Das neue Im Schatten der Maus-Mitglied Case berichtet euch ab sofort von einem besonderen Kapitel der Disney-Geschichte: Dem DisneyWar
Es gab Zeiten, in denen der heutige Entertainment-Gigant Disney am Scheideweg stand. 1937 war beispielsweise so ein Jahr, als die erste abendfüllende Kinoproduktion „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ zum Erfolg verdammt war, weil sie immens hohe Produktionskosten verschlungen hatte. Auch 1984 stand Disney vor einem Umbruch und höchst unsicheren Zeiten: Die Zeichentrickfilm-Sparte lag am Boden, das Unternehmen selbst versprühte kaum noch Erfindergeist und Elan. Würden es die neue, hastig zusammengestellte Führungsmannschaft mit Michael Eisner, Frank Wells und Jeffrey Katzenberg schaffen, Disney wieder zu neuem Glanz zu führen? Das risikoreiche Unterfangen ging – wie wir alle wissen – gut, doch zwanzig Jahre später war die Maus erneut an einem Wendepunkt angelangt: 2004 stand der gesamte Konzern vor der Übernahme durch den US-Kabelbetreiber Comcast; man überwarf sich mit dem Animationsstudio Pixar, das zuletzt – im Gegensatz zum klassischen Zeichentrick – hohe Gewinne in die Kassen gespült hatte; es gab eine Revolte im Management zwischen Disney-Chef Michael Eisner und Präsident Roy E. Disney.
Vor allem von
dieser spannenden Zeit – dem fabelhaften Aufstieg des Disney-Konzerns ab 1984
bis zu seinem zwischenzeitlichen Fall 2004 – handelt das Sachbuch „Disney War“
von Journalist James B. Stewart, das 2005 erschienen ist. Es ist nicht nur eine
Aneinanderreihung von Fakten und damals öffentlich zugänglichen Informationen,
sondern ein intimer Einblick in die Traumfabrik Disney, ihre Chefs und deren
innerste Gedanken. Für „Disney War“ ging Stewart ein Jahr lang beim Konzern ein
und aus, führte Interviews mit den beiden Konfliktparteien, wurde zu einem Teil
der gesamten Ideologie, die hinter Disney steckt. Dafür schlüpfte der Autor
sogar einen Tag lang in ein Goofy-Kostüm und schrieb in Disney World
Autogramme.
Es muss knapp
sieben Jahre her gewesen sein, dass ich „Disney War“ zum ersten – und bisher
einzigen – Mal gelesen habe. Ein Buch, das mich damals von Seite eins an
fasziniert und in seinen Bann gezogen hat, weil ich einerseits als Disney-Fan
natürlich Interesse an einer (möglichst) objektiven Darstellung der
Hintergründe des Konzerns habe, und weil ich andererseits generell Spaß habe an
wirtschaftlichen Themen im Entertainment-Geschäft. Beides findet sich in diesem
Buch wieder. Für diese Artikelreihe werde ich „Disney War“ aus der Distanz und
mit dem Wissen, dass Disney nach der Eisner-Ära so gut dasteht wie noch nie,
ein zweites Mal lesen und meine Eindrücke und Assoziationen niederschreiben:
Wie können die damaligen Ereignisse aus heutiger Sicht eingeordnet werden, wie
ist meine Meinung als Disney-Fan zu diesen Entwicklungen? Welche Passagen sind
rückblickend besonders erkenntnisreich und überraschend? Teil eins meines
Lesetagebuchs thematisiert den Prolog und das erste Kapitel bis Seite 88.
Teil 1
Wie es sich für
einen guten Journalisten gehört, beginnt Stewart seine Geschichte im Prolog
nicht mit trockenen Abhandlungen oder Faktenwissen, sondern mit der Schilderung
einer exemplarischen Situation: Er beschreibt einen Nachmittag des Jahres 2003
im Leben von Roy E. Disney (Foto), den damals stellvertretenden Vorsitzenden und
letzten leiblichen Verwandten von Walt Disney, der im Unternehmen arbeitet.
Schon auf diesen ersten Seiten werden die Gräben ersichtlich, die zwischen Roy
und Michael Eisner liegen und von denen aus „Disney War“ seine Story erzählen will.
