Einem stillen Kurzfilm haben wir es zu verdanken, dass wir uns der bestmöglichen, die Vorteile beider Welten vereinenden Antwort nähern: Beides! Und dazu brauchte es nicht mehr als Glen Keanes ungewöhnliche Beratertätigkeit bei Rapunzel und einen einsamen Computeranimator mit nostalgischem Kunstgeschmack ...
Paperman – oder: Wie Disney seine Liebe zur unperfekten Linie wiederfand
Im Februar 2012 wurden erste Meldungen bekannt, dass die Walt Disney Animation Studios, die sich ihren kurzen Werken längst nicht so verschrieben fühlt wie die konstant an kleinen Geschichten arbeitenden Pixar Animation Studios, wieder einen Kurzfilm in Produktion haben. Anders als bei den in der Versenkung verschwundenen Glago's Guest und Tick Tock Tale wollte bei diesem am 15. März 2012 fertiggestellten Kurzfilm die Onlineberichterstattung nicht abreißen. Nachdem Disney Paperman zwei Wochen nach Produktionsschluss im Rahmen seiner "Inspire Days" aufstrebenden Junganimatoren zeigte, erlangte er selbst ohne Kinoveröffentlichung einen Bekanntheitsgrad innerhalb der Branche und bei Trickfans, von dem andere Disney-Cartoons nur träumen können. Der Grund dafür: Paperman wurde nahezu einhellig als möglicher Wegbereiter für eine aufregende Animationsfilm-Zukunft betrachtet. Mit jeder Sondervorführung wurden die Lobeshymnen lauter und anders als bei den meisten Kurzfilmen, die in jüngster Vergangenheit von den Walt Disney Animation Studios produziert wurden, war somit eine baldige, offizielle Veröffentlichung abgemachte Sache. Paperman (oder Im Flug erobert, wie der deutsche Titel lautet) begleitete Disneys 52. Meisterwerk Ralph reicht's als Vorfilm und wirbelte so auch bei zahlreichen "normalen" Kinogängern Staub auf. "Kommt in dem Stil auch ein Langfilm?", so lautete die wohl meistgestellte Frage, mit denen sich die Disney-Studios 2012 konfrontiert sah.
Aber ehe wir in die Zukunft blicken können, müssen wir einen Blick zurück werfen: Noch ehe die Idee zu einer technologischen Revolution entstand, fasste Regisseur John Kahrs den Wunsch über einen Kurzfilm, in dem das Schicksal zwei Menschen, die sich auf dem ersten Blick sympathisch waren und im Normalfall nie wieder begegnen würden, wieder zueinander führt. Die Idee entstand noch während in New York City lebte und bei den Blue Sky Studios arbeitete. Der Single in seinen 20ern kam nicht dazu, ein wildes New-Yorker-Junggesellendasein zu führen und entwickelte sich eher zu einem melancholischen Einzelgänger. Daher resultierte auch der Schwarz-Weiß-Look des Films, der die Isolation, die er damals in New York verspürte, unterstreichen sollte und wodurch er die Wolkenkratzer im Film mittels sehr selektiven Schattenwurf zu Kratern hinausstilisieren wollte, die sich zwischen den Menschen auftun.
"Ab und zu knüpfte ich eine flüchtige Bindung zu jemandem, machte Augenkontakt zu wen an der Grand Central Station und kam ins Grübeln. 'Ist dies das Mädchen meiner Träume?' ... Und schon war sie verschwunden", erklärt Kahrs die Genese von Paperman weitergehend. In diesem Kurzfilm sollte eben diese flüchtige Sympathie zwischen zwei Menschen weiterverfolgt werden. Ursprünglich sogar mittels des personifizierten Schicksals: Im anfänglichen Entwurf des Kurzfilms sollte das herumliegende Papier in einer Gasse sich zu einer Heldenfigur formen, die durch die Stadt fliegt und die zwei füreinander bestimmten Seelen zusammenbringen, ehe er sich in Luft auflöste. Der Vorschlag stieß allerdings auf vehementes Unverständnis, weshalb Kahrs den (weiterhin titelgebenden) Paperman rigoros aus der Story strich, nachdem das Projekt ernstzunehmende Züge annahm.
