Montag, 24. September 2012

Duell der nächtlichen Disney-Spektakel: "World of Color" vs. "Disney Dreams!"

Disney Dreams!, das beeindruckende, zauberhafte Finale eines Tags im Disneyland Paris (Foto: Dlp.info)

Die moderne Projektionstechnologie hat das Nighttime-Entertainment der Disney-Themenparks auf ein neues Niveau gehoben. Und die Imagineers arbeiten mit beeindruckendem Eifer daran, die sich erbietenden Möglichkeiten voll auszuloten. Nachdem World of Color nahezu im Alleingang Disney California Adventure von seinem Versagerstatus befreite, Millionen Besucher aus der gesamten Welt in seinen Bann zog und übers Internet auch jene berührt, die keine Gelegenheit haben, nach Anaheim zu reisen, sollte Disney Dreams! dem Pariser Disneyland zu seinem 20-jährigen Jubiläum ein ihm gebührendes, neues Highlight spendieren.

Die Vorabberichterstattung auf einschlägigen Fanseiten suchte ihresgleichen, die offizielle Premiere wurde im Web und französischen Fernsehen übertragen und die Besucherumfragen sprechen von der höchsten Gastzufriedenheit in der Geschichte des europäischen Disney-Königreichs. Ein massiver Erwartungsdruck, der da auf der über 20 Minuten dauernden Laser-, Wasser- und Feuerwerksshow lastete, als ich sie mir Ende August zum ersten Mal live im Park ansah. Und dies praktisch ungespoilert – weil ich mich überraschen lassen wollte, mied ich jegliche Informationen zum Inhalt von Disney Dreams!, über den Ablauf wurde mir vorher lediglich das Vorkommen eines einzelnen Films verraten, weiteren Details konnte ich erfolgreich ