013

Freitag der Karibik #5


Eine kleine Erzählung aus meiner rumgetränkten Schatzkiste an persönlichen Anekdoten rund um das Pirates of the Caribbean-Franchise:

Wir versetzen uns zurück ins Jahr 2003, als Fluch der Karibik in den deutschen Kinos startete. Aufgrund der gesunkenen Zugkraft der animierten Disney-Filme (der Start von Findet Nemo stand in Deutschland noch aus, Megaerfolge wie Tarzan lagen nun wieder einige Jahre zurück), verlor der Markenname seine in den Neunzigern mit Aladdin, Der König der Löwen und Co. aufgebaute Akzeptanz bei Jugendlichen und erhielt bei dieser Zielgruppe wieder diesen abschreckenden Beigeschmack, den er Ende der Siebziger und während der Achtziger hatte. Das Problem war zwar nicht ganz so enorm wie zu jener Zeit, kurz bevor die Disney-Studios eine kreative Identitätskrise durchmachte, dennoch war es für mich als jugendlichen Disney-Liebhaber frustrierend.

Daher war es nur nachvollziehbar, dass auf zur deutschen Uraufführung veröffentlichten Kinoplakaten zu Fluch der Karibik der Disney-Name nur mit der Lupe aufzufinden war und in Kinotrailern nur zusammen mit den Drehbuchautoren, dem Kameramann und den Nebendarstellern in Windeseile am Ende eingeblendet wurde. Schließlich hatte das Studio hier einen Film auf der Hand, der Teenagern ungeheuerlich zusagen dürfte, dem sich aber zahlreiche potentielle Kinogänger verweigern würden, wüssten sie, dass er aus dem Hause Disney stammt.

Als ich am Starttag in die erste Vorführung von Fluch der Karibik ging, die mein damaliges Stammkino abhielt, fand ich zum ersten und bislang vorletzten Mal in der Geschichte meiner Kinobiografie einen ausverkauften Saal vor. Und die Reaktionen auf die gezeigten Trailer bestätigten mein Bild der disneyverdrossenen Jugend: Bad Boys 2 wurde mit feierndem Gegröhle begrüßt, Der Fluch von Darkness Falls erhielt ein kollektives "Hä, der Film lief doch schon?!", eine Wiederholung des Bad Boys 2-Trailers kam immer noch super an, Matrix Revolutions stieß auf die Effekte bestaunende, dennoch zweifelnde Zuschauer, Kill Bill, Vol.1 wurde laut umjubelt und dann kam Findet Nemo. Wie eine wilde Meute zerriss das Saalpublikum den Trailer in der Luft, es wurde abfällig gelacht, "Was soll der Disney-Scheiß?!"-Fragen wurden in den Raum geworfen, es war ein sprichwörtliches Blutbad.

Und dann begann der Film. Wie einigen von euch vielleicht auffiel, verzichtet Fluch der Karibik auf jegliche Einblendung von Studiologos. Es erlaubt einen kühlen Start in den Film, wir können so langsam in das fiktive Universum der verfluchten Karibik hineinplätschern, ganz so wie in der diesen Abenteuerstreifen inspirierenden Themenparkattraktion, und es hat der Jerry-Bruckheimer-Produktion sowas gerettet, denn nach den Reaktionen auf den Findet Nemo-Trailer nach zu urteilen, hätte der Film bei meinem Saalpublikum nicht die kleinste Chance gehabt, akzeptiert zu werden, wäre er stolz mit dem Disney-Logo zu Beginn der ignoranten Masse entgegnet.

In den nachfolgenden mehr als 120 Filmminuten wurde herzlich gelacht, mitgefiebert und gestaunt. Nachdem die grazile Gouverneurstochter Elizabeth Swann und der beherzte Waffenschmied Will Turner gemeinsam für den gewieften Piraten Jack Sparrow einstanden und sich dieser auf seine unvergleichliche Weise von den Bewohnern der Hafenstadt Port Royal verabschiedete, ehe er einen unrühmlichen Abgang hinlegte, indem er die Stadtmauern hinuntertölpelte und ins Wasser fiel, bereitete Fluch der Karibik seinen runden Abschluss vor: Die Musik schwellte langsam an, erzeugte eine wohlige Atmosphäre der Abenteuerromantik wie sie bereits aus klassischen Genrevertretern bekannt war, und Gouverneur Weatherby Swann erteilte seiner Tochter den ersehnten Segen für eine Bindung mit Will Turner. Denn ... "Immerhin ist er Waffenschmied."
In ihr Gegenüber vernarrt, mit glitzernden Augen und einem kess verzogenen Mund, nahm Elizabeth Wills Hut von seinem Kopf und erwiderte: "Nein. Er ist Pirat!" Die Musik arbeitete sich ihrem Crescendo entgegen und während Will und Elizabeth ihre Liebe zueinander mit einem Kuss besiegelten, fuhr die Kamera ehrfürchtig davon, um dem Publikum einen umfassenderen Blick auf die glücklich vereinten Helden und ihre nun in Sicherheit gewogene Heimat zu gewähren.

Es war der Moment, an dem sich die größte Anspannung des ganzen Abends verspürte. Parallel zu meinem Filmgenuss stellte sich unbändige Nervosität ein, ich sträubte mich gegen das, was zu erwarten stand. Denn das, was sich gerade abspielte, war ein waschechter Disney-Abenteuerfilm-Moment. Disney hatte ja bereits seine Vergangenheit mit Realfilmen aus dem Abenteuergenre, und diese Szene quillte vor originalgetreuer Disneystimmung nur so über. Der kurze Dialogwechsel, die Kostüme, die altmodische Stadtmauer Port Royals, der Kameraschwenk nach hinten ... fehlte nur noch die klassische, wahrscheinlich in Gelbtönen gehaltene Einblendung "The End. A Walt Disney Production". Dann käme der Abspann und Fluch der Karibik wäre in bester Disney-Manier geendet. Und ich hatte eine Heidenpanik, dass genau dies eintreten könnte.

