Dienstag, 30. April 2013

Filmhistorische Fußspuren: Reale Sprechblasengeschichten

Comicverfilmungen sind mittlerweile nicht mehr aus dem Kinosommer wegzudenken. Seit 2008 eröffnen sie pünktlich wie ein Uhrwerk die US-Blockbustersaison und schon seit rund einem Jahrzehnt gehört auch regelmäßig mindestens eine Comicadaption zu den besten Spektakeln, die in den heißen Kinomonaten veröffentlicht werden. Aber bis es dazu kam, war es ein sehr langer Weg. Comicverfilmungen sind zwar seit vielen Jahrzehnten Bestandteil der Filmwelt, jedoch waren sie äußerst selten sowohl denkwürdige Publikums-, als auch Kritikerlieblinge. In Konsequenz dessen waren sie über einen Großteil ihrer Historie hinweg nur obskure Randnotizen der Kinogeschichte, und wenn sie einmal glückten, dann galten diese Fälle als rare Ausnahmen.

Anlässlich des Starts der zweiten Phase von Marvels vereinigtem Kinouniversum möchte ich mit euch den Pfad entlang wandern, der von den trashigen Anfängen hin zu The Avengers, The Dark Knight Rises und nun auch Iron Man 3 führte.

Der Beginn: Comic-Strips und kurze Filmchen
Bereits als der Film in seinen Kinderschuhen steckte, nutzten die Pioniere dieser Kunstform andere Medien als Inspiration. Oder es wurde umgekehrt ein Schuh daraus, und sie nutzten ihr Medium, um andere Kunstformen neu zu transportieren. Jedenfalls kamen mit dem Aufgang des Films bereits die ersten Adaptionen, und das nicht nur von Büchern und Theaterstücken, sondern auch von Zeitungscomics.

Einer der allerersten Zeitungscomics ist die vom in die USA immigrierten Deutschen erschaffene Reihe The Katzenjammer Kids über Streiche spielende Zwillingsbuben. 1898 wurden diese bebilderten Witzgeschichten in Form realer Stummfilme adaptiert, was man durchaus als Geburtsstunde der Comicverfilmung betrachten kann.


Die Wurzeln der Comicadaption sind zudem eng mit den Anfängen des Zeichentrickfilms verbunden. Der Cartoonist Winsor McCay erschuf 1905 den surrealen Comic-Strip Little Nemo, der zu den einflussreichsten und am höchsten angesehenen seiner Art gehört. Noch bevor McCay mit dem legendären Gertie the Dinosaur dem Zeichentrickfilm zum Durchbruch verhalf, adaptierte er im Jahre 1911 seinen eigenen Zeitungscomic in Form eines zehnminütigen Kurzfilms. Dieser bestand jedoch hauptsächlich aus einer Realfilmhandlung über McCay, der seine Kollegen von der Idee eines Little Nemo-Zeichentrickfilms überzeugen will und versucht, seinen Zeichnungen das Laufen zu lehren. Nur die letzten Minuten bestehen aus bewegten Zeichnungen der Little Nemo-Figuren, dennoch war es ein wichtiger Fortschritt im Bereich des Zeichentricks.

Nachdem der Zeichentrick aus seiner überaus kruden Form in Winsor McCay, the Famous Cartoonist of the N.Y. Herald and His Moving Comics herauswuchs, folgten gleich mehrere Stummfilm-Cartoonreihen auf Basis von Zeitungscomics. Die Katzenjammer-Kids fanden im Dezember 1916 in gezeichneter Form den Weg zurück in die Kinos, bis die Cartoons trotz hoher Beliebtheit im August 1918 eingestellt wurden. Die Produzenten spürten aufgrund des Ersten Weltkriegs in der Bevölkerung eine steigende Animosität gegenüber den Deutschen und befürchteten, sie könne auf die Cartoonfiguren überschwappen. Zur gleichen Zeit wurden auch animierte Kurzfilme des damals sehr beliebten Zeitungscomics Bringing Up Father veröffentlicht. Diesem gelang in den 20er-Jahren dann der Sprung ins Realfilmsegment: 1920 bis 1921 entstanden drei jeweils zwei Filmrollen umfassende Realkurzfilme und 1928 folgte ein abendfüllender Spielfilm über den neureichen, irischen Immigranten Jiggs, der seinen früheren Lebensstil nicht ablegen kann, während sich seine Frau Maggie anzupassen versucht. Der Stummfilmkomödie folgten 1939 eine Tonkomödie aus Finnland und 1946 eine rund einstündige US-Komödie des Studios Monogram Pictures, die aufgrund ihres kommerziellen Erfolgs vier Fortsetzungen spendiert bekam.

Weitere nennenswerte Zeitungsstrip-Adaptionen waren Ella Cinders von 1926, eine Komödie mit zahlreichen Gastauftritten der damaligen Stars des den Film vertreibenden Studios First National Pictures sowie des populären Komödianten Harry Langdon (seinerzeit galt er als ärgster Mitbewerber von Charlie Chaplin, Harold Lloyd und Buster Keaton), sowie Harold Teen und Little Annie Rooney.

Der Strip Harold Teen startete am 4. Mai 1919 in der Chicago Tribune und war der erste, in der es weder um Streiche spielende Kinder, noch um Erwachsenenproblemchen, sondern um das Leben als Jugendlicher ging. Autor und Zeichner Carl Ed erhielt große Anerkennung für seine treffende Darstellung des Jazz Ages, weshalb Harold Teen zu einer subkulturellen Ikone aufstieg. Der 1928 veröffentlichte Stummfilm, der sich der beliebten Figur annahm, gehört zu den allerersten von Filmkritikern enthusiastisch aufgenommenen Comicverfilmungen, Hauptdarsteller Arthur Lake (der später die männliche Hauptrolle in den zahlreichen Verfilmungen der Blondie-Comics übernahm) wurde für seine treffende, originalgetreue Darbietung der Titelfigur gefeiert und der Film selbst wurde dafür gelobt, alles zu beinhalten, was den Comic groß machte. 1934 folgte ein Filmmusical mit dem legendären Stepptänzer Hal Le Roy in der Titelrolle.

Zuvor wuchsen Comicverfilmungen mit Little Annie Rooney erstmals aus der reinen Comedysparte heraus: 1925 spielte Stummfilmlegende Mary Pickford, damals schon 32 Jahre alt, die zwölfjährige Waise in einer stummen Tragikomödie, die zu einem der kommerziell erfolgreichsten Filme ihrer Karriere werden sollte.

Obwohl die Adaptionen von Zeitungscomics also gewisse Erfolge verbuchen konnten, waren die Machtverhältnis zwischen den Medien Kurzfilm und Comicstrip spätestens ab dann klar verteilt, als mit Walt Disneys berühmtester Schöpfung der Zeichentrickfilm zu einem weltweiten Massenphänomen aufstieg: Am 13. Februar 1930 wurde der erste Teil einer ausführlichen Comic-Strip-Adaption des Micky-Maus-Cartoons Plane Crazy veröffentlicht, und dieses Modell machte schnell Schule. Von da an waren die Comicseiten der Zeitungen gefüllt mit gedruckten Varianten beliebter Cartoons sowie neuen Geschichten populärer Cartoonhelden (bevorzugt witzige, anthropomorphe Tiere wie Micky, Donald und Co.). Dabei gab generell das Kinogeschehen den Takt an, und die Comics zogen nach. Nur ab und an stießen die Zeitungscomics voran, so etwa mit der von Entenzeichner Al Taliaferro und Comicautor Ted Osborne vorgeschlagenen Einführung dreier Neffen in Donald Ducks Alltag. Ab dem 17. Oktober 1937 trieben Tick, Trick und Track in gedruckter Form ihren Schabernack, das Licht der Leinwandwelt erblickten sie erst am 15. April des Folgejahres.

Serials und die Geburt der Superhelden
Parallel dazu, wie die Cartoonproduktion das Gesicht der Zeitungscomics einhergehend veränderte, formierte sich auch eine gesonderte Form des filmischen Mediums neu. Serials, rund zwanzigminütige Fortsetzungsfilmchen, waren durch die zunehmende Verbreitung des Tonfilms auf Basis der bloßen Verleihgebühren nicht mehr so rasch profitabel, wie noch zu Stummfilmzeiten. Da jedoch Stummfilm-Serials neben den klingenden Abenteuerreihen der größeren Konkurrenz nicht bestehen konnten, gingen zahlreiche kleinere Studios in den früheren 30ern bankrott.

Die meisten frühen Serials waren aufgrund der niedrigen Kosten für Requisiten, Sets und Kostüme im Western-Genre angesiedelt, sie deckten allerdings eine weite Spanne an Genres und Settings ab – von Ganoven- und Detektivgeschichten über Dschungel- hin zu Agentenabenteuern. Auch die Inspirationsquellen waren breit gefächert, originale Ideen reihten sich an Adaptionen von Groschen-, Fortsetzungs- und Abenteuerromanen (unter anderem Tarzan und Die drei Musketiere) oder Radio-Hörspiele und gelegentlich auch Zeitungscomics. Rückblickend wirken Serials aufgrund ihrer episodenhaften, in jedem Kapitel nach einem Spannungshöhepunkt zusteuernden Erzählweise und der überholten Effektarbeit auf viele Betrachter unfreiwillig komisch. Doch für das zeitgenössische Publikum boten gelungene Serials schnelle, aufregende Abenteuer im Sinne vieler heutiger Popcorn-Blockbuster, weshalb Filmemacher wie Steven Spielberg in leichtfüßigen Abenteuerfilmen diesen Stil zu adaptieren versuchen.

Aber schon gegen Ende der Stummfilmzeit kam es zu ersten Abnutzungserscheinungen: Nachdem sich in den frühen bis mittleren 30ern insbesondere bei älteren Kinogängern aufgrund der Vorhersagbarkeit der sich erzählerisch und optisch immer stärker ähnelnden Serials ein sinkendes Publikumsinteresse abzeichnete, nahmen sich die finanzstarken Universal Studios im Jahr 1936 des Science-Fiction-Comicstrips Flash Gordon an, um ein Serial von Ausnahmegröße auf die Beine zu stellen und verlorene Konsumenten zurück zu gewinnen.

