An dieser Stelle möchten wir
den bekannten und weniger bekannten
Mitarbeitern Walt Disneys
einige Zeilen widmen – Im Schatten der Maus.
Im Rahmen von "Im Schatten der
Maus" wurde ja bereits erwähnt, dass Goofy mehrere geistige
Väter hat. Neben Studioboss Walt Disney, Originalstimme und
Inspiration Pinto Colvig und dem seinen Charakter analysierenden
Animator Art Babbitt wären da der Zeichner John Sibley, der den
späteren, schnelleren Goofy-Humor vorführte und perfektionierte,
sowie niemand geringeres als der Regisseur Jack Kinney, ohne den
Disneys schlappohriger Tollpatsch nie zu seinen prototypischen
Cartoons gekommen wäre.
Jack Kinney wurde am 29. März 1909
geboren und lernte auf der High School seinen besten Freund und
langjährigen Mitarbeiter Roy Williams kennen. Die beiden an der
Zeichenkunst interessierten Footballspieler heuerten in den frühen
30er-Jahren bei den Walt Disney Studios an (Kinney begann seine
Arbeit offiziell am 9. Februar 1931), wo Kinney zunächst zu den
wenigen Männern zählte, die im "Ink & Paint"-Departement
des Studios tätig waren. Kinney gab dort unter anderem Mickys erstem
Farbcartoon The Band Concert seine Form, ehe er in
die Storyabteilung aufsteigen durfte und als leitender Storykünstler
für diverse Micky- und Pluto-Filme verantwortlich war. Darunter
befanden sich The Brave Little Tailor, Walts
großer Hoffnungsträger für den Start eines Micky-Comebacks, sowie
Mickey's Trailer, einer der vielen gemeinsamenAuftritte vom braven Mäuserich, dem Hunde-Tollpatsch und dem
zornigen Unglückserpel.
Kinney und Williams wurden in den
Disney-Studios rasch bekannt wie ein bunter Hund. Der große,
auffällige und nicht gerade stille Ire Kinney gab allein schon
optisch neben dem schon früh seine Haare verlierenden, untersetzten
und ein wachsendes Bäuchlein vor sich herschiebenden Williams einen
ulkigen Anblick ab, was dem Duo selbst stets bewusst war. Als wären
sie nie der Pubertät entwachsen, fuhren sie nahezu immer gemeinsam
in Williams' Ford Roadster zu den Studiotoren vor und kündigten ihre
Ankunft mit frechen Spitznamen füreinander an. An ihrem Arbeitsplatz
rangelten sie regelmäßig, was häufig genug dazu führte, dass
Storyboardtafeln und Wasserspender zu Bruch gingen.
Großen Respekt bei ihren Kollegen
ernteten die zwei wilden Buben, als sie den unter den Angestellten
verhassten Studiomanager George Drake während eines besonders
hitzigen Exemplars seiner gefürchteten Tobsuchtsanfälle packten,
emporhoben, in aller Seelenruhe und kommentarlos aus dem Studio
trugen und mitten auf der Hyperion Avenue absetzten. Zwar bekamen sie
dafür einen Anschiss von oben, aber die Standing Ovations ihrer
Kollegen sollen es angeblich wert gewesen sein.
Das freimütige und unbändige Naturell
Kinneys spiegelte sich auch in seiner Arbeitshaltung und dem Humor
seiner Kurzfilme wider. Als Hitzkopf Art Babbitt, aufgrund des großen
Studiostreiks vorläufig nicht zur Verfügung stand, sprang Jack
Kinney ein und schuf als Regisseur ein Goofy-Segment für den
Mischfilm The Reluctant Dragon. Dieses fungierte
als Geburtsstunde für die How to ...-Reihe und
somit als Wendepunkt zwischen Babbits und Kinneys Goofy. Die Reihe
steigerte sich nach dem dezent mit Ironie und noch besonnenem,
Disney-typischen Slapstick arbeitenden Einstieg How to Ride
a Horse konsequent in immer mehr Irrsinn hinein, die dem
„erdigeren“ Goofy Babbits weniger und weniger entsprach. Wenn
nicht mit How to Play Baseball, dann stellten die
Goofy-Cartoons spätestens mit Hockey Homicide
reinen Ausdruck von Kinneys anarchischem, hyperrasanten und überaus
körperlichem Chaoshumor dar.
Es war auch Jack Kinney, und nicht
Donalds Stammregisseur Jack King, der den Oscar-Gewinner DerFuehrer's Face inszenierte und somit Donalds Albtraum, im
Naziland zu leben, mit seinem denkwürdigen, keinerlei Grenzen
kennenden Irrsinn ausstattete.