Ich liebte diesen kurz aufblühenden Moment konventionellen Disney-Abenteuergefühls. Fluch der Karibik enthielt mehrere Momente, die sich bequem ins Schaffen des Studios einfügten und da ich bereits für Disneys früheren Genrevertreter eine Schwäche hatte, sog ich sie genüsslich auf. Ein so stereotypes Ende, wie das, was ich mir gerade ausmalte, hatte sich Fluch der Karibik jedoch nicht verdient. Dem Film stand etwas besseres, eigensinnigeres zu, denn er hat in den vergangenen rund zwei Stunden so viel dafür getan, ein außergewöhnlicher, leicht verschrobener Disney-Abenteuerfilm zu sein, dass es eine Schande wäre, wenn der Film auf einer normalen Note endet. Erschwerend kam hinzu: Bruckheimers zweite unter dem Disney-Namen veröffentlichte Kino-Produktion hat mein Saalpublikum so für sich eingenommen, ich fürchtete, dass alles verloren ginge, würden nun gelbe Letter auf altmodische Weise die Herkunft des Films hinausposaunen. Fluch der Karibik gefiel meinen Mitstaunenden so enorm, dass ich ihm zutraute, den Disney-Namen bei den Pubertierenden dieser Welt wieder bereinigen zu können ... wenn sie es irgendwann erfahren. Doch nicht in genau diesem Moment, auf dem hoch klingenden Abschluss des Films. Es würde sich nur eine ruckartige Abneigung des gerade Gezeigten einstellen.

Doch dann kam Captain Sparrow. Der goldige Disney-Moment klang ab, Jack wurde auf die Black Pearl geholt und mit verschmitztem Grinsen im Gesicht und verspielter Abenteuerfreude in der Stimme forderte er: "Trinkt aus, Piraten, Yo-Ho!" Schnitt. Schwarzbild. Abspann. Epochale, actionreiche Musik. Ein Hochgefühl stellt sich ein. Der Deal war besiegelt. Der Film hätte nicht besser enden können. Ganz im Geiste Disneys, und dennoch einzigartig. Die DVD traute sich dann, den Disneynamen etwas prominenter aufs Cover zu setzen. Und nie mehr hörte ich in Kinosälen bei Disney-Trailern ablehnende, schockierte Geräusche.

Nananananananananana, schlimme Schurken sind wir. Trinkt aus, Piraten, Yo-Ho!

Freitag, 14. Juni 2013

Freitag der Karibik #4


Für alle, die Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten nur in der Synchro kennen: Ja, ja, Käpt'n Jack Sparrow spricht sich vor aller Weltöffentlichkeit für die Missionarsstellung aus. It's a Pirate's Way For Him ...

Samstag, 8. Juni 2013

Die Quellen der Disneyfilme: Oliver & Co.

 
Von Legenden zu historischen Ereignissen, von Märchen bis zu klassischer Literatur - die Zauberkünstler von Disney haben sich der vielfältigsten Quellen bedient, um Stoff für ihre Filme zu finden. Gemein haben sie jedoch alle, dass das Ursprungsmaterial nicht ohne Veränderung in den Disney-Kanon eingeflossen ist.

 

Diese Reihe von Im Schatten der Maus befasst sich mit dem Entstehungsprozess einiger dieser Meisterwerke:
Die Quellen der Disneyfilme

Charles Dickens‘ Oliver Twist erschien 1838 als zusammenhängendes Buch, noch mehrere Monate bevor die abschnittweise Zeitungsveröffentlichung abgeschlossen war. Heute ist die Geschichte ein Sinnbild für die schlechten Lebensverhältnisse Londons im frühen neunzehnten Jahrhundert, für die Klassenungleichheit und insbesondere die Schwierigkeiten, die sich für einen Waisenknaben ergaben, der nicht in seinem vorbestimmten Sumpf aus Elend und Verbrechen ersticken wollte.
Natürlich dürfte diese Lesart ganz im Sinne des Autors liegen, der in dem Buch eindeutige Sozialkritik übt, vor allem an der scheinheiligen Mittelschicht. Der Stil ist größtenteils grimmig, und wenn die Geschichte hin und wieder ins Komisch-Absurde übergeht, so nur um den Kontrast zum harten Inhalt noch stärker zu betonen. Doch neben dieser bewusst realistischen Darstellung des Lebens im Armenhaus und in den Straßen Londons steckt noch eine andere Erzählung in Oliver Twist, ein wundersames Märchen, das sich nur zu oft mit der eigentlichen Aussage beißt. Es geht um die Nebenhandlung von Olivers Herkunft, in der sich mehr und mehr herausstellt, dass er schon von Geburt her nicht für das Leben auf den Straßen bestimmt ist, bis sich zum Schluss sämtliche Probleme durch wundersame Schicksalsfügungen quasi von selbst erledigen. Schließlich ist es bei genauerer Betrachtung sogar so, dass alle Figuren, die der Unterschicht entstammen, charakterlich negativ, verlogen und diebisch dargestellt werden, während die Angehörigen der Oberschicht (mit Ausnahme von Olivers Halbbruder Monks) durchweg gütig und verständnisvoll reagieren - und Oliver selbst, der sich engelsgleich gegen alle Versuchung wehrt, unterstreicht dieses Prinzip durch seine geheimnisvolle hohe Herkunft nur umso mehr.
Die Hure Nancy ist am Ende geradezu die einzige ambivalente Figur, die sich ansatzweise über ihr gebürtiges Schicksal hinausheben kann, indem sie alles tut, um Oliver vor ihrem Geliebten Bill Sykes zu retten - und sie ist auch die einzige Figur des Romans, die mit ihrem Opfertod ein ungerechtfertigtes Schicksal erleiden muss.
Dieses generelle Kastendenken, das sich bei genauerer Betrachtung im Buch einstellt, ist wohl der Grund, dass sich in den verschiedenen Adaptionen generell eine andere Charakterisierung durchgesetzt hat: Gerade der Jude Fagin wird immer wieder zum liebenswerten Schlitzohr heraufgestuft, der sich ehrlich um seine Jungen sorgt, und kaum eine Bearbeitung lässt Dodger wirklich am Ende in die Verbannung nach Australien schicken. Außerdem wird Olivers eigene Herkunftsgeschichte häufig unterschlagen, und alleine dadurch wird der Junge selbst zum Sinnbild des edlen Jungen aus niedrigen Verhältnissen.



