Von Legenden zu historischen Ereignissen, von Märchen bis zu klassischer Literatur - die Zauberkünstler von Disney haben sich der vielfältigsten Quellen bedient, um Stoff für ihre Filme zu finden. Gemein haben sie jedoch alle, dass das Ursprungsmaterial nicht ohne Veränderung in den Disney-Kanon eingeflossen ist.
Diese Reihe von Im Schatten der Maus befasst sich mit dem Entstehungsprozess einiger dieser Meisterwerke:
Die Quellen der Disneyfilme
Wie so viele Erschaffer klassischer Kinderbuchgestalten, so traf auch A. A. Milne das Schicksal, dass seine „erwachseneren“ Bücher und Theaterstücke bis heute praktisch vollkommen in Vergessenheit gerieten - was geblieben ist, ist ein kleiner flauschiger Bär von geringem Verstand.
Winnie-der-Pu, der eigentlich Edward Bär hieß, hatte seinen neuen Namen von Pu, einem Schwan, und einer kanadischen Schwarzbärin namens Winnie geerbt, die Milnes Sohn Christopher Robin gerne im Zoo besuchte. Zusammen mit den anderen Kuscheltieren Ferkel, I-Ah, Tieger, Känga und Ruh verbrachten sie jedes Wochenende gemeinsam in einem Ferienhaus am Rande von Ashdown Forest etwa 50 km südlich London, und hier finden sich die Schauplätze praktisch all der bekannten Abenteuer wieder: Der Hundertsechzig-Morgen-Wald (oder eigentlich Five Hundred Acre Wood) war genauso ein Teil der Gegend wie der Verzauberte Ort und die Brücke über dem Fluss, die sich so gut für das Spiel Pu-Stöckchen eignet.
Christopher Robin war sechs Jahre alt, als mit „Pu der Bär“ („Winnie-the-Pooh“) nach einigen Gedichten das erste richtige Buch veröffentlicht wurde, das von ihm und seinen Kuscheltieren berichtet und von den Abenteuern, die sie gemeinsam in ihrem Wald erlebten. Zwei Jahre später folgte „Pu baut ein Haus“ („The House at Pooh Corner“), und während der Junge zu dieser Zeit seine Kuscheltier-Spiele schon größtenteils hinter sich gelassen hatte, fing die Blütezeit von Pu mit dem Erscheinen der Bücher erst an. Die Illustrationen von E. H. Shepard, die sich größtenteils sehr genau an die echten Kuscheltiere und Orte halten, wurden legendär, und auch die farbigen Bilder, in denen Stephen Slesinger dem Bären ab 1932 sei rotes Oberteil verpasste, halfen dabei, das Bild des dummen alten Pu-Bären weiter zur Ikone werden zu lassen.
Bereits wenige Jahre nach seinem ersten großen Auftritt war Pu der Bär zumindest in Großbritannien zu allgemeinem Kulturgut geworden, und darin hat sich bis heute nichts geändert, bedenkt man, dass in Oxfordshire nach wie vor die jährliche Weltmeisterschaft in Pu-Stöckchen ausgetragen wird.
Gerade das erste der beiden Bücher beginnt sehr intim mit einer „Vorstellung“, die uns in Christopher Robins Kinderzimmer führt und die seltsame Namensentstehung der Hauptfigur erläutert. Wie auch im Rest der Geschichten, so wird gerade hier deutlich, dass der gesamte Rahmen absolut authentisch ist; es sind die gemeinsamen Fantasien und Gedankenspielereien von Vater und Sohn. Auch die eigentlichen Erzählungen von Christopher Robin und den Kuscheltieren Pu der Bär, Ferkel und I-Ah, später auch Känga und Klein-Ruh, von den „echten“ Tieren Kaninchen, seinen Bekannten-und-Verwandten und von Oile, die im Hundertsechzig-Morgen-Wald lebt, werden immer wieder durch die Fragen des Jungen unterbrochen, der viele seiner Abenteuer noch einmal ganz genau erklärt haben möchte.
All die Tiere zeichnen sich durch wenige markante Charakterzüge aus, was ihnen einen kindlichen Charme und eine dauerhafte Unverwechselbarkeit gibt. Doch hinter allem bleibt der eimalige und offene Geistesstand eines sechsjährigen Jungen zu erkennen, und man muss Milne bewundern, der diese naive Lebendigkeit so völlig mühelos in jeder Figur einzufangen vermag.