Kosteten Serials üblicherweise zwischen 100.000 und 150.000 Dollar, verschlang das aufwändige Sci-Fi-Abenteuer die damalige Unsumme von geschätzt 350.000 Dollar. Für den Kinobetrachter sah Flash Gordon aufgrund der ausschweifenden Ausstattung sogar noch teurer aus – die Verantwortlichen werteten ihre Produktion auf, indem sie großzügig in den Archiven Universals plünderten. Der Wachturm aus Frankenstein (1931) wurde ebenso wiederverwertet, wie das Labor aus Frankensteins Braut (1935), das ägyptische Götzenbild aus Die Mumie (1932), die Raumschiffe aus Just Imagine (1930) sowie Musik, Weltraum-, Tanz- und Effektaufnahmen aus älteren Produktionen und sogar aus alten Wochenschauen. Insofern war Flash Gordon Hollywoods erste Big-Budget-Comicverfilmung, inklusive enormer Promotionarbeit. In zahllosen Zeitungen, ganz gleich ob sie den Comicstrip regulär abdruckten oder nicht, schaltete Universal Anzeigen, die drei Viertel einer Zeitungsseite abdeckten. Diese beinhalteten Flash Gordon-Geschichten, Zeichnungen des originalen Comickünstlers Alex Raymond sowie Standbilder aus dem Serial.

Da sich die Vorlage, die ihre Leser in actionreichen Geschichten quer durch atemberaubende Welten voller kurioser Monster, romantisch-verführerischen Situationen und gigantischen, futuristischen Städten entführte, zu dieser Zeit auf der Höhe ihrer Popularität befand, hielten sich die Serial-Macher auch sehr nah am Tonfall und Inhalt der Zeitungscomics.

Während andere Serials oft nur den Titel und das Setting mit ihrer Vorlage gemein haben (ein Musketier-Serial verstieß sogar gegen letzteres und verlegte das Geschehen in den Wilden Westen), nahm Flash Gordon sein überdrehtes, fiktives Universum inklusive der handelnden Figuren ernst, inklusive ihrer erotischen Verwicklungen. Die Erzählform der Serials war mit einem Schlag wiedererstarkt, Universals Risikofreude machte sich bezahlt und es folgten zwei weitere Serials mit dem futuristischen Comichelden.

Einige kleinere Produktionsfirmen fusionierten derweil zu Republic Pictures, ein Unternehmen, welches daraufhin ebenfalls eine zentrale Rolle im Goldenen Zeitalter der Serials spielen sollte. Eine der ersten und erfolgreichsten Republic-Pictures-Serials war die 1937 veröffentlichte Adaption des Zeitungscomics Dick Tracy. Im fünfzehnteiligen Serial wurde aus dem Kriminalpolizisten des Mittleren Westens ein G-Man aus San Francisco, außerdem wurde die Comicgalerie an Helden und Schurken nahezu komplett gegen Originalfiguren für das Serial ausgetauscht. Comicschöpfer Chester Gould soll diese Änderungen jedoch abgesegnet haben, Kinopublikum sowie Kritiker waren sogar geradezu begeistert von Dick Tracys Kinoableger, da trotz neuer Figuren und leicht geändertem Setting der Tonfall des Zeitungscomics adäquat für die Kinoleinwand umgesetzt wurde.

Dick Tracy wurde zu jener Zeit von Lesern sehr wegen des kernigen Titelhelden, den knallharten Kriminalgeschichten mit hoher Spannung und ehrlichen, dramatischen Beziehungen zwischen den wichtigsten Figuren geachtet. Das Dick Tracy-Serial schließlich wurde in Sachen Action als unerreichbar beschrieen und zudem für den gelungenen Versuch gelobt, ehrliche zwischenmenschliche Emotionen in diese filmische Erzählform einzuarbeiten, wofür besonders Hauptdarsteller Ralph Byrd hervorgehoben wurde. 1938, 1939 und 1940 folgten drei weitere, ebenfalls hervorragende Zuschauerreaktionen erntende Serials mit Dick Tracy, die auch zu zusammenhängenden Kinofilmen umgeschnitten wurden. Republic Pictures positionierte sich mit weiteren immens gefragten Serials, unter anderem auf Basis des Groschenromanhelden Zorro und der Hörspielfigur Lone Ranger, endgültig als einer der bedeutendsten Produzenten von Serials. Während Flash Gordon eine der größten Inspirationsquellen für Star Wars war, gehört Dick Tracy zu den zahlreichen Serials, an denen sich die Indiana Jones-Filme orientieren.

Währenddessen nahm auch das Comic-Medium neue Gestalt an. Dienten diese anfangs vornehmlich, um Zeitungsstrips gebündelt nachzudrucken, führte National Allied Publications (später: DC Comics) am 18. April 1938 das Comicgenre der Superhelden ein: Superman hatte in Action Comics #1 seinen legendären ersten Auftritt und läutete schlagartig das Goldene Zeitalter des US-amerikanischen Comichefts ein. Kreiert wurde er von Jerry Siegel und Joe Shuster, die einen mythologischen Helden nach den Vorbildern Samsons oder Herkules erschaffen wollten, der es allerdings mit den Übeln der Gegenwart aufnimmt. Sein Aussehen wurde nach dem Vorbild der Hollywoodstars Douglas Fairbanks und Harold Llyod gestaltet, sein Kostüm nach denen der Figuren in den Flash Gordon-Strips sowie den typischen Anzügen von viktorianischen Zirkus-Muskelmännern, die üblicherweise eine enge, kurze Hose über in Kontrastfarben gehaltenen Strumpfhosen trugen. Das Cape wiederum ist dem aktuellen Stand der popkulturellen Forschung in dieser Verwendungsweise eine originale Idee von Shuster & Siegel, deren ursprünglicher Zeichenstil sehr stark von den Dick Tracy-Comics geprägt war, verlegt in eine Großstadt mit einer wie aus Fritz Langs Metropolis entsprungen Architektur.

Ein Jahr nach seinem ersten Comicauftritt erhielt Superman eine eigene, nach ihm benannte Heftreihe, ungefähr ein weiteres Jahr später feierte der stählerne Blitz auch sein Leinwanddebüt. Dem von den Fleischer Studios im Auftrag des Mutterkonzerns Paramount Pictures produzierte Superman-Cartoon ging eine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte voraus: Nachdem Paramount im Frühjahr 1941 die Filmrechte an den Superman-Comics erwarb, konfrontierte die Studioleitung im Mai des selben Jahres Dave Fleischer mit dem Wunsch nach einer Kurzfilmreihe über den Superhelden, doch dieser stand dem Projekt sehr kritisch gegenüber. Bislang produzierten die Fleischer-Studios bloß in Schwarzweiß gehaltene, hauptsächlich komödiantische Cartoons mit Cartoontieren und karikierten Menschen. Eine sich ernst nehmende, actionreiche Cartoonreihe mit einem in eher realistischen Proportionen gehaltenen Titelhelden schreckte ihn aufgrund des erwarteten Aufwands ab, so dass er das bombastische Budget von 100.000 Dollar verlang – damit ließen sich sechs Popeye-Cartoons produzieren.

Wider Erwarten wurde Fleischer nicht achtkantig aus dem Büro geworfen, sondern bekam ein Budget von 50.000 für den ersten und 30.000 für jeden weiteren Superman-Cartoon gestattet. Mit seinen aufwändigen Schattierungen, einem selbstbewussten Einsatz von Technicolor, ikonischen Art-Deco-Hintergründen und mühevoller (teils rotoskopierter) Animation des Titelhelden erntete der im September 1941 veröffentlichte Superman eine Oscar-Nominierung als bester animierter Kurzfilm. Paramount ließ bis 1943 sechzehn weitere Cartoons mit Superman folgen, die spätere Generationen von Trickkünstlern zum Design der erfolgreichen 90er-TV-Cartoonserien rund um Superman und Batman inspirierten, sowie den Look von Brad Birds Der Gigant aus dem All und des effektlastigen Realfilms Sky Captain and the World of Tomorrow beeinflussten. Der zweite Superman-Cartoon, The Mechanical Monsters, bildete sogar die Vorlage zu einer Kernsequenz von Hayao Miyazakis Das Schloss im Himmel.

Die Figur des Superman war darüber hinaus auch in Radio-Hörspielen zugegen, trieb ein florierendes Merchandisinggeschäft an und darüber hinaus wurde er, als Motor der Comicheft-Branche, auch als Zeitungscomic adaptiert. Selbstredend herrschte auch reges Interesse seitens der Serial-Produzenten, sich Amerikas ersten und größten Superhelden anzunehmen. National Comics eröffnete Ende 1940 Gespräche mit dem Platzhirsch Republic Pictures, wo man sofort mit der Entwicklung eines Serials begann. Doch während der Geschäftsverhandlungen stieg der Comicverlag aus den Gesprächen aus (letztlich erteilte man Paramount Pictures die Exklusivrechte), weswegen das Drehbuch hastig umgeworfen werden musste- So entstand das keine offizielle Vorlage nennende Serial Mysterious Doctor Satan, welches von Filmhistorikern als ausschlaggebend dafür beschrieben wird, dass das beliebteste Serial-Setting von der Prärie in die Großstadt wanderte.

Diesem Lizenzpoker rund um Superman war es zu verdanken, dass sein damals populärster Mitbewerber im Comicmarkt sogar noch einige Monate vor ihm auf die Leinwand preschte: Im Frühjahr 1941 startete die Republic Pictures seine Reihe Adventures of Captain Marvel, wodurch dieser heutzutage vergleichsweise unbedeutend gewordenen Figur die Ehre zu Teil kam, der erste verfilmte Superheld zu sein.

Die Figur des Captain Marvel wurde vom Texter Bill Parker und Zeichner Charles Clarence Beck erschaffen und feierte ihre Premiere im Februar 1940 im Rahmen der Heftserie Whiz Comics. Die Comics rund um den Waisenjungen Billy Batson, der sich durch das magische Wort "Shazam" in den ausgewachsenen, starken Helden Captain Marvel verwandelt, erreichten in kürzester Zeit eine derartige Nachfrage, dass sie den Superheldencomic-Urvater Superman in Bedrängnis brachte. So sehr, dass die Superman-Herausgeber 1941 eine Plagiatsklage einreichten, um sich Captain Marvel vom Hals zu schaffen. Auch wenn das Grundkonzept etwas anders war, entschied das Gericht nach einem jahrelangen Rechtsstreit, dass die Geschichten tatsächlich eine große Ähnlichkeit aufweisen, weshalb der Klage stattgegeben wurde. Erfolglos blieben dagegen die Versuche des Comicverlags, gegen die Produktion des Serials zu klagen.

Und so baute die Superheldenfigur ihre Beliebtheit zunächst einmal enorm aus: Nach Start des zwölfteiligen Serials Adventures of Captain Marvel stiegen die Verkaufszahlen der Comicvorlage noch einmal stark an, so dass sie die von Superman sogar für einige Zeit überflügelten. Auch die Filmadaption selbst erwies sich als sehr beliebt und hinterließ bei ihrem Publikum einen bleibenden Eindruck. Filmhistoriker bezeichnen sie geschlossen als eines der gelungensten Exemplare ihres Mediums und bis in die 80er-Jahre hinein wurde Tom Tylers Darbietung in der Titelrolle als eine der besten Darstellungen eines Serial- oder Superhelden beschrieben. So reüssierte zum Beispiel Filmkritiker William Cline: "Tylers vorzügliche Performance [...] bleibt in den Köpfen die des bei Weitem denkwürdigsten Serialhelden".