Doch keine der vielfältigen Adaptionen geht wohl so frei mit Dickens Roman um wie die Disneyverfilmung von 1988: Oliver & Co. Wie lose die Geschichte um das verlassene Kätzchen, das Zuflucht in einer Hundebande findet, erscheint, zeigt sich am besten dadurch, wie viele Zuschauer den Zusammenhang zwischen Buch und Film nicht einmal erkennen - und doch finden sich sicher genug Parallelen, um den Disneyfilm als direkte Verfilmung zu werten, bei der es sich nicht einmal um die freieste der Disney-Adaptionen handelt.
Neben dem eindeutigen Bezug zu Oliver Twist wird dem Film im Übrigen nachgesagt, dass es sich im Grundgedanken um eine Fortsetzung von Bernard und Bianca gehandelt habe, die Pennys weiteres Schicksal erzählt, eine Geschichte, die bei den Ähnlichkeiten zwischen Penny und Jenny sicher einleuchtend klingt, für die ich zumindest aber keinerlei Belege gefunden habe.


Es ist wohl nicht verwunderlich, dass die Geschichte selbst in ihrem neuen Rahmen einer Wandlung unterworfen wurde. So gut die Verwandlung der Straßenjungen in eine Hundegang an sich auch funktioniert, so ergeben sich daraus doch ganz klare Kürzungen des Romans wie das Wegfallen der ikonischen Waisenhausszenen, und nicht zuletzt ist die Frage um Olivers Herkunft hier völlig bedeutungslos - wie gesagt eine eher übliche Weglassung, die die soziale Botschaft des Buches eher noch unterstreicht.
Dass Oliver in Fagins Diebesgruppe eine gesonderte Rolle einnimmt (und das schon durch seine Geburt), wird stattdessen auf andere Weise offensichtlich - ganz einfach dadurch, dass Oliver eine Katze ist, die sich unter Hunden behaupten muss. Gerade die gesamte moralische Fragestellung wird durch diese grundlegende Veränderung stark beeinflusst: Wie auch im Buch schickt Fagin seine Jungs hinaus, um für ihn zu stehlen, doch in diesem Fall ist damit keinerlei moralische Schuld verbunden und Oliver selbst hat von Anfang an kein Problem damit, sich sein Essen durch „Diebstahl“ zu besorgen.

Diese Verschiebung sorgt auch dafür, dass Jenny - das Äquivalent zu Mr. Brownslow im Buch - keine Notwendigkeit hat, Oliver zu „vertrauen“; sie ist einfach ein junges Mädchen, das sich eines verlorenen Katzenkindes annimmt. In gewisser Weise zeigt sich der Disneyfilm nicht zuletzt dadurch um einiges realistischer als sein Vorbild, eine Aussage, die wohl einiges über Dickens Roman aussagt.
Durch das Wegfallen der gesamten moralischen Zwiespältigkeit ist auch der Rest der Hunde trotz ihrer rauen Art durchgehend positiv gezeichnet und selbst Olivers Entführung aus Jennys Haus stellt ein reines Missverständnis dar. Neben Dodger, der in etwa dem entspricht, was man von einer Hundeversion der Buchfigur erwarten könnte, lässt sich im Übrigen nur in Rita eine spezielle Gestalt des Romans erkennen: Auch wenn sie im Film nur eine kleine Rolle innehat, zeigt die Hündin doch angedeutete Parallelen zu Nancy. Es existiert eine zumindest einseitige Beziehung zwischen ihr und Sykes‘ Hund und sie ist es, die sich dagegen ausspricht, Oliver zurück zu Fagin zu bringen.



Fagin selbst ist wohl der Elefant im Raum, wenn es um irgendeine Oliver-Twist-Bearbeitung geht. Die Tatsache, dass er im Buch als widerwärtiger Gauner durchgehend negativ dargestellt wird, wäre an sich kein Problem, würde nicht die Tatsache seiner jüdischen Abstammung mit noch größerer Intensität immer wieder betont werden. Dickens selbst hat, als er erkannte, dass seine Figur als beleidigend aufgefasst wurde, den Großteil der Hinweise auf Fagin als „der Jude“ herausgestrichen, doch das Prinzip ist dasselbe geblieben und nun ist es Sache der verschiedenen Filme, sich mit dem Problem zu befassen.
Durch die freie Adaption fällt es Oliver & Co. natürlich vergleichsweise einfach, jede unangenehme Konnotation zu verhindern. Nicht nur weist in diesem Falle nichts mehr auf einen jüdischen Hintergrund des Kleinkriminellen hin, Fagin wird auch trotz seiner nicht ganz legalen Lebensweise durchweg positiv dargestellt. Zwar ist er selbst ein Mensch geblieben und muss sich damit auch im Film für sein Handeln moralisch verantworten, doch alleine dadurch, dass er unter dem Druck des sehr viel bedrohlicheren Sykes steht, sind seine Handlungen durchweg entschuldbar. Und auch wenn er Jenny mit Olivers „Entführung“ erpressen will, so kann er doch nicht einmal dieses Vorhaben wirklich durchführen.
Sykes dagegen wird von seinem zwar brutalen aber doch menschlichen Buchvorbild zu einem gnadenlosen Verbrecher abgewertet, dessen Präsenz ausreicht, die positivere Zeichnung der restlichen Figuren als einziger Bösewicht aufzuwiegen. Zwar fehlt mit Nancys Tod der grauenvollste Aspekt, den die Figur im Buch innehat, doch es wird eindeutig klar gemacht, dass Sykes sich neben Kindesentführung auch für einen Mord keineswegs zu schade ist.
Ab dem Moment, als Sykes Jenny entführt, hat der Film generell nicht mehr viel mit dem Buch gemein; es folgt ein allzu typisches Disney-Finale mit einer ausführlichen Rettungsaktion inklusive Verfolgungsjagd. Auch das Schlussbild selbst ist um einiges freundlicher als sein literarisches Äquivalent - in beidem werden die Guten am Ende durchweg belohnt, doch in Oliver & Co. umfasst die Liste der positiven Figuren eben eindeutig auch Fagin und Dodger.