Die feistere Seite von Kinneys Humor zeigt sich am besten in dieser Karikatur der "sieben Gesichter Walt Disneys"
Die Rasanz Kinneys zeigte sich auch
gegen Ende seiner Disney-Karriere im Kurzfilmsektor, etwa in dem
eskalierenden Limited-Animation-Cartoon Pigs Is Pigs
von 1954 oder in den von ihm geschriebenen Donald-Kurzfilmen How
to Have an Accident in the Home und How to Have an
Accident at Work. Kinney war allerdings nicht völlig auf
Chaosslapstick-Cartoons festgelegt und war als Sequenzregisseur an
den Meisterwerken Pinocchio, Saludos
Amigos, Drei Caballeros, Make
Mine Music, Fröhlich frei, Spaß dabei,
Musik, Tanz und Rhythmus sowie Die
Abenteuer von Ichabod und Taddäus Kröte beteiligt.
Kinneys nunmehr wohl umstrittenste Leistung während seiner
Disney-Laufbahn ist unterdessen die Leitung der Krähen-Sequenzen in
Dumbo, welche von vereinzelten Filmhistorikern des
Rassismus angeklagt wird.
Die Krähen waren bereits Part von Joe
Grants und Dick Huemers ursprünglichem, 102 Seiten starken
Storytreatment, worin jedoch für deren Szenen kein Song vorgesehen
war. Während des Storyboard-Prozesses empfand es Kinney als
naheliegend, den Kern der Szene mit einem Lied zu vermitteln, was
zunächst einiges Hin und Her zwischen den verschiedenen
Studioabteilungen verursachte und dazu führte, dass die betroffenen
Sequenzen zu den letzten zählten, die fertig gestellt wurden. Als
der Song feststand, so erinnert sich jedenfalls Disney-Legende Ward
Kimball, schlug Kinney vor, für die Aufnahme neben des
(afro-amerikanischen) Hall Johnson Choirs auch
Jiminy-Cricket-Sprecher Cliff Edwards zu besetzen.
Grund dafür war ein Liveact, den
Edwards zusammen mit Komiker Lou Clayton 1922 aufführte und der sehr
positive Kritiken erhielt, weil Edwards im (sonst so unsensiblen)
Blackface eine akkurate, unüberspitzte Imitation schwarzen Slangs
zum Besten gab. Gemeinsam mit Edwards Erfahrung hinter den
Disney-Mikros und seiner Fähigkeit, zahlreiche Instrumente
nachzuahmen, habe dies ihn für die Rolle eine der Krähen
qualifiziert und seine lebendige Performance soll es gewesen sein,
die seine Krähe zum Anführer der Bande herauskristallisierte. Die
der Besetzung Edwards und der Umsetzung der Szene zuweilen
unterstellte Diffamierung von Afro-Amerikanern war demnach niemals
Intention Kinneys und des restlichen Studios.
Gemäß Ward Kimball war Kinney
generell ein sehr intuitiv arbeitender Regisseur, der sich, so weit
es ihm möglich war, seine Zeichner aussuchte und solche Verrückten
wie nunmal Kimball oder den genügsamen, zeichnerisch stets die
Pointe auf den Kopf treffenden John Sibley um sich scherte. Kinney
habe vorab genau gewusst, was er wollte, und aus dem Bauch heraus
entschieden, wie dies erreicht werden kann und wo er den Animatoren
freie Hand lassen kann. Oft habe er ihnen sogar völlig freies Geleit
gegeben und dann die Stapel Zeichnungen genommen, um selbst das
Timing zurecht zu rücken oder aus mehreren Alternativen die
endgültige Fassung zusammenzusetzen. Dies habe ihn zum Gegenstück
von Regisseuren wie Wilfred Jackson gemacht, welcher seine Aufgabe
wie eine Wissenschaft betrachtete und Studien anfertigte, um die
Szenen bis ins Detail zu analysieren.
1954 bis 1957 kam Kinney dann die mehr
Disziplin und Feinarbeit verlangende Aufgabe zuteil, die Übergänge
zwischen neuer und wiederverwendeter Animation in der TV-Show
Disneyland zu überwachen. Am 13. März 1958
gründete er schließlich seine eigene Produktionsfirma, die in den
Folgejahren für UPA 1001 Arabian Nights mit deren
gezeichneten Superstar Mr. Magoo umsetzte, zudem erstellten Jack
Kinney und sein Bruder Dick zwischen 1960 und 1962 100
Fernseh-Farbcartoons mit Popeye.
Bald darauf zog sich Kinney aus der
Trickproduktion zurück. 1988 veröffentlichte er als einer der
ersten Disney-Filmschaffenden eine prominent veröffentlichte
Memoirensammlung (mit dem humorigen Titel Walt Disney and
other assorted characters - An unauthorised account of the early
years at Disney's), vier Jahre später verstarb er eines
natürlichen Todes.
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