Das Serial erzählt eine eigens entworfene Geschichte, in der Captain Marvel einen mysteriösen, maskierten Superschurken bekämpfen muss, der unter dem Namen The Scoripon eine magische, goldene Skorpion-Statuette an sich gerissen hat. Diese dient ihm als fürchterliche, tödliche Laserwaffe. Der Film dient zugleich als neue Originstory Captain Marvels, da Billy Batson von einem weisen Magier die Fähigkeit verliehen bekommt, sich in einen Superhelden zu verwandeln, damit er dessen Aufgabe übernehmen kann, die magische Statuette davor zu bewahren, von den falschen Händen missbraucht zu werden.

Die Flugszenen wurden mittels aufwändig hergestellter Puppen, die an Drähten entlang gezogen wurden, und schnellen Schnitten zu einem springenden oder landenden Stuntman umgesetzt. Es war für diese Zeit die gelungenste Illusion vom Fliegen, während andere Serials oft darauf zurückgriffen, Menschen im Flug als Zeichentrickfigur darzustellen.

Nachdem Adventures of Captain Marvel den Studios bewies, dass sich Superhelden im Kino rentieren, folgte ein Boom an Comicadaptionen. Und wie es sich in der Geschichte der Filmindustrie stets zeigen sollte, variierte die Qualität der kommerziellen Trittbrettfahrer enorm. 1943 veröffentlichte Columbia Pictures ein (auch für Serial-Verhältnisse) mit außerordentlich niedrigem Budget realisiertes Batman-Serial. Als Batmans erste Filmadaption, welche noch dazu von sehr vielen Menschen gesehen wurde, führte das Serial einige Elemente in die Batman-Mythologie ein, an der sich auch zukünftige Geschichten mit dem maskierten Helden orientieren sollten: Der in den Comics ursprünglich glatt rasierte, kleine und übergewichtige Alfred wurde zu einem großen, schlanken älteren Herr (meist mit Schnurrbart) und Batman erhielt sein legendäres Versteck, die Bat-Höhle.

Die Filmzensur forderte allerdings, dass aus dem maskierten Vigilanten der Comics auf der Leinwand ein vom Staat beauftragter Geheimagent wurde. Außerdem beeinflusste die während des Zweiten Weltkriegs herrschende, gesellschaftliche Stimmung den Filminhalt: Batman nutzt zahlreiche fremdenfeindliche Beschimpfungen, die vor allem Deutsche und Asiaten zur Zielscheibe hatten.


Auch davon abgesehen war Batman, trotz kommerziellen Erfolgs, ein qualitativer Abstieg gegenüber die zuvor genannten Comic-Serials: Die für Serials typischen Cliffhanger waren zumeist lächerlich überdramatisch und erhielten konsequent einfache Auflösungen. Ein Kapitel der Reihe endet mit einem Flugzeugabsturz, zu Beginn des nächsten Kapitels kraxelt Batman ohne den kleinsten Kratzer aus dem Wrack. Hauptdarsteller Lewis Wilson spielte den Part von Bruce Wayne zwar mit Würde und Ernsthaftigkeit, erwies sich in den Actionszenen allerdings als unkoordiniert sowie als schwer aus der Form für so eine Rolle. Auch den Stuntmännern lässt sich nur wenig Grazie attestieren, ebenso wie den Kostümen, in die das Ensemble gesteckt wurde.

Viele der Serials von Columbia Pictures boten qualitativ das, was der unbedarfte Filmkonsument heute einfach pro forma von allen Serials erwartet. Zu den wenigen Ausnahmen gehört die Verfilmung des Abenteuer-Zeitungscomics The Phantom, auf die zwar ebenfalls die sehr cartoonesquen Faustkämpfe und ulkigen Versuche zutreffen, das niedrige Budget zu vertuschen (so versucht man die Hollywood Hills als tiefsten Regenwald zu verkaufen). Doch Tom "Captain Marvel" Tyler nahm auch dieses Mal seine Rolle ernster und konnte sie besser ausfüllen, als sonstige Columbia-Serial-Hauptdarsteller und der Tonfall entsprach klar den Comics.

Republic Pictures widersetzte sich hingegen dem Spartrend bei der Serial-Produktion und veröffentlichte am 5. Februar 1944 mit dem ersten Teil seiner Captain America-Verfilmung das teuerste Serial seiner Studiogeschichte. Das anvisierte Budget von 182.623 Dollar wurde massiv überzogen, letztlich kostete das von Kinogängern enthusiastisch verschlungene, patriotische Serial 222.906 Dollar. Rückblickend betrachtet markiert dieses 15-teilige Superheldenabenteuer den Zenit des Goldenen Serial-Zeitalters, denn nach dem Zweiten Weltkrieg ließen sowohl Zuschauerakzeptanz als auch der Enthusiasmus der Produzenten (und somit die durchschnittliche Qualität) enorm nach.

Ursprünglich war das Drehbuch für eine andere Hauptfigur konzipiert, allerdings ist nicht weiter überliefert, wer sich mit den mysteriösen Mächten hinter einer Suizidwelle anlegen sollte. Die Filmhistoriker Jim Harmon und Don Glut mutmaßten, dass dieses Maya-Kinoabenteuer ursprünglich als Fortsetzung zu Mysterious Doctor Satan verfasst wurde, sich das Studio dann aber die zur Zeit boomende Captain America-Lizenz krallte. Das führte jedoch zu zahlreichen Abweichungen von der Comicvorlage: Captain Americas wahre Identität ist nicht die des U.S. Army Privates Steve Rogers, sondern die des Staatsanwalts Grant Gardner, der auch nicht erst durch ein Supersoldatenserum so stark wurde. Statt eines Schilds verwendet er eine handelsübliche Pistole, und weder kommen Nazis vor, noch Captain Americas bester Freund Bucky. Timley Comics, der damalige Rechteinhaber des Captain, legte während der Produktion erfolglos Beschwerde ein.

Wie bereits erwähnt, ging es nach Captain America mit dem Film-Serial als solchem bergab. Um Kosten zu sparen, wurden zum Beispiel auch wieder vermehrt Western-Reihen gedreht, außerdem wurden alte Serials neu zusammen geschnitten und wiederveröffentlicht oder mit einem Minimum an neu gedrehten Szenen als frische Ware verkauft. Unter der dadurch sinkenden Akzeptanz und somit auch Rentabilität von Serials litten selbst die Produktionswerte der weiterhin sehr erfolgreichen Superhelden-Serials: 1948 musste man selbst bei der lang erwarteten, ersten Realverfilmung des beliebten Superman auf Zeichentick-Flugeffekte zurückgreifen, außerdem mussten zahlreiche Aufnahmen mehrfach wieder verwendet werden. Dennoch buchten selbst angesehene Kinos das Serial, die sich sonst von dieser Filmform fernhielten. Batman and Robin von 1949 erfüllte letztlich mit zahllosen Logikfehlern, schlecht vertuschten Kostüm- und Budgetproblemen sowie sehr kindlicher, unaufregender Action sämtliche Klischeevorstellungen, die das moderne Publikum von Serials hat.

Werden sich Comicadaptionen von diesem qualitativen Absturz erholen? Wohin verschlägt es Superman und Batman als nächstes? Wie lange dauert es bis zur nächsten originalgetreuen Superheldenverfilmung? Erfahrt es in der nächsten Ausgabe von ... Filmhistorische Fußspuren!

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Samstag, 27. April 2013

Johnny Depp zieht es "Into the Woods"


Johnny Depp wird aller Wahrscheinlichkeit wieder Lieder aus der Feder Stephen Sondheims von sich schmettern. Dieses Mal jedoch nicht für Tim Burton, sondern für Walt Disney Pictures und Depps zweiten Pirates of the Caribbean-Regisseur, Rob Marshall. Wie Deadline berichtet, befindet sich der Frauenschwarm und wandelnde Goldesel der Disney-Studios in den letzten Phasen der Vertragsverhandlungen für eine zentrale Rolle in der Filmadaption des Sondheim-Bühnenmusicals Into the Woods. Das Musical ist eine an ein älteres Publikum gerichtete Geschichte voller Referenzen auf klassische Märchen, die auf ungewöhnliche Weise weitererzählt und umgedeutet werden.

Pläne für eine Disney-Verfilmung des Stücks wurden erstmals im Januar 2012 bekannt, als das Studio auch verlautbarte, dass sie der erste Film in einer längeren Phase der Zusammenarbeit zwischen Disney und Rob Marshall werden soll. Im Oktober 2012 folgten Meldungen, dass Disney Meryl Streep für eine Rolle anheuern möchte, ein Deal, der sich nun gemeinsam mit dem Vertragsabschluss mit Depp erfüllt.

Marshall, der sich mit Chicago und Nine bereits einen Namen im Musicalgenre machte, steigt somit in die Riege jener Regisseure auf, die Johnny Depp mehrmals anleiten durften. Zuletzt inszenierte der sechsfache Tony-Award-Nominee Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten und übernahm die stilistische Führung der Piratensaga somit von Gore Verbinski, der seit Fluch der Karibik fleißig daran arbeitet, Tim Burton in Sachen Kollaborationen mit Depp zu überholen.

Die Quellen der Disneyfilme: Cinderella

 
Von Legenden zu historischen Ereignissen, von Märchen bis zu klassischer Literatur - die Zauberkünstler von Disney haben sich der vielfältigsten Quellen bedient, um Stoff für ihre Filme zu finden. Gemein haben sie jedoch alle, dass das Ursprungsmaterial nicht ohne Veränderung in den Disney-Kanon eingeflossen ist.