Insgesamt sollte den Zuschauern des Films eigentlich von Anfang an klar sein, dass sie keine originalgetreue Verfilmung von Dickens Roman zu erwarten haben. Der Film hangelt sich immerhin einigermaßen genau an der Geschichte des Buches entlang und das Publikum erhält die Figuren, die man allgemein erwartet - merke: die man erwartet, nicht die, die im Buch zu finden sind.
Dass Dickens klassischer englischer Roman von Disney in das New York der achtziger Jahre versetzt wurde, ist für Puristen dagegen vielleicht grausamer als die Veränderungen der Geschichte selbst, doch aus erzählerischer Sicht macht gerade diese Verschiebung durchaus Sinn. Oliver Twist war nie ein historischer Roman, sondern eine Sozialstudie, in der Dickens die aktuellen Probleme seiner Zeit offen aufzeigte. Daraus nun einen wiederum modernen Film zu machen, der sich mit modernen Problemen wie heimatlosen Trieren und Kleinkriminalität auseinandersetzt, ist eine an sich überraschend tiefgreifende Idee.

Doch natürlich bemüht sich Oliver & Co. nicht wirklich, dieses Prinzip kritisch umzusetzen. Am Ende bleibt der Film ein buntes Tier-Abenteuer, dass sich weder von Dickens Original abhängig macht, noch den Ehrgeiz hat, eigenen Tiefsinn zu entwickeln. Auch die an sich vielleicht konstruktive Idee, eine einst als modern geschriebene Geschichte wiederum modern zu verfilmen hat sich bereits 25 Jahre nach Erscheinen des Filmes völlig gegeben; Oliver & Co. ist so fest in seiner Entstehungszeit der achtziger Jahre festgenagelt wie wohl kein anderes Disney-Meisterwerk.
Ich persönlich denke, der Film hätte ein sehr viel langlebigerer Erfolg sein und seinen literarischen Ursprung vielleicht sogar überflügeln können, wenn man sich wirklich bemüht hätte, die Möglichkeiten einer modernen Oliver-Twist-Verfilmung voll und ganz zu nutzen - doch gerade für die damalige Disney-Zeit wäre das wohl um einiges zu viel verlangt. Was sich dem Zuschauer stattdessen bietet, ist eine unschuldig-putzige Adaption des Klassikers, die sich vor allem bemüht, ja niemanden zu überfordern
.


Mehr von mir gibt es auf www.AnankeRo.com.

Freitag, 7. Juni 2013

Freitag der Karibik #3


Konzernintern verstand man innerhalb der Walt Disney Company das Markenversprechen des Disney-Labels jahrzehntelang als "Fun Family Entertainment".

Weil sich allerdings allmählich die medialen Sensibilitäten junger Zuschauer verschoben und es schwieriger wurde, Kinder und Teenager gleichermaßen anzusprechen, und man die Disney-Alternativlabels "Touchstone Pictures" und "Hollywood Pictures" nach der Jahrtausendwende nahezu eingemottet hat, musste eine interne Neupositionierung her.

So wollte man Filme, die vorher auf der Kippe zwischen dem Disney- und dem Touchstone-Label standen (wie nun einmal Fluch der Karibik) nahtloser in die Disney-Familie integrieren. Daher erarbeitete man innerhalb der Disney-Führung gemeinsam mit Marketingexperten das neue Markenversprechen "Entertainment With Heart".

Samstag, 1. Juni 2013

Im Schatten der Maus - Spezial: Brave New Look?


Im Mai erhielt Merida, die Protagonistin des Oscar-prämierten Pixar-Films Merida – Legende der Highlands (beziehungsweise Brave, wenn man den englischen Originaltitel bevorzugt) mehr als zwei Monate nach den Academy Awards und fast ein Jahr nach US-Start ihres Kinoabenteuers erneute Aufmerksamkeit. Unerwartet war dies nicht, denn die Merchandising-Abteilung des Disney-Konzerns, Disney Consumer Products, hielt eine „offizielle“ Zeremonie ab, in deren Rahmen Merida zur elften Disney-Prinzessin gekrönt wurde. Diese PR-Aktion sollte dafür sorgen, dass der Rotschopf wieder ins Gespräch kommt und sollte somit auch dem Verkaufsstart der neusten Produkte der Disney-Princess-Produktlinie förderlich sein. Mit der schieren Masse und der Lautstärke an Reaktionen hat in Disneys Merchandising-Abteilung jedoch wohl kaum jemand gerechnet, geschweige denn mit der Zornigkeit, die in diesen Diskussionen vorherrscht.