Bis dahin war es jedoch ein weiter Weg. Kahrs schlug den Film erstmals vor, als er Anfang der 00er-Jahre bei den Pixar Animation Studios angestellt war, wo Paperman aber noch keine Gegenliebe von dem das Studio leitenden Trickfilm-Guru John Lasseter erhielt.
Vorab entstandene Farbstudie zu Paperman
Ein Windhauch von Schicksal
Dass Paperman letztlich sehr wohl Gestalt annahm, ist auch ein wenig dem Zufall zu verdanken: Nachdem die Arbeit an Rapunzel beendet wurde, war Ralph reicht's der nächste computeranimierte Langfilm der Walt Disney Animation Studios noch nicht bereit, in Produktion zu gehen, weshalb die Studioleitung nach einem Kurzfilmprojekt suchte, das wenigstens einem Teil der Animationscrew eine Beschäftigung sichert und im Idealfall die Technologie vorantreibt. John Kahrs, der mittlerweile zu Disney wechselte und an Rapunzel mitwirkte, nutzte die Gelegenheit und schlug vor, Zeichentrick-Technik und Computeranimationstechnologien zu verschmelzen. Die Idee dazu kam ihm dank Glen Keane, ursprünglich Regisseur von Rapunzel und auch nach seinem Rücktritt vom Regiestuhl als visueller Berater eine Schlüsselperson im Produktionsprozess zu Disneys 50. Meisterwerk.
Glen Keane wollte in Rapunzel der computergenerierten Umgebung etwas von der weichen Textur eines Gemäldes verleihen und sichergehen, dass die Figurenanimation die Dynamik eines gelungenen Zeichentrickfilms aufweist. Um den Computeranimatoren Feedback zu geben, ließ Keane eine neue Software erstellen, mit der er mit einem Stift bei der Sichtung der Computeranimationsdailys über die CG-Modelle zeichnen konnte, um dann mittels Skizzen auszudrücken, was den Modellen fehlt oder was Keane anders animieren würde. Schon damals träumte Keane, einen Weg zu finden, die Zeichnung zu würdigen und ungesäubert auf die Leinwand zu bringen. "Eine gezeichnete Linie ist für mich wie der Seismograph eines Erdbebens, der ein Gefühl misst. Und wenn man sie bereinigt, nimmt man vieles des Gefühls weg."
In Kahrs fand Keane einen Gleichgesinnten, der Keanes charismatischen, ausdrucksstarken Zeichnungen bewunderte und anfing davon zu träumen, diese Skizzen mit den CG-Modellen zu verschmelzen. Diese Hoffnung drückte Kahrs bei seinem Vorschlag, Paperman als Lückenbüßer zwischen Rapunzel und Ralph reicht's in Angriff zu nehmen, aus und endlich mit voller Macht die Ehe zweier Trickmedien zu verfolgen. Dies traf einen Nerv bei Disney-Produzentin Kristina Reed, die zu dieser Zeit Disneys Lage im Trickfilmsektor eher besorgt aufnahm. Mit Zeichentrickfilmen wie Küss den Frosch und Winnie Puuh und CG-Projekten wie Bolt und Rapunzel fuhr Disney zweigleisig, ohne aber wirkliche Dominanz im Trickmedium auszustrahlen. Außerdem erwies es sich als schwierig, die Produktionsphasen der Filme so abzustimmen, dass beide Medien gleichberechtigt behandelt werden. Reed warb studiointern deswegen dafür, einen Weg zu finden, statt zwei Wege zu beschreiten, beide Wege zusammenzuführen. Und so fand Paperman seine Produzentin und war bereit, in die aktive Produktionsphase zu wechseln.
Anfangs sah das Vorhaben aber kaum erfüllbar aus. Produktionsdesigner Jeff Turley und der leitende Animator Patrick Osbourne experimentierten mit bereits vorhandenen Techniken, unter anderem mit Maya, stießen allerdings rasch an technologische Grenzen.
Zufällig experimentierte derweil auch der junge Programmierer Brian Whited unter Zuhilfenahme des Disney-Animators Eric Daniels mit neuen Arbeitswerkzeugen, die sich in dieser Hinsicht nutzen ließen. Die Paperman-Crew sprach das Duo auf ihr Vorhaben an und überzeugte sie, das Programm weiterzuverfolgen und den Bedürfnissen des Kurzfilms anzupassen. All dies schaukelte sich einander hoch und so entstand schlussendlich ein vektorbasiertes Programm, das Kahrs und Keanes Wünsche nicht nur erfüllte, sondern sogar übertraf.
