Samstag, 15. Dezember 2012

DisneyWar 2: Als Jeffrey Katzenberg Hollywood die Meinung geigte



Der Aufstieg und Fall des Disney-Konzerns in der Ära Eisner, dokumentiert anhand des Lesetagebuchs zum Buch „DisneyWar“ – Im Schatten der Maus

Nach dem ersten Teil unserer Reihe, in der vor allem die Vorgeschichte des legendären Umbruchs bei Disney im Jahr 1984 erörtert wurde, beschäftigt sich der zweite Teil nun mit den ersten Jahren unter der neuen Führungsriege, die da wäre: Michael Eisner, CEO und kreativer Antreiber; Frank Wells, Präsident, COO und rationaler Part der Mannschaft; Jeffrey Katzenberg, Vorsitzender der Filmabteilung Walt Disney Studios. Vor allem um letzteren dreht sich das Lesetagebuch im Folgenden. Es basiert auf den Kapiteln zwei und drei von James Stewarts „DisneyWar“ (S. 89-151).

Teil 2

Wenn ich im ersten Teil der Reihe geschrieben habe, Michael Eisner sei hartnäckig und voller Energie, dann müsste ich von Jeffrey Katzenberg nicht nur dasselbe sagen, sondern noch mehr: Katzenberg war (und ist vermutlich noch) besessen von seiner Arbeit, ein Workaholic im Superlativ. So zumindest schildert Stewart diesen Filmproduzenten, der unter Michael Eisner bereits bei Paramount gearbeitet hatte und den Führungswechsel seines Chefs zu Disney mitmachte. Katzenberg soll in diesen ersten Disney-Jahren pro Tag nur wenige Stunden geschlafen haben, führte oft parallel zwei Telefongespräche und begrenzte diese – und auch andere Unterhaltungen mit Mitarbeitern – auf maximal 30 Sekunden. Trotzdem bildeten sich immer lange Warteschlangen vor Katzenbergs Büro, wie Stewart schildert: Er war der noch am leichtesten zu sprechende Mann der Führungsriege; Eisner und Wells hatten anderes zu tun. Selbst Roy Disney wandte sich meist zuerst an Katzenberg.

Die Beziehung zwischen diesen beiden steht auch exemplarisch für den Standpunkt, den Katzenberg (Foto rechts) vertrat: Er wollte – anders als Eisner und Wells zu Anfang – die Trickfilmabteilung nicht schließen. Zwar wird es im Buch nicht tiefergehend thematisiert, aber ohne Katzenberg hätte Disney vielleicht ab Mitte der 80er Jahre ohne den traditionellen Zeichentrick dagestanden – und in Folge wäre es sicherlich nicht zur großen Disney Renaissance gekommen. Bekanntlich erschien „Arielle“ bereits 1989 und war überhaupt nur als Projekt vorangetrieben worden, weil man sich zunächst gegen die Schließung der Abteilung entschlossen hatte. Vermutlich also wäre die Entwicklung des Disney-Zeichentrick ohne den Einsatz Katzenbergs völlig anders, wahrscheinlich deutlich weniger bezaubernd, verlaufen.

Warum sich Katzenberg so für den Zeichentrick einsetzte, wird im Buch zunächst nicht ganz klar. Das Geschäft lag Anfang der 80er am Boden, hatte ein Jahrzehnt keinen Hit mehr hervorgebracht. Mit Don Bluth und seiner Mannschaft, die von Disney gekommen war, hatte man einen erfolgreicheren Konkurrenten. Und selbst die Aussichten waren nicht rosig: „Taran und der Zauberkessel“, ein Film mit jahrelanger Entwicklungszeit und immensen Kosten, schien ein neuer Tiefpunkt im Meisterwerke-Kanon zu werden. Katzenberg soll laut Autor James Stewart richtig bestürzt gewesen sein über die vorläufige Version des Films – und vor Wut im Schneideraum selbst Hand angelegt haben, um ihn „zurechtzustückeln“. Wichtig festzuhalten bleibt: Trotz dieses immensem Flops hielt Katzenberg an der Vision einer erfolgreichen Trickfilmabteilung fest – auch nach dem erwartungsgemäß enttäuschenden Box Office von „Taran“ 1985 (er spielte nicht einmal sein Budget ein).

Eisner und Wells werden sich in ihrer Meinung bestätigt gefühlt haben, allerdings sollte Katzenberg noch eine Chance bekommen – „Taran“ war schließlich vor seinem Antritt in Entwicklung. Fraglich bleibt, ob der erste Zeichentrickfilm unter Katzenberg auch der letzte hätte sein können, wenn er gefloppt wäre. Meiner Meinung nach wäre dem so gewesen. Darauf deutet auch hin, dass sich Roy E. Disney nach Stewarts Aussagen wieder mehr in das Geschäft einmischte – Roy habe das „Gefühl [gehabt], er müsste um die Zukunft des Trickfilms kämpfen, denn er glaubte, dass er wieder zum Herzen des Unternehmens werden könnte“ (S. 110). Dieser eine Film, der vermutlich Disneys mittelfristige Trickfilm-Zukunft gerettet hat, war:  „Basil, der Mäusedetektiv“. Nachdem Katzenberg reinen Tisch gemacht hatte (ein Gulliver-Projekt gekappt, einem Großteil Mannschaft von „Taran“ gekündigt), ging er neue Projekte an. Wie der Zufall es will, gehörten Ron Clements und John Musker – zwei Köpfe der späteren Disney Renaissance – nicht (mehr) zum „Taran“-Team und verblieben daher im Unternehmen. Sie waren es schließlich, die den Storyvorschlag für „Basil“ einbrachten, der letztlich überraschend erfolgreich wurde. Gleiches galt für „Oliver & Company“, das 1987 erschien. Die Trickfilm-Sparte erschien plötzlich als Einnahmequelle mit Riesenpotenzial – und bei den Zeichnern machte sich trotz des harten Führungskurses mit Katzenberg Goldgräber-Stimmung breit.