Anlass war nicht die Krönung Meridas als solche, sondern die zeitgleich stattgefundene Enthüllung des neuen Designs der Pixar-Prinzessin im Rahmen der Disney-Princess-Marke. Der Wildfang wurde in ein hellgrünes Glitzerkleid gesteckt, tauschte seinen Bogen gegen einen breiten Gürtel mit güldener Schnalle ein, verlor ein paar Kilo, so dass er eine sexy Wespenteile zeigen kann, die auch Meridas Vorbau stärker betont. Auch der Ausschnitt ist etwas weiter und Meridas Gesichtsausdruck scheint zu sagen „Hallo, Schwester! Ich würde mich riesig freuen, mit dir Tee zu trinken und über Hochzeitspläne zu tratschen. Haha!“

Somit wurde Merida durch die selbe jegliche Persönlichkeit raubende Glitzer-Puder-Maschine gejagt, durch die bereits sämtliche anderen Disney-Prinzessinnen aus erfolgreichen, großen Disney-Filmen gequält wurden. Doch während diese Entwicklung früher kaum mehr als ein Schulternzucken oder ein kurzes Augenrollen auslösten, wurde Meridas Umgestaltung zu einer riesigen Kontroverse aufgebauscht. Um deren Bedeutung abzubilden, bietet sich meiner Ansicht nach ein Blick zurück in Disneys Vergangenheit mit Neugestaltungen seiner Figuren zu werfen, um dann abschließend auf die Frage einzugehen, ob es akzeptabel ist, dass Merida nun den Weg geht, den zuvor Rapunzel, Tiana, Jasmin, Arielle und Co. gingen …

Die stets neu erfundenen Ur-Figuren
Figuren umzugestalten ist eine Methode, die bei Disney eine längere Tradition hat, als die Produktion abendfüllender Zeichentrickfilme. Die Figuren, auf deren Schultern das Disney-Imperium erbaut wurde, also Micky, Donald, Goofy, Pluto, Minnie und mit etwas Gutwillen auch Daisy und Kater Karlo, wurden in regelmäßigen Abständen mit einem neuen Look versehen. Dies geschah zunächst parallel zu der Weiterentwicklung der Cartoons, die von krude animierten Schwarz-Weiß-Filmchen zu farbenfrohen Cartoons wurden, in denen nicht mehr die Musik den Takt angab, sondern die Persönlichkeit der Figuren. Also wurden Micky, Donald und Co. ausdrucksstärker und bekamen ein runderes und „zeitgemäßeres“ Aussehen, so dass die Schöpfungen der 30er-Jahre auch in den 40ern und 50ern auf der großen Leinwand einen guten Eindruck machen konnten.




Diese Umgestaltungen gehören wohl zu den künstlerisch fundiertesten: So lange die klassischen Disney-Stars regelmäßig in neuen Cartoons auftraten, konnte man eine graduelle Neugestaltung akzeptieren, da sie im Regelfall auch den neuen Cartoons zugutekamen. Dass Micky, Donald und Co. später auch neuen Trends wie dem kantigen UPA-Animationlook angepasst wurden, war ebenfalls verzeihlich, da es keine permanente Änderung war, sondern für einzelne Filme und Merchandisingartikel galt. Und mit den Neudesigns dieser Figuren nach Ende ihrer Leinwandkarriere hatte schlussendlich niemand ein Problem, weil es bei ihnen eh Alltag war.



Zudem gab es, nachdem Micky seine Augen mit Pupillen bekam und Donald seinen kürzeren Schnabel, keine allgemeingültige Generalüberholung mehr. Wenn sie auf einer 90er-Produktlinie im Graffitistil erschienen, keine Bange, es gab auch genug andere Produkte, auf denen sie normal erschienen. Die Rasselbande rund um Micky etablierte sich als Chamäleon der Disney-Welt, sie können auf Merchandising abseits ihrer Stammoutfits auch in allen möglichen anderen Kleidern auftauchen (schließlich gab es auch immer wieder Geschichten, in denen die Figuren untypisch gekleidet sind) und durch die Comics, deren Zeichner das geübte Auge am Bleistiftstrich identifizieren kann, und vielen Cartoons war jedem Disney-Fan klar, dass er kein einheitliches Bild erwarten soll.

Die Prinzessinnen bis Ende der 90er … und der radikale Wandel im neuen Jahrtausend
Auch wenn es einige von uns kaum noch für möglich halten werden: Die Disney-Prinzessinnen stellten noch bis in die letzten Züge der Disney-Rennaissance hinein keine eigenständige Marke dar, sondern wurden als alleinstehende Entitäten behandelt. Sofern nicht gerade ein sonderbares Comic-Crossover anstand, etwa zur Eröffnung eines Disney-Parks oder zum Jubiläum einer Comic-Publikation, blieben Schneewittchen, Cinderella, Aurora, Arielle, Belle und Jasmin voneinander getrennt und selbst wenn es immer wieder Mal miese Abbildungen auf Merchandising gab, so orientierten sich die Darstellungen der Prinzessinnen im Regelfall nah am ursprünglichen Filmdesign. Ja, es gab auch in den frühen 90ern solche Produkte wie Cinderella-Puppen mit speziellem Glitzerkleid oder Pocahontas-Figuren mit mehreren Outfits, doch Abweichungen vom ursprünglichen Modell waren stets ganz klar eins: Absolute Ausnahmen. Was sich auch von selbst erklärte: Anders als Micky, Donald und Co., die ungezählte Abenteuer bestanden und sich darin durch massenhaft Klamotten probierten, haben die Grazien aus den Disney-Meisterwerken einzig und allein ein relevantes Werk, das von ihnen berichtet. Jasmin sei dank der Aladdin-Serie da mal ausgenommen.

Auftritt des Mannes, dem nahezu jeder erwachsene Disney-Fan am liebsten an die Gurgel gehen würde: Andy Mooney, ehemaliger Nike-Geschäftsführer, wird im Januar 2000 zu Disney Consumer Products beordert, um das kränkelnde Geschäft mit den Merchandisingverkäufen aufzupeppen. Eine seiner wirtschaftlich klugen Ideen war es, nicht weiter die Kernlizenzen an zahllose Hersteller zu vergeben, sondern nur einzelnen, fähigen Firmen anzuvertrauen. Jedoch löste Mooney auch einen nicht mehr aufhaltbaren Wandel in Disneys Umgang mit seinen Prinzessinnen aus. Er bemerkte, dass sich junge Mädchen zu Veranstaltungen wie „Disney on Ice“ mittels generischen Kostümen als die Disney-Prinzessinnen verkleideten und fällte daraufhin die Entscheidung, dass Disney in eben diese Marktlücke springen muss – der Konzern sollte sich stärker um die Vermarktung seiner Märchenprinzessinnen bemühen und kleinen Mädchen eine Vielfalt an Produkten bieten, um ihren Durst nach Prinzesssinnenartikeln zu stillen.