Das Beste aus beiden Welten
Erzählt man jemandem, der Paperman nicht gesehen hat, dass es sich dabei um einen computeranimierten Kurzfilm handelt, der den Look eines Zeichentrickfilms imitiert, so erntet man häufig folgende Reaktion: "Aha, es ist also einfach nur ein neues Cel-Shading-Verfahren?" Doch in Paperman werden die computergenerierten Objekte nicht einfach mit wenigen, krassen Schattenverläufen beleuchtet, so dass sie "flach" aussehen. Diese mehr Kontinuität als klassischer Zeichentrick erlaubende Technologie, die allerdings durch das simple Rendering steril wirkt, kennt man beispielsweise aus dem Simpsons-Kinofilm, Spirit: Der wilde Mustang oder Videospielen wie The Legend of Zelda: Wind Waker, auch die Gnus aus Der König der Löwen sind CG-Elemente, die so gerendert wurden, dass sie dimensionsärmer erscheinen.
Viel eher steht die in Paperman verwendete "Final Line Advection"-Technologie, die mittels des Programms Meander umgesetzt wurde, in der Tradition zweier gleichermaßen verwandter wie höchst unterschiedlicher Disney-Techniken: der Deep Canvas und dem Xerox-Prozess.
Die Deep Canvas ist eine in der Produktion von Tarzan und Der Schatzplanet verwendete Technologie, die es ermöglichte, die satten Dschungelwelten und komplexen Weltraumbilder dieser Filme zu erzeugen. Simplifiziert gesagt, erlaubte es die Deep Canvas den Zeichenkünstlern, in einer dreidimensionalen Welt von Hand Pinselstriche durchzuführen. So wurde die Kamerafahrt während Tarzans Baumsurferei vorab programmiert, daraufhin wurden von Hand die Oberflächen der Hintergrundbilder auf ein CG-Modell gemalt.
Quelle: Andreas Deja |
Das Hauptproblem, das viele Rezipienten der Xerox-Filme beim Genuss der fertigen Werke haben, ist die "unsaubere" Wirkung, die die Animation aufgrund des Kontinuitätsmangels hat. Jedes Einzelbild ist dank seiner Imperfektion und Charakteristik umwerfend, in Bewegung empfinden viele Zuschauer diese Elemente aber irritierend, weil Hilfslinien auftauchen und wieder verschwinden und die Figuren nicht durchgehend "on model" sind.
Meander verbindet die Idee, auf einer CG-Oberfläche zu malen, mit der Würdigung, die Xerox dem Bleistiftstrich des Künstlers entgegen brachte: Zunächst generieren Computeranimationskünstler ein CG-Modell, wie es auch bei klassischen Computeranimationsfilmen wie Rapunzel oder Die Unglaublichen genutzt wird. Dieses Figurenmodell wird unter sehr hohem Kontrast gerendert und anschließend zeichnen klassische Trickkünstler mittels Zeichentabletts (bei Paperman wurden Cintiqs verwendet, auf die mitunter dickes, grobes, braunes Packpapier gelegt wurde, um ein anderes Zeichengefühl zu gewährleisten und die Ergebnisse etwas gröber zu gestalten) 2D-Linien auf diese Modells. Mittels dieser von Hand gezeichneten Linien verleihen die Zeichner den CG-Modellen von den Figuren und ihrer Umwelt ihr endgültiges Aussehen und den persönlicheren Ausdruck. Das vektorbasierte Programm erlaubt es, die Zeichnungen auszubessern, vor allem aber lässt es die Striche an den Modellen "haften" und übernimmt das "In-Betweening" zwischen den Kernmomenten einer jeden Bewegung. Wie der Prozess in der Praxis aussieht, zeigt dieses Video von Entertainment Weekly.