 

Diese Reihe von Im Schatten der Maus befasst sich mit dem Entstehungsprozess einiger dieser Meisterwerke:
Die Quellen der Disneyfilme

Das Märchen vom Aschenputtel ist, soweit wir es feststellen können, eines der ältesten Märchen überhaupt. Es existieren verschiedene Versionen, die bis in die Antike zurückreichen, wobei es bei diesen alten Erzählungen meistens darauf hinausläuft, dass der König (beziehungsweise sein Equivalent) das junge Mädchen nicht einmal kennt - alles was er besitzt ist der zentrale Schuh und die feste Absicht, diejenige zu finden, an dessen Fuß er passt. Natürlich sagt es einiges über das damalige Menschenbild aus, dass nicht - wie in unserer „Märchenzeit“ - der bloße Anblick einer Frau für die ewige Liebe ausreicht, sondern gar allein der Anblick ihres Schuhes ...
Wie im Falle von Dornröschen gibt es auch hier in unserem Kulturkreis zwei Versionen, die sich die allgemeine Bekanntheit teilen: Aschenputtel oder das gläserne Pantöffelchen („Cendrillon ou le petite pantoufle de verre“) von Charles Perrault und Aschenputtel aus den Hausmärchen der Gebrüder Grimm. Doch anders als bei Dornröschen sind die Unterschiede in diesem Fall eindeutig genug, dass sich jede weitere Adaption eindeutig für eine der beiden Fassungen entscheiden muss. Im englischen Sprachraum ist die Perrault-Fassung mit Sicherheit die bekanntere, während es sich bei uns eher die Waage hält - während Grimms Aschenputtel wohl das Märchen ist, das die Kinder häufiger in Büchern und auf Kassetten finden werden, so sind die meisten Filmadaptionen eher Perrault-orientiert und haben zumindest den gläsernen Schuh und die zwölf Schläge der Turmuhr ganz in das hiesige Gedächtnis eingebrannt. Und das, obwohl die Natur des Schuhs (oder eher Pantoffels) bis heute nicht eindeutig erklärt ist: Der ähnliche Klang von „Verre“ (Glas) und „Vair“ (das Fell des Eichhörnchens) legt nahe, dass hier zu irgendeiner Zeit eine folgenschwere Lautverschiebung stattgefunden haben dürfte.

Generell kann man sagen, dass die Grimmsche Version der Geschichte eine größere Betonung auf den himmlischen Beistand legt, während Perrault die Fantasy-Aspekte des Märchens betont. Schon der Prolog der deutschen Version berichtet von Aschenputtels Mutter und ihrem Versprechen, ihrer Tochter immer beistehen zu wollen.
Dann folgt das immer gleiche Grundkonzept: Die Mutter stirbt und Aschenputtels Vater heiratet eine neue Frau, die gemeinsam mit ihren hässlichen und faulen Töchtern beginnt, dem Mädchen das Leben zur Hölle zu machen; sie muss arbeiten verrichten und in der Asche schlafen, was ihr schließlich auch ihren Namen einbringt. An dieser Stelle betont Perrault noch einmal, wie gütig Aschenputtel trotz der derben Behandlung bleibt und dass sie ihren Stiefschwestern auch bei den Vorbereitungen für das Fest des Prinzen nach bestem Gewissen helfen will.
Die spätere Hilfe wird bei Grimm von Anfang an durch den Baum angedeutet, den Aschenputtel auf dem Grab ihrer Mutter pflanzt und auf dem ihr der Geist der Mutter in Gestalt eines Vogels erscheint und kleinere Wünsche erfüllt. Auch als die Stiefmutter ihr mit dem Verlesen der Erbsen eine unmöglich erscheinende Bedingung stellt, um auf den Ball zu gehen, sind es die Tauben, die ihr treu beistehen. Und der Baum der Mutter schenkt ihr schließlich die prächtigen Kleider, mit denen sie drei Tage lang auf dem Ball glänzen kann, ehe sie sich jeden Abend übereilt auf den Heimweg macht.
Bei Perrault handelt es immerhin um ihre Patin, die aber vor allem in ihrer Rolle als Gute Fee handelt, wenn sie für Aschenputtel einen Kürbis in eine Kutsche, Mäuse, Ratten und Eidechsen in Diener und Pferde und ihren Kittel in ein Ballkleid inklusiver gläserner Pantoffeln verwandelt. Doch hier ist der ganze Zauber nur bis Mitternacht wirksam und Aschenputtel hat somit gute Gründe, beide Tanzabende vor dem zwölften Glockenschlag zu verlassen, das zweite Mal in solcher Eile, dass sie einen ihrer Schuhe verliert.
Bei Grimm dagegen ist es der Prinz selbst, der die Treppe mit Pech bestreichen lässt und sie so ihres (hier goldenen) Pantoffels beraubt - man höre und staune, Seine Königliche Hoheit zeigt ein Mindestmaß an Eigeninitiative. Er verfolgt sie zu ihrem Heim und lässt dort speziell die Damen des Hauses den Schuh anprobieren, anders als bei Perrault, wo sich alle Damen des Königreichs dieser Übung unterziehen müssen.
Neben den penibleren Unterschieden stellt nun das Schicksal der Stiefschwestern einen Punkt dar, in dem sich Grimm und Perrault auf wirklich tiefgehende Weise unterscheiden. Nicht nur schneiden sich die Schwestern selbst respektive Zehen und Fersen ab, um in den Schuh zu passen - jeweils offenbart durch das Gurren der Tauben - sondern auf dem Weg zu Aschenputtels Trauung werden den beiden auch noch beide Augen ausgepickt. Damit ist es erklärtermaßen nicht die Heldin selbst, die sich an ihren Peinigerinnen rächt, sondern eine buchstäblich von oben erfolgende Strafmaßnahme.
Bei Perrault kommen die Stiefschwestern nicht nur straflos davon, sie bekommen durch Aschenputtels Hilfe auch noch eigene Ehemänner vermittelt. Somit liegt bei Perrault definitiv eine stärkere Betonung auf der Güte des Mädchens selbst, während die Gebrüder Grimm ihren Aufschrieb mit einer bewussten Strafandrohung beenden, die allen bösen Taten folgen muss.



Die Verfilmung von Aschenputtel oder Cinderella, die 1950 als zwölftes Disney-Meisterwerk erschien, beruht natürlich vor allem auf Perraults Erzählung, und es ist wohl speziell diesem Film zu verdanken, dass diese - bei uns meist als Cinderella titulierte - Version der Geschichte sich auch in unserem Land im allgemeinen Bewusstsein verankert hat. Der Disneyfilm hangelt sich vergleichsweise nah an den Zügen von Perraults Erzählung entlang und nutzt die Grimmsche Fassung nur hin und wieder als Inspirationsquelle, zum Beispiel wenn er Cinderella zusätzlich zu ihren Mäusen auch Vögel als Gefährten gibt, oder wenn die Stiefmutter dem Mädchen ein falschzüngiges Versprechen macht, verbunden mit einer unlösbar erscheinenden Aufgabe. Und auch die Bank, auf der Cinderella weinend zusammenbricht, um dann von ihrer Guten Fee getröstet zu werden, erinnert mit ihrem im Hintergrund stehenden Baum an eine Grabanlage, wie sie bei Grimm für Aschenputtels Mutter beschrieben ist.

Es heißt, Cinderella sei Walt Disneys Lieblingsmärchen gewesen und schon 1922 hat er die Geschichte als letztes Stück seiner Laugh-O-Gram-Serie verfilmt. Die simple Moral, dass ein guter Lebenswandel belohnt wird und dass man niemals an seinem Unglück verzagen, sondern an seinen Träumen festhalten sollte, hat in der Tat einiges für sich, um als übergeordnetes Lebensmotto zu fungieren.

Nun kann man sich fragen, ob die Botschaft des Filmes wirklich mit dem Leben Disneys vergleichbar ist. Schließlich ist der häufigste Vorwurf, den Cinderella erhält, der, dass sie selbst nichts für ihr Glück unternimmt und sich auf die Hilfe anderer verlässt - ein Vorwurf den Disney selbst sicher niemand machen könnte. Doch diese Sicht ist dem Film gegenüber nicht ganz gerecht. Cinderella befindet sich in einer mehr als problematischen Situation und sie bemüht sich, all ihren Schwierigkeiten so positiv wie nur möglich entgegenzutreten. Natürlich beinhaltet die Entwicklung der Geschichte einen essenziellen Anteil von fremder Hilfe, doch diese „Belohnung“, ob man sie nun als Glück oder göttliche Fügung interpretiert, ist auch in der Realität etwas, das für jeden Erfolg unverzichtbar scheint. Was außerdem im Disneyfilm im Vergleich zu beiden Märchenversionen noch betont wird, ist Cinderellas eigener Wunsch nach einem besseren Leben, der ihr eine zusätzliche Charakterisierung abseits des fügsamen Haussklaven gibt. Dabei scheint es erwähnenswert, welche unterschiedliche Konnotation die verschiedenen Namen der Hauptfigur heute erhalten haben: Während die Bezeichnung „Aschenputtel“ bei uns so etwas wie ein Mauerblümchen bedeutet, liegt die Betonung bei „Cinderella“ auf ihrem raschen und unerwarteten Aufstieg und der Erfüllung ihrer Träume.
Unabhängig davon ist es eigentlich unverständlich, dass man den Namen in unserer Synchronisation nicht genau wie in Schneewittchen übersetzt hat, ist „Cinderella“ doch eine quasi wörtliche Übertragung von „Cendrillon“ oder „Aschenputtel“. Anders als bei Dornröschen stimmen Name von Hauptfigur und Märchen hier in beiden Sprachen überein und in den Fünfziger Jahren hatte der englische Name bei uns auch nicht die Bekanntheit, die er heute - gerade auch wegen des Disneyfilms - innehat. Außerdem wäre uns in diesem Fall auch die eher fragwürdige Neusynchronisation des Vorspannes erspart geblieben, die für die Videoveröffentlichung schließlich wegen verspäteter Sorgen des Verleihs als Erklärung eingefügt wurde.

Vom Inhalt her ist bei dem Film eine starke Zweiteilung spürbar zwischen dem eigentlichen, stringent erzählten Märchen und den zusätzlich eingefügten Nebenschauplätzen. Während in Schneewittchen die Haupthandlung immer wieder „angehalten“ wird, um Raum für episodenhafte Zwischenszenen zu bieten, kommt in diesem Film einfach ein anderer Erzählstrang dazu: Immer wieder wechselt die Szenerie von Cinderellas Geschichte zu den Mäusen und ihrem ewigen Kampf mit Luzifer, der, wenn überhaupt, dann nur grob in die Haupthandlung eingegliedert ist. Man könnte all diese Slapstick-Szenen aus dem Film herausschneiden, ohne den Handlungsfaden zu stören und bekäme eine kurze, auf den Punkt gebrachte Verfilmung des Märchens heraus.
Diese konstruierte Aufblähung der Geschichte ist wohl die logische Konsequenz der Bemühung, sich trotz aller Erweiterungen an die genaue Märchengeschichte zu halten. Es sollten noch an die vierzig Jahre vergehen, ehe es Disney gelang, ein kurzes Märchen wirklich überzeugend in eine filmfüllende Geschichte zu verwandeln.



