Doch dieses
sechste Kapitel schreibt eine ganz andere Geschichte des Konzerns, der nach
außen seine glorreichsten Zeiten seit Walt Disney erlebt. Doch innen tobt seit
längerer Zeit schon ein Kampf zwischen CEO Michael Eisner und Filmstudio-Chef
Jeffrey Katzenberg (siehe Kapitel 3 des Lesetagebuchs), der bisher in positive
Energien umgewandelt werden konnte. Katzenberg und Eisner standen lange Zeit in
einem fairen Wettbewerb, der positive Energien freisetzte. Zuletzt aber
unterschieden sich die Meinungen zur strategischen Ausrichtung eklatant, wie
das Katzenberg-Manifest veranschaulichte. Die bisher positiven Energien verwandelten
sich in destruktive – und Katzenberg spielte mit dem Gedanken, das Unternehmen
zu verlassen. Eisner wusste aber um die Kompetenzen seines Mannes, hielt ihm
bei Disney, allerdings nur mit folgendem Versprechen: „Natürlich, wenn Frank [Wells,
der Präsident von Disney, Anm.]aus irgendwelchen Gründen nicht mehr da ist […],
dann bist du die Nummer zwei, und dann möchte ich, dass du den Job machst.“
Frank Wells
starb bei einem Hubschrauber-Unfall am 3. April 1994. Die Situation eines
vakanten Präsidentenpostens war viel schneller eingetreten, als Katzenberg und
Eisner es sich wohl je erträumt hätten. Das Buch „DisneyWar“ führt es zwar
nicht detailliert aus, aber offensichtlich ist, dass Eisner sich nun in einer
Zwickmühle befand: Einerseits hatte er Katzenberg den Posten versprochen und
hatte auch keinen wirklich geeigneten anderen
Quelle: disneydetail.me |
Kandidaten, andererseits
verabscheute er Katzenberg und fürchtete wohl innerlich auch um sein Amt in
ferner Zukunft. Letzteres wird in „DisneyWar“ mit keiner Silbe erwähnt – ich
aber denke, dass dieser Punkt eine entscheidende Rolle bei der
Nachfolgeregelung gespielt hat. Eisner war mit den wortwörtlich wahnsinnigen
Ambitionen von Katzenberg vertraut, führte beispielsweise in Briefen aus, dass
er schon einen Tag nach Wells‘ Tod auf den Präsidentenposten zu sprechen kam.
Eisner warf Katzenberg quasi Pietätlosigkeit vor – ob aus ehrlichen Gefühlen
heraus oder aus einem Vorwand, um Katzenberg in ein schlechtes Licht zu rücken,
kann nicht beurteilt werden. Ob bewusst oder unbewusst: Eisner scheute sich vor
der Vorstellung, Katzenberg zur Nummer zwei im Unternehmen zu machen. Nicht nur
wegen dessen Ambitionen, sondern auch wegen seiner großen Erfolge im
Filmgeschäft, die den narzisstischen Charakter Eisner neidisch machten.
So kam es also nicht überraschend, dass Eisner von seinem einstigen Versprechen nichts mehr wusste und sich selbst ohne ein Zögern zum Präsidenten der Disney Company machte –zunächst übergangsweise. Damit war das Board of Directors auch insofern einverstanden, als Eisner deutlich bessere Kontakte dort hatte und Katzenberg im Board keine Macht besaß. Besonders das Verhältnis zum einflussreichen Roy Disney war unterkühlt. Katzenberg wahrte das Gesicht und gab sich mit dieser Lösung nach außen zufrieden – innerlich soll er zerstört gewesen sein, wie Autor James Stewart beschreibt. Weniger das verlorene Präsidentenamt sollen ihn enttäuscht haben, sondern eher die Art und Weise des Umgangs mit ihm: Er wurde bei allen Entscheidungen übergangen, nicht eingeweiht. Eisner ignorierte ihn, diskutierte nicht einmal über die Nachfolge von Wells.
Man wird nicht
ganz schlau aus all den Konflikten, die Stewart in diesem Kapitel beschreibt.
Gesicherte, wirklich wahrheitsgemäße Informationen ergeben sich meiner Meinung
nach nur aus den vielen Briefen, die Eisner damals an seinen Vertrauten Irwin
Russell geschrieben hat (und die Stewart ausführlich zitiert). Andere Informationen
hat der Autor oft durch seine Interviews mit den Beteiligten erfahren, die
dementsprechend durchaus zu hinterfragen sind. Auffallend ist, dass sehr viel
über Katzenbergs vermeintliche Inkompetenz und seine menschlichen Schwächen
geschrieben wird, allerdings sehr wenig über Eisners eigenen Charakter. Ein
großer Teil der Berichte zu diesem Zeitraum ab 1994 ist zwangsweise aus der
Sicht Eisners dokumentiert, weil kaum andere gesicherte Informationen vorlagen.