Das Ergebnis vereint die handgemachte Dynamik sowie urbane Ausdruckskraft und den imperfekten Charme traditionellen Zeichentricks mit der Stabilität sowie Subtilität und der Tiefenwirkung von Computeranimation. Wie bei Xerox wird der Bleistiftstrich des Künstlers gefeiert, doch die laufenden Bilder laufen nicht mehr Gefahr, durch variierende Strichstärke und -länge irritierend unsauber zu sein, dennoch behalten die Zeichnungen ihre ungeschliffene Natürlichkeit bei. Außerdem sind in Meander verschiedene Zeichentools (teils nach Künstlern benannt), die verschiedene Striche imitieren: Mit dem Glen-Keane-Stil zeichnet man sehr kräftig, legt viel von der groben Beschaffenheit des (virtuellen) Bleistifts in die Zeichnung und macht dickere Linien als mit Option Shioon Kim, die saubere, klare, schwarze Linien ermöglicht, die eher der Kalligraphie entsprungen scheinen. So müssen Animatoren nicht mehr völlig verzweifelt den Stil eines anderen imitieren, wie etwa noch jene, die neben Milt Kahl in 101 Dalmatiner Cruella zeichneten und seine Skizzenhaftigkeit nachzuahmen versuchten.
Der Animationsprozess von Paperman bestand nicht einfach aus "CG-Animation, dann 'drüberkritzeln'", sondern verlangte ein regelmäßiges Hin und Her zwischen beiden Künstlerseiten, da teils auch die Computeranimation an die schwungvolleren Zeichnungen und dann wieder die Zeichnungen an die volumenreichere CG-Animation angepasst wurden. Als konkretes Beispiel ist etwa die Bewegung von Megs Frisur genannt, bei der mehrmals die vom Computer berechnete Simulation keinen Anklang fand und von Hand ausgebessert wurde.
Während innerhalb der Trickbranche und gegenüber Animationsliebhabern die Faszination hinter Meander-Technik darin liegt, dass eine völlig neue Fusion aus zwei bislang gerne als "Konkurrenten" betrachteten Medien entstand und gänzlich neue Bilder möglich sind, wollte John Kahrs beim normalen Publikum folgendes erzeugen: "Ich strebte nach zwei Dingen. Wir sollten das Publikum völlig verwirren und es gleichzeitig dazu bringen, es vollauf zu akzeptieren. Wenn man [Paperman] sieht, ist es richtig schwer, zu sagen, ob es Computeranimation oder Zeichentrick ist. Aber es ist eine visuell leicht zu genießende Technik", erklärte der Regisseur gegenüber Indiewire.
Das Design und Glen Keanes Bleistriftstrich
Das Design des Kurzfilms entwuchs aus beiden Hintergrundgedanken, die zu seiner Produktion führten und berücksichtigt sowohl die Idee einer realen Zufallsbegegnung, die sich zu etwas Magischem entwickelt, als auch Kahrs' Bestreben, mittels einer Vereinigung moderner und klassischer Technologien den Bleistiftstrich der Trickkünstler wieder in den Blick der Zuschauer zu rücken.
Kahrs' Ziel beim Entwurf der Hauptfiguren Meg und George war es, sie nicht wie die üblichen Disney-Prinzen und -Prinzessinnen übermenschlich schön darzustellen. George sollte ein bescheidener, ansprechender Jedermann sein, mit freundlichem Aussehen und einer großen Nase als markantem Gesichtszug, der ihm steht, aber nicht zu einem Model machen würde. Kahrs' Inspirationen waren Adrien Brody, der junge Anthony Perkins und Roger aus 101 Dalmatiner, wie Kahrs allerdings betont, verliehen ihm die Produktionskünstler bis zum finalen Design weitere Einflüsse, die er nicht allesamt kennt. Das Design Megs orientierte sich daraufhin an George, denn sie sollte begehrenswert, "aber nicht zu schön sein", weil man sonst denken würde, sie wäre außerhalb seiner Reichweite. Es ist ein altbekanntes Disney-Problem, so musste damals Aladdin an das finale Design Jasmins angepasst werden, weil sonst die Romanze unglaubwürdig erschien. Im Falle Paperman stünde zu befürchten, dass Georges Versuche, seine Zufallsbekanntschaft näher kennenzulernen, wie Stalking erscheinen. Stattdessen war es bedeutsam, eine Bindung zwischen ihnen schon rein visuell zu etablieren: "Wenn man sie zum ersten Mal gemeinsam in einer Einstellung sieht, soll man verstehen, dass sie sich zum ersten Mal begegnen, doch man soll auch fühlen, dass sie vielleicht schon ein Paar sind", erläuterte Kahrs gegenüber Entertainment Weekly.