Das zweite Buch beginnt mit einer „Rückstellung“, die auf ihre Weise so melancholisch ist wie die Vorstellung des ersten Bandes rührend. Von der ersten Seite an wird klar, was die vergangenen zwei Jahre für einen Jungen dieses Alters bedeuten, und inwieweit Schule und der „harte Alltag“ das Kinderspiel eingeholt haben. So wird ohne großen Aufwand schon hier das letzte Kapitel angedeutet, in dem sich Christopher Robin und Pu der Bär schließlich Lebewohl sagen werden.
Aber insgesamt ist auch dieses Buch nicht nur von Melancholie geprägt, vor allem tritt hier das lebenslustigste aller Kuscheltiere erstmals in Aktion: Tieger. Der gestreifte Wildfang, der alles kann - zumindest bis er es versucht - zieht bei Känga und Ruh ein, und es ist wohl eine Bemerkung wert, dass das Springen im Buch offensichtlich nicht zu seinen Stärken gehört. Andere bei der Begrüßung anzuspringen ist allerdings etwas anderes... Außerdem werden in diesem Buch der mysteriöse Balzrück und die Jagulare erwähnt, die aber, wie die Heffalumps und Wuschel zuvor, nur in den Gesprächen der anderen Tiere vorkommen.
Das letzte Kapitel ist schließlich der Abschied von Christopher Robin und seinen Kuscheltieren, die sich allesamt versammelt haben, um ihm von ganzem Herzen alles Gute zu wünschen. Erst danach folgt ein letzter Gang zum Verzauberten Ort und das Gespräch mit Pu. Dieses Kapitel ist vielleicht das einzige, in dem die leitende Hand des Vaters, der all die Geschichten schließlich aufzeichnet, in der Stimmung zu spüren ist. Zu schwer klingen die Worte für einen achtjährigen Jungen, denn auch wenn es nicht eindeutig ausgesprochen wird, so liegt die Bedeutung dieser Aussprache doch darin, dass sich Christopher Robin bei dem Gefährten seiner Kindertage dafür entschuldigt, dass er ihn nun alleine lassen muss. Aber gerade in seiner übergeordneten Bedeutung ist dieser Moment gleichsam Herz- und Angelpunkt der Bücher, und vielleicht auch der Grund, warum diese seit jeher nicht nur Kinder, sondern auch Großgewordene zutiefst zu rühren vermögen.
Da nicht nur Walt Disneys Töchter die Geschichten von Pu dem Bär sehr geliebt haben, sondern auch Milne selbst ein Bewunderer Disneys war, ist es fast verwunderlich, dass Disney sich der Geschichten erst nach Milnes Tod annahm. Natürlich kam als leichte Schwierigkeit die Sorge hinzu, ob sich ein amerikanisches Publikum überhaupt für die europäische Gestalt interessieren würde, doch diese Befürchtungen wurden schließlich effizient umschifft: Von 1966 bis 1974 in drei Kurzfilmen veröffentlicht, fand Winnie Puuh sofort ein begeistertes Publikum, so dass die schließliche Zusammenfassung in Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh 1977 quasi nur noch eine Formalität darstellte.
Natürlich wurde der neuen Kultur in mancher Hinsicht geschmeichelt, vor allem durch die Neueinführung des amerikanischen Gophers, der sich vorstellt mit „Ich komme zwar nicht im Buch vor ...“. Außerdem kommen im Film auch die Heffalumps und Wusel zu ihrem großen Auftritt, wenn es sich auch nur um einen psychedelischen Albtraum handelt. Aber generell kann man sagen, dass sich der Stil des Films bemerkenswert eng an dem Original orientiert. Ob es nun um den genauen Inhalt der Geschichten geht, über das allgemeine künstlerische Konzept der Kuscheltiere, die sich ohne Finger, mit ihrer eingeschränkten Bewegung und reinen Knopfaugen nur über die Körpersprache ausdrücken, bis hin zu Shepards Illustrationen, die teilweise eins zu eins übernommen werden. Selbst mehrere Lieder des Films finden ihren genauen Ursprung in Milnes Text.