Die Zweiteilung zwischen ernsthafter Dramatik und simplem Humor findet sich auch in der Figurengestaltung wieder: Während Cinderella, ihr Prinz und Lady Tremaine von Charakter und Aussehen her einem eher realistischen Bild folgen, folgen die Stiefschwestern, der König, der Großherzog und die Gute Fee einem eher karikaturhaften Bild. Besonders deutlich wird dieser Unterschied im Zusammenspiel von Stiefmutter und -schwestern: Anastasia und Drizella entsprechen mit jeder Faser dem typischen Märchenbild der hässlichen Schreckensbilder, während sich ihre Mutter anders als in den meisten Adaptionen als elegante und intelligente Dame von Stand zeigt. Gerade die Tatsache, dass Lady Tremaine mit ihrer kühlen Ruhe und ihrer nicht überzogenen Handlungen einen der wenigen wirklich realistischen Disney-Schurken darstellt, macht sie so gefährlich und verleiht ihr eine Ausstrahlung allgegenwärtiger Überlegenheit. Und schließlich ist sie mit einer winzigen Bewegung ihres Stockes am Ende in der Lage, Cinderellas Happyend um ein Haar aufzuhalten.
Die Rolle von Aschenputtels Vater hat im Märchen immer einen seltsamen Beiklang, denn während er bei Grimm immerhin noch bereit ist, seiner Tochter einen Wunsch zu erfüllen, steht er bei Perrault vollkommen unter der Fuchtel seiner neuen Frau - insofern spricht es nur zu seinen Gunsten, dass er im Disneyfilm durch einen frühzeitigen Tod aus der Handlung ausscheiden darf. Man hat nun beinahe den Eindruck, Disney hätte bei Prinzen am liebsten dasselbe gemacht: Cinderellas unbenannter Traumprinz zählt definitiv nicht als eigenständige Figur und hat nur die Rolle inne, als MacGuffin und schließlich als glückliche Belohnung für die Hauptfigur zu fungieren. Eigentlich war wohl in ersten Handlungsentwürfen etwas mehr Charakter für den Prinzen geplant; er sollte eine eigene Einführung erhalten und Cinderella am Ende persönlich als seine Braut willkommen heißen. In der jetzigen Fassung bleibt er allerdings so farblos wie nur irgendmöglich und der Zuschauer erhält bei weitem mehr Gelegenheit, König und Großherzog kennenzulernen als den ominösen Thronfolger.
Dazu kommt das fundamentale Logikproblem des Märchens, dass der Prinz selbst offensichtlich unfähig ist, seine eigene Braut von Angesicht zu Angesicht zu erkennen. Während mehrere Adaptionen versuchen, diese Schwachstelle durch einen Maskenball oder Ähnliches zu übertünchen, greift der Disneyfilm zu dem eher unromantischen Mittel, dass es nicht der Prinz selbst ist, der die Bedingung festsetzt, und dass folglich die Schuh-Erkennungsszene von der Gestalt des Großherzogs überwacht wird.



Während der Produktion von Cinderella befand sich Disney in beträchtlichen finanziellen Schwierigkeiten und die Produktion eines derartigen Filmes stellte ein enormes Risiko für das Überleben des Studios dar. Gerade wie bei Schneewittchen setzte Disney alles auf eine Karte und wie damals wurde sein Mut durch einen enormen Kassenhit belohnt.
Vergleicht man die beiden Märchenfilme, so ist klar, dass das Studio in der Zwischenzeit eine gewisse Entwicklung durchgangen hat, aber auch dass viele der alten Schwierigkeiten immer noch vorhanden sind. Cinderella ist als Geschichte besser durchkomponiert und lässt nicht mehr das eingeschobene Silly-Symphony-Gefühl aufkommen, doch stattdessen sind viele Comedy-Momente integriert, die eben eher dem derzeitigen Publikumsgeschmack entsprechen. Und was die Charakterisierung des Prinzen oder gar der Liebesgeschichte angeht, ist man womöglich noch einen Schritt zurückgegangen. Natürlich ist es immer wieder schwierig, eine Märchenverfilmung an ihrer Geschichte zu messen - in Fällen, in denen das Quellmaterial gleichzeitig derart beliebt und dennoch eindeutig problembehaftet ist, bleibt der Adaption nur die Wahl zwischen dem Vorwurf der Original-Untreue und dem der schwachen Charakterisierung.
Cinderella ist sicherlich als ein durchweg bezaubernder Film geraten, und wenn er auch kein ideales eigenständiges Kunstwerk darstellt, so bietet er doch eine würdige Umsetzung des alten Märchens. Er stemmt seine Hürden problemlos und erzählt die Geschichte mit solchem Charme, dass man ihm seine Probleme allzu gerne verzeiht. Außerdem bietet der Film bis heute das vielleicht beste Beispiel für reinen Disneyzauber, und in diesem Sinne passt es vollkommen, wenn Cinderella wirklich Disneys Lieblingswerk war
.


Mehr von mir gibt es auf www.AnankeRo.com.

Mittwoch, 24. April 2013

Zach Braff plant seine zweite Kino-Regiearbeit


Seit Garden State sind mittlerweile neun Jahre ins Land gezogen, und noch immer lässt Scrubs-Star Zach Braff seine Fans auf eine neue Regiearbeit warten. Hat Braff das Interesse am Regieführen verloren, hat er dem Kino abgeschworen oder hat er einfach nur Furcht, der durch die Klasse von Garden State erzeugten, massiven Erwartungshaltung nicht standhalten zu können?

Braff öffnet sich endlich all diesen brennenden Fragen und kommt so gleich mit einer großartigen Neuigkeit daher. Gemeinsam mit seinem Bruder erarbeitete er ein neues Drehbuch mit dem Titel Wish I Was Here, das er mit sich selbst in der Hauptrolle sowie als Regisseur umsetzen möchte. Der Haken an der Sache, und zugleich die Erklärung für seine jahrelange Abstinenz vom Regiestuhl: Ihm gelingt es nicht, das notwendige Geld für seine filmischen Visionen aufzutreiben.

Nachdem die Köpfe hinter der Krimiserie Veronica Mars via Kickstarter endlich den seit langer Zeit von Fans herbeigesehnten Kinofilm absichern konnten, wirft nun auch Braff seinen Hut in den Ring. Um Wish I Was Here seinen Vorstellungen entsprechend umsetzen zu können und keine Kompromisse bei der Handlung, der Rollenbesetzung sowie den technischen und logistischen Aspekten machen zu müssen, bittet Braff die Kickstarter-Gemeinde um Mithilfe, den Film ohne Finanziers von außen zu verwirklichen und den Final Cut behalten zu können.

Das anvisierte Kickstarter-Finanzierungsziel beträgt sich auf zwei Millionen Dollar und wie es bei diesem Modell üblich ist, verspricht Braff seinen zahlenden Fans allerlei Entschädigungen für ihre Gönnerhaftigkeit. Das reicht, je nach Höhe der Spende, von einer Kopie des Drehbuchs und einer Nennung im Abspann bis hin zur Teilnahme an der Weltpremiere (und der Aftershowparty) als Zach Braffs Ehrengast.

Die von Braff angerissene Story ("Ein gescheiterter Schauspieler mit großem Vorstellungsvermögen kann sich nicht weiter die Ausbildung seiner zwei Kinder leisten und nimmt sie kurzerhand selbst in die Hand, was zu allerlei Chaos führt, ihm aber letztlich die Augen öffnet, worauf es im Leben ankommt") klingt zwar nicht sonderlich revolutionär, aber schon Garden State ("Ein erfolgloser, emotional verkühlter Schauspieler kehrt nach dem Tod seiner Mutter in seine Heimatstadt zurück, wo er versucht, die Beziehung zu seinem Vater zu kitten und von einer quirligen, jungen Frau aus seiner Apathie gerissen wird") lebte klar mehr von der Umsetzung als von dem grob umrissenen Plot. Braff verspricht eine "Fortführung des Geistes von Garden State", und die sollte ihre zwei Millionen Dollar ja wohl wert sein.

Mehr über das Projekt erfahrt ihr in Braffs mit Gaststars gespickten Video sowie auf der Kickstart-Projektseite.



Mehr über das Projekt

Montag, 22. April 2013

Brennendes Interesse (Die Rückkehr der Jedi-Ritter)

Vorfreude. Manche nennen sie die beste Freude unter allen Freuden. Ich bin mir da weniger sicher, dennoch ist die Vorfreude eine essentielle Gefühlsregung. Sie lässt uns nach vorne schauen und sehnsüchtig danach hadern, ein anvisiertes Datum zu erreichen. Als Filmliebhaber ist die Zeit der Vorfreude auf einen Film die Zeit der Spekulation, des Hoffens und auch des begierigen Bangens. "Hoffentlich wird der Film so gut wie ich ihn mir ausmale! Hoffentlich weiß er zu überraschen!"

Vorfreude. Sie ist der Schlüssel zu dieser Hitliste. Es geht nicht darum, von welchen Filmen ich die höchste Qualität erwarte, sondern auf welche ich vorfreudig und sehnsüchtig blicke, welche mich zu einem ungeduldigen Nervenbündel machen.

Platz 30: Inside Out
Nachdem Pete Docter eine bunte Monsterwelt schuf und einen alten Mann mit seinem Haus nach Südamerika reisen ließ, zeigt er in seinem nächsten Pixar-Film, wie es im Kopf eines jungen Mädchens aussieht. Viel mehr weiß man nicht. Trotzdem warte ich gebannt auf diese neue Geschichte aus Emeryville. 2015 kann kommen!

Platz 29: Kick-Ass 2
Kick-Ass begeisterte mich 2010 als eine wilde Mischung aus Superhelden-Dekonstruktion und -Rekonstruktion, aus Comicfilmparodie und Gesellschaftssatire gepaart mit viel Blödelhumor. Die Comicadaption stellte somit einen starken Cocktail dar und Teil zwei deutet an, dem Original in kaum etwas nachzustehen.

Platz 28: Elysium
So ganz hat mich der Hype um Neill Blomkamps zweiten Sci-Fi-Streifen nicht gepackt, doch ich sehe die Qualität im bislang veröffentlichten Material und hoffe, dass das Gesamtwerk an die Hoffnungen der Mehrheit heranreicht.

Platz 27: Clerks III
Kevin Smith beendet seine Karriere als Filmregisseur dort, wo er sie angefangen hat: Mit Dante und Randel im Quick Stop. Smith feiert das Skript zu seinem Schwanengesang als sein bestes Werk. Selbst wenn es schlussendlich halb so gut wird, steht uns eine tolle Indiekomödie bevor.

Platz 26: Thor - The Dark Kingdom
An und für sich habe ich meine Zweifel, wie gut ein zweiter Thor sein kann, andererseits finde ich den ersten Teil mit jedem Ansehen gelungener und freu mich auf das Wiedersehen mit Chris Hemsworth, Natalie Portman und Kat Dennings.

Platz 25: Hangover III
Der erste Trailer zum Abschluss der Trilogie über Zerstörung und schlechte Entscheidungen ließ mich auf einen mutigen Genrewechsel hoffen, auf eine selbstbewusste Dekonstruktion der ersten beiden Teile. Trailer zwei drosselte meine Vorfreude ein wenig, da wir wohl doch mehr vom selben bekommen werden. Trotzdem freue ich mich auf ein letztes Wiedersehen mit den Chaosjungs.

