„Es galt als
Tatsache, dass es veraltet und zu teuer sei, Film-Bilder zu zeichnen. Aber Roy
[E. Disney, Anm.] ließ sich davon nicht beirren“, schrieb Disney-Chef Michael
Eisner 1993 in einem Brief an die Aktionäre. Er konstatierte, „wie klug und
mutig es von Roy damals im Jahre 1984 war, darauf zu bestehen, dass wir
erhebliche Mittel in etwas steckten, das in den Augen der meisten Menschen ein
todgeweihtes und verlustbringendes Unternehmen war.“ Erinnern wir uns an den
zweiten Teil dieses Lesetagebuchs zu „DisneyWar“ zurück: Michael Eisner
höchstpersönlich war einer der Menschen, für den die Disney-Trickfilmabteilung
todgeweiht und verlustbringend war, wie er später nun selbst formulierte.
Gemeinsam mit
Frank Wells wollte er einst die Abteilung schließen – nun, Jahre nach den
großen Erfolgen mit „Arielle“, „Die Schöne und das Biest“ sowie „Aladdin“ hat
sich die Meinung komplett umgekehrt. Die von Eisner so geschätzte
Spielfilmabteilung machte während dieser Zeit Verluste – auch aufgrund seiner
persönlichen Fehleinschätzungen. Davon aber ist im Aktionärsbrief natürlich
nicht die Rede. In einem weiteren Punkt ist dieser Brief bezeichnend: Mit kaum
einem Wort erwähnt Eisner die Verdienste von Jeffrey Katzenberg, der sich
damals gemeinsam mit Roy Disney für den Erhalt der Trickfilmabteilung
eingesetzt hatte. Wie wenig Beachtung Katzenberg findet, zeigt die Gräben auf,
die Anfang der 90er Jahre in der Disney-Führungsebene immer tiefer wurden. Nach
außen verkörperte die Marke Disney den Aufbruch in ein neues, magisches
Trickfilm-Zeitalter – im Inneren aber brodelte ein schäbiger Krieg um Geld, Macht
und die richtige Strategie des Unternehmens.
Zu kitten war
das vor allem zerrüttete Verhältnis zwischen Katzenberg und Eisner nicht mehr: Kurze
Zeit nach dem Aktionärsbrief, im Jahr 1994, sollte Katzenberg das Unternehmen
verlassen und einer der Gründer des neuen Trickfilmstudios Dreamworks werden. Die
Kapitel vier und fünf dieses Lesetagebuchs werfen indes kein allzu gutes Licht
auf beide Manager – Eisner aber kommt deutlich schlechter weg. Nach den Erfolgen
Mitte der 80er Jahre, vor allem durch „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“, wurde
die einstige Strategie kostengünstiger, aber ideenreicher Filmproduktionen („High
Concept“) aufgeweicht ; mit Hollywood Pictures gründete man eine neue Dachmarke,
den Output erhöhte man deutlich und schnell.
Grundsätzlich
scheint mir bei der Analyse der Fehde zwischen Katzenberg und Eisner ein Punkt
wichtig zu sein, der zwar so im Buch nicht niedergeschrieben ist, den ich mir
aber aus der Schilderung all der Ereignisse erschließe: Eisner, immer mehr als
narzisstische Person dargestellt, schien äußerst neidisch auf die großen
Erfolge von Katzenberg zu sein. Er spürte, dass hier jemand in der
Führungsetage ist, der ihm sprichwörtlich das Wasser reichen konnte und
womöglich beanspruchte, ihm den eigenen Platz streitig zu machen (wenn man
Katzenberg gefragt hätte, hätte er vermutlich nicht verneint, auch ohne Eisner
das gesamte Unternehmen leiten zu können). Grundsätzlich geht es also hier um
ein ganz typisches, klassisches Machtspiel zweier egoistischer Kreativer, die
ihre Konflikte anfangs in positiven Unternehmergeist verwandeln konnten –
dieser Gegenpol Eisner/Katzenberg war essentiell für den generellen Aufstieg
von Disney in 80ern. Später aber schlugen diese Konfikte nur noch in
destruktive Energie um, weil man unter anderem komplett aneinander vorbeiredete
und es zu Kontrollzwängen kam. Diese gipfelten beispielsweise 1993 darin, dass Katzenberg
sich bei den Proben zum ersten Disney-Broadway-Musical nicht mehr direkt mit
den Mitarbeitern verständigen durfte: Eisner wollte jede Probennotiz
Katzenbergs vorher persönlich absegnen (was Katzenberg größtenteils ignorierte,
wie in „DisneyWar“ geschildert wird). Und umgekehrt veranlasste Katzenberg Anfang
1994, dass jeder Mitarbeiter etwaige Gespräche mit Eisner offenlegte und über deren
Inhalt berichtete.