Karikatur von Jeffrey Katzenberg |
Dementsprechend
unklar scheint, wer hier nun der wirklich unfaire Spieler ist – ob Eisner oder
Katzenberg. Beide sehen sich in der Opferrolle und für beide gibt es auch
stichhaltige Argumente, doch wer letztlich die Schuld für das endgültige
Zerwürfnis trägt, muss jeder Leser für sich selbst beantworten. Produzent Thomas
Schumacher drückte die Ambivalenz des Charakterkopfes Katzenberg genial aus: „Jeffrey
ist Schäferhund und Wolf. Als Schäferhund bewacht er uns, und als Wolf jagt er
uns.“ Ähnliche Assoziationen ließen sich auch für Eisner finden, der einerseits
das Wohl des Unternehmens und seiner Mitarbeiter im Blick hat, andererseits
alles tut, um die unangefochtene Nummer eins zu bleiben.
Trotz aller
öffentlicher Freundschafts- und Treuebekundungen riecht Hollywood die großen
Spannungen, die bei Disney herrschen. Am 20. Juli 1994 veröffentlicht die „New
York Times“ einen größeren Artikel über das Thema und rückt es damit ins Licht
der Medien. Eisner vermutete, dass Katzenberg den Text lanciert hatte; dieser
leugnete es vehement. Vier Tage später folgt ein Artikel in der „L.A. Times“
mit Statements von Eisner, die die Sache herunterspielen sollten. Er selbst
hatte kurz zuvor eine Notoperation am offenen Herzen überstanden und sollte
sich nun vom Stress befreien – ein Zeichen für Eisner, den Konflikt mit
Katzenberg endgültig zu lösen, wie auch immer.
Zunächst hoffte noch auf eine gütliche Lösung und stellte Katzenberg nun doch den Präsidentenposten in Aussicht, da er selbst nach seiner Operation kürzer treten musste und ohnehin keinen wirklich geeigneten Nachfolger abseits von Katzenberg fand. Doch der Burgfrieden währte nicht lange; das bereits oben angedeutete endgültige Zerwürfnis lässt sich meiner Meinung nach an einer vermeintlichen Lappalie festmachen: Im Sommer 1994 gingen die Arbeiten am Trickfilm „Pocahontas“ voran und Eisner bestand darauf, dass seine Änderungsvorschläge endlich umgesetzt werden. Katzenberg tat die Vorschläge als „Peanuts“ ab und versprach, sich darum zu kümmern. Eisner jedoch kommunizierte nun hinter seinem Rücken mit Trickfilm-Chef Peter Schneider, was Katzenberg schnell mitbekam. Dieser feindete Eisner nun offen und ohne Rücksicht an, sprach von einem großen Vertrauensverlust. Damit war das Tischtuch meiner Meinung nach endgültig zerschnitten, die Chance auf eine gütliche Lösung beigelegt. Disney-Großinvestor Sid Bass riet Eisner daraufhin: „Heute ist Freitag, ein guter Tag, das Unternehmen zu verlassen. Ruf Jeffrey an und sag ihm, er soll gehen.“
Die Dinge
nahmen ihren Lauf, Katzenberg verließ das Unternehmen im Streit. Einerseits
wegen eines Artikels im „New Yorker“, der die Geschichte aus Katzenbergs Sicht
erzählte, andererseits wegen ausstehender Bonuszahlungen, die Eisner seinem
Widersacher nicht mehr gewähren wollte.
In diesem Jahr
1994 löste sich das zehn Jahre so erfolgreiche Triumvirat durch Wells‘ Tod und
Katzenbergs Ausscheiden quasi mit einem Schlag auf. In den folgenden Jahren
sollte Eisner sehr viel mehr Macht im Unternehmen bekommen, doch den Erfolg
dieser „Renaissance“-Jahre konnte er nicht mehr weiterführen. Verblüffend also,
wie sich die kreative Aufbruchstimmung, die riesigen Trickfilm-Erfolge wie eine
Blaupause über die internen Entwicklungen legen lassen: Nach dem
einschneidenden Jahr 1994 ließ auch der Glanz des Disney-Trickfilms wieder
nach, der phänomenale Siegeszug in Hollywood war gestoppt. Autor James Stewart
überschreibt die Jahre nach 1994 mit dem Titel „Das entzauberte Königreich“.
Mehr davon im nächsten Teil des Lesetagebuchs.
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