Mein Eindruck, dass Katzenberg und Roy Disney gemeinsam kreativ immer wieder gegensteuerten, verstärkte sich beim Thema VHS-Veröffentlichungen: Auch hier waren es die beiden, die zunächst gegen den Heimkinomarkt stimmten und keine Disney-Klassiker auf VHS herausbringen wollten. Finanziell aber lohnte sich dies deutlich mehr als die Zeichentrickfilme alle sieben Jahre im Kino neu herauszubringen. Nach anfänglich zaghaften Versuchen wurde das VHS-Geschäft immer weiter ausgeweitet; auch Roy und Katzenberg hatten dieser Politik letztlich nichts mehr entgegenzusetzen.

Neben der Zeichentrick- hatte Katzenberg als Studiochef auch die Spielfilm-Abteilung zu verantworten, welche ebenfalls auf Vordermann gebracht werden musste. Auch hier bewies er – zunächst mit dem von Eisner verordneten Konzept günstiger, aber ideenreicher Filmproduktionen – ein Gespür für den Erfolg. Trotzdem wollte Katzenberg mehr: Er setzte sich für die Produktion von „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“ ein, der damals als teuerster Film mit Zeichentrick-Elementen in die Geschichte einging. Katzenberg verließ mit dem Projekt den eingeschlagenen Weg, keine Hollywood-Größen zu engagieren, denn hinter „Roger Rabbit“ standen unter anderem George Lucas und Steven Spielberg.

Trotz eines veranschlagten Budgets von 30 Millionen Dollar wurde der Film immer teurer, kostete schließlich 50 Millionen – und Michael Eisner „explodierte“, wie James Stewart beschreibt (S. 135). Katzenberg musste die Sache regeln und berief ein Treffen ein, das sich noch heute wie die Creme de la Creme Hollywoods liest. Zitat: „In einer Aktion, die selbst nach Katzenbergs Maßstäben dramatische Züge hatte, rief er die wichtigsten Beteiligten zu einer Sitzung in New York zusammen (…) – unter anderem [Richard] Williams, Spielberg, [Robert] Zemeckis, [Frank] Marshall und [Peter] Schneider.“ Zemeckis und Williams führten gemeinsam Regie beim Projekt, Spielberg war Produzent im Hintergrund und George Lucas war durch seine Special-Effects-Firma ebenfalls beteiligt. Wie dieses vermutlich hochinteressante Gespräch genauer abgelaufen ist, darüber schweigt sich das Buch aus. Es steht lediglich fest, dass Katzenberg die Verantwortungsbereiche neu strukturierte, was letztlich der Kostenexplosion nicht helfen konnte. Lediglich das angesetzte Kino-Startdatum hielt man gerade noch ein. Aber auch hier zeigte sich Katzenbergs Gespür für Hits: „Roger Rabbit“ spielte das Dreifache seines Budgets ein. Allerdings wurde es nicht der erfolgreichste Film des Jahres 1988, wie Katzenberg selbst prophezeit hatte (S. 137). Dieser Titel ging an „Rain Man“, „Roger Rabbit“  selbst schaffte immerhin Platz zwei. Und Eisners Spielfilm-Strategie der niedrigen Produktionskosten erfuhr eine erste leichte Aufweichung.

Michael Eisner selbst? Dessen Charakterbild wird in den Kapiteln zwei und drei kaum weitergezeichnet – abgesehen davon, dass man immer mehr den Eindruck erhält, Eisner sehe sich als legitimer Nachfolger Walt Disneys (Eisner präsentierte künftig Disneys sonntaglichen Filmabend und lehnte alle Moderatorengrößen für den Job ab). Stewart erzählt auch von der Liebe Eisners zur Architektur, die vor allem in die Arbeit bei den Themenparks einfloss – dort trieb der Disney-Chef vor allem die Errichtung prestigeträchtiger Hotels voran und verwirklichte mit seinen architektonischen Ideen einen Kindheitstraum. Kurz: Eisner schien sich bei seiner Arbeit auch ein wenig selbst zu verwirklichen und zu entfalten.

Für die Filmsparte schien aber Katzenberg entscheidend zu sein, der bei Zeichnern und Hollywood-Größen – sehr konsequent und hart, aber effektiv – seine Impulse setzte und Disney damit innerhalb weniger Jahre zur Nummer eins der großen Studios machte. Sein rigider Führungsstil bildete eine Art Hassliebe zu seinen Mitarbeitern aus, wie Stewart beschreibt: „Die Zeichner hatten war gelernt, dass sie Katzenberg Respekt zollen mussten, aber hinter seinem Rücken zeichneten sie beißende Karikaturen. Viele davon waren pubertär und unanständig.“ Eine legendäre Karikatur zierte zuletzt das Titelbild der DVD „Waking Sleeping Beauty“, die hinter die Kulissen der Disney Renaissance blickt. Die Zeichnung zeigt Jeffrey Katzenberg, wie er das Dornröschen-Schloss mit viel Sprengstoff abheben lassen will. Besser könnte man seinen Charakter wohl nicht in eine Karikatur verpacken.

Über Anregungen und Diskussionen in den Kommentaren freue ich mich! Wer mitlesen möchte: Beim nächsten Mal bespreche ich die Kapitel vier und fünf.

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