Michael Eisner wird schnell – damaliger CEO und Chairman von Disney, zu
deutsch: oberster Chef des Konzerns – als Feindfigur von Roy Disney
dargestellt, aus dessen Sicht Teile des Prologs geschildert werden.
Stewart
instrumentalisiert seine Leser damit quasi, auch indem er an ihre emotionale
Seite appelliert: So wird geschildert, wie Roy, der 2003 von Eisner aus dem
operativen Geschäft gedrängt werden soll, als Kind solche Geschichten wie
„Pinocchio“ von Walt vorgelesen bekam und wie er nun nur noch eine
Repräsentationsfigur für das Unternehmen darstellt. Der Leser schlägt sich
demnach emotional auf die Seite von Roy Disney und fragt sich, wer dieser Feind
ist – dieser Michael Eisner, dessen Geschichte am Anfang im Hintergrund bleibt.
Es wird zunächst nur geschildert, dass Eisner den Autor von „Disney War“
offenbar zu überzeugen versuchte, das Buch nicht zu schreiben – und ihm
vermeintlich im Gegenzug den Deal anbot, selbst an einem Disney-Film
mitzuwirken. Stewart stellt diese quid-pro-quo-Darstellung zwar nicht als Fakt,
sondern als Vermutung hin, trotzdem zeichnet er hier das Bild eines
Manager-Profis Eisner, der relativ skrupellos ist und die Recherchen für das Buch
zunächst zu verhindern sucht.
Der restliche
Prolog ist interessant, aber trägt wenig zur eigentlichen Story bei:
Emotionsgeladen schildert Stewart seinen Erfahrungsbericht als Goofy, in dessen
Kostüm er einen Tag lang schlüpfen durfte, inklusive Einführungskurs. Wenig
erkenntnisreich: Disney fordert von seinen kostümierten Mitarbeitern eine
Verschmelzung mit der Figur und ihren Eigenschaften – Gesten, die genaue
Unterschrift für Autogramme, eventuelle Sprechakte müssen genauestens studiert
und auswendig gelernt werden. Fünf Tage dauert eine solche Einführung in den
Charakter einer Disney-Figur normalerweise. Stewart darf schon nach einem
halben Tag ran und gibt im Themenpark als Goofy Autogramme. In diesem Bericht
versucht der Autor die Essenz der Disney-Magie herunterzubrechen auf die
großen, faszinierten Augen der Kinder beim Anblick ihrer Lieblingsfigur – für solche
Momente arbeiten nicht nur die kostümierten Goofy-Darsteller, sondern auch die
ranghöchsten Bosse wie Michael Eisner. Zwar wird dies nicht im Prolog deutlich,
aber schon im folgenden ersten Kapitel.
In diesem
Kapitel beschreibt James Stewart vor allem die Zeit bis zum Antritt von Michael
Eisner (Foto) als CEO im Jahr 1984. Er geht sogar weit zurück zu den Anfängen der
Firma Disney (Stichwort: Oswalt the Lucky Rabbit) und schildert die
Kurzbiographien von Walt, seinem Bruder Roy, seinem Sohn Roy E. Disney und von
Michael Eisner selbst. Vermutlich genauso häufig wie diese Namen fällt in
Kapitel eins aber auch einer, den selbst eingeschweißte Disney-Fans wohl nur
selten gehört haben: Stanley Gold. Er war 1984 entscheidender Strippenzieher
hinter der Installation der neuen Führungsriege Disneys. Gold gehörte damals
dem Board of Directors an, dem Leitungsgremium jedes börsennotierten
Unternehmens, das mit seinen Mehrheiten die jeweiligen Chefs wählen und
abwählen kann. Außerdem war er Aktionär von Disney durch Shamrock Holdings,
eine Investmentfirma von Roy E. Disney (deren CEO Gold heute übrigens ist).
Damals hielt Shamrock gut vier Prozent am Disney-Konzern. Zusammen mit Roy
bildete Stanley Gold die Opposition der frühen 80er Jahre, die sich gegen die
restlichen Board-Mitglieder stellte.
