Samstag, 1. September 2012

Motor Mania


Dieses Jahr feiert eine von Disneys beliebtesten und frühsten Figuren den achtzigsten Jahrestag ihres Leinwanddebüts: Goofy! In dieser Reihe zerren wir den optimistischen Tölpel aus dem Schatten der Maus und blicken zur Feier seines Jubiläums auf seinen cineastischen Werdegang unter Walt Disney. Dies sind Goofys Meilensteine.

Dadurch, dass Walt Disney an der Schöpfung zahlreicher zeitloser Filme und Orte maßgeblich beteiligt war und sein Name stolz über seinem Erbe prangt, ist der Farmersjunge wenig überraschend auch mehrere Jahrzehnte nach seinem Tod das Zentrum ewiglich andauernder Debatten darüber, wie seine ehrliche Meinung über sein Schaffen lautete. In hübschen, regelmäßigen Abständen wird wahlweise Pinocchio, Dumbo oder Bambi zu seinem persönlichen Favoriten unter den Produktionen der von ihm gegründeten Zeichentrickstudios deklariert, und auch die Rangfolge, in der er seine klassischen Trickhelden betrachtete, lässt Disney-Fans bis heute nicht kalt. Dass Walts freundliches Alter Ego Micky Maus, der Grundstein seines Erfolges, von niemandem übertroffen wird, dürfte als unbestrittener Fakt gelten. Aber der Rest ist gern getätigtes Indizienlesen.

So besteht die Legende, dass Walts Frau Lillian eine Abneigung gegenüber Donald Duck hatte, weil er die Aufmerksamkeit von Walts wichtigster Schöpfung Micky ablenkte. Eine weniger verbreitete Weiterführung dieser Behauptung besagt, dass auch Walt so über den Schnatterich dachte, doch da er verbissen für zahlreiche Einsätze Donalds kämpfte und ihn als den größten Star seiner Studios, als seinen Clark Gable, bezeichnete, scheint dies eher unwahrscheinlich.

Eine weitere störrisch kursierende Behauptung lautet, dass Walt Goofy regelrecht gehasst habe und als eine schwache, uninteressante Figur betrachtete. Die bekannteste Quelle dieser These ist das Werk Walt Disney: The Triumph of the American Imagination von Disney-Chronist Neal Gabler. Dort heißt es:

"Walt hasste die Goofy-Cartoons vollkommen, drohte andauernd, sie einzustellen und rückte bloß davon ab, um eine Beschäftigung für die Zeichnern zu haben — ein weiteres Beispiel für Walts Unsicherheiten, wenn er unter finanziellem Druck stand."

Ein harsches Statement. Jedoch sollten es sich Liebhaber des schlaksigen Hundemenschen nicht zu sehr zu Herzen nehmen, denn es ist nicht vollauf akkurat. Es entspricht der Wahrheit, dass Walt Disney nicht durchweg zufrieden damit war, wie Goofy verwendet wurde. Ironischerweise hat Walt den Stand seines Sorgenkinds letztlich nur verschlimmbessert. Am besten, wir gehen der Reihe nach:

Die Entwicklung Goofys vom trotteligen, herzensguten Dummbatzen der 30er-Jahre zu einer austauschbaren Persönlichkeit inmitten von Jack Kinneys wildem Sportchaos schritt nach und nach an, während Walt Disney seine Aufmerksamkeit zwischen den Ausbildungs- und Propagandafilmen zum Zweiten Weltkrieg und den abendfüllenden Produktionen teilte. Jack Kinney schraubte die noch stärker mit der ursprünglichen Goofy-Persönlichkeit bedachten How to ...-Filme also ohne größeren Einfluss Walt Disneys zu den rasanten Cartoons im Stile von Hockey Homicide. Einspruch des großen Maestros gab es jedoch auch nicht.

