He's not selling out, he's buying in
Werbung umgibt uns nahezu überall, und wer die hiesige Werbeüberfrachtung bereits nervenaufreibend findet, dürfte in den USA rasch durchdrehen. Während in Deutschland nur vereinzelte Crosspromotions zwischen Filmen und Marken ankommen, aktuell etwa eine Werbekooperation zwischen Subway und Stirb langsam: Ein guter Tag zum Sterben, werden im Heimatland modernen Marketings und Hollywoods kostspielige Filme von Promoaktionen in zweistelliger Anzahl begleitet. Der Kinostart von Iron Man zum Beispiel wurde via Kindermenü-Spielzeuge und Aktionsburger bei Burger King, Sammelbecher bei 7 Eleven, spezielle Audi-Werbespots und viele, viele weitere Promodeals beworben. Und während in Deutschland der Medienjournalismus Amok läuft, wenn Thomas Gottschalk sich bei der Beschreibung eines Gewinnspielpreises in Euphorie quatscht, forcieren Firmen in US-Serien Dialoge wie "Tut mir leid, dass ich zu spät komme, aber ich musste mir noch dieses leckere Footlang-Chicken-Teriyaki-Sandwich bei Subway holen!"
Der humorige Dokuessayist Morgan Spurlock, der bereits mit Super Size Me und Where in the World is Osama Bin Laden? die Grenzen zwischen polemischem Comedyexperiment und popkulturell verdaulicher Gesellschaftskritik verwischte, blickt in POM Wonderful Presents: The Greatest Movie Ever Sold hinter den Vorhang der viel besungenen, wenig im Detail abgebildeten Crosspromotion, Markeeingdeals und Product-Placement-Abmachungen – wie der Titel suggeriert, indem er sich daran beteiligt. Aber, dass will uns die Tagline der Dokumentation versichern: Morgan Spurlock verhurt sich nicht, er steigt bloß ins Geschäft ein.
In einem Paradebeispiel für Transparenz handelt Spurlocks dritte abendfüllende Dokumentation davon, wie Spurlock bei Werbeagenturen und potentiellen Sponsoren Klinken putzt, um das gesamte, 1,5 Millionen Dollar hohe Budget für seine Dokumentation darüber aufzutreiben, wie er bei Werbeagenturen und potentiellen Sponsoren Klinken putzt, um seine Dokumentation zu finanzieren. Richtig gelesen: POM Wonderful Presents: The Greatest Movie Ever Sold ist der womöglich einzige Film der Kinogeschichte, der im Grunde genommen allein aus seinem eigenen Making-of besteht. Damit hat sich Morgan Spurlocks dokumentarische Werbesatire neben Adaptation, 8½ und Exit Through The Gift Shop einen Ehrenplatz in den Annalen des Metafilms verdient.
Spurlocks Reise durch die Werbewelt beginnt, als er beschließt, den "Iron Man der Dokumentarfilme" zu verwirklichen. Wozu es, was ihm die Filmwelt der vergangenen Jahre lehrte, die Unterstützung von Werbepartnern benötigte. Also besucht er diverse Werbeagenturen, denen er die Filmidee vorschlägt, mindestens eine zweistellige Summe an Promotionpartnern aufzutreiben. Diese Suche wolle er filmen und dann, durch Unterstützung der Geschäftsdeals, ins Kino bringen. Sämtliche namenhafte Agenturen schütteln ob dieser transparenten Idee den Kopf, haben Angst, dass sie und ihre Klienten von Spurlock in den Dreck gezogen werden. Doch eine kleine, für verrückte Ideen offene Agentur sieht in Spurlocks Vorhaben eine attraktive, aneckende Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu gewinnen. Und so beginnt für Spurlock die Suche nach Marken, die zu ihm passen und ihm vertrauen, eine Reise die ihn zu zahlreiche Konferenzsälen führt, in denen Werbeideen ausgebrütet werden. Zwischendurch sucht Spurlock auch Marketing- und Medienexperten sowie bekannte Filmemacher auf, um sich beraten zu lassen: Kann man seine Integrität behalten, wenn man sich auf solche Machenschaften einlässt?