Das einzige Tier, dessen Charakter leicht modifiziert wurde, ist I-Aah. Der schwermütige Esel ist im Buch um einiges „realistischer“ angelegt; er scheint meistens einen Grund für seine Griesgrämigkeit zu haben und gibt sich gleichzeitig um einiges unleidlicher den anderen Figuren gegenüber. Im Film wurde er mit seiner trostlose Niedlichkeit zu einem heimlichen Sympathieträger, während in den Büchern eine gewisse Genervtheit ihm gegenüber nicht ausbleibt.
Das Ende des Disneyfilms ist schließlich eine sehr genaue Umsetzung des letzten Buchkapitels, nur dass sich der Abschied bei Disney ganz auf die Beziehung zwischen Christopher Robin und Winnie Puuh konzentriert. Auch sind seine Worte hier etwas kindgerechter und haben eine bittersüße Melodramatik, die einem Jungen seines Alters durchaus angemessen sein könnte, ohne dass sie den Sinn der Szene wirklich beeinträchtigen.
Denkt man an die einfache Handlung der Geschichten, so verwundert es vielleicht, dass Disneys erste Adaption es wirklich schafft, die Essenz der beiden Bücher zu fassen und in drei Erzählungen zu verpacken. Dazu kam 1983 noch der Kurzfilm Winnie Puuh und I-Aahs Geburtstag, der in einem ähnlichen Stil angelegt ist und auch auf zwei Kapiteln der Bücher basiert, und somit bleibt nicht mehr allzu viel Original-Stoff für weitere Bearbeitungen übrig. Die Folge war, dass alle weiteren Winnie-Puuh-Serien und -Filme aus dem Hause Disney größtenteils auf eigenständigem Material beruhten, und sich bemühten, das Erbe von Milne in eigenen Geschichten weiterleben zu lassen.
Doch schließlich erschien 2011 mit Winnie Puuh ein weiteres Disney-Meisterwerk, das sich ganz bewusst wieder auf die Spuren des Originals begeben sollte - so sehr, dass sogar der längst zur Stammbesetzung gehörende Gopher hier weichen musste. Aber wie gesagt; das Problem dieses Ansatzes liegt in der Menge an verfügbarem Material. Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh vereinigte elf von zwanzig Kapiteln der Bücher in sich, Winnie Puuh und I-Aahs Geburtstag noch einmal zwei, und drei der restlichen Kapitel sind für eine Fortsetzung unbrauchbar oder geben einfach nicht sonderlich viel her. Somit musste die neue Adaption nun mit dem Inhalt von vier Kapiteln auskommen - etwa ein Drittel des Materials des ersten Films ...
Es ist nicht zu bestreiten, dass man bei Disney schließlich aus den vorhandenen Geschichten das Bestmögliche herausgeholt hat. Der Balzrück, der im Buch nur eine kleine Anmerkung darstellt, wurde im Film als perfekte unterschwellige Bedrohung ausgeführt, und für die gesamte Jagd wurden mehrere ähnliche Stellen des Buches, die sich dort allerdings auf Heffalumps bezogen, zusammengefasst. Auch in allen anderen Teilen gibt sich der Film deutliche Mühe, sowohl dem Ursprungsmaterial als auch dem Disney‘schen Original gerecht zu werden, aber als Zuschauer spürt man trotz allem, dass für ein eigenes Werk schlicht zu wenig Ausgangsmaterial zur Verfügung stand.
Bedenkt man, dass 2009 eine offizielle Fortsetzung „Return to the Hundred Acre Wood“ von David Benedictus erschien, könnte man sich natürlich fragen, ob Disney dieses Werk auch als Quelle für Winnie Puuh hätte benutzen sollen. Insgesamt ist es gut vorstellbar, dass solch eine Erweiterung dem Film an sich gut getan hätte, aber gleichzeitig hätte sie die künstlerische Integrität wohl verletzt - und am Ende ist es ja gerade das, wodurch sich der Film von allen anderen halbherzigen Fortsetzungen abheben wollte.
