Freitag, 1. Februar 2013
James Bond – 007 jagt Dr. No
Erstaunlich, wie unscheinbar, und doch einschneidend, einige Filmreihen beginnen können. Fluch der Karibik ist noch der bodenständigste und am ehesten an klassischen Piratenabenteuern orientierte Teil der Pirates of the Caribbean-Saga, wohl aber ein klarer Stimmungswechsel im Seeräuber-Genre. Dass daraus ein großes Franchise entwachsen wird, konnte damals kaum jemand erahnen, ist rückblickend aber mehr als nachvollziehbar. Ähnliches gilt für Saw: Es war eine völlig neue Art des Horrors, rückblickend noch ein zurückhaltender Streifen, irgendwie ist klar, weshalb eine Reihe daraus entstand, doch selbstverständlich ist es keineswegs.
Das Paradebeispiel in dieser Hinsicht ist, wenig überraschend, die Über-Mega-Kinoserie schlechthin; die nunmehr über 50 Jahre alte Filmreihe rund um den Geheimagenten James Bond. Blickt man heute, 22 weitere offizielle Filme und 50 Jahre später, auf James Bond – 007 jagt Dr. No zurück, so sind mehrere Rezeptionsperspektiven ersichtlich und nachvollziehbar. Weshalb die zeitgenössischen Kritiken zwiegespalten waren, weshalb der Streifen ein massiver Erfolg wurde (und somit ein gigantisches Franchise startete), weswegen er rückblickend viel mehr geachtet wird und auch, woran es liegt, dass er dennoch manchen Bond-Zuschauern etwas befremdlich vorkommt.
Stürzen wir uns zu Beginn dieser Bond-Retrospektive also kopfüber in die Zuschauerreaktionen-Wundertüte namens James Bond – 007 jagt Dr. No und hoffen, dabei keinem Drachen anheim zu fallen ...
James Bonds erster Leinwandeinsatz ist recht stringent gestrickt: Der auf Jamaika stationierte britische Agent John Strangways verschwindet spurlos und das MI6 beauftragt den Doppelnull-Agenten Bond (Sean Connery) damit, diesen Fall aufzuklären. M, der Leiter des Geheimdienstes, vermutet, dass Strangways Verschwinden mit seiner Kooperation mit dem CIA zusammenhängt, welches seltsamen Störwellen auf den Grund ging, welche die Raketenstarts aus Cape Canaveral beeinträchtigen. Kaum auf der paradiesischen Insel angekommen, werfen sich atemberaubende Frauen und Killer an Bonds Hals – mitunter auch atemberaubende Killerinnen. Trotz all dieser Ablenkungen findet 007 mit Hilfe des einheimischen Fischers Quarrel (John Kitzmiller) und des CIA-Agenten Felix Leiter (Jack Lord) eine Spur, die zum Minenbesitzer Dr. No (Joseph Wiseman) führt, der eine Insel in seinem Besitz hat und der Unbefugte mit Waffengewalt von ihr fernhält. Bond gelangt dennoch auf diese Insel, wo er der verführerischen Honey Ryder (Ursula Andress) begegnet. Gemeinsam fallen sie in die Hände Dr. Nos, der sich Bond gegenüber sowohl bedrohlich als auch äußerst weltmännisch und intellektuell gibt ...
Die Vielseitigkeit, wie James Bonds erster Kinoeinsatz aufgenommen wurde, lässt sich zu einem nicht unbedeutenden Teil durch seine filmhistorische Position erläutern. Vor James Bond – 007 jagt Dr. No fühlte sich das Action- und Spannungskino wie Der dritte Mann oder Der unsichtbare Dritte an. Damals existierte die Kategorie des Actionfilms, wie wir sie heute kennen, noch nicht fest in den Köpfen der Kinogänger und Filmmacher, stattdessen fielen nervenaufreibende Storys mit Verfolgungsjagden ins eher bodenständigere Genre der Suspense.
In dieser Filmwelt fiel James Bond auf wie ein bunter Hund. Sean Connery verkörpert ihn mit einer überlebensgroßen Coolness, stellt ihn als galanten, gefährlichen, intelligenten Gentleman mit aufregenden, leicht chauvinistischen Zügen dar, dem niemand gewachsen ist. Bonds markante Vorstellung "Bond, James Bond" wäre niemals in die Popkultur eingegangen (und eine der festen Traditionen dieser Filmreihe geworden), wäre sie nicht in diesem Film so perfekt als Moment gewählt worden, um den Charakter der Agentenfigur zu etablieren: Gerissen, mit Hang zum Risiko und einer guten Prise Glück, entscheidet Bond im Casino eine Kartenpartie für sich. Sein aufreizendes weibliches Gegenüber fragt ihn nach seinem Namen, er zündet sich lässig eine Zigarette an und drückt ihr trocken ihre affektierte Art, sich vorzustellen, in den Rachen. Dazu das gefährlich-lässige, modern-zeitlose "Blues 'n' Roll"-Titelthema, und ohne jegliche per Dialog dargebotene Exposition ist alles über Bond gesagt, dass man wissen muss.
