Dienstag, 1. Januar 2013
Im Schatten der Maus - Spezial: Fantasia live
Unter Disneyliebhabern und Animationskennern gehört die Hintergrundgeschichte zur Produktion des künstlerischen Meilensteins Fantasia zur Allgemeinbildung: Walt Disney plante einen ambitionierten, dialoglosen Kurzfilm mit seiner in Sachen Popularität nachlassenden Lieblingsschöpfung Micky Maus, der Goethes Ballade vom Zauberlehrling, perfekt abgestimmt zu Paul Dukas' Zauberlehrling-Komposition, auf die Leinwand bannt. Die Kosten explodierten und aus der Not wurde eine Idee geboren, die schlussendlich zu einem passionierten Experiment wurde, in das die Disney-Künstler und der große Maestro Walt viel Herzblut steckten. Walt war derart von seinem Konzertfilm eingenommen, dass er ihn in einem neuen Tonformat in die Kinos bringen wollte und von einer immerwährenden Möglichkeit träumte, ihn mit einer unentwegt wechselnden Auswahl an Segmenten laufen zu lassen.
Bekanntlich brachen eine Mehrzahl an Faktoren der Idee des Kino-Dauerbrenners Fantasia das Genick: Der Film war seiner Zeit so weit voraus, dermaßen ambitionierter als alle zuvor dagewesenen Animationsfilme, dass sich selbst die gehobensten Filmkritiker darüber die Köpfe einschlugen, ob er Kunst oder eine bloße Luftblase ist. Kulturhüter und Klassikkenner waren sich uneinig über die gebotenen Interpretationen der Musikstücke und das zahlende Publikum strömte nur in unausreichenden Maßen in die Lichtspielhäuser. Hinzu kam der Zweite Weltkrieg, der viele Märkte abschnitt und die kommerzielle Auswertung verhinderte und die Träume, weitere Segmente herzustellen, schwer umsetzbar erscheinen ließ.
1999 (oder 2000, je nachdem, wie man einen regulären Kinostart definiert) erfuhr das ursprüngliche Konzept hinter Fantasia seine Verwirklichung im Kleinen: Dank kraftvoller Unterstützung von Walts Neffen Roy E. Disney fand Fantasia 2000 seinen Weg in die Kinos dieser Welt, eine Zusammenstellung, die sieben neue Segmente, in denen Klassik und Trickfilm zu einer Einheit verschmelzen, sowie einen Fantasia-Favoriten (Der Zauberlehrling) umfasst. Es war eine partielle Umsetzung von Walts Traum, immerhin wurde 59 beziehungsweise 60 Jahre später die Fantasia-Idee fortgeführt, als ständig atmendes Projekt setzte sich Fantasia jedoch noch immer nicht um.
Daran hat sich weiterhin nichts geändert, wenngleich es Fantasia in Zeiten der HD-Heimkinoauswertung gelang, sich ein Leben abseits der heimischen vier Wände des begeisterten Publikums zu sichern. Im Fahrwasser des Erfolgs von Disneys Konzerttournee des ersten Fluch der Karibik-Films startete im Dezember 2011 auch die Konzertauswertung der Disney-Marke, die sich noch vorzüglicher in einen Konzertfrack stecken lässt.
Nach dem Testlauf in Luzern begann 2012 eine etwas ausgedehntere Tour von Fantasia, bei der die Segmente live von einem philharmonischen Orchester begleitet werden. Doch im Gegensatz zu Fluch der Karibik und seiner seit Ende 2012 ebenfalls durch die Konzertsäle Europas tourender Fortsetzung bestehen die Fantasia-Konzerte nicht aus einer um die Musikspur erleichterte Kopie des Originalfilms. Stattdessen trafen die Köpfe hinter Disney live in Concert eine interessante Auswahl aus dem Fantasia-Fundus und stellten eine nie zuvor dagewesene Reihenfolge an Klassikkompositionen zusammen, die vom Orchester gespielt werden, während zugleich das passende Filmsegment läuft.