Als Walt Disney wieder größeres Augenmerk auf die Kurzfilme richtete, urteilte er, dass jegliche Sportarten, die sich für Slapstick-Cartoons eignen, bereits abgehakt wurden, und dass Goofy deswegen wieder in neuer Form auftreten müsse. Für diese hatte er zwei Forderungen: Goofy, der bloß noch eine Projektionsfläche für Kinneys Sportgags wurde, in Massen auftrat und jegliche Persönlichkeit zeigen konnte, die nötig war, sollte wieder einen festgelegten Charakter haben, so dass sich Zuschauer mit ihm identifizieren konnten. Deshalb sollte Goofys neues Wesen auch zeitgemäßer werden, als das des 30er-Goofs. Walts Idee war eine neue Reihe an Cartoons, die sich dieses statt mit Sportarten mit den menschlichen Schwächen beschäftigt, welche an einem mit Persönlichkeit versehenen Goofy demonstriert (und gegebenenfalls von ihm bekämpft) werden.

Das erste Ergebnis dieses 1948 vorgetragenen Konzeptentwurfs war Motor Mania, ein Kurzfilm über irrationale Raserei, der am 30. Juni 1950 erstmals aufgeführt wurde.

Poster zum Klassiker in US-Fahrschulen. Auch Freewayphobia und Goofy's Freeway Trouble aus dem Jahr 1965 wurden für Jahrzehnte zu beliebtem Lernaterial für Fahrneulinge

In diesem lernen wir Goofy, nun ohne seine Schlappohren, mit kerzengerader Körperhaltung und ohne seine vorstehenden Riesenzähne, als Mr. Walker (Herr Leisetritt in der deutschen Synchro) kennen. Er hat ein hübsches, suburbanes Familienhaus sowie einen ansehnlichen Wagen. Dieser übt auf den friedvollen, leisen Mann eine schreckliche Macht aus: Kaum sitzt er am Steuer, mutiert der kontrollierte Durchschnittslangweiler zu einem rücksichtslosen Raser, der sich auf Rennen, mutige Fahrmanöver und allerlei gefährliche Aktionen einlässt. Ob Fußgänger, Verkehrsregeln oder andere Autofahrer, niemand ist vor ihm sicher.

Motor Mania ist wesentlich gemächlicher als die späteren Jack-Kinney-Sportcartoons, aber zugleich noch immer schneller in seiner Gagabfolge, als die Micky-Maus-Cartoons seit Beginn der 40er oder auch sehr frühe Goofy-Sportcartoons wie The Art of Skiing, in denen jede Pointe noch sehr sorgsam und zeitaufwändig aufgebaut wurde. Die gnadenlose Übertreibung bei der Charakterisierung sowohl des friedfertigen Fußgängers als auch des mörderischen Rasers ist sehr pointiert geraten und auch die dreisten Aktionen der fahrenden, gesengten Sau lösen einige Schmunzler aus. Ein Kurzfilm, der einen lauthals auflachen lässt, ist Motor Mania nicht, dafür rückt die charakterstarke Figurenanimation wieder etwas stärker in den Fokus.

Walts Ziel, Goofy somit wieder eine Persönlichkeit einzuhauchen, erreichte Motor Mania derweil nicht. Den "alten" Goofy, aus der Zeit vor Kinneys wildesten und besten Cartoons, kann man aus dem Goofy in Motor Mania nicht im Geringsten rauslesen, auch nicht in einer modernisierten Version. Außerdem ignoriert das Team um Kinney hier Walts Wunsch, Goofy nicht mehr zu einem unter Vielen mit dem selben Gesicht zu machen, genauso wie die Teamsportarten-Cartoons besteht zeigt Motor Mania eine Welt, bevölkert von Goofy-Klonen.