Platz 24: Crank 3
Crank 2 war wesentlich durchgeknallter, böser und rasanter als der erste Teil, und ich hoffe, dass der dritte Teil dieser verrückten Filmreihe noch schlimmer, krasser, bescheuerter wird.


Platz 23: Der große Gatsby
Baz Luhrmann taucht wieder in einen neuen Filmrausch ab und widmet sich einem ganz großen Klassiker der Literaturgeschichte. Das 3D packt bereits in den Trailern, der Look des Films ist eine Wucht und wenn die Musik funktionieren und auch die ruhigeren Momente aufgehen sollten, dann dürfte dies ein überwältigender Kinobesuch werden!

Platz 22: Ich - Einfach unverbesserlich 2
Die Minions sind spitze, Gru und seine Adoptivtöchter knuffig, die Trailer sehen gut aus. Passt!

Platz 21: Das schwarze Loch
Über die zwischenmenschliche Komponente in den Drehbüchern der Filme Joseph Kosinskis kann man sich streiten, auf jeden Fall aber hat Kosinski ein Auge für faszinierend aussehende Sci-Fi-Welten und ein Gespür für die unterkühlte, magnetische Atmosphäre, die Sci-Fi-Kultfilmen aus den 70ern und 80ern zumeist innewohnte. Tron führte er bereits auf interessante Weise ins neue Jahrtausend und ich erwarte nicht weniger von seinem Remake des schwarzen Disney-Schafs Das schwarze Loch. Zudem verspricht Kosinski eine gigantische Ankündigung für diesen Film, die uns bald ereilen soll. Nur was kann es sein?

Platz 20: Captain America – The Winter Soldier
Mein liebster Pre-Avengers-Film des Marvel Cinematic Universe findet eine Fortsetzung und wechselt mal eben das Genre? Von Weltkriegsaction mit Indiana Jones-Feeling zu Politthriller in Superheldenverkleidung? Klingt interessant. Black Widow und der Winter Soldier mischen mit? Und Robert Redford übernimmt eine nicht unwichtige Rolle? Immer her damit! Die Captain America-Reihe ist auf dem besten Wege, frischer und abwechslungsreicher als die Iron Man-Saga zu werden, und ich bin sehr gespannt, wie viele Kinogänger mir 2014 gewillt sein werden, da zuzustimmen.

Platz 19: Saving Mr. Banks
Ein sich an realen Gegebenheiten orientierendes Drama über Walt Disney? Eigentlich würde ich sagen "immer her damit!", und mit Walts Auseinandersetzung mit P. L. Travers, der Autorin von Mary Poppins, pickte sich Drehbuchautorin Kelly Marcel ein spannendes Unterthema heraus. Dennoch kann ich noch recht geduldig auf diesen Film warten. Regisseur John Lee Hancock ist mir gleichgültig, Tom Hanks sehe ich auf Standbildern einfach nicht in der Rolle und genauso habe ich (noch) Probleme mit Jason Schwartman und B. J. Novak als Sherman-Gebrüder. Aber dennoch bleiben eine spannende Story und das überraschende PG-13-Rating. Und wenn Disney sich in diese Gefilde traut, bin ich stets vom Ergebnis überzeugt. Und somit bin ich dann doch gespannt auf Saving Mr. Banks ...

Platz 18: Pain & Gain

Michael Bay macht endlich wieder Spaß? Die Pressereaktionen auf Pain & Gain sprechen jedenfalls für ein begeistertes "Fuck Yeah!": Schwarzer Humor im Bay-Hochglanzlook mit einem enorm engagierten Dwayne Johnson und einem spaßigen Mark Wahlberg in den Hauptrollen sowie illustren Nebendarstellern um sie herum. Bays "kleiner Film" zwischen Transformers 3 und 4 könnte dem Krachbummregisseur neue Fans einbringen (die er mit seinem nächsten Film womöglich wieder verliert), und ich werde mit Naschereien bewaffnet im Kino sehr gerne als Augenzeuge antreten.


Platz 17: Iron Man 3
Nun gut, die Wartezeit auf diesen Film ist wirklich nicht mehr lang. Trotzdem (oder gerade deswegen?) würde es mich tierisch nerven, würde Iron Man 3 plötzlich um mehrere Monate verschoben. Ich erwarte keinen ganz so mitreißenden Popcorn-Kinoritt wie bei Avengers und auch wenn das Promomaterial einen etwas düsteren Film vermuten lässt, glaube ich nicht, dass uns eine völlig neue Seite von Marvels Kinowelt bevorsteht. Ich rechne schlicht mit einem pompösen, kurzweiligen Superheldenspektakel, das ein paar finstere Zwischentöne hat. Und ich freu mich sehr auf das Triple Feature mit Freunden.

Platz 16: Interstellar
Christopher Nolan dreht einen Film über Wurmlöcher. Mehr weiß man nicht, außer dass Anne Hathaway mitspielt, und mehr muss ich nicht wissen, um auf den Film gebannt zu warten.

Platz 15: Tron 3
Zwischenzeitlich sah es düster aus für die Zukunft von Tron, aber aus dem Nichts erhielt eine Fortsetzung von Tron: Legacy für Disney erhöhte Priorität. Ob man vielleicht endlich die Handlungsfrage geknackt hat? Regisseur Joseph Kosinski jedenfalls verspricht für seinen zweiten Tron-Film eine düstere Atmosphäre und dass inhaltlich die größten Konsequenzen aus Tron: Legacy gezogen werden. Was eigentlich in einen äußerst dramatischen und intellektuellen Sci-Fi-Thriller münden müsste ... gepaart mit großen Actionsequenzen, denn woher sonst zieht Kosinski den Vergleich zwischen Tron 3 und Das Imperium schlägt zurück? Ganz egal ... 2015 kann kommen!

Platz 14: The Muppets ... again!
Mehr Muppets? Mit Christoph Waltz, Tina Fey und Ricky Gervais? Her damit!

Platz 13: The World's End
Edgar Wright hat bislang keinen einzigen enttäuschenden Film abgeliefert und wenn Simon Pegg, Nick Frost und Rosamund Pike sowie Martin Freeman während des Weltuntergangs auf Sauftour gehen, dann kann da nur eine verrückte, frische Komödie bei rausspringen, oder?

Platz 12: Viel Lärm um nichts

Shakespeares vergnügliche Verwechslungskomödie, inszeniert von Joss Whedon, mit Whedon-Stammmädel Amy Acker, dem "Marvel Cinematic Universe"-Paten Clark Gregg und Alexis Denisof in den Hauptrollen? Ein düsterer, zynischer und vor allem visueller, filmischer Blick auf Liebe soll diese Adaption durchsetzen? Wie soll das schon schiefgehen?

Platz 11: Big Eyes
Tim Burton hat mich in den vergangenen Jahren zu häufig enttäuscht, als dass ich mich weiterhin voller Überzeugung als Freund des Schaffens Burtons bezeichnen könnte. Aber vielleicht kann sich Burton von seiner Reihe mieser Filme erholen, indem er mit Amy Adams und Christoph Waltz die wahre Geschichte eines zerstrittenen Künstlerduos verfilmt. Ich mag Adams und Waltz, Burton nun mal außerhalb seiner Komfortzone zu sehen kann auch nicht schaden ... Ach, reden wir nicht drumherum: Ich hoffe, dass dies ein neues Ed Wood wird.

Platz 10: The Zero Theorem
Während ich Tim Burtons Stil momentan nicht mehr über den Weg traue, stärke ich Terry Gilliam liebend gerne weiterhin den Rücken. Und wenn Gilliam einen Film über den Sinn des Lebens machen möchte, in dem Christoph Waltz ein exzentrisches Computergenie spielt, dessen Arbeit von einer verführerischen Frau (Mélanie Thierry) aufgehalten wird und in dem Matt Damon das verkörperte Management darstellt, dann schmeiß ich mich dem Monty Python-Mitglied liebend gern zu Füßen!

Platz 9: Transcendence
Kameragenie Wally Pfister feiert sein Regiedebüt mit einem Sci-Fi-Thriller über zwei Computergenies, die zu verhindern versuchen, dass unsere Technologie in eine Ära abgleitet, in der Computer die Denkfähigkeiten des menschlichen Verstands erhalten. Johnny Depp, Morgan Freeman, Kate Mara, Rebecca Hall, Cillian Murphy sind vor der Kamera an Bord, ich mit Sicherheit vor der Kinoleinwand!

Platz 8: Star Wars - Episode VII
J. J. und Michael werden das Ding schon schaukeln! 2015 kann kommen!

Platz 7: Sin City 2
Das Unglaubliche wird wahr. Jahre der zerstörten Hoffnung liegen hinter uns, aber diesen Herbst führen uns Robert Rodriguez und Frank Miller tatsächlich zurück nach Basin City. Eva Green als "Dame To Kill For", Mickey Rourke, Joseph Gordon-Levitt, Clive Owen, Josh Brolin, Bruce Willis, Rosario Dawson, Jamie King und Ray Liotta kehren ihre beste Film-noir-Seite heraus, während Robert Rodriguez seine Spielereien ausnahmsweise zur Seite legt und mehrere kernige, dreckige Comicgeschichten auf die Leinwand zaubert. Nach der langen Wartezeit ist die Erwartungshaltung gigantisch und es bleibt abzuwarten, ob Rodriguez fähig ist, zu liefern. Aber es wird eine Wonne, angespannt ins Kino zu gehen und sich selbst davon zu überzeugen.

Platz 6: Machete Kills
Obwohl mir Sin City um ein Vielfaches besser gefiel als Machete, freu ich mich derzeit deutlich mehr auf die Fortsetzung des Mexpolitation-Spaßes als auf die neuen Geschichten aus Frank Millers Sündenpfuhl. Machete Kills kommt mit einem gigantischen Cast angewalzt und setzt auf eine so hanebüschene Story, dass ich nicht weniger als den hirnverbranntesten "Nachos und Tequillabier rausgeholt und mit Freunden laut losgelacht"-Kinospaß des Filmjahres erwarte. Sin City 2 könnte scheitern, aber dass Machete Kills besser wird als sein Vorgänger ist in einem Film mit Mel Gibson als Schurken und Charlie Sheen als US-Präsidenten sowie Lady Gaga in einer Nebenrolle nahezu garantiert. Hoffentlich nervt Zoe Saldana nicht zu sehr ...

