Von Legenden zu historischen Ereignissen, von Märchen bis zu klassischer Literatur - die Zauberkünstler von Disney haben sich der vielfältigsten Quellen bedient, um Stoff für ihre Filme zu finden. Gemein haben sie jedoch alle, dass das Ursprungsmaterial nicht ohne Veränderung in den Disney-Kanon eingeflossen ist.
Diese Reihe von Im Schatten der Maus befasst sich mit dem Entstehungsprozess einiger dieser Meisterwerke:
Die Quellen der Disneyfilme
Felix Salten veröffentlichte 1923 mit „Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde“ ein poetisches Werk über Natur und Tiere, in dem - durch die Augen des jungen Rehbocks Bambi - der Wald, seine Bewohner und seine ständig drohenden Gefahren zum Leben erweckt werden.
Wenn es der Name Bambi schon bald geschafft hat, als Synonym für niedliche Fellknäule und große Tieraugen in die Geschichte einzugehen, so tut das Saltens Werk Unrecht. In Wirklichkeit ist die Intensität des Buches durchaus vergleichbar mit Werken wie Unten am Fluss oder Füchse unter sich, Büchern also, die absolut nicht als Kinderbücher einzuschätzen sind. Mehr noch als in der Verfilmung wird im Buch Bambis gesamtes Leben immer wieder überschattet von der allgegenwärtigen Gefahr des Menschen, oder wie ihn die Tiere nennen, schlicht Er. Die Tatsache, dass Salten selbst ein passionierter Jäger war, lässt seine kritische Darstellung des menschlichen Eingriffes in die Natur dabei nur noch beeindruckender erscheinen.
In Gestalt der Jäger stellt der Mensch das ganze Buch hindurch eine ständige Präsenz dar, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht. Bambi muss schon früh erleben, wie ein junger Rehbock vor seinen Augen erschossen wird, und immer wieder hört er die Ängste und besorgten Vermutungen der anderen Tiere mit an. Somit bleibt der Mensch im Buch kein ungesehener, namenloser Schrecken, sondern wird durch die ständigen Gespräche nur allzu real, ohne dabei jedoch etwas von seiner grausigen Macht zu verlieren.
Bambis Cousin Gobo, der von einigen Jägern gefunden, gezähmt und schließlich wieder in die Natur entlassen wird, vertritt eine durchaus andere Meinung zu den Menschen und er scheint das schreckenerfüllte Bild der Tiere zumindest eine Zeit lang zu relativieren - allerdings nur, bis er durch sein neuerworbenes Zutrauen die Gefahr des Jägers unterschätzt und ihm so direkt in sein Gewehr läuft. Auch andere Fähigkeiten der Menschen werden durch die misstrauischen Augen der Rehe gezeigt: Die Idee, den Ruf der Rehe nachzuahmen, die Gefahr der Fangschlingen und das rücksichtslose Fällen der Bäume zeugen allesamt von einer List des Menschen, die die Tiere in verständnislose Angst und Schrecken versetzt.
Aber neben diesen teilweise recht kontroversen Inhalten stellt den wichtigsten Aspekt des Buches die ungeheuer poetische Sprache dar, in der Salten die ruhige und gleichzeitig so harte Welt des Waldes beschreibt. Das Buch, dessen reiner Inhalt sich wohl auf ein Zehntel des Raumes beschränken ließe, lebt vor allem durch die Naturbeobachtungen, die leisen Töne, und man könnte beim unbedarften Lesen gut denken, es sei unmöglich, diese Stimmung erfolgreich auf einen Film zu übertragen. Allerdings konnte das Walt Disney offensichtlich nicht daran hindern, diese Herausforderung anzunehmen - und das mit einem wahrlich beachtlichen Erfolg.
Der Film von 1942 verlässt sich durchaus nicht auf seine Wortgewalt; er kommt mit insgesamt rund eintausend gesprochenen Worten aus. In direkter Folge liegt eine Hauptverantwortung des Werkes auf den als Hintergrund fungierenden Liedern und generell der Musik, die mit ihrem Fantasia-inspirierten klassischen Klang perfekt in die ruhige Waldszenerie passt. Um die Welt des Buches wiederzugeben, greift der Film auf eine einmalige Klang- und Bildsprache zurück, nachsteht.
Auch die Liebesszene zwischen Bambi und Faline, die Unterbrechung durch seinen Rivalen und der wütende Kampf sind Beispiele dafür, wie verschiedene Medien ideal genutzt werden können, um eine vergleichbare Wirkung zu erzielen. Das gesamte Lied „Ich singe ein Lied“ mit seiner poetischen Bildgewalt ist die Umsetzung einer einzigen Zeile des Buches: „Sie gingen miteinander fort und waren sehr glücklich.“
Die eine Szene, in der der Film durch seine Möglichkeiten der Stimmung des Buches weit voraus ist, ist die Todesszene von Bambis Mutter. Saltens Beschreibung der großen winterlichen Jagd, die den gesamten Wald in lähmende Furcht versetzt, ist beeindruckend, doch der ruhige Schrecken der ungeschützten Lichtung und die darauf folgende Flucht hat nicht umsonst Filmgeschichte geschrieben. Und auch der etwas erzwungen scheinende Stimmungsumschwung, der den Zuschauer mit Gewalt aus seiner Trauer reißen soll, ist bereits im Buch mit beinahe der gleichen Schroffheit spürbar.