Gegner von Spurlocks Herangehensweise werfen ihm vor, seine Dokumentationen drehten sich um schale Weisheiten, denen man sich bereits vor dem Film gewiss sein konnte. McDonald's macht fett, der Nahe Osten ist nicht die vereinte Terroristengruppe, die von den Fox News beschrieen wird, und übermäßige Werbung ist lästig. "Wow, wer hätte das gedacht?", lästern Spurlocks Kritiker. Seltsam, dass diese Argumentation nicht bei weiteren Dokus angewendet wird. Nazis waren böse, dass Menschen an Krebs sterben ist traurig, dass in Afrika Kinder verhungern ist ärgerlich und von Drogen wird man high. Na sowas!
POM Wonderful Presents: The Greatest Movie Ever Sold geht selbstredend thematisch tiefer als bloß darauf hinzuweisen, dass Filmwerbedeals existieren. Einen so offenen und ehrlichen, dank Spurlocks lockere Art zudem noch dermaßen kurzweilig vermittelten, Blick auf die Maschinerie hinter Crosspromos erhält der gewöhnliche Kinogänger so schnell nämlich nicht. Zu den Höhepunkten zählen Spurlocks Besuch bei einer Agentur, die ihm nach einer ausführlichen Befragung erklärt, welche Art Marke er repräsentiert, sein Vorsprechen bei einem aufstrebenden Deo-Hersteller, der selber keinerlei Plan hat, wie er sein Produkt bewerben soll, sowie seine Verhandlungen mit Vertretern einer äußerst seltsamen Shampoo-Marke. Die versteckte Vielschichtigkeit der Doku kommt wiederum am Besten zur Geltung, als Spurlock seinen ersten großen Deal abschließt: Derart aggressive Werbekampagnen sind uns Kinogängern üblicherweise lästig, aber wir kommen nicht umher, Spurlock für seinen Erfolg zu beglückwünschen und dem Safthersteller für seinen Mut, an einer kritischen Dokumentation mitzuwirken, unseren Respekt zu zollen. Spurlock zieht in Momenten wie diesen meisterlich die Strippen der Medienwirkung und hält uns somit den Spiegel vor: Wir sind längst nicht so immun gegen Werbung, wie wir es uns erhoffen. Zum Glück holt uns Spurlock kurz darauf mit einem sarkastisch übertriebenen Spot für seine neuen Werbekumpanen wieder auf den Teppich zurück.
In vereinzelten Vignetten verlässt Spurlock seine immer abstrusere Werbeknechtschaft, aufrund derer er nur an bestimmten Orten Interviews führt, bloß ausgewählte Lebensmittel zu sich nimmt und schwört, Deutschland nicht zu diffamieren, um andere Aspekte des Themas aufzuzeigen: Er besucht die werbefreie (und dadurch erschreckend leer wirkende) Stadt Sao Paulo und eine Schule, die ohne den Verkauf von Werbeflächen schließen müsste. Diese Detouren lockern die Doku auf und bieten weitere amüsante wie erschreckende Fakten zur Werbewirtschaft.
Nach einem sich in seinem Metahumor eskalierenden Spurt zur Ziellinie geht Spurlock leider plötzlich die Puste aus und er entlässt den Zuschauer mit einer halbherzigen, pointenlosen Schlussbotschaft in den Abspann. Es ist klar, dass gerade ein Film wie POM Wonderful Presents: The Greatest Movie Ever Sold während der Produktionsschlussphase erst sein Ende findet und im Schneideraum hektisch abgerundet werden muss, weshalb man Spurlock die lahme Schlussminuten nicht zu sehr vorhalten kann. Dennoch wäre ein großer Tusch zum Ende oder eine etwas komplexere, ehrlichere abschließende Anekdote willkommen, um POM Wonderful Presents: The Greatest Movie Ever Sold den letzten Schliff zu verleihen.
Dennoch: Wer Super Size Me und Metafilme magt oder sich für Crosspromo interessiert, wird POM Wonderful Presents: The Greatest Movie Ever Sold gewiss lieben. Auf viele weitere kecke Dokuessays von Morgan Spurlock (der mit diesem Film nicht die vertraglich festgesetzte Mindesteinnahme erreichte und somit wohl eine persona non grata in der Markenwelt wurde),
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