Bedeutsamen Einfluss auf den Look des Films hatte Glen Keane, dessen Beitrag zu Paperman sozusagen zu seinem Abschiedsgeschenk für die Walt Disney Animation Studios war, bevor er sie verließ. Keane, dessen Streben nach einer Verschmelzung der Vorteile des Zeichentrick- und Computeranimationsmediums Paperman erst möglich machten, war von Beginn an in den Produktionsprozess involviert und gemeinsam mit dem Figurengestalter Shiyoon Kim drückte er nicht nur Meg seinen unverkennbaren Stempel auf (Megs zarten Gesichtszüge und großen Augen schreien geradezu "Glen-Keane-Mädel") – Keane hatte vor allem stets einen Blick darauf, dass die Figuren nicht nur auf dem Papier gut aussehen, sondern sich das Design auch in drei Dimensionen übertragen lässt. Bei diesem Prozess war Keanes jahrzehntelange Erfahrung mit Figurendesign hilfreich sowie sein natürliches Gespür für vom Papier in drei Dimensionen übertragbare Zeichnungen – Keane gehörte zu den Disney-Chefzeichnern, deren Ideen für das Sculpturing Departement leicht umsetzbar waren und nun schliff er die Figuren für die Darstellung im Computer zurecht. Keane und Kim achteten etwa darauf, dass solche Details wie die Größe von Megs Oberlippe auch in 3D den erwünschten Ausdruck behielten und sie verliehen Megs Auftreten und Bewegungen "einen Hauch leicht nerdiger Geekiness". Die von Paperman erstrebte Zelebrierung der handgezeichneten Linie wird wiederum etwa durch Megs ins Gesicht fallende Haarsträhne erreicht – die Linie macht Megs Erscheinung nicht nur süßer und nahbarer, sondern sie ist als ein schroffer, klar handgemachter und nie ganz einheitlicher Strich auch ein Testament für die Faszination der inperfekten Handarbeit eines Zeichenkünstlers. Patrick Osbourne übernahm die leitende Animation und überwachte, dass die liebevoll gestalteten Figuren auch in Bewegung überzeugen.
Bildquelle: Archives.gov |
Zudem achteten er und Kahrs auf den sehr selektiven Einsatz digitaler Beleuchtung und die starken Kontrastlinien zwischen Meg und George. Während George anfangs in von Kanten und Schatten dominierten Hintergründen (sowie auf der linken Bildhälfte) auftritt, lebt Meg rechtsseitig in der lichteren, offeneren Seite der visuellen Welt des Cartoons. Als Inspiration dienten die New-York-Fotografien der Work Projects Administration aus den 30ern und 40ern, die stark mit dem Kontrast von Licht und Schatten spielen und in denen die mächtige Präsenz der Hochhäuser eindrucksvoll zur Geltung kommt.
Der Sound: Ein sanftes Säuseln
Auf Basis dessen, dass Paperman von zwei Fremden berichtet, die eine Distanz überwinden müssen, um sich kennenzulernen, stand stets außer Frage, dass dieser Kurzfilm ohne Dialoge auskommen soll. Umso bedeutsamer war eine stimmige, atmosphärische Arbeit mit Toneffekten, für die extra Laurent Kossayan, der Tonkünstler hinter Die fabelhafte Welt der Amélie, engagiert wurde. Kossayan nutzte für die zahlreichen Papier-Faltgeräusche, -Fluggeräusche und -Knüllgeräusche eine schier endlose Auswahl von Papier unterschiedlicher Größe, Qualität und Festigkeit. In seinem Tonstudio griff er auf Schreibpapier, diverse Papierverpackungen vom US-Partyzubehörhersteller Party City und vor allem auch verschiedene Arten von Sandpapier, das aufgrund seiner stärkeren Resonanz und der tieferen von ihm erzeugten Tonhöhe deutlicher zu erkennende, griffigere Geräusche macht. Zunächst plante Kahrs, den Film durchweg mittels der Geräusche zu erzählen und der Musik eine sekundäre Rolle zukommen zu lassen, aber letztlich wich er davon ab: Von dem Moment an, an dem die Papierflugzeuge eine lebendigere Aufgabe im Film übernehmen, werden die Soundeffekte zurückgefahren und es ist die Musik, die den Kurzfilm vorantreibt und so unterstreicht, dass er vom Mondänen ins Magische transzendiert. Um die Wirkung der Hintergrundmusik zu verstärken, fand die finale Animation erst statt, nachdem Becks Musik feststand, so dass die Animation auf die Melodie abestimmt werden konnte.