Wie bei
Machtspielen üblich, versucht jeder Beteiligte, einen Erfolg als seinen eigenen
zu verbuchen – oder zumindest nicht als den des anderen (siehe Eisners Zitate
am Anfang). Und solange nur Erfolge vorhanden sind, gibt es vielleicht gar
keine Probleme. Wenn aber Misserfolge und falsche Entscheidungen auftreten, wie
zunehmend Anfang der 90er in der Spielfilmabteilung, beginnen Anschuldigungen
und Neid von vorn.
Michael Eisner
verlor zunehmend das Gespür für Hollywood-Hits. Über den Film „Pretty Woman“
sagte er beispielsweise: „Aber dieser Film fällt durch. Er ist schon
gescheitert, bevor ich ihn gesehen habe.“ Das Gegenteil sollte eintreten; „Pretty
Woman“ wurde 1990 zum bis dato erfolgreichsten Disney-Spielfilm aller Zeiten
und ist bis heute ein Klassiker. Das Gegenteil passierte im gleichen Jahr mit
dem Streifen „Dick Tracy“, einem Lieblingsprojekt von Eisner. Trotz eines
immensen Werbebudgets von mehr als 50 Millionen Dollar fiel der Film an den
Kinokassen durch – und Eisner war Hauptverantwortlicher für das von ihm
persönlich geförderte Projekt. Das makellose Image Eisners wankte daraufhin,
wie in „DisneyWar“ geschildert wird: „Zum ersten Mal stellten einige
Studiomanager im Stillen Eisners Urteilsvermögen in Frage, denn es war
offensichtlich nicht mehr unfehlbar.“ (S. 172)
Die
grundsätzlichen Probleme der Spielfilmabteilung veranlassten Jeffrey Katzenberg
im Januar 1991 dazu, ein eigenes „Manifest“ zur Lage des Unternehmens zu
verfassen. Das 28-seitige Papier wurde an Eisner und die Führungsebene
verteilt, später präsentierte Katzenberg es höchstpersönlich auf der
Disney-Analystenkonferenz – pathetisch und großkotzig, beispielsweise unterlegt
mit dem Musikstück „Also sprach Zarathustra“ (Filmfans vor allem bekannt aus „2001:
Odysee im Weltraum“). Das Manifest – oder auch „Memo“ – zeigt vor allem auf,
wie Katzenberg über die richtige Strategie im Spielfilm-Geschäft dachte. Zitat:
„Anfangs beruhte unser Erfolg mit Disney darauf, dass wir gute Geschichten gut
erzählen konnten. Große Stars, Specialeffects und bekannte Regisseure waren uns
nicht wichtig. […] Der Erfolg brachte größere Budgets und größere Namen mit
sich. Auf einmal konnten wir Schauspieler engagieren, mit denen man ‚Kino-Ereignisse‘
machen konnte. Und zunehmend taten wir das dann auch. Das Resultat: Die Kosten
explodieren, der Gewinn verflüchtigt sich und das Risiko wächst. Es ist an der
Zeit, dass wir zu unseren Wurzeln zurückkehren.“
Katzenberg
wollte also wieder weg von der in Hollywood grassierenden Blockbuster-Mentalität.
Und schrieb zudem, dass „viele Filme heutzutage kürzer im Regal liegen als eine
Supermarkt-Tomate“. Nicht umsonst übertitelte der Studiochef sein Memo mit „The
World is Changing“, denn er sollte sich generell auch als Prophet für die
Zukunft Hollywoods auszeichnen: Heutzutage liegen die Filme nicht nur kürzer in
den Regalen, sondern sind auch immer schneller aus den Kinosälen verschwunden.
Immer mehr Einnahmen generieren neue Filme in ihren ersten Tagen, wo früher
viele Blockbuster sich erst allmählich zu Hits entwickelten, vor allem durch Mund-zu-Mund-Propaganda.
Heute jagt ein sogenanntes Kino-Ereignis das nächste; die Halbwertszeit der
Streifen – auch der von Disney – wird immer kürzer. Eine Strategie, wie
Katzenberg sie hier 1991 forderte, würde sich heute ein Studiochef nicht einmal
mehr ansatzweise erlauben können. Unglaublich, wie sich die Zeiten im immer
schnelllebigeren Hollywood geändert haben. Ob diese modernen Zeiten auch auf
Kosten der guten Geschichten gehen, muss jeder Cineast selber für sich
beantworten. Katzenbergs Sicht – zumindest 1991 – scheint klar: Wer sich auf
große Namen, viel Marketing, Specialeffects und den Ereignischarakter des Films
setzt, der verliert die gute Story aus den Augen.