Hält man sich die zielstrebigen Wünsche der Disney-Crew vor Augen, die anno 1940 gehegt wurden, ist Fantasia live in Concert eine skurril-vortreffliche und angenehm pseudo-paradoxe Umsetzung des gescheiterten Experiments. Dass das Publikum im Konzertsaal nicht die bereits bekannte Aneinanderreihung an Stücken erwartet, liegt voll auf der Linie Walt Disneys, den Fantasia-Zuschauern ein regelmäßig wechselndes Erlebnis zu bieten. Vor allem bestehen schon jetzt Pläne, die aktuelle Zusammenstellung an Segmenten künftig zu variieren, so dass nicht nur der Konzertgänger eine andere Erfahrung hat als auf der Fantasia-DVD oder -Blu-ray, sondern auch im Konzertsaal keine statische Fantasia-Musikauswahl existiert. Da die momentane Auswahl an Segmenten nicht nur aus Kurzfilmen aus Fantasia und Fantasia 2000 besteht, sondern auch das ursprünglich für Fantasia angedachte Claire de Lune Teil der Tourneereihe ist, befindet sich die aktuelle Konzertzusammenstellung auch so nah am Vorhaben, stets neue Filmsequenzen in Fantasia einfließen zu lassen, wie es ohne unverhältnismäßige Mühen seitens der Walt Disney Animation Studios möglich ist. Selbstredend wäre es fantastisch, würden im Rahmen der Fantasia-Tourneen in Zukunft auch neue Kurzfilme ihre Premiere feiern (die man danach ja als Vorfilme für reguläre Disney-Produktionen verwenden und/oder auf Blu-ray veröffentlichen kann), aber da Disneys filmischen Konzerterlebnisse bislang noch ein kleines Rädchen im Getriebe des Konzerns darstellen, ist die jetzige Vorgehensweise bereits sehr löblich. Für kommende Fantasia-Tourneen bieten sich ja noch die fertig gestellten Segmente des nie beendeten Fantasia 2006 an (oder zumindest Destino, Lorenzo und The Little Matchgirl, One by One wäre aufgrund seiner Basis meiner Ansicht nach ungeeignet).
Etwas verschroben ist das Konzept, Fantasia in die Konzertsäle zu holen, aber auch. Die Filmidee, durch die klassische Musik zum breiten Publikum ins Kino geholt werden sollte, wird nun in einen Frack gepackt, bekommt die Moderationen weggeschnitten und dem informierten oder zumindest geneigteren Publikum präsentiert. Und während im Kino die Verschmelzung von Bild, Ton und Stimmung zweifelsfrei im Zentrum steht, besteht im Konzertsaal die Verführung, sich bei der einen oder anderen Stelle nach dem Orchester umzusehen. Zudem schien mir zumindest bei der Vorführung, die ich besucht habe, ein (sehr) kleiner Prozentsatz an Besuchern mit der Einstellung reingegangen zu sein "Oh, es werden mehrere gute Kompositionen gespielt, und, ach, die Filmchen kann ich mir dann auch angucken", was bei einer normalen Kinovorführung fast wegfallen dürfte.
Allerdings ist Fantasia live in Concert vor allem eine arg verspätete Würdigung eines Bestrebens, das der Pionier Walt Disney nach der ursprünglichen Schlappe seines Konzertfilms abzustreiten versuchte, das er sich selbst ausredete und letztlich totschwieg. Der Farmersjunge mit dem angeborenen Gespür für kunstvolle Unterhaltung (oder eben doch für unterhaltene Kunst?) kehrte nach dem kommerziellen Untergang von Fantasia und von den Verrissen ignoranter Feuilletonisten gekränkt all seinen offenen künstlerischen Ambitionen den Rücken zu, rümpfte vor der intellektuellen Elite die Nase und betonte dafür umso mehr seine Bodenständigkeit, seine Wurzeln im bürgerlichen Arbeitertum. Spätestens nun kann Walt, wo auch immer er sein mag, diese Narbe als verheilt und seine weggeschlossenen Gefühle als bestätigt sehen: Die kulturelle Elite nimmt Fantasia bei sich auf, zelebriert die kurzweilige Visualisierung klassischer Musik. Mehr noch: Sie inkludiert in ihrer in der Schweiz begonnenne Fantasia-Verneigung sogar die insbesondere in deutschsprachigen Ländern zunächst verachtete Pastorale Beethovens. Versöhnlicher kann der Riss zwischen Walt und den Musikkulturwächtern kaum gekittet werden.
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2 Kommentare:
Danke Sir D. dafür, aber ein kleiner Link-Hinweis auf
http://www.disney.de/live/
wäre doch nicht schlecht gewesen. Muss man denn alles selber suchen? Fluch der Karibik 2 Live in Concert scheint aber nur in München aufgeführt zu werden, oder weisst Du mehr?
Im Übrigen: die Unterhaltungs/Kunst? Idee, ne Leinwand aufzustellen, Orchester (und Chor) davor und einen Film live zu begleiten scheint mir aber noch erweiterbar, wie mein liebstes Beispiel zeigen soll: Falls Du Nora, The Piano Cat aus Youtube kennst, hier dann die Orchester-Version:
http://www.youtube.com/watch?v=zeoT66v4EHg&feature=related
Finde ich ganz ganz toll, dass die beiden "Fantasias" doch immer wieder an Fahrt gewinnen und stets neu beeindrucken können!
Das haben sie verdient!
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