Immer wieder
zeichnet Stewart aber langsam das Bild von Michael Eisner, dem zuletzt allseits
ungeliebten Disney-Chef: Seine Kindheit soll rau verlaufen sein, den Vater
durfte Michael nicht mit „Daddy“, sondern nur mit dem Vornamen anreden. Man
liest hier die typische Geschichte eines Mannes, der aus dem Schatten seines
Vaters treten wollte und sich gegen Widerstände durchsetzte – wie
beispielsweise die Entscheidung, keinen Arztberuf zu erlernen oder nicht auf
die Princeton-Universität zu gehen. Der Lesespaß an diesem Buch offenbart sich
hier erneut, denn der Autor mischt die Fakten und den nüchternen beruflichen
Werdegang immer wieder mit persönlichen Anekdoten aus dem Leben Eisners. Eisner
wurde bei Paramount zu einem großen Namen im Filmgeschäft: Zunächst
verantwortete er bei ABC (das damals noch nicht Disney gehörte) Hits wie „Happy
Days“ und „Laverne & Shirley“, aber auch von „Taxi“ (Foto). Diese Sitcom sagt mir
etwas, weil die großartig unkonventionelle Entertainer-Legende Andy Kaufman in
ihr mitspielte; Kaufman selbst hasste seine Rolle darin und das repetitive,
formulative Sitcom-Genre generell. Nie hätte ich gedacht, dass Eisner für diese
einflussreiche 80er-Sitcom verantwortlich war.
Was mich im
ersten Kapitel von „Disney War“ aber am meisten beeindruckte, war Eisners
hartnäckige und klare Vorstellung vom Filmgeschäft auf der einen und der Vision
auf der anderen Seite. Letztere meinte ich auch, als ich oben von den
faszinierten Kinderaugen und den Momenten sprach, für die jeder bei Disney
arbeitet. Zunächst aber zu Eisners Vorstellung vom Filmgeschäft: Er stand, wie
Stewart es schildert, offenbar wie kein zweiter in Hollywood für die
Ertragsmaximierung bei minimalem Einsatz. Eisner hielt nicht viel von
Big-Budget-Produktionen, da sie auch viel Geld verpulvern könnten. Heute wäre
eine solche Einstellung im Filmgeschäft wohl nicht mehr möglich, auch nicht bei
Disney: Megaflops wie „John Carter“ werden von Megahits wie „The Avengers“ mehr
als nivelliert; es gilt quasi das Recht des Stärkeren. Frühere Marken wie
Touchstone und Miramax, die Ausdruck von Eisners Sparvorstellung war, sind
heute nur noch ein Schatten ihrer selbst (Touchstone) oder gehören gar nicht
mehr zum Disney-Konzern (Miramax). Der Kontrollzwang Eisners ging damals sogar
soweit, dass Regisseure selbst für gesprengte Budgetgrenzen aufkommen mussten. Heute ist so etwas
undenkbar – Stichwort Jerry Bruckheimer, der regelmäßig über die Stränge
schlägt und den Disney trotzdem walten lässt, um ihn nicht zu verlieren.
Deutlich wird
daran, wie die Strategie des Konzerns sich gegenüber der damaligen Zeit um 180
Grad gewendet hat. In den 80er Jahren aber war Eisners Standpunkt angesagt in
Hollywood: Sogar ein von ihm verfasstes Manifest ging umher, das nicht nur
seinen literarischen und kulturellen Hintergrund offenbart, sondern auch seine
Überzeugung, mit qualitativ hochwertigen Filmen beim Publikum anzukommen: „Wenn
wir Geld verdienen wollen, müssen unsere Filme unterhaltsam sein, und wenn wir
unterhaltsame Filme machen, dann machen wir auf jeden Fall manchmal auch
Geschichte oder Kunst oder wir übergeben eine Botschaft – oder alle drei auf
einmal.“ (S. 54) Viel anders hat sich Marcel Reich-Ranicki 2008 auch nicht
ausgedrückt, als er im Zuge seiner Fernsehpreis-Ablehnung über die Missstände
des deutschen Fernsehens referiert hatte.