So wurde die Disney-Princess-Marke erfunden, die Schneewittchen, Cinderella, Aurora, Arielle, Belle sowie Jasmin unter einem Schirm vereinte und von ihrem dazugehörigen Film losgelöst behandelte. Mooney setzte eine ungewöhnliche Strategie durch: Zwar wurden die Verweise auf die jeweiligen Disney-Klassiker, aus denen die Figuren stammen, auf ein Minimum gekürzt und teils vollkommen gestrichen, dennoch sollten die Prinzessinnen nicht als eine homogene Gruppe miteinander interagierender Figuren auftreten. Crossover-Comics, um die Produktline zu bewerben, blieben ebenso aus, wie etwa Kalenderbilder, auf denen Jasmin und Arielle gemeinsam Beach-Volleyball spielen. Auf ihren gemeinsamen Merchandisingabbildungen blicken die Prinzesssinnen stets in eine leicht andere Richtung, als seien sie sich der sie umgebenden Damen unbewusst – so dass diese Bilder eher eine Collage sind, denn wirkliche, sinngemäße gemeinsame Auftritte.

Das ist man heute gar nicht mehr gewöhnt: Die Prinzessinnen sind (weitestgehend) "on model"!

Die neue Produktmarke verhalf Disney aus seiner Verkaufskrise, innerhalb von bloß fünf Jahren schossen Disneys jährliche Merchandising-Einnahmen von 300 Millionen Dollar auf 3 Milliarden Dollar, woran die pinke Mädchenreihe einen nicht unerheblichen Anteil hatte. Aber die aggressive Ausbeutung der Prinzessinnen zog neue Schwierigkeiten nach sich. Das Image der Disney-Studios wandelte sich. Man muss einfach mal festhalten: Ich habe unfassbare Probleme, Artikel aus der Zeit vor der Jahrtausendwende zu finden, in denen die Rede davon ist, Disney hätte ein „Jungsproblem“.

Zeitgenössische Kritiken zu Arielle, die Meerjungfrau gehen davon aus, dass er Jungs, Mädchen und deren Eltern gleichermaßen gefallen werde, selbiges gilt für Die Schöne und das Biest und sowieso für Aladdin. Mir ist nicht ein Stück Disney-Sekundärliteratur bekannt oder ein Artikel von Industrieportalen, wo besprochen wird, dass der Filmtitel Pocahontas Jungs abschrecken könnte und dass Der Glöckner von Notre Dame sowie Hercules Versuche der Disney-Studios wären, die verlorene junge männliche Zielgruppe nach mehreren „Weiberfilmen“ wieder ins Boot zu holen.

Doch da die Disney-Princess-Produkte immer omnipräsenter wurden und das Disney-Marketing der Märchenfilme, um auf dieser Erfolgswelle mitzuschwimmen und gleichzeitig auch die Merchandisingverkäufe weiter anzutreiben, immer stärker auf junge Mädchen zugeschnitten wurde, änderte sich das Image. Rosa, Glitzer und Pastelltöne, auch Mulan und Pocahontas wurden ab nun auf vereinzelten Princess-Produkten abgebildet, Printmagazine unter der Disney-Princess-Marke, „Teeparty“-DVDs und vieles mehr: Um den kleinen „Ich wäre so gern eine Prinzessin“-Mädels zu gefallen, stimmte Disneys Marketing immer mehr die selben gepuderten Töne an. Damit ging einher, dass die Märchenfilme plötzlich als Mädchenfilme betrachtet wurden und Medienbeobachter Disney ein „Jungsproblem“ anrechneten, da einige der größten Klassiker die jungen Buben verschrecken würden, während Marken wie Pirates of the Caribbean im Merchandisingbereich weniger erfolgreich liefen. So wurde Cars zur Jungsmarke in der Größe der Prinzessinnen aufgebaut, doch diese Marke wuchs immer weiter.

Graduell erhielten die Prinzessinnen auf ihren Produkten ein kleines Makeover. Samtweiche Haut, rundere, einheitlichere Gesichtszüge. Die Prinzessinnen lebten auf Gruppenbildern weiter nebeneinander her, doch Produkte mit ihnen, auf denen sie nicht aussehen, als stammten sie aus einem einzelnen Film über eine riesige royale Familie wurden immer seltener.



Die immer lauter werdenden Beschwerden – und die von Merida ausgelöste Explosion
Spätestens 2007 drehte Disney Consumer Products völlig durch und entrückte die Prinzessinnen noch ein gutes Stück mehr von ihrem ursprünglichen Design. Die kleinen Kinder störte es natürlich nicht, unter erwachsenen Disney-Fans wurde das entnervte Aufstöhnen dagegen lauter – da die Prinzessinnen anders als Goffy, Pluto und Co. „einen echten Look“ haben, wurden Abweichungen vom Standard kritischer aufgenommen und dass die Neugestaltungen den Figuren ihre Persönlichkeit rauben, um sie zu reinen Wunschprojektionen kleiner Mädchen umzumünzen, fand wenig überraschend wenig Freunde bei den Disney-Anhängern. Ein wiederkehrender Kritikpunkt in Disney-Foren ist der Barbieeffekt – den ich mit eigenen Augen und Ohren erlebt habe. Als mir meine Nichte ihre Tischunterlage mit Cinderella, Aurora und Arielle zeigte, fragte ich sie, ob sie mir den Namen der drei Damen nennen kann. „Ja. Das ist Barbie. Und das ist Barbie in einem anderen Kleid. Und das ist Barbie mit roten Haaren.“ Sie meinte es todernst. Und ich bin in diesem Moment ein wenig gestorben vor Leid.

