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Dienstag, 19. Februar 2013
Oscars 2013: Kampf der Kamera-Legenden
So sehr versnobte Nostalgiker wimmern mögen, dass nicht mehr "solche Filme wie früher gedreht werden", in einem Aspekt muss jeder, der Kino liebt, zustimmen: Wir leben in einem Goldenen Zeitalter der Kameraarbeit. Die zahlreichen verschiedenen Technologien und ein kunstvoller Umgang mit filmtechnischen Macken, die früher als Unreinheiten betrachtet wurden (Lichtbrechungen, Über- und Unterbelichtung, irrealer Schattenwurf ...) ermöglichen uns Bilder, von denen man einst nur träumen konnte. In Hollywood marschieren derzeit so viele lebende Legenden, dass es bei den Oscar-Nominierungen immer und immer schwieriger wird, überhaupt noch Raum für Neulinge zu finden.
Dieses Jahr fanden sogar ausschließlich Oscar-Veteranen Eingang ins Nominierten-Feld. Zum ersten Mal seit 1976 haben alle fünf nominierten Kameramänner bereits mindestens eine Nominierung in ihrer Vita stehen. Zwei von ihnen, Janusz Kaminski (Lincoln) und Robert Richardson (Django Unchained), haben übrigens bereits einen Goldjungen in ihrem Besitz. Ja, wir leben in einer Zeit, in der so einflussreiche Kameramänner wie Roger Deakins (dieses Jahr für Skyfall nominert), Claudio Miranda (Life of Pi) und Seamus McGarvey (Anna Karenina) noch auf ihren Oscar warten müssen, schlicht, weil immer wieder jemand anderes eine mindestens ebenso preiswürdige Leistung abgab!
Für McGarvey sehe ich dieses Jahr leider wieder Schwarz. Ich finde seine Arbeit in Anna Karenina berauschend, jedoch fürchte ich, dass viele der Abstimmungsberechtigten ein Gros der Wirkung dieses bewusst-künstlich eingefangenen Adelsliebesdramas der Ausstattung anrechnen, und nicht McGarveys cleveren Bildern. In einem parallelen Universum, in dem Anna Karenina voll einschlug und auch als bester Film nominiert wurde (und sogar ernstzunehmender Kandidat auf den Preis ist), würde ich eventuell einen Sieg vorhersehen, doch bei der Rezeption, die Joe Wrights Magnum Opus erhielt, zweifle ich an der Statuette.
Nachdem Robert Richardson vergangenes Jahr schon für Hugo Cabret gewann, denke ich nicht, dass es für Django Unchained erneut reichen wird. Ich gönne es Tarantinos Western so sehr wie eigentlich allen fünf nominierten Filmen, allerdings ist die Kameraarbeit dieser Rachefantasie die "unauffälligste" in dieser Truppe (und wenn ein Tarantino-Film visuell der unauffälligste ist, will das was über die Konkurrenz sagen!), weshalb mir ein Doppelsieg für Richardson unwahrscheinlich vorkommt.
Kaminski arbeitet in Lincoln außerordentlich viel mit natürlichem Licht und krassen Schattenwürfen, einige ausführliche Dialogszenen finden in ungewöhnlicher Dunkelheit statt, so dass man nur die Gestik sieht und die Gesichtszüge der Darsteller nur erkennt, wenn sie sich bei einer Ganzkörpergeste näher ins Licht bewegen. Diese Kammerszenen in den privaten Gemächern Lincolns sind es, die Kaminski den Oscar einbringen könnten. Doch prägen sich diese denkwürdigen Momente genügend ein, oder herrscht das "normale" Bild in den Senatssitzungen in der Erinnerung der Academy-Mitglieder vor? Denn zwei andere nominierte Filme haben noch viel mehr Momente aufzuweisen, die von ihrem Kameramann meisterlich geprägt wurden ...
Skyfall ist der visuell beeindruckendste James-Bond-Film aller Zeiten und obendrein nach Wally Pfisters The Dark Knight und The Dark Knight Rises sowie Robert Elswits Mission: Impossible - Phantom Protokoll ein einprägendes Argument für das IMAX-Format. Und, als wären dies nicht schon genügend Gründe für eine Würdigung dieses Films: Man sieht Skyfall an, dass niemand geringeres als Roger Deakins die Kamera führte. Wer, außer dieser 63-jährige Brite, schöpft solche gemäldeartige Landschaftsaufnahmen, die einen die Textur der abgebildeten Gegend spüren lassen? Kaum jemand beherrscht das Spiel mit hell illuminierenden Kerzen und tiefschwarzer Nacht, das die Casinoszene in Skyfall einleitet, wie Deakins, und die Actionszene im mit Neonblau beleuchteten, sonst stockfinsteren Hochhaus sowie das vor Nebel, Qualm und Feuer erfüllte Schottland schreien ebenfalls nach dieser lebenden Legende. Den Preis der American Society of Cinematographers sackte er sich bereits ein, doch wird der Oscar folgen? Im Gegensatz zu den meisten anderen Gewerkschaftspreisen ist der ASC Award kein verlässlicher Indikator, allein schon Deakins gewann den Kameragilden-Preis bereits zwei Mal, ohne daraufhin den Oscar mit nach Hause zu nehmen.
Zudem hat Deakins in Claudio Miranda arge Konkurrenz gefunden. Der Chilene schlug Deakins gewissermaßen auf seinem "Heimtgebiet", indem er sich bei den BAFTAs in der Kamera-Sparte durchsetzte. Mit Avatar und Hugo Cabret im Rücken sind effektlastige 3D-Spektakel beim Oscar in dieser Kategorie groß im Kommen und mit Life of Pi schufen Ang Lee und Miranda zudem den visuell poetischsten Vertreter dieses Oscar-Trends. Die Odyssee des jungen Inders Pi ist farbenfroh, kontrastreich und weiß, Märchenbuchoptik mit rauer Realität zu verschmelzen.
Einen Oscar-Gewinner vorherzusagen, fällt mir da enorm schwer, aber ich gebe Life of Pi knapp den Vorsprung vor Skyfall. Meine persönliche Wahl? Ich glaub, ich werde mich in der Oscarnacht bei Bekanntgabe des Kamera-Gewinners in jedem Fall freuen, aber vielleicht wäre ich bei McGarvey ("Juhu, Anerkennung für Anna Karenina!) und Roger Deakins ("Wurde auch Zeit!") etwas lauter als bei den anderen.
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