Samstag, 13. Oktober 2012

Aquamania



Dieses Jahr feiert eine von Disneys beliebtesten und frühsten Figuren den achtzigsten Jahrestag ihres Leinwanddebüts: Goofy! In dieser Reihe zerren wir den optimistischen Tölpel aus dem Schatten der Maus und blicken zur Feier seines Jubiläums auf seinen cineastischen Werdegang unter Walt Disney. Dies sind Goofys Meilensteine.


In den 50er-Jahren befand sich der Stern des Kurztrickfilms im Sinken. Das Fernsehen machte dem Kino allgemein Konkurrenz, doch während Spielfilme mit Grandeur und massiven Bildern ihr Publikum zu finden wussten, sah es für den animierten Vorfilm anders aus. Aufgrund steigender Produktionskosten, im Gegenzug jedoch sinkender Mietgebühren, die von den Kinos an die produzierenden Studios gezahlt wurden, verloren die Cartoons an Rentabilität. Im Hause Disney mussten die eingesessenen Cartoon-Stars deswegen nach und nach ihre Koffer packen und sich von der großen Leinwand verabschieden. Bereits 1951 traf es die Pluto-Cartoonserie, 1953 verließ der Vierbeiner gemeinsam mit seinem Herrchen Micky die Kinokurzfilmwelt, 1953 legte sich mit How to Sleep auch die reguläre Goofy-Cartoonserie schlafen. Donald waren wiederum drei weitere Jahre auf der Leinwand vergönnt.

Um ab 1954 dennoch mit dem Vertrieb von Vorfilmen Geld zu verdienen (und auch sicherzustellen, dass Disney seine Langfilme stets mit einem eigenen Vorfilm zeigen konnte), wurden 1954 und 1955 auch Segmente aus früheren Packagefilmen wie Make Mine Music ausgekoppelt. Von 1956 an war die Disney-Kurztrickfilmabteilung letztlich nahezu tot. Nur noch vereinzelte Specials fanden den Weg ins Kino, manche von jenen wurden zugleich aber auch im Fernsehen verwertet. Dieses junge Medium war es nun, das Disneys geschätzten Zeichnern zwischen den Meisterwerken Beschäftigung bot.

Ganz von der Kinofläche verschwunden sind die Disney-Altstars jedoch nicht. Donald etwa durfte 1959 im Kino über die Wunder der Mathematik berichten und Goofy hatte 1961 ein kurzes Comeback im Special Aquamania.

Und so äußert sich Aquamanie im Gehirn eines Kleinbürgers ...

Dieser Kurzfilm sollte der letzte klassische Goofy-Cartoon werden, später trat er nur noch in Lehrfilmen wie Freewayphobia und Jahrzehnte später gemeinsam mit seinen alten Kumpanen Micky und Donald auch in Featurettes wie Mickey's Christmas Carol auf. Rückblickend erhält Aquamania durch diesen Umstand eine zusätzliche, besondere Dimension, vereint der Kurzfilm doch die unterschiedlichen Kernformeln der Goofy-Cartoons. Fast so, als sei es eine bewusste Abschiedverbeugung. So war der Film zwar seinerzeit nicht gedacht, dennoch ist es auffällig, wie die Autoren Vance Gerry und Ralph Wright sich für Aquamania bei jeder wichtigen Goofy-Epoche bedienten.

Der Cartoon beginnt mit einem Erzähler, der im besten How to ...-Stil mit trockener Stimme in ein vermeintlich ernsthaftes Thema einführt, nämlich die Aquamanie. Ein Phänomen, so erfährt der Zuschauer, dass zahlreiche Familienväter dazu veranlasst, den geordneten Alltag und ihre Pflichten zu vernachlässigen, um sich statt dessen der motorisierten Bootsfahrt zu widmen. Goofy wird unter dem Namen Mr. X als Exempel für dieses schändliche Steckenpferd herangezogen. Womit sich die Erzählerinstanz langsam zurückzieht. Nachdem Familienvater Goofy sein Motorboot gekauft hat, überredet er seinen Sohn, mit ihm zusammen an den See zu fahren. Auf dem Hinweg gibt es einen kurzen, leicht verplanten Dialog zwischen Sohn und Vater, der eine weitere Goofy-Ära repräsentiert. Am See angekommen landet Goofy unversehens während seiner gemütlich gedachten Runde Wasserski in einem Wasserskirennen. Vom Tempo der Slapstickgags her sind die daraus resultierenden Missgeschicke Goofys nah an den Sportcartoons, doch Goofys Tölpeleien auf Wasserskiern haben zugleich sehr viel vom Humor der Kurzfilme mit dem Trio Infernale Micky, Donald, Goofy. Goofy fährt unter Wasser, nimmt einen Oktopus mit und zieht dabei ahnungslose, meist amüsierte Fratzen. Und, wie es sich für den Goofy der 30er gehört hätte, obsiegt der Tölpel bei all seiner Ahnungslosigkeit.

Die drei Phasen des Cartoons Aquamania

Durch diesen Formel-Mischmasch, dass muss einfach festgehalten werden, wirkt Aquamania bei kritischer Betrachtung nicht wie ein Kurzfilm aus einem Guss. Beginnt er als sarkastischer Cartoon, in dem ein seriös auftretender Erzähler im Sinne von How to Fish und ähnlichen Filmen über ein Hobby berichtet, oder auch in Anlehnung an No Smoking und Motor Mania über "Gefahren" des Alltags unterrichtet, verschwindet dieses Element alsbald, um erst etwas 50er-Goofy-Interaktion zwischen Vater und Sohn und dann reinen Slapstickspaß abzufeuern. Das chaotische und mit gut getimten, herrlich überdrehten Einfällen gespickte Wasserskirennen ist klar das komödiantische Herzstück dieses Kurzfilms, steht aber kaum noch im Zusammenhang mit der den bürgerlichen Alltag bedrohenden, vom Erzähler angesprochenen Aquamanie.

Während Aquamania inhaltlich eine Synthese aus den vorherigen Goofy-Cartoonrezepturen darstellt, ist er visuell ein Ausnahmewerk und zeigt erstmals einen der klassischen Disney-Stars in einem mit der Xerox-Technologie erstellten Film. Zudem ist es erst der zweite Kurzfilm, der mit dieser Arbeitsaufwand und Kosten sparenden Technik fertig gestellt wurde. Zuvor wurde nur Goliath II, der einzige Disney-Kurztrickfilm des Jahres 1960, mittels Xeroxgraphie produziert. Durch diesen Prozess, der die Bleistiftzeichnungen der Animatoren direkt auf Film bannt, wurde das Design etwas rauer und schroffer, erhielt aber zugleich einen noch deutlicheren handgefertigten Look. Im Zusammenspiel mit den reduzierten, mitunter fast schon skizzenhaften Hintergründen von Ralph Hullet (Chip an' Dale) und der simpler gehaltenen Farbpalette erinnert Aquamania eher an Comicbuchillustrationen als an die farbfrohen, plastischen Disney-Cartoons der späten 30er- und der 40er-Jahre. Während sich die Disney-Fans heute darüber die Köpfe einschlagen, ob dieser Look billig, kunstvoll stilisiert oder veraltet ist, wirkte er in den 60ern modern und zeitgemäß. Und obwohl Regisseur Wolfgang Reitherman sich bereits hier in seiner umstrittenen Methodik übte, Bewegungsabläufe aus vergangenen Filmen zu kopieren, ist Aquamania noch immer ein visuell und technisch aufwändigerer Cartoon, als die Limited-Animation-Konkurrenz, etwa aus dem Hause UPA, mit der sich Disney zu jener Zeit messen musste.

Nicht nur durch Xerographie wurde bei Aquamania Zeit eingespart, offenbar gab man auch weniger acht, Goofy "on model" zu halten. Man achte nur auf die Stellung der Zähne und die Breite des Oberkörpers in diesen drei Beispielbildern ...

Am 20. Februar 1961 uraufgeführt, erhielt Aquamania eine Oscar-Nominierung als bester Kurzfilm für die im Folgejahr abgehaltenen 34. Academy Awards. Es war das Jahr, als  Federico Fellini erstmals als bester Regisseur nominiert wurde und West Side Story die meisten Preise abräumte. Das Cartoon-Feld bestand aus Fritz Frelengs The Pied Piper of Guadalupe, in welchem der Kater Sylvester Speedy Gonzales mittels Flötentönen zu schnappen versucht, sowie zwei weiteren Warner-Cartoons. Nelly's Folly handelte von einer singenden Giraffe, die sich nach einer Liebesliasion ohne Arbeit wiederfindet, Beep Prepared führte die ewige Jagd zwischen Roadrunner und dem Kojoten fort. Neben den beiden Chuck-Jones-Filmen war zudem Surogat nominiert. Der kroatische Cartoon über einen Mann, der allerlei absurde, aufblasbare Gegenstände mit an den Strand nimmt, befand sich ästhetisch mit seiner extrem stilisierten Optik auf der Höhe der Zeit und setzte sich erfolgreich gegen die anderen Nominierungen durch.

Mit Aquamania endete nicht nur Goofys Solo-Kinokarriere, sondern auch die Zeit der reinen Unterhaltungsfilme mit den klassischen Disney-Stars. Goofy und Donald sollten nachfolgend zunächst nur noch in Lehrfilmen auftreten, abseits dieser produzierten die Disney-Studios bloß noch wenige, experimentellere Kurzfilme und ab 1966 auch Featurettes mit Winnie Puuh.

Und auch für mich soll Aquamania vorerst einen Schnittpunkt darstellen. Nach rund einem Jahr, in dem ich Disney-Kurzfilme aus dem Schatten der Maus gezerrt habe und euch vorstellte, soll sich meine nächste Artikelreihe innerhalb dieses Projekts mit einem Langfilm beschäftigen. Wobei das Prädikat "Langfilm" in diesem Fall doch sehr diskutabel ist und von der Definition abhängig ist, an der man sich orientiert. Mehr dazu ein anderes Mal ...

1 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Sehr schöne Reihe :D

Schade nur dass mein Lieblingskapitel aus der Goofy-Geschichte fehlt: Der Goofy Film, mein Lieblingskindheitsfilm :D

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