Zwei Jahre nach
dem Memo sollte sich herausstellen, dass Katzenberg ebenfalls nicht unfehlbar
war: Viele seiner im Memo als baldige Hits angepriesenen Filme wurden zu Flops;
Eisner soll sich daher über Katzenbergs Zeilen lächerlich gemacht haben und
klagte darüber, dass er selbst aus den Probevorführungen ausgeschlossen wurde.
Mit ihm seien all diese Flops nicht passiert, so Eisner, der aber auch nie das –
vertraglich geregelte – Veto gegen einen der Filme eingelegt hatte. Selbst aber
hatte Eisner, diesmal offensichtlich allein, einen neuen Mega-Flop zu
verantworten: Euro Disney. Der Themenpark in Paris war ein architektonischer
Traum für Eisner, der die Baukosten immer weiter hochschraubte, damit das
Ergebnis seinen Ansprüchen und denen der Europäer genügen sollte. Aus den
anfänglich veranschlagten 1,3 Milliarden Dollar Kosten wurden letztlich 4
Milliarden – während der Bauzeit stand Euro Disney mehrmals davor, zu einer
Bauruine zu werden.
Euro Disney
konnte nur durch Umstrukturierungen und eine schonungslose Offenheit für die Fehler
aufrecht erhalten werden – Eisner selbst gefiel all dies nicht, er schien den
Ernst der Lage nicht wirklich zu erkennen und sah seine Vision gefährdet. Laut „DisneyWar“
soll ein Manager gesagt haben: „Jedem, der versuchte, die Wahrheit zu sagen,
machte er [Eisner, Anm.] klar, dass sie nicht willkommen war“ (S. 200). Vor
allem versuchte Eisner die eigene Schuld auf andere abzuwälzen – wie Frank
Wells, angeblich wegen zu optimistischer Prognosen. Auch dieses Verhältnis
zwischen CEO und Präsident schien zu zerbrechen, nachdem sich Eisner bereits mit
Katzenberg überworfen hatte. Im Frühjahr 1993 ging Wells teilweise sogar nicht
mehr zur Arbeit – Zitat: „Ich hasse es. Ich hasse Michael Eisner. Ich kann da
nicht mehr hingehen und die ganze Scheiße über mich ergehen lassen“, so Wells
(S. 203).
„Ich muss ihn
loswerden. Ich kann ihn nicht mehr ertragen“, sagte Michael Eisner (S. 205). Dass
dieses nur zwei Seiten später auftauchende Zitat nicht auf Wells bezogen ist,
sondern wiederum auf Katzenberg, zeigt die ganze Misere der
Disney-Führungsstruktur, die nicht immer nur auf Eisner bezogen war: Wie James
Stewart in seinem Buch schildert, soll Katzenberg auch Wells gegenüber
feindlich gesinnt gewesen sein. Dies vor allem, weil Katzenberg die Nummer zwei
im Unternehmen sein und Wells‘ Platz einnehmen wollte – dieser nämlich deutete
an, dass er ohnehin nicht mehr allzu lange Disney-Präsident bleiben würde.
Eisner schien ihm diesen Posten auch in Aussicht zu stellen. Bei einem persönlichen
Treffen sagte er: „Natürlich, wenn Frank aus irgendwelchen Gründen nicht mehr
da ist […], dann bist du die Nummer zwei, und dann möchte ich, dass du den Job
machst.“ Stewarts Quelle für diese Aussagen ist Katzenbergs Version der
Geschichte. Eisner lieferte zwei gegensätzliche Versionen, einmal in einem
persönlichen Brief an seinen Anwalt und in der offiziellen Biographie. Wie
Stewart schreibt, lehnte Eisner aber in keiner der Versionen das Versprechen
ausdrücklich ab (das er später brechen sollte, nachdem Wells verstarb).
Die ominösen Berichte
über dieses Treffen werfen ihre Schatten voraus – aber diese Geschichte und die
Folgen des endgültigen Zerwürfnisses zwischen Jeffrey Katzenberg und Michael
Eisner werde ich im nächsten Teil des Lesetagebuchs aufarbeiten. Fest steht
nach der Lektüre der Kapitel vier und fünf vor allem eines: Es gab eine immense
Diskrepanz zwischen der internen Stimmung und dem überraschenden Erfolg, den
Disney nach außen mit der Renaissance des Trickfilms hatte. Der große Erfolg
dieser Abteilung war für den Konzern wohl wie ein Pyrrhussieg: Denn mit ihm
stiegen Ansprüche, Neid und teilweise auch Größenwahn bei allen Beteiligten.
Die desolate Lage von Disney Mitte der 80er veranlasste das Führungstrio dazu,
an einem Strang zu ziehen. Als der riesige Erfolg kam, fehlte dieser
Unternehmergeist, etwaige Misserfolge ebenfalls gemeinsam zu lösen. Stattdessen
brach das Disney-Imperium innerlich auseinander.
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