An diesen beiden Aspekten wurde in den Folgemonaten und -jahren gearbeitet. Als G. G. Geef erhielt Goofy eine neue Identität als vorstädtischer Durchschnittsbürger von mittlerer Intelligenz und leichtem Hang zur Schusseligkeit, wodurch in weiteren Cartoons unter der dicken Schicht des bemühten "Allerweltsmenschen" wieder ein Hauch des klassischen Goofys durchschien. G. G. Geef wurde darüber hinaus noch stärker von Goofys vorheriger Inkarnation abgegrenzt: Sein menschliches Umfeld war nicht mehr durchweg eine Ansammlung von Kopien seiner selbst und, in einem absolut disneyuntypischen Zug, wurde Goofy aka G. G. Geef 1951 in Fathers Are People näher an den Durchschnittserwachsenen herangerückt, indem er einen Sohn verpasst bekam. Junior blieb bestehen und forderte die Belastbarkeit des Nervenkostüm seines Vaters auch in weiteren Cartoons heraus.

Es ist durchaus eine faszinierende Entwicklung, die aus einem juxenden Bauerntölpel über die Jahrzehnte die zentrale Figur von Sportchaos machte und dann einen Durchschnittsbürger, anhand dem Alltagsprobleme wie Diäten, der Versuch, das Rauchen aufzugeben, Erziehungsprobleme oder Spielsucht karikiert werden. Sie verläuft ähnlich dem Wandel der Disney-Studios, die als Truppe Unterhaltung schaffen wollender Farmersbuben anfing und schlussendlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

Aus der abschließenden Ära der Goofy-Kurzfilme stammt das sich bis heute durchziehende Missverständnis, Walt Disney sei Goofy abgeneigt gewesen. Denn in diesen kurzen Situationskomödien erschien ihm die Persönlichkeit Goofys zu austauschbar, zu schwach – Schwarz auf Weiß klingt es so, als wäre Walt Disney einfach nicht zufrieden zu stellen, aber es ist eine nachvollziehbare Kritik. In Kinneys Sportcartoons war die Masse an Goofys alsbald völlig charakterbefreit, dafür hatte der Humor dieser Kurzfilme seine ganz eigene, hitzige Attitüde. Mit G. G. Geef betrat eine Version Goofys die Bühne, die mit ihrem Charakter die Kurzfilme steuern sollte, der Humor solcher Kurzfilme wie Tomorrow We Diet war eine ausgebremste, ruhigere und weniger sarkastische der How to ...-Kurzfilme, wodurch es weiterhin einzelne, richtig spritzige Gags zu bestaunen gab. Aber der vermeintliche Fokus, der neue Goofy, hatte keine Ecken und Kanten mehr, war ein absoluter Jedermann.

Wie Kinney dem Animationshistoriker Michael Barrier erklärte, war auch er mit diesen Filmen unzufrieden und befand, dass Goofy nicht die richtige Hauptfigur für sie war:

"Walt kam aus irgendeinem Grund auf diesen psychologischen Kick und ich musste Filme machen, die ich nicht wirklich machen wollte. Ich sagte zu ihm, 'Jesus, Walt, wenn du das tun möchtest, dann mach es mit einer menschlichen Figur, nimm den Hundekopf weg.' Er antwortete: 'Ja, lasst uns das ausprobieren.' Rund eine Stunde später rief er zurück: 'Nein, nein, der Goof ist etabliert, die Leute kennen ihn.' Doch diese Filme waren Desaster, und zwar, weil ich nicht hart genug für sie gekämpft habe."

Es ist also ein Irrtum: Walt hasste nicht Goofy per se, er war allerdings sehr frustriert, dass die von ihm bevorzugte, charakterorientierte Herangehensweise, bei dieser Figur nicht (mehr) funktionierte. Die mit anonymen Goofy-Massen ausgestatteten Sport-Cartoons wurden eingestellt, weil das Material ausging, die Neuorientierung sollte nach Walts Wünschen erfolgen – doch sie erzeugte nur Sehnsucht nach weiteren How to ...-Einträgen, welche 1952 und 1953 in begrenzter Stückzahl zurückkehrten.

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