Welche Mühe man sich gemacht hat, den Ton des Buches wiederzugeben, wird auch dadurch deutlich, dass es Pläne gab, ein selbst im Rahmen des Buches durch seine Poesie hervorstechende Kapitel filmisch wiederzugeben, in dem die zwei letzten Blätter des Winters über ihren Tod sinnieren. Allerdings ergaben frühe Tests, dass sprechende Blätter auch für Disney-Verhältnisse nur schwer filmisch darzustellen sind, ohne an eine Monty-Python-artige Grenze des Absurden zu stoßen.
Was die Unterschiede zwischen Buch und Film angeht, so ist der offensichtlichste und bekannteste wohl der, dass aus dem europäischen Rehbock bei Disney ein nordamerikanischer Weißwedelhirsch mit beeindruckendem Geweih wurde - ein Umstand, der für eine andauernde Sprachverwirrung im deutschen Raum führt. Auch im Buch kommen Hirsche vor, doch diese „großen Verwandten“ werden von den Rehen gefürchtet und haben nur eine Randposition in der Geschichte inne. Auch ansonsten hat man nicht gezögert, sich für die Verfilmung disneytypische Freiheiten zu nehmen. Die nur am Rande in Erscheinung tretenden Herren Waldkauz und Hase waren Vorbild für die mürrische Eule und den jungen Klopfer, der gemeinsam mit Blume als Bambis Freund einen nun unverzichtbaren Teil des Films darstellt.
Doch neben all diesen Kleinigkeiten ist es vor allem das Ende, das charakterlich verändert wurde. Im Film folgt auf das glückliche Zusammenkommen von Bambi und Faline schnell ein actionreiches Finale, in dem die Tiere erst vor den Jägern und ihren Hunden fliehen müssen, ehe durch die Schuld des Menschen der ganze Wald in einem riesigen Feuerbrand aufgeht. Das Buch dagegen lässt die Geschichte sehr viel langsamer und behutsamer ausklingen. In den letzten Kapiteln wird eine längere Zeitspanne beschrieben, die der erwachsene Bambi unter der Anleitung des Alten Fürstes verbringt, nachdem dieser seinen angeschossenen Sohn vor den Jägern gerettet hat.
Das heißt nicht, dass der Mensch im Buch ohne Konsequenzen für seine Taten zurückbleibt: In einem beeindruckenden Kapitel zu Ende des Buches erhält der Alte die Gelegenheit, Bambi den erschossenen Körper eines Wilddiebes zu zeigen und er erklärt, dass auch die Menschen sterblich sind und sich gleich den Tieren Gottes Macht unterwerfen müssen.
Diese moralische Sicht steht beinahe im Gegensatz zu der körperlosen Erscheinung, die der Mensch im Zeichentrickfilm innehat. Erste Konzepte sahen vor, den Tod der Jäger durch das Feuer deutlich zu machen, doch in der jetzigen Form stehen sie in ihrer Gefahr und Körperlosigkeit quasi auf einer Stufe mit den Naturgewalten.
Im Original wird Faline zum Schluss nur mehr kurz als alterndes Reh beschrieben, während Bambi nach dem Vorbild seines Vaters zum geachteten Einzelgänger aufsteigt. Nach dem Tod des Alten nimmt Bambi dessen Position als Fürst des Waldes so selbstverständlich ein, dass die anderen Tiere den Wechsel nicht einmal wahrzunehmen scheinen und er selbst schließt den Kreis, indem er seine eigenen Kinder mit den gleichen Worten ermahnt, die der Alte einst zu ihm gesprochen hatte.
Dieses Bild des ewigen Kreises findet sich in sehr ähnlicher Form auch im Film, wenn nach der Geburt der neuen Prinzen das letzte Bild Bambi und den Fürsten zeigt, der schließlich seinem Sohn den Platz freiwillig räumt.
Abgesehen von der dramaturgischen Abwandlung des Finales - eine Verstärkung, die für den Film wohl notwendig schien - handelt es sich bei dem Disneyfilm um eine durchaus getreue Umsetzung des Buches. Die schwierige Aufgabe, das von Salten so poetisch dargestellte Waldklima für die Leinwand umzusetzen, wurde mit Bravour gemeistert, und auch wenn das Buch noch eine stärkere Betonung auf die Gefahren und den jederzeit drohenden Tod der Tiere legt, gibt sich der Film für sein Zielpublikum wohl düster genug. Für Generationen von Kinogängern stellte der Tod von Bambis Mutter ein Kindheitstrauma dar, dass seine Stellung wohl erst durch den König der Löwen eingebüßt hat. Insgesamt scheint es geradezu ironisch, dass die beiden wichtigsten Assoziationen zu dem Film aus dieser Schreckensszene und dem generellen Kuschelfaktor der Tierkinder bestehen - eine Kombination, die in ihrer Vielseitigkeit andererseits geeignet scheint, die Essenz der gesamten Geschichte auszudrücken. Jugend, Liebe und Tod - eben eine wahre „Lebensgeschichte aus dem Walde“.
Danke für den schönen Artikel.
AntwortenLöschenBambi ist einfach mein Lieblingsdisney und mich nervt es immer wenn die einzigen Kommentare zu dem Film "och ja der ist süß" oder "der Film ist ja so schrecklich traurig" sind.
Ja, es freut mich sehr, dass diesem wundervollen Meisterwerk auf diesem Blog einmal eine angemessene Betrachtung zukommt, wo es ja sonst hier eher schlecht behandelt wird. ;)
AntwortenLöschenDanke für die Kommentare.
AntwortenLöschenJa, ich denke auch, dass ein wenig Meinungsvielfalt in der Hinsicht nicht schaden kann - das dürfte bei Robin Hood im Vergleich dann noch deutlicher werden ... ;-)