Platz 5: Pyongyang

Gore Verbinski kann ankündigen, was er will, ich bin auf Anhieb gespannt! Es gibt "Journeyman"-Regisseure, also Filmer, die in jedem Gebiet wildern und nirgends zuhause sind, da sie keinen eigenen Stil haben. Dann gibt es Regisseure, die eine sehr dicke Handschrift haben und sich deshalb nur für eine fest vorgeschriebene Art von Filmen eignen. Und dann gibt es Verrückte wie Steven Soderbergh oder nunmal Gore Verbinski, die einen erkennbaren Stil haben und trotzdem von der Kinderkomödie über den Horrorfilm bis hin zum Megawestern alles drehen können. Nachdem Verbinski nun schon drei (sehr unterschiedliche und trotzdem klar einer durchgehenden Reihe angehörige) Piratenfilme und zwei sehr verschiedene Western drehte, wendet er sich mit dieser Comicadaption (wieder) der tiefschwarzen Komödie zu. Ganz so kinderfreundlich wie in Mäusejagd wird es dieser Geschichte eines Comickünstlers, der nach Nordkorea fährt, um dort die in Sweatshops produzierte Trickadaption seines Spitzenwerks zu bewachen, allerdings sicher nicht zugehen. Und wenn man bedenkt, dass schon Mäusejagd nicht gerade die kinderfreundlichste Komödie war, rechne ich mit sehr viel bösem Humor.


Platz 4: Tomorrowland
Die Internetbeiträge "Die Story von Brad Birds und Damon Lindelofs Top-Secret-Sci-Fi-Film endlich gelüftet!" und da ich ungespoilert bleiben will, beachte ich sie schon gar nicht mehr weiter. Allerdings lässt sich dem Web entnehmen, dass sie sich allesamt widersprechen. Und das gefällt mir sehr. Wie genial wäre es, wenn wir endlich wieder einmal ahnungslos in einen großen Film gehen könnten? Ich zumindest brauche nicht mehr als folgende Personalien, um mich zu freuen: Brad Bird, Damon Lindelof, George Clooney, Hugh Laurie, Michael Giacchino. Also, ich will's sehen!

Platz 3: Die Monster Uni
Wie auch Tim Burton, so befindet sich Pixar in großer Bringschuld. Die Traumfabrik aus Emeryville vollzog einen fabelhaften Durchmarsch voller Qualitätsfilme und fiel dann mit Cars 2 gewaltig auf die Schnauze. Im Folgejahr spaltete Pixar mit Merida die Geister - in meinem Fall schuf das Trickhaus mit seinem Schottenmärchen einen mittelmäßigen Film, der von Sichtung zu Sichtung schlechter wird. Vor allem zeichnete sich nach Toy Story 3 der Trend zum Blödelhumor ab. Die Monster Uni kündigte mit seiner Marketingarbeit an, ebenfalls ein bunter Filmspaß zu werden, da die Figuren jedoch sehr sympathisch sind, hoffte ich stets darauf, wenigstens eine amüsante Kinokomödie zu erhalten. Und dann kamen die ersten Reaktionen auf den kompletten Film. ZACK! Meine Erwartungen und meine Vorfreude schossen in neue Höhen. Peter Sciretta von /Film spricht von einer sehr witzigen Komödie mit einem ans Herz gehenden, überaschenden letzten Akt und einer "mutigen Botschaft", Perri Nemiroff nennt den Film "amüsant, mitreißend und herzerwärmend" und Eric Eisenberg von Cinema Blend beschreibt ihn als "beeindruckend". Könnte Die Monster Uni das beste Prequel aller Zeiten werden? Auf jeden Fall wird es wohl der (für mich) beste Pixar seit eine Rostkarre das Niveau nach unten riss.

Platz 2: Pirates of the Caribbean 5
Seit Terry Rossio auf seiner Webseite angibt, dass er weiterhin am Drehbuch zu Teil fünf beteiligt ist und Jeff Nathanson (Catch Me If You Can, Indiana Jones und das Königreich der Kristallschädel) nicht alleine die Handlung des kommenden Piratenfilms verantwortet, bin ich wieder ein gutes Stück zuversichtlicher. Trotzdem mangelt es mir noch an einer Bekanntgabe, wer Regie führt. Die bisherigen Gerüchte schwanken ja von "Super!" ("Gore kehrt zurück!", "Rob Marshall bleibt dabei!", wobei mir erstes immer in den Kram passt und zweites je nach Story genauso sehr oder einen Hauch weniger) über "Jo, mal schauen!" (Sam Raimi) bis zu "Bitte nicht!!!" (Shawn Levy, Christ Weitz) und deswegen mischen sich in meinem Kopf Freude und Angst zu einem betäubenden Cocktail. 2015 kann kommen?!

Platz 1: The Lone Ranger
Ich wiederhole es gerne: So sehr ich Disney auch liebe, ich freue mich jedes Mal wie bescheuert, wenn jemand daherkommt und der Studioleitung gekonnt die lange Nase zeigt. The Lone Ranger ist praktisch "Leck mich, Disney! - Der Film!", denn hier treffen Johnny Depp, Gore Verbinski, Jerry Bruckheimer und Ted Elliott & Terry Rossio zusammen, um einen Western auf die Beine zu stellen, der mehrfach die Budget-Obergrenze durchbrach, garantiert ein PG-13-Rating erhält und pompös, dreckige Bilder auf die Riesenleinwand schmeißt. Die Filmmusik von Hans Zimmer und Incubus-Gitarrist Mike Einziger dürfte ebenfalls rebellisch werden und auch wenn die Lone-Ranger-Werdegeschichte in den Trailern noch was trocken daherkommt, klingt sie auf Papier ganz ansprechend. Action und Humor ("Großer Dachschaden bei Pferd!") überzeugen mich schon in den Trailern und bislang hat mich die Handlung im fertigen Film auch immer gepackt. Ich hoffe nur, dass Gore auch wieder was rumspinnen durfte. Es muss ja nicht ganz auf Am Ende der Welt-Niveau sein, doch ein wenig Ballaballa muss einfach sein! Immerhin sagt Verbinski übers Geschichtenerzählen und seine Einstellung zum Filmemachen: "Man muss sich trauen, einige Leute anzupissen", denn wer jedem gefallen will, ist schlussendlich nur öde. Unter allen Regisseuren, die mit solchen Unsummen hantieren wie Verbinski, ist einer der mutigsten in Sachen "Mir egal, wenn manche mich hassen, so lange mich genug Leute trotzdem mögen, finde ich weiterhin Arbeit!", und wer mit dieser Einstellung einen 250-Millionen-Dollar-Western dreht, wird auf jeden Fall etwas sonderbares abliefern. Verbinskis Absonderlichkeiten gefielen mit bisher, wieso sollte sich das nun ändern?

James Bond 007 – Im Geheimdienst Ihrer Majestät


Nach Man lebt nur zweimal, einem denkbar schlechten, für mich allerdings auch erschreckend kurzweiligen Bond-Film, folgt mit Im Geheimdienst Ihrer Majestät im inflationsbereinigt erfolgreichsten Kino-Franchise der Geschichte der Eintrag, der das Qualitätsruder komplett umreißt. Ich wage zu behaupten, dass diese 1969 veröffentliche Produktion der Bond-Film ist, den selbst energische Bondgegner lieben können. Und ausgerechnet dieser Film ist der einzige 007-Auftritt des unberühmtesten Doppelnulldarstellers: George Lazenby.

Aber alles der Reihe nach: Da Sean Connery der Rolle des britischen Topagenten und dem sie begleitenden Presserummel überdrüssig wurde, stieg er aus der Filmreihe nach, woraufhin die Produzenten händeringend nach einem Ersatz suchten. Für sie war Bond eine überlebensgroße Rolle, die nicht an ein Gesicht gebunden ist, zudem war der bereits eingefahrene Erfolg zu verlockend, nun einfach aufzugeben. Und so wagten sie, was sich seither nur wenige große Franchises trauten und suchten nach einem neuen Darsteller für die bereits etablierte zentrale Rolle. In der engeren Auswahl befanden sich unter anderem die späteren Bond-Schauspieler Roger Moore und Timothy Dalton, die jeweils aus terminlichen Gründen absagten oder sich nicht als reif genug für 007 hielten, sowie TV-Kult-Batman Adam West, Roy Thinnes, Hans De Vries und nunmal das Männermodel George Lazenby. Der Australier überzeugte die Produzenten Harry Saltzman & Albert R. Broccoli damit, dass er auch im Alltag eine an Bond erinnernde, selbstsichere, galante und dennoch kernige Ausstrahlung bewies und dem jungen Connery recht ähnlich sah, wovon man sich erhoffte, dass dies dem Publikum den Übergang zwischen beiden Schauspielern erleichtern würde. Als Lazenby zudem bei einer Action-Testszene dank seiner Modelerfahrung die Kampfchoreographie rasch lernte und dabei eine natürlich wirkende Aggression darstellte, war der Deal perfekt. Je nach Quelle soll der ihm angebotene Vertrag fünf bis sieben Filme umfasst haben, aber Lazenbys damaliger Agent misstraute der Zukunft des Chauvi-Geheimagenten, da die Siebziger vor der Tür standen und in den Augen von Lazenbys Agenten nach einer Welle an Hippie-Filme schrieen, während archaiche Männlichkeitssymbole der Vergangenheit untergehen würden. Außerdem soll er Lazenby geraten haben, seine schauspielerische Unerfahrenheit durch großes Selbstbewusstsein und eine gesunde Schroffheit am Set zu kompensieren, um sich so mehr Achtung zu verschaffen. Kurzum: Lazenby war noch während der Dreharbeiten davon überzeugt, das Schiff verlassen zu müssen und seitens der Filmemacher gab es zwar keinen Hass auf den Novizen, allerdings sah man ebenso wenig einen nennenswerten Anlass, ihn umzustimmen. Und so blieb Im Geheimdienst Ihrer Majestät ein einmaliger Blockbuster-Ausflug für das Ex-Model.

Der sechste offizielle Teil der großen James-Bond-Kinoreihe ist jedoch aus zahlreichen weiteren Gründen ein einmaliges Seherlebnis. Nicht nur innerhalb des James Bond-Subgenres, sondern im Segment des Actionfilms überhaupt. Zu verdanken ist dies zu großem Teil Regisseur Peter Hunt, der die ersten vier Bond-Filme schnitt und ihr Tempo sowie ihren Actionstil mitprägte, weshalb er sich als Strippenzieher hinter dem fünften Kinoeinsatz von 007 empfahl. Als er übergangen wurde, erlaubte er sich einen ausführlichen Urlaub, während dem er aber Frieden mit Broccoli & Saltzman schloss und als Second Unit Director und leitender Cutter bei Man lebt nur zweimal einstieg, womit er sich endgültig den Platz auf dem Regiestuhl für Bond No. sechs sicherte. Dort setzte er durch, sich mehr vom abgehobenen, mehr durch spaßiges Sci-Fi inspirierten Stil von Feuerball und Man lebt nur zweimal zu entfernen und wieder das bodenständigere, dramatischere Spannungsverständnis von Liebesgrüße aus Moskau anzustreben. Die Produzenten unterstützten dies und so konnte Hunt den Bond-Drehbuch-Veteranen Richard Maibaum mit einer buchnahen Adaption des von den Franchisemachern schon länger ins Auge gefassten Ian-Fleming-Romans Im Geheimdienst Ihrer Majestät beauftragen. Dieser 1963 erstveröffentlichte Roman war eine damals noch leicht sturköpfige Antwort Flemings auf die wilde, unrealistische Bond-Filmreihe und betonte die Dramatik und Tragik des Agentenlebens besonders stark. Hunt strebte an, diese Handlung respektvoll auf die Leinwand zu bringen, weshalb er auch den Literaturkritiker und Schriftsteller Simon Raven bat, mehrere Dialogstellen anspruchsvoller, intellektueller zu gestalten.