Geschrieben wurde die Musik von Christophe Beck (hier könnt ihr in den Score reinhören), dem Komponisten von Buffy – Im Bann der Dämonen, Hangover und der Instrumentalmusik in Die Muppets. Becks Einsatz beruhte auf dem Vorschlag eines Sound Editors aus den Disney-Trickstudios, der die Storyboard-Reel des Films mit Beck-Archivmaterial unterlegte.
Paperman-Konzeptbild
Mehr als ein laues Lüftchen
Spätestens seit seiner Aufführung im Rahmen der "Inspire Days!" genießt Paperman einen kaum dagewesenen Wirbel, an dem sich nur wenige Disney-Kurzfilme messen können. Nicht nur disneyintern, in der gesamten US-Trickbranche findet er aufgrund seiner neuartigen Technik enorme Achtung und seit Paperman als Vorfilm zu Ralph reicht's anlief, generiert er auch großes Interesse beim normalen Publikum, wie die über eine Million YouTube-Klicks innerhalb weniger Tage zeigten (das offizielle Video wurde kurz vor den Academy Awards runtergenommen). Die Gerüchte, dass der nächste Langfilm von Ron Clements und John Musker, den Regisseuren von Arielle, die Meerjungfrau und Der Schatzplanet, sich die Erkenntnisse aus der Paperman-Produktion zu Gunsten macht, brechen nicht ab, und John Kahrs arbeitet an einem Kurzfilm, der austestet, wie die Meander-Technologie in Farbe wirkt.
Zudem gewann Paperman als erster Kurzfilm aus den Walt Disney Animation Studios seit It's Tough to be a Bird von 1969 den Oscar für den besten animierten Kurzfilm. Zur Feier warf Produzentin Kristina Reed Papierflieger mit Lippenstift-Kussmund ins Auditorium des Dolby Theatres ... und flog kurzerhand wegen Unruhestiftung raus. Zwar nur für zehn Minuten, trotzdem eine amüsante Anekdote.
Das Erbe von Paperman wird aus Disneys System so schnell nicht rausfliegen. Ob Meander wie Deep Canvas nach kurzem Hoch urplötzlich verschwinden wird, ehe so ein Magnum Opus enstehen kann wie damals mit dem geplanten CG/Zeichentrick-Hybriden My People oder ob vielleicht sogar mehrere Filme voll aus den Möglichkeiten schröpfen werden, ist natürlich nicht vorherzusagen. Aber die nächsten Jahre über wird Paperman seine Präsenz spüren lassen. Und ich bin außerordentlich gespannt, wohin das Schicksal das Trickmedium noch hinwehen wird ...
2 Kommentare:
Ah, interessant, die Hintergründe zu erfahren!
Denn ich muss gestehen, es quält mich doch ziemlich, dass dieser stilistisch großartig, göttlich, geniale Film nach etwa zwei höchst ergreifenden Dritteln zu einem billigen "Magie macht alles gut"-Ende greift. Ein vollständiger Papiermensch, der das in die Hand nimmt, wäre da meines Erachtens wohl tatsächlich die bessere Lösung gewesen. Auch das wäre natürlich vom bisherigen Realismus abgewichen, aber das wäre dann wieder eine ausreichend große Kelle Fantasy gewesen, dass es als ein kompletter Richtungswechsel erschienen wäre, statt nur wie eine einfache Abkürzung, wie jetzt.
Ich hoffe doch stark, dass Disney sich in den nächsten Jahren für seine Meisterwerke auf dieses Medium stützen wird.
Wenn ich schon keine traditionelle Handanimation mehr erwarten darf, dann wenigstens eine Methode, die dieser auf eine schöne Art sehr nahe kommt.
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