Hinzu zu dieser ikonischen Protagonistenrolle kommt der (für damalige Zuschauer) außergewöhnliche Tonfall des gesamten Films: Gingen vorherige Suspense-Filme, von wenigen, vereinzelten lockeren Sprüchen abgesehen, einen sehr direkten, atmosphärischen Weg und nahmen die gezeigte Bedrohung ernst, kommt sie bei James Bond – 007 jagt Dr. No leichtfüßiger daher. Bond kämpft sich mit frechen Sprüchen ausgestattet recht problemlos durch die Geschichte und hat dabei obendrein stets ausreichend Zeit, mit Frauen zu flirten. Die Sets? Trotz eines winzigen Budgets von einer Million Pfund für die gesamte Produktion sind die Kulissen ausschweifend, farbenfroh und exotisch, fernab des geerdeten Realismus, der in dieser Filmsparte bislang bekannt war.
Zeitgenössische Kritiken sahen James Bond – 007 jagt Dr. No aufgrund dieser wiederholten Anflüge von dem, was man heute als Popcornspaß betrachten würde, als eine sonderbare Mischung aus Suspense und Suspense-Persiflage – was einige Kritiker orientierungslos empfanden, andere wiederum als erfrischend. Was absolut leicht nachzuvollziehen ist. Selten zuvor sah man einen Film, in dem der Held eine derart große, umfassende Aufgabe zu überwältigen hatte, die inszenatorisch jedoch dermaßen auf die leichte Schulter genommen wurde.
Übertreibungen, die damals parodistisch aufgefasst wurden, sind in Zeiten unserer Sommerblockbuster über Mutantenfischpiraten, Riesenroboteraliens (die aussehen wie Autos) und Buddy-Cop-Movies, in denen halbe Städte explodieren, jedoch längst nicht mehr verwunderlich. Und im Gegensatz zu manch späteren Bond-Filmen, in denen Autos auch mal unsichtbar sein konnten, lässt sich Dr. No auch bei zweiflerischer Einstellung noch vergleichsweise ernst nehmen. Tatsächlich hält Bonds erster Leinwandeinsatz, natürlich vollkommen ohne Berechnung, so ziemlich die ideale Balance aus Agentenspaß und -spannung, aus den "düsteren" und lockerflockigen Bonds. Auf absurde Gadgets wird noch verzichtet, ebenso auf Oneliner nach Ermordung der Gegner, aber Bonds Flirterei ist dafür weniger eintönige Drehbuchmagie, sondern ehrlich witzig und auch durchaus selbstironisch, etwa wenn Sean Connery mit schmierig-schmunzelndem Gesichtsausdruck beim Rumknutschen auf die Uhr blickt, um sicherzugehen, dass dafür noch Zeit ist. Auch ist Dr. Nos Geheimversteck in seiner absonderlichen Pracht eine echte Wonne des Unterhaltungskinos. Nicht ohne Grund inspirierte Dr. Nos Vulkaninsel und sein im gehobenen 60er-Jahre-Stil gehaltene Geheimbasis den Unterschlupf des Die Unglaublichen-Schurken Syndrome. Die Grundidee ist herrlich absurd und wird auch oft genug durch das Ungläubige Staunen Bonds ironisch kommentiert, da die Sets aber bei aller Galanz nicht völlig bombastisch sind, kommen sie noch immer glaubwürdig rüber und lassen einen begeistert dreinblicken.
Generell blüht Dr. No erst richtig auf, sobald Bond auf der Privatinsel ankommt und Ursula Andress alias Honey Ryder das Bild betritt. Auch wenn sie nicht gerade das Paradebeispiel für feministisch vorbildliche Figurenzeichnung ist, so hat sie wesentlich mehr zu bieten als die ikonische "im weißen, modern geschnittenen Bikini aus dem Wasser steig"-Szene. So saudämlich ihr (und Quarrels) Glaube an Drachen sein mag, Honey teilt auch kräftige Fausthiebe aus, verfügt über eine knisternde Leinwandchemie mit Connery und hat eine denkwürdige, ebenso harsche wie coole Hintergrundgeschichte zu erzählen. Ab der Ankunft auf der Insel stimmt auch das Pacing des Films, während es vorab doch etwas ungelenk ist: Zwar ist es eine spannungsfördernde Idee, Bonds Erscheinen hinauszuzögern, aber es wird zu sehr ausgereizt, bedenkt man, wie austauschbar seine zuvor gezeigten Kollegen sind. Und auch im Anschluss haben die Szenen abseits Bonds Schürzenjägerei nicht den richtigen Schwung. Obwohl dies schon einer der kürzesten Bonds ist, ist er in der ersten Hälfte leicht behäbig.
Hinsichtlich des Bond-Kanons ist Dr. No auf jeden Fall eine interessante Erscheinung: Viele der Traditionen sind schon vorhanden, manche aber nicht in ihrer feingeschliffenen Version. So kommt Bonds Lieblingsdrink zwar vor, wird aber nicht im exakten Wortlaut bestellt. Auch ist Bond hier noch rücksichtsloser als in Filmen späterer Generationen und insgesamt wirkt die Story etwas kleiner. Es ist sozusagen nicht der Prototyp, sondern der Betatest der Bond-Filme. Das ist rückblickend, je nach persönlicher Einstellung, reizvoll (da natürlich und dennoch überraschend) oder schade (wenn man die selbstzelebratorische Art späterer Bonds liebt). Für mich zählt Dr. No zu den besten Bonds – auch dank Die Unglaublichen, da Birds gleichermaßen re- wie dekonstruktivistische Hommage eine so ansteckende Liebe zum Vulkaninsel-Setting aufweist, dass sich dieser Sehgenuss für mich auf die Vorlage überträgt.
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