Und dann kam Küss den Frosch. Die Produktion aus dem Jahr 2009 stellte Disneys Rückkehr zum Zeichentrickmedium dar, nachdem fünf Jahre zuvor Die Kühe sind los! einen unrühmlichen Abschluss markierte. Es war auch das Comeback der Aladdin-Regisseure John Musker und Ron Clements, die 2002 mit Der Schatzplanet ihre erste finanzielle Bruchlandung erlebte. Vor allem aber ist und bleibt Küss den Frosch der erste Disney-Märchenfilm, der nach Einführung der Disney-Princess-Marke in die Kinos kam. Und, wow, das merkt man. Der Film selbst blieb glücklicherweise von bösen Einflüssen durch Disney Consumer Products befreit, aber das ganze Drumherum konnte die Konnotation mit dem glitzernden Franchise nicht abschütteln. Und so tauchten Beobachtungen auf, die man vorher im Bezug auf neu erschienene Disney-Märchenmusicals in dieser Prominenz nie zuvor finden konnte: Kritiker vermuteten hinter dem Film einen einzigen,großen Marketingschachzug, an Eltern gerichtete Publikationen nahmen ihn als Anlass, über die Erziehung von Mädchen und den korrekten Umgang mit der Prinzessinnensache zu philosophieren und in der Presse wurde gemutmaßt, dass der Film Jungs weniger reizen könnte.

Was uns zum nächsten Punkt führt: Küss den Frosch ist auch der erste Disney-Märchenfilm seit der Renaissance, mit dessen Einspielergebnis der Konzern nicht im Geringsten zufrieden war. Begründet wurde das enttäuschende Einspiel damit, dass der Film die männlicheZielgruppe nicht erreichte – woraufhin es in den USA zu der berühmt-berüchtigten Umbenennung von Rapunzel in Tangled kam und das Marketing sich mit aller Kraft verrenkte, um in Trailern und auf Postern das liebevolle, ambitionierte Märchenmusical als dreiste, freche Komödie im DreamWorks-Animation-Stil zu verkaufen. Derweil wurde Tiana, die im Film noch eine atypische Protagonistin für einen Disney-Trickfilm abgab, assimiliert und im Merchandising zur dummen, grinsenden Schaufensterpuppe degradiert.


Rapunzel hingegen lachte das Glück, denn auf die schizophrene Repräsentation ihres Films sowie die zweigleisige Darstellung ihres Charakters durch Disneys Marketing- und Merchandisingabteilungen folgte ein großer kommerzieller Clou. Jungs, Teenager und Erwachsene wurden durch die Trailer imDreamWorks-Style manipuliert, während die Prinzessinnen-Zielgruppe weiterhin ihre volle Wagenladung an „Ist sie nicht süß?“-Rapunzelpüppchen und großäugige, naive, pastellfarbene Rapunzelzeichnungen in Bilderbüchern erhielten. Jeder bekam den Film vorgegaukelt, von dem er dachte, dass er ihn sehen wollte, und am Ende war das Ergebnis ein ganz anders gelagerter Kinofilm, der jede Menge Geld einspielte und sehr gut besprochen wurde.

Vielleicht war es auf Fanseite die Euphorie endlich wieder einen hervorragenden und zudem erfolgreichen Disney-Film zu haben und im Hinblick auf die generelle Presse die Erschöpfung durch die ganze „Ist Küss den Frosch ein rassistischer Kleinemädchenfilm?“-Debatte, eventuell erschien den meisten das ursprüngliche Rapunzel-Standarddesign der Disney-Princess-Reihe einfach nur zu unspektakulär – jedenfalls gab es nach Kinostart von Rapunzel vorerst wieder Ruhe um die Prinzessinnenreihe. Rapunzels gezeichnete Merchandising-Version kommt manchen Fans, darunter auch meiner Wenigkeit, etwas zu jung und zu dümmlich-verspielt vor, allerdings schüttle ich dies schulternzuckend ab. Ausgleichende Gerechtigkeit nach den „Boah, meine Fresse, ist das 'ne krasse, sarkastische Rockerbraut!“-Marketingversuchen, mehr nicht.


Rapunzel, Power-Haar-Belle und "die neue Cinderella"

In den Disney-Geschichtsbüchern wird man diese Phase wohl als die Ruhe vor dem Sturm betrachten. Allein schon die Ankündigung, dass die Pixar-Figur Merida in die Disney-Princess-Reihe aufgenommen wird, sorgte für Murren unter den Disney-Fans eines gewissen Alters. Mit der Enthüllung ihres Designs jedoch erlebte Disney Consumer Products einen PR-Reinfall, wie der Disney-Konzern ihn schon lange nicht mehr erlebt hat. Die gezeichnete, fesche, mädchenhafte Merida mit betonteren Kurven und jeder Menge Glitzer, der auf Merchandisingartikeln plötzlich Charakterzüge zugesprochen werden, die total prinzesssinnenhaft sind (und somit nahezu durchgehend dem widersprechen, wofür sich der Wirbelwind in seinem Film aussprach), löste eine gewaltige Debatte aus. Dieses Mal aber beschränkte sie sich nicht allein auf Disney-Fanforen, sondern breitete sich auf die Massenmedien aus. Die Beschwerden waren vielfältig: Die natürliche, wilde Figur mit ihren ästhetischen Ecken und Kanten wurde mit seinem sexualisierten Victoria's-Secret-Model verglichen, was eine fragwürdige Botschaft vermittle. Eine weitere Kritik ist, dass die neue Merida das Prinzessinnenklischee verstärke, dass es einzig und allein ums Aussehen ginge. Und auch der Verrat Disneys Merchandising-Abteilung an Pixars Schöpfung wurde thematisiert – eine Figur, die sich gegen Adelspflichten aussprach, unterwirft sich nun eben dieser Konformität.