Ich denke, man kann sich über das Ergebnis von Disneys Bemühungen nicht beklagen; das, was die Künstler erreichen wollten, haben sie schließlich mustergültig geschafft. Mit beiden Filmen und dem Kurzfilm von 1983 zusammen sind nun beide Bücher wirklich umfassend umgesetzt - wie es am Ende des ersten Films heißt: An dem Verzauberten Ort tief im Wald wird immer ein kleiner Bär sitzen und warten.
Winnie-der-Pu, der eigentlich Edward Bär hieß, hatte seinen neuen Namen von Pu, einem Schwan, und einer kanadischen Schwarzbärin namens Winnie geerbt, die Milnes Sohn Christopher Robin gerne im Zoo besuchte. Zusammen mit den anderen Kuscheltieren Ferkel, I-Ah, Tieger, Känga und Ruh verbrachten sie jedes Wochenende gemeinsam in einem Ferienhaus am Rande von Ashdown Forest etwa 50 km südlich London, und hier finden sich die Schauplätze praktisch all der bekannten Abenteuer wieder: Der Hundertsechzig-Morgen-Wald (oder eigentlich Five Hundred Acre Wood) war genauso ein Teil der Gegend wie der Verzauberte Ort und die Brücke über dem Fluss, die sich so gut für das Spiel Pu-Stöckchen eignet.
Christopher Robin war sechs Jahre alt, als mit „Pu der Bär“ („Winnie-the-Pooh“) nach einigen Gedichten das erste richtige Buch veröffentlicht wurde, das von ihm und seinen Kuscheltieren berichtet und von den Abenteuern, die sie gemeinsam in ihrem Wald erlebten. Zwei Jahre später folgte „Pu baut ein Haus“ („The House at Pooh Corner“), und während der Junge zu dieser Zeit seine Kuscheltier-Spiele schon größtenteils hinter sich gelassen hatte, fing die Blütezeit von Pu mit dem Erscheinen der Bücher erst an. Die Illustrationen von E. H. Shepard, die sich größtenteils sehr genau an die echten Kuscheltiere und Orte halten, wurden legendär, und auch die farbigen Bilder, in denen Stephen Slesinger dem Bären ab 1932 sei rotes Oberteil verpasste, halfen dabei, das Bild des dummen alten Pu-Bären weiter zur Ikone werden zu lassen.
Bereits wenige Jahre nach seinem ersten großen Auftritt war Pu der Bär zumindest in Großbritannien zu allgemeinem Kulturgut geworden, und darin hat sich bis heute nichts geändert, bedenkt man, dass in Oxfordshire nach wie vor die jährliche Weltmeisterschaft in Pu-Stöckchen ausgetragen wird.
Gerade das erste der beiden Bücher beginnt sehr intim mit einer „Vorstellung“, die uns in Christopher Robins Kinderzimmer führt und die seltsame Namensentstehung der Hauptfigur erläutert. Wie auch im Rest der Geschichten, so wird gerade hier deutlich, dass der gesamte Rahmen absolut authentisch ist; es sind die gemeinsamen Fantasien und Gedankenspielereien von Vater und Sohn. Auch die eigentlichen Erzählungen von Christopher Robin und den Kuscheltieren Pu der Bär, Ferkel und I-Ah, später auch Känga und Klein-Ruh, von den „echten“ Tieren Kaninchen, seinen Bekannten-und-Verwandten und von Oile, die im Hundertsechzig-Morgen-Wald lebt, werden immer wieder durch die Fragen des Jungen unterbrochen, der viele seiner Abenteuer noch einmal ganz genau erklärt haben möchte.
All die Tiere zeichnen sich durch wenige markante Charakterzüge aus, was ihnen einen kindlichen Charme und eine dauerhafte Unverwechselbarkeit gibt. Doch hinter allem bleibt der eimalige und offene Geistesstand eines sechsjährigen Jungen zu erkennen, und man muss Milne bewundern, der diese naive Lebendigkeit so völlig mühelos in jeder Figur einzufangen vermag.
Das zweite Buch beginnt mit einer „Rückstellung“, die auf ihre Weise so melancholisch ist wie die Vorstellung des ersten Bandes rührend. Von der ersten Seite an wird klar, was die vergangenen zwei Jahre für einen Jungen dieses Alters bedeuten, und inwieweit Schule und der „harte Alltag“ das Kinderspiel eingeholt haben. So wird ohne großen Aufwand schon hier das letzte Kapitel angedeutet, in dem sich Christopher Robin und Pu der Bär schließlich Lebewohl sagen werden.