Eingangs wird der Zuschauer über den Gesamtplot im Unklaren gelassen und bekommt eine Reihe von miteinander verbundenen Vignetten unterbreitet, die keinerlei Agentenhintergrund aufzuweisen scheinen: James Bond wird, während er eine portugiesische Straße entlangfährt, von einer unbekannten Frau überholt, die mit ihrem schnittigen Wagen zum Strand fährt und dort gewillt ist, sich in die Fluten zu stürzen, um sich das Leben zu nehmen. Als 007 die anonyme Schönheit rettet, wird er von zwei Männern angegriffen, die er schließlich überwältigen kann, wenngleich unterdessen die Unbekannte flieht, ehe Bond sie in ein Gespräch verwickeln kann. Bald darauf begegnet er der Frau im Casino seines Hotels und erfährt ihren Namen: Contessa Teresa "Tracy" di Vincenzo. Die Tochter eines Unternehmers und Mafia-Oberhaupts gerät beim Kartenspielen in Zahlungsnot und erhält vom Kavalier mit der Lizenz zum Töten einen Notgroschen, um ihre Spielschulden zu zahlen. Auch wenn Tracy weiterhin braucht, um sich Bond zu öffnen, lernt sie letztlich, im zu vertrauen. Am kommenden Morgen wird Bond von den Handlangern von Tracys Vater entführt und auf eines seiner Anwesen gebracht, wo er dem Agenten das Angebot macht, die seelisch mehrfach gebrochene Tracy zu heiraten – der Gangsterboss glaubt, so seiner Tochter emotionale Stabilität zu verschaffen. Bond lehnt ab, schlägt aber einen Kompromiss vor, sollte ihm der Mafioso den Aufenthaltsort von SPECTRE-Oberhaupt Blofeld verraten, dem 007 erfolglos auf der Spur ist. Exakt deswegen erhält der Spitzenagent auch eine harsche Ermahnung durch seinen Vorgesetzten M, woraufhin Bond entnervt mit Kündigung vom Dienst droht. Stattdessen geht es jedoch auf einen bezahlten Urlaub, in dessen Verlauf sich Bond und Tracy näher kommen. Ihr Vater gibt Bond deshalb einen wertvollen Tipp, der 007 in ein Skiparadies führt, wo Blofeld angeblich einen weltumspannenden Terrorangriff ausheckt ...

Bereits in den ersten Minuten macht Im Geheimdienst Ihrer Majestät ein klares und deutliches Statement, indem sich Lazenby mit einem rauen, intensiv choreographierten Faustkampf vorstellt, durch den er sich mühevoll durchschlägt, um eine ihn fremde Frau zu beschützen. Regisseur Hunt und Kameramann Michael Reed zeigen diese Strandszene in unterbeleuchteten, bläulich schimmernden Licht, nur wenige Schatten fallen und dennoch wird eine ambivalente, ernste Stimmung erzeugt. Diese wird von der anschließenden Vorspannsequenz mit ihren surrealen Bildern zum Thema "Das Vergehen der Zeit" und John Barrys eingängigen, mitreißenden, trotzdem auch gedämpft-verschrobenen Instrumentalstück verstärkt und daraufhin von der gewählten Erzählweise fortgetragen. Denn so lange man Im Geheimdienst Ihrer Majestät aus der Perspektive betrachtet, dass es sich dabei um einen 007-Film mit der klassischen Bond-Formel handelt, wird man von den Filmemachern sehr lange bewusst hadern gelassen. Bond hat keine klare Mission, will sogar bei MI-6 kündigen und auch der Beziehung zwischen ihm und Tracy lässt Hunt viel Raum zum Atmen, ohne direkt eine Deutung zu forcieren, wer von den Beiden aktiv hinter dem Anderen her ist. Die typischen Elemente der Filmreihe sind allesamt vorhanden, wohl aber in gedrosselter und dramatischer Form. Bond flirtet nicht überzeichnet mit Moneypenny, sondern behandelt sie würdevoll, das übliche Gezeter mit M ist giftiger, ... Sogar der eröffnende Barrel-Shot zeigt Bond, wie er zu Knien geht, was eine wundervolle, subtile Vorausdeutung für die generelle Stimmung des Films darstellt.

Sobald sich langsam der geheimnisvolle Plan Blofelds entfaltet, der wegen eines überzogenes Hypnoseelement nicht völlig frei des Bond-Irrsinns ist, positioniert sich Im Geheimdienst Ihrer Majestät gleichwohl als kerniger Agentenactionfilm. Ein erbittertes Mann-gegen-Mann-Duell in einer Kanzlei übertrifft den Eröffnungskampf in Sachen Härte und spürbarer Wucht, der ausführliche Schlussakt in den Schweizer Alpen wiederum ist gepackt mit aufregenden Verfolgungsjagden, die durch imposante Aufnahmen der Alpen, ein Minimum an schlecht gealterten Effekten und dank einer engen Bindung zu den Figuren zu den besten der Bond-Reihe gehören. Der Humor dagegen ist in Im Geheimdienst Ihrer Majestät stark zurückgefahren, obwohl die Mitte des Films bei der sehr gemächlichen Erzählweise etwas Auflockerung vertragen hätte. Die wenigen Gags sitzen dafür aber, etwa wenn sich Bond mit staubtrockenen Kommentaren als an Frauen desinteressiert ausgibt, er ausnahmsweise derjenige ist, der dreist angegraben wird oder Bond einen Bernhardiner befielt, nicht weiter rumzutollen, sondern endlich den Alkohol zu bringen. Umstritten unter Bond-Fans bleibt dagegen die bisher einzige, unverblümte Illusionsbrechung zu Beginn des Films. Da man Lazenbys Kommentar "This never happened to the other fellow!" jedoch auch werkimmanent als Anspielung auf Aschenputtel verstehen kann und ein Kommentar auf die erste Bond-Umbesetzung unvermeidlich ist, finde ich diesen Spruch ganz passend.

Womit sich Im Geheimdienst Ihrer Majestät weiter vor den restlichen Bonds (zumindest der Pre-Craig-Ära) hervorhebt, ist die schauspielerische Stärke des zentralen Bondgirls Tracy di Vicenzo, gespielt von Fernsehstar Diana Rigg. Rigg erhält die Gelegenheit, eine verletzliche, gebrochene Seele zu spielen, die trotzdem nicht ins übliche Bond-Beuteschema fällt, sondern noch immer in Notsituationen auf sich selbst aufpassen kann. Lazenby wird von ihr regelrecht an den Rand gespielt, was allerdings nicht arg so negativ aufzufassen ist, wie es zunächst klingt. Denn auch wenn seine Darbietung als Bond längst nicht so denkwürdig ist wie die des Charmebolzens Sean Connery, so steht seine natürliche, vorsichtige Art voll im Dienste dieser dramatischen, charaktergestragenen Agentengeschichte. Und auch wenn Connery insgesamt der überzeugendere Darsteller ist, so könnte ich mir den letzten Akt dieses Films mit ihm nie so mitnehmend vorstellen wie unter dem "Jedermann" Lazenby.

Auch wenn Im Geheimdienst Ihrer Majestät aufgrund seiner wiederkehrenden Thematik der Risse hinter der Fassade von Gut und Böse und mit seiner verletzlichen Liebesgeschichte (die leichte Anleihen zu Shakespeares Widerspenstigen Zähmung aufweist) wohl gleichauf mit dem "Hitchcock-Bond" Liebesgrüße aus Moskau das dichteste Skript aufweist, zeigt es vereinzelte Mäkel, die den Gesamteindruck trüben. Dass der freundlichere, romantischere Lazenby-Bond dennoch feiste Ohrfeigen verteilt oder sich durch ein ganzes Skiressort voll Frauen schläft, riecht nach faulen, hier fehlplatzierten Überbleibseln aus der Connery-Ära. Mit vereinzelten Anspielungen auf die ersten Filme, so summt ein kleinwüchsiger Hausmeister das Goldfinger-Leitthema, komme ich dagegen besser klar, da sie diesem bodenständigeren Film durch diese Verweise auf das Bond-Erbe ein Gefühl der Grandeur geben, ohne von der Handlung abzulenken.

Schlussendlich definiert sich Im Geheimdienst Ihrer Majestät aber am meisten durch das Finale, das mit simplen Mitteln sehr ikonische Momente kreiert. Leider nahm das damalige Kinopublikum den Schlussakt des Films, sowie den ersten Darstellerwechsel der Bondreihe, nicht so gut auf, wie die Produzenten erwarteten. Zwar ist es nicht mehr als bloß ein Mythos, dass diese Produktion an den Kinokassen scheiterte (in den USA stellte Im Geheimdienst Ihrer Majestät mehrere Startrekorde auf, im Vereinigten Königreich wurde er der erfolgreichste Film des Jahres, in Deutschland brachte er es auf rund vier Millionen gelöste Tickets), allerdings stimmt es, dass dieser Bond-Einsatz kommerziell weit hinter Man lebt nur zweimal zurück blieb. Deshalb zogen die Produzenten die Notbremse und kehrten für den nächsten Leinwandeinsatz des britischen Spitzenagenten zu Connery und einem weniger gefühlvollen Tonfall zurück. Als der einzige Film mit einem One-Bond-Wonder geriet Im Geheimdienst Ihrer Majestät beim breiten Publikum in Vergessenheit und viele geben ihm nicht einmal eine Chance, weil sie sich denken, dass der Film einfach nicht gut sein kann, wenn ja nur der "Lückenbüßer" für Connery mitspielt. Die Produzenten und die EON-Studioleitung dagegen feiern Im Geheimdienst Ihrer Majestät als ihr Magnum Opus und Meisterregisseur Christopher Nolan würdigt ihn als einen seiner größten Einflüsse auf sein Blockbusterschaffen.

Mittlerweile erlebt Im Geheimdienst Ihrer Majestät dank ihn preisender Filmkritiker eine Renaissance, und ich kann mich nur in diesen Chor einreihen: Ambitionierter, menschlicher und dramatischer konnte man Bond (vielleicht abseits von Skyfall) nie mehr sehen. Es ist vielleicht nicht der spaßigste Bond-Film, wohl aber eine der auch ohne 007-Bonus stärksten Geschichten des Franchises.