Eine Onlinepetition wurde ins Leben gerufen und auch Brenda Chapman, die Erfinderin der Figur und ursprüngliche Regisseurin von Merida – Legende der Highlands äußerte sich zur Kontroverse: Die Merida-Umgestaltung sei „unverantwortlich“, „abscheulich“ und „unverholen sexistisch“. Sie erläuterte, dass sie Merida, die auf ihrer Tochter Emma basiert, erschuf, um ein gutes, starkes Vorbild für Mädchen zu schaffen, dem man leicht nacheifern kann. Dass Disney Merida nun verändere, würde gegenüber Mädchen, die sie bislang als Vorbild nahmen, den Eindruck erwecken, dass diese Figur bislang makelhaft war und verbessert werden musste – doch dieses neue Bild Meridas würde nur schlechte Stereotypen fördern.



Wie Brenda Chapman betont, sollte es sich bei dieser Kontroverse allerdings nicht nur um Merida drehen, denn dies sei nur die Spitze des Eisberges. Und diesem Punkt kann ich am lautesten zustimmen. Um das Merida-Umdesign (über dessen Permanenz Disney angesichts der lauten Kritiken plötzlich sehr widersprüchliche Aussagen trifft) gestaffelt zu betrachten: Die ganze Debatte, dass Merida „zu sexy“ sei, wird ein wenig zu heiß gekocht. Ich verstehe leidenschaftliche Diskussionen in Fanforen, dass Elternverbände eintreten, ist dagegen etwas übertrieben, denn Merida erscheint auf dem Disney-Princess-Kram nun auch nicht gerade als billige Hure. Sie wurde etwas aufgehübscht und das ist insofern verständlich, da Disney Artikel verkaufen will, und hübsch verkauft sich gut. Micky, Donald und Goofy zeigen sich auf Merchandising-Produkten auch eher selten von ihrer hässlichsten Seite. Im Falle Meridas ist es aber besonders ärgerlich, dass diese Aufhübschung durch eine schlankere Hüfte und ein sanfteres Gesicht erreicht wird, da diese Figur sich auch durch ein „raues“ und leicht ungelenkes Äußeres von anderen Disney-Prinzessinnen abhebt. Kurioserweise erscheint dafür Rapunzel in der Princess-Reihe kindlicher und unschuldiger, obwohl die Animatoren sich bei der Produktion zum Ziel setzten, eine sexy Figut zu erschaffen – über solche Sachen kann man sich als Disney-Fan gut und gerne den Kopf zerbrechen.

Ich denke, dass zumindest unter Disney-Fans das Timing von Meridas Umgestaltung half, die Kontroverse voranzutreiben, wurden doch kurz zuvor alle Prinzessinnen umgestaltet und mit mehr Rouge, wilderem Haar und sinnlicheren Posen dargestellt – wobei insbesondere Cinderella auffiel. Einst das unauffällige Mädchen von nebenan, nun die sexy Bitch mit frecher Frisur und keckem „Ich stell gleich sonstwas mit dir an“-Blick. Und diese Version Cinderellas ersetzt nun zudem das Original in den Parks.



Hinsichtlich der öffentlichen Aufregung finde ich viel bedeutsamer, dass Merida nun völlig ihres Charakters beraubt wird und einfach nur schmuck aussehen soll. Ja, auch Belle, Jasmin, Tiana und Rapunzel haben viel Persönlichkeit, die in diesen Abbildungen abhanden kommt. Allerdings gibt es bei Merida in ihrem Fillm nicht einen Moment, in dem sie irgendwie „prinzessinnenhaft“ wirkt und dies ist sogar ein großer Plotpunkt. Schon Jasmin kämpfte gegen arrangierte Ehen, schon Tiana kämpfte selbst für ihr Schicksal und Rapunzel kann vielleicht sogar besser austeilen als Merida – doch der Wildfang vereint all dies und stellt dies ins Zentrum seines Handelns. Merida war wirklich nicht die feministische Revolution, zu der sie von manchen Fans des Films gemacht wird, aber sie ist von allen Märchenmusical-Protagonistinnen die, die am schwierigsten in das Disney-Princess-Franchise zu prügeln ist.

Und daher ist Meridas Darstellung im Rahmen des Disney-Princess-Franchises ein absonderliches Beispiel dafür, wie Disney Consumer Products die Erinnerung an die Filme übertönt und verfälscht. Das Merchandising hat es bereits sehr arg getrieben, und dass nun das Fass zum Überlaufen gebracht wurde, und sich mehr Leute auflehnen, ist aus vielerlei Gründen erfreulich. Einerseits, weil man nun wenigstens hoffen darf, dass das Merchandising vielleicht wieder stärker die Aufgabe hat, die Erinnerung an die mitunter so kunstvollen Disney-Filme frisch zu halten. Und zum anderen, weil eine Zurechtstutzung der Disney-Princess-Marke bedeuten könnte, dass sich Disneys „Jungsproblem“ wieder egalisieren könnte. Und zu guter Letzt: Je mehr wieder die Persönlichkeit der Prinzessinnen beleuchtet wird, desto größer die Hoffnung, dass Mädchen wieder zu ihnen aufsehen, weil etwas hinter ihnen steht – und nicht nur, weil sie hübsche Kleider tragen. Denn das sind wirklich dumme Gründe, eine Figur zu mögen.

Kurzum: Die ganze Merida-Kontroverse kommt zu spät und konzentriert sich zu sehr auf die übertrieben beliebte Pixar-Dame. Dennoch wurde es langsam Zeit, dass Disney zu spüren bekommt, dass die Disney-Princess-Marke nicht nur Geld bringt, sondern auch Kritik.