Aber insgesamt ist auch dieses Buch nicht nur von Melancholie geprägt, vor allem tritt hier das lebenslustigste aller Kuscheltiere erstmals in Aktion: Tieger. Der gestreifte Wildfang, der alles kann - zumindest bis er es versucht - zieht bei Känga und Ruh ein, und es ist wohl eine Bemerkung wert, dass das Springen im Buch offensichtlich nicht zu seinen Stärken gehört. Andere bei der Begrüßung anzuspringen ist allerdings etwas anderes... Außerdem werden in diesem Buch der mysteriöse Balzrück und die Jagulare erwähnt, die aber, wie die Heffalumps und Wuschel zuvor, nur in den Gesprächen der anderen Tiere vorkommen.
Das letzte Kapitel ist schließlich der Abschied von Christopher Robin und seinen Kuscheltieren, die sich allesamt versammelt haben, um ihm von ganzem Herzen alles Gute zu wünschen. Erst danach folgt ein letzter Gang zum Verzauberten Ort und das Gespräch mit Pu. Dieses Kapitel ist vielleicht das einzige, in dem die leitende Hand des Vaters, der all die Geschichten schließlich aufzeichnet, in der Stimmung zu spüren ist. Zu schwer klingen die Worte für einen achtjährigen Jungen, denn auch wenn es nicht eindeutig ausgesprochen wird, so liegt die Bedeutung dieser Aussprache doch darin, dass sich Christopher Robin bei dem Gefährten seiner Kindertage dafür entschuldigt, dass er ihn nun alleine lassen muss. Aber gerade in seiner übergeordneten Bedeutung ist dieser Moment gleichsam Herz- und Angelpunkt der Bücher, und vielleicht auch der Grund, warum diese seit jeher nicht nur Kinder, sondern auch Großgewordene zutiefst zu rühren vermögen.
Da nicht nur Walt Disneys Töchter die Geschichten von Pu dem Bär sehr geliebt haben, sondern auch Milne selbst ein Bewunderer Disneys war, ist es fast verwunderlich, dass Disney sich der Geschichten erst nach Milnes Tod annahm. Natürlich kam als leichte Schwierigkeit die Sorge hinzu, ob sich ein amerikanisches Publikum überhaupt für die europäische Gestalt interessieren würde, doch diese Befürchtungen wurden schließlich effizient umschifft: Von 1966 bis 1974 in drei Kurzfilmen veröffentlicht, fand Winnie Puuh sofort ein begeistertes Publikum, so dass die schließliche Zusammenfassung in Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh 1977 quasi nur noch eine Formalität darstellte.
Natürlich wurde der neuen Kultur in mancher Hinsicht geschmeichelt, vor allem durch die Neueinführung des amerikanischen Gophers, der sich vorstellt mit „Ich komme zwar nicht im Buch vor ...“. Außerdem kommen im Film auch die Heffalumps und Wusel zu ihrem großen Auftritt, wenn es sich auch nur um einen psychedelischen Albtraum handelt. Aber generell kann man sagen, dass sich der Stil des Films bemerkenswert eng an dem Original orientiert. Ob es nun um den genauen Inhalt der Geschichten geht, über das allgemeine künstlerische Konzept der Kuscheltiere, die sich ohne Finger, mit ihrer eingeschränkten Bewegung und reinen Knopfaugen nur über die Körpersprache ausdrücken, bis hin zu Shepards Illustrationen, die teilweise eins zu eins übernommen werden. Selbst mehrere Lieder des Films finden ihren genauen Ursprung in Milnes Text.
Das einzige Tier, dessen Charakter leicht modifiziert wurde, ist I-Aah. Der schwermütige Esel ist im Buch um einiges „realistischer“ angelegt; er scheint meistens einen Grund für seine Griesgrämigkeit zu haben und gibt sich gleichzeitig um einiges unleidlicher den anderen Figuren gegenüber. Im Film wurde er mit seiner trostlose Niedlichkeit zu einem heimlichen Sympathieträger, während in den Büchern eine gewisse Genervtheit ihm gegenüber nicht ausbleibt.
