Der Aufstieg und
Fall des Disney-Konzerns in der Ära Eisner, dokumentiert anhand des
Lesetagebuchs zum Buch „DisneyWar“ – Im Schatten der Maus
Nach dem ersten
Teil unserer Reihe, in der vor allem die Vorgeschichte des legendären Umbruchs
bei Disney im Jahr 1984 erörtert wurde, beschäftigt sich der zweite Teil nun
mit den ersten Jahren unter der neuen Führungsriege, die da wäre: Michael
Eisner, CEO und kreativer Antreiber; Frank Wells, Präsident, COO und rationaler
Part der Mannschaft; Jeffrey Katzenberg, Vorsitzender der Filmabteilung Walt
Disney Studios. Vor allem um letzteren dreht sich das Lesetagebuch im
Folgenden. Es basiert auf den Kapiteln zwei und drei von James Stewarts „DisneyWar“
(S. 89-151).
Teil 2
Wenn ich im
ersten Teil der Reihe geschrieben habe, Michael Eisner sei hartnäckig und
voller Energie, dann müsste ich von Jeffrey Katzenberg nicht nur dasselbe
sagen, sondern noch mehr: Katzenberg war (und ist vermutlich noch) besessen von
seiner Arbeit, ein Workaholic im Superlativ. So zumindest schildert Stewart
diesen Filmproduzenten, der unter Michael Eisner bereits bei Paramount
gearbeitet hatte und den Führungswechsel seines Chefs zu Disney mitmachte.
Katzenberg soll in diesen ersten Disney-Jahren pro Tag nur wenige Stunden
geschlafen haben, führte oft parallel zwei Telefongespräche und begrenzte diese
– und auch andere Unterhaltungen mit Mitarbeitern – auf maximal 30 Sekunden.
Trotzdem bildeten sich immer lange Warteschlangen vor Katzenbergs Büro, wie
Stewart schildert: Er war der noch am leichtesten zu sprechende Mann der
Führungsriege; Eisner und Wells hatten anderes zu tun. Selbst Roy Disney wandte
sich meist zuerst an Katzenberg.
Die Beziehung
zwischen diesen beiden steht auch exemplarisch für den Standpunkt, den
Katzenberg (Foto rechts) vertrat: Er wollte – anders als Eisner und Wells zu Anfang – die
Trickfilmabteilung nicht schließen. Zwar wird es im Buch nicht tiefergehend
thematisiert, aber ohne Katzenberg hätte Disney vielleicht ab Mitte der 80er
Jahre ohne den traditionellen Zeichentrick dagestanden – und in Folge wäre es
sicherlich nicht zur großen Disney Renaissance gekommen. Bekanntlich erschien
„Arielle“ bereits 1989 und war überhaupt nur als Projekt vorangetrieben worden,
weil man sich zunächst gegen die Schließung der Abteilung entschlossen hatte. Vermutlich
also wäre die Entwicklung des Disney-Zeichentrick ohne den Einsatz Katzenbergs
völlig anders, wahrscheinlich deutlich weniger bezaubernd, verlaufen.
Warum sich
Katzenberg so für den Zeichentrick einsetzte, wird im Buch zunächst nicht ganz
klar. Das Geschäft lag Anfang der 80er am Boden, hatte ein Jahrzehnt keinen Hit
mehr hervorgebracht. Mit Don Bluth und seiner Mannschaft, die von Disney
gekommen war, hatte man einen erfolgreicheren Konkurrenten. Und selbst die
Aussichten waren nicht rosig: „Taran und der Zauberkessel“, ein Film mit
jahrelanger Entwicklungszeit und immensen Kosten, schien ein neuer Tiefpunkt im
Meisterwerke-Kanon zu werden. Katzenberg soll laut Autor James Stewart richtig
bestürzt gewesen sein über die vorläufige Version des Films – und vor Wut im
Schneideraum selbst Hand angelegt haben, um ihn „zurechtzustückeln“. Wichtig
festzuhalten bleibt: Trotz dieses immensem Flops hielt Katzenberg an der Vision
einer erfolgreichen Trickfilmabteilung fest – auch nach dem erwartungsgemäß
enttäuschenden Box Office von „Taran“ 1985 (er spielte nicht einmal sein Budget
ein).
Eisner und
Wells werden sich in ihrer Meinung bestätigt gefühlt haben, allerdings sollte
Katzenberg noch eine Chance bekommen – „Taran“ war schließlich vor seinem
Antritt in Entwicklung. Fraglich bleibt, ob der erste Zeichentrickfilm unter
Katzenberg auch der letzte hätte sein können, wenn er gefloppt wäre. Meiner
Meinung nach wäre dem so gewesen. Darauf deutet auch hin, dass sich Roy E.
Disney nach Stewarts Aussagen wieder mehr in das Geschäft einmischte – Roy habe
das „Gefühl [gehabt], er müsste um die Zukunft des Trickfilms kämpfen, denn er
glaubte, dass er wieder zum Herzen des Unternehmens werden könnte“ (S. 110).
Dieser eine Film, der vermutlich Disneys mittelfristige Trickfilm-Zukunft
gerettet hat, war: „Basil, der Mäusedetektiv“. Nachdem Katzenberg reinen
Tisch gemacht hatte (ein Gulliver-Projekt gekappt, einem Großteil Mannschaft
von „Taran“ gekündigt), ging er neue Projekte an. Wie der Zufall es will,
gehörten Ron Clements und John Musker – zwei Köpfe der späteren Disney
Renaissance – nicht (mehr) zum „Taran“-Team und verblieben daher im
Unternehmen. Sie waren es schließlich, die den Storyvorschlag für „Basil“
einbrachten, der letztlich überraschend erfolgreich wurde. Gleiches galt für
„Oliver & Company“, das 1987 erschien. Die Trickfilm-Sparte erschien
plötzlich als Einnahmequelle mit Riesenpotenzial – und bei den Zeichnern machte
sich trotz des harten Führungskurses mit Katzenberg Goldgräber-Stimmung breit.