Michael Eisner
hatte also auch eines: Anspruch. Und diesen forderte er offenbar auch für sein
Publikum ein. Finanzielle Gewinne nicht für jeden Preis (und billige Qualität)
zu erwirtschaften, sondern mit guten und hochwertigeren Geschichten als bei der
Konkurrenz. Deutlich wird dies auch daran, dass Eisner schon bei Paramout die
richtige Nase hatte für gute Drehbücher und schlechte – denn letztlich wurden
die meisten der Produktionen unter ihm zum Erfolg. Er hielt sich selbst, wie Walt, für einen
„Geschichtenerzähler“ (S. 43). Dies halte ich für eine wichtige Passage im
Buch, denn sie verdeutlicht die Einstellung Eisners zu seinem Beruf. Er war
nicht nur Manager irgendeines Unternehmens, sondern verstand das Erbe, das er
übernahm. Er schaute nicht nur auf die Zahlen, sondern auch auf die Inhalte
(diese seien Card Walker, dem vorherigen CEO, relativ egal gewesen – so
schildert es das Buch in etwa).
Und deshalb war
Michael Eisner – dieser Gedanke kommt mir zumindest bei der Lektüre dieses
ersten Kapitels – ein ungeheurer Glücksfall für den Disney-Konzern: Denn Disney
hatte sich bereiterklärt, erstmals einen externen Chef zu installieren und
keinen internen. Dies war meiner Meinung grundsätzlich auch bitter nötig, da die
Strukturen zu festgefahren schienen und der kreative Geist – vor allem in der
Filmsparte – abhanden gekommen. Aber das Risiko, das man damit einging, war
immens: Schließlich gibt es, wie oben beschrieben, genügend Manager, die nur
auf finanzielle Gewinne achten und den Geist des Unternehmens letztlich opfern,
beispielsweise für andere Geschäftssegmente oder durch Mitarbeiterentlassungen.
Eisner war
nicht so, obwohl er mit Disney in der Kindheit laut eigener Aussage nie in
Berührung gekommen war. Aber er war zur richtigen Zeit der richtige Mann im
Jahr 1984, dem Jahr am Scheideweg. Und er war „committed“ zu Disney, also verschrieb
sich voll dem Geist des Unternehmens. Nicht zuletzt machte er deswegen sein
Gehalt vom Konzerngewinn abhängig und ließ sich bei Vertragsbeginn 510.000
Aktien-Bezugsrechte sichern – Eisner war somit nicht nur Disney zum Erfolg
verpflichtet, sondern auch seiner ganzen persönlichen Zukunft. Letztlich gewann
Eisner die entscheidenden Mitglieder des Board of Directors mit einer
eindrucksvollen visionären Rede für sich, die unter anderem die folgende
Passage enthielt: „Trotzdem muss man in diesem kreativen Geschäft bereit sein,
Risiken einzugehen und manchmal sogar zu scheitern, denn sonst passiert nie
etwas Innovatives. Wenn man sich damit zufriedengibt, ein Unternehmen nach
Zahlen zu betreiben, dann verstehe ich das. Aber dann darf man sich nicht auf
ein kreativ geprägtes Unternehmen wie Disney einlassen.“ Jeder Disney-Fan, auch
ich, dürfte dieses Statement wohl sofort unterschreiben. Was ich mich nach der
Lektüre dieses ersten „DisneyWar“-Kapitels aber gefragt habe: Wie konnte es
dazu kommen, dass dieser Mann Michael Eisner offenbar so mit seinen einstigen
Idealen brach und letztlich ähnlich gelähmt agierte wie die Männer, die er und
sein frisches Team im Jahr 1984 ersetzt hatten? Was passierte in diesen zwanzig
Jahren? Es wird eine spannende (Lese)Reise.
Das Buch ist tatsächlich fantastisch. Würde ich nicht gerade an der Eisner-Biographie sitzen, würde ich wohl parallel mitlesen.
AntwortenLöschenDas Buch ist sicherlich interssant und für so eine Thematik regelrecht spannend zu lesen. (Zumindest die ersten 2 Drittel). Aber mitunter holt ein das Buch auch wieder aus den Boden der Realität zurück, wenn Daten und Ereignisse nicht sinnvoll zusammenpassen wollen. Da weiß man, dass man zwar eine gute recherchierte, aber halt nur EINE gut recherchierte Seite kennengelernt hat. Fakt ist, dass Michael D. Eisner zusammen mit den Anderen Verantworltichen die Disney Studios gerettet hat, aber auch für einen herben Niedergang gesorgt hat, von dem sich das Studio erst wieder erholen mussten.
AntwortenLöschenKannte das Buch bisher nicht, aber hab's mir direkt bestellt. Werde die Einträge also später nachholen.
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