Das Ende des Disneyfilms ist schließlich eine sehr genaue Umsetzung des letzten Buchkapitels, nur dass sich der Abschied bei Disney ganz auf die Beziehung zwischen Christopher Robin und Winnie Puuh konzentriert. Auch sind seine Worte hier etwas kindgerechter und haben eine bittersüße Melodramatik, die einem Jungen seines Alters durchaus angemessen sein könnte, ohne dass sie den Sinn der Szene wirklich beeinträchtigen.
Denkt man an die einfache Handlung der Geschichten, so verwundert es vielleicht, dass Disneys erste Adaption es wirklich schafft, die Essenz der beiden Bücher zu fassen und in drei Erzählungen zu verpacken. Dazu kam 1983 noch der Kurzfilm Winnie Puuh und I-Aahs Geburtstag, der in einem ähnlichen Stil angelegt ist und auch auf zwei Kapiteln der Bücher basiert, und somit bleibt nicht mehr allzu viel Original-Stoff für weitere Bearbeitungen übrig. Die Folge war, dass alle weiteren Winnie-Puuh-Serien und -Filme aus dem Hause Disney größtenteils auf eigenständigem Material beruhten, und sich bemühten, das Erbe von Milne in eigenen Geschichten weiterleben zu lassen.
Doch schließlich erschien 2011 mit Winnie Puuh ein weiteres Disney-Meisterwerk, das sich ganz bewusst wieder auf die Spuren des Originals begeben sollte - so sehr, dass sogar der längst zur Stammbesetzung gehörende Gopher hier weichen musste. Aber wie gesagt; das Problem dieses Ansatzes liegt in der Menge an verfügbarem Material. Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh vereinigte elf von zwanzig Kapiteln der Bücher in sich, Winnie Puuh und I-Aahs Geburtstag noch einmal zwei, und drei der restlichen Kapitel sind für eine Fortsetzung unbrauchbar oder geben einfach nicht sonderlich viel her. Somit musste die neue Adaption nun mit dem Inhalt von vier Kapiteln auskommen - etwa ein Drittel des Materials des ersten Films ...
Es ist nicht zu bestreiten, dass man bei Disney schließlich aus den vorhandenen Geschichten das Bestmögliche herausgeholt hat. Der Balzrück, der im Buch nur eine kleine Anmerkung darstellt, wurde im Film als perfekte unterschwellige Bedrohung ausgeführt, und für die gesamte Jagd wurden mehrere ähnliche Stellen des Buches, die sich dort allerdings auf Heffalumps bezogen, zusammengefasst. Auch in allen anderen Teilen gibt sich der Film deutliche Mühe, sowohl dem Ursprungsmaterial als auch dem Disney‘schen Original gerecht zu werden, aber als Zuschauer spürt man trotz allem, dass für ein eigenes Werk schlicht zu wenig Ausgangsmaterial zur Verfügung stand.
Bedenkt man, dass 2009 eine offizielle Fortsetzung „Return to the Hundred Acre Wood“ von David Benedictus erschien, könnte man sich natürlich fragen, ob Disney dieses Werk auch als Quelle für Winnie Puuh hätte benutzen sollen. Insgesamt ist es gut vorstellbar, dass solch eine Erweiterung dem Film an sich gut getan hätte, aber gleichzeitig hätte sie die künstlerische Integrität wohl verletzt - und am Ende ist es ja gerade das, wodurch sich der Film von allen anderen halbherzigen Fortsetzungen abheben wollte.
Ich denke, man kann sich über das Ergebnis von Disneys Bemühungen nicht beklagen; das, was die Künstler erreichen wollten, haben sie schließlich mustergültig geschafft. Mit beiden Filmen und dem Kurzfilm von 1983 zusammen sind nun beide Bücher wirklich umfassend umgesetzt - wie es am Ende des ersten Films heißt: An dem Verzauberten Ort tief im Wald wird immer ein kleiner Bär sitzen und warten.
1 Kommentare:
Danke für den tollen Bericht!
Habe beide Filme und auch den Kurzfilm zu I-Aahs Geburtstag gesehen, sowie das erste Buch gelesen und finde, dass die herrlichen Figuren dieser Geschichten mehr Aufmerksamkeit verdient hätten.
Und zwar abseits von Baby-Produkten wie Stramplern und Trinkflaschen...
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