Mein Eindruck,
dass Katzenberg und Roy Disney gemeinsam kreativ immer wieder gegensteuerten,
verstärkte sich beim Thema VHS-Veröffentlichungen: Auch hier waren es die
beiden, die zunächst gegen den Heimkinomarkt stimmten und keine
Disney-Klassiker auf VHS herausbringen wollten. Finanziell aber lohnte sich
dies deutlich mehr als die Zeichentrickfilme alle sieben Jahre im Kino neu
herauszubringen. Nach anfänglich zaghaften Versuchen wurde das VHS-Geschäft immer
weiter ausgeweitet; auch Roy und Katzenberg hatten dieser Politik letztlich
nichts mehr entgegenzusetzen.
Neben der
Zeichentrick- hatte Katzenberg als Studiochef auch die Spielfilm-Abteilung zu
verantworten, welche ebenfalls auf Vordermann gebracht werden musste. Auch hier
bewies er – zunächst mit dem von Eisner verordneten Konzept günstiger, aber
ideenreicher Filmproduktionen – ein Gespür für den Erfolg. Trotzdem wollte
Katzenberg mehr: Er setzte sich für die Produktion von „Falsches Spiel mit Roger
Rabbit“ ein, der damals als teuerster Film mit Zeichentrick-Elementen in die Geschichte
einging. Katzenberg verließ mit dem Projekt den eingeschlagenen Weg, keine
Hollywood-Größen zu engagieren, denn hinter „Roger Rabbit“ standen unter
anderem George Lucas und Steven Spielberg.
Trotz eines
veranschlagten Budgets von 30 Millionen Dollar wurde der Film immer teurer,
kostete schließlich 50 Millionen – und Michael Eisner „explodierte“, wie James
Stewart beschreibt (S. 135). Katzenberg musste die Sache regeln und berief ein
Treffen ein, das sich noch heute wie die Creme de la Creme Hollywoods liest.
Zitat: „In einer Aktion, die selbst nach Katzenbergs Maßstäben dramatische Züge
hatte, rief er die wichtigsten Beteiligten zu einer Sitzung in New York
zusammen (…) – unter anderem [Richard] Williams, Spielberg, [Robert] Zemeckis, [Frank]
Marshall und [Peter] Schneider.“ Zemeckis und Williams führten gemeinsam Regie
beim Projekt, Spielberg war Produzent im Hintergrund und George Lucas war durch seine
Special-Effects-Firma ebenfalls beteiligt. Wie dieses vermutlich
hochinteressante Gespräch genauer abgelaufen ist, darüber schweigt sich das
Buch aus. Es steht lediglich fest, dass Katzenberg die Verantwortungsbereiche
neu strukturierte, was letztlich der Kostenexplosion nicht helfen konnte.
Lediglich das angesetzte Kino-Startdatum hielt man gerade noch ein. Aber auch
hier zeigte sich Katzenbergs Gespür für Hits: „Roger Rabbit“ spielte das
Dreifache seines Budgets ein. Allerdings wurde es nicht der erfolgreichste Film
des Jahres 1988, wie Katzenberg selbst prophezeit hatte (S. 137). Dieser Titel ging
an „Rain Man“, „Roger Rabbit“ selbst
schaffte immerhin Platz zwei. Und Eisners Spielfilm-Strategie der niedrigen
Produktionskosten erfuhr eine erste leichte Aufweichung.
Michael Eisner
selbst? Dessen Charakterbild wird in den Kapiteln zwei und drei kaum
weitergezeichnet – abgesehen davon, dass man immer mehr den Eindruck erhält,
Eisner sehe sich als legitimer Nachfolger Walt Disneys (Eisner präsentierte
künftig Disneys sonntaglichen Filmabend und lehnte alle Moderatorengrößen für
den Job ab). Stewart erzählt auch von der Liebe Eisners zur Architektur, die
vor allem in die Arbeit bei den Themenparks einfloss – dort trieb der
Disney-Chef vor allem die Errichtung prestigeträchtiger Hotels voran und
verwirklichte mit seinen architektonischen Ideen einen Kindheitstraum. Kurz:
Eisner schien sich bei seiner Arbeit auch ein wenig selbst zu verwirklichen und
zu entfalten.
Für die
Filmsparte schien aber Katzenberg entscheidend zu sein, der bei Zeichnern und
Hollywood-Größen – sehr konsequent und hart, aber effektiv – seine Impulse
setzte und Disney damit innerhalb weniger Jahre zur Nummer eins der großen
Studios machte. Sein rigider Führungsstil bildete eine Art Hassliebe zu seinen
Mitarbeitern aus, wie Stewart beschreibt: „Die Zeichner hatten war gelernt,
dass sie Katzenberg Respekt zollen mussten, aber hinter seinem Rücken
zeichneten sie beißende Karikaturen. Viele davon waren pubertär und
unanständig.“ Eine legendäre Karikatur zierte zuletzt das Titelbild der DVD „Waking
Sleeping Beauty“, die hinter die Kulissen der Disney Renaissance blickt. Die
Zeichnung zeigt Jeffrey Katzenberg, wie er das Dornröschen-Schloss mit viel
Sprengstoff abheben lassen will. Besser könnte man seinen Charakter wohl nicht
in eine Karikatur verpacken.
Über Anregungen und Diskussionen in den Kommentaren freue ich mich! Wer mitlesen möchte: Beim nächsten Mal bespreche ich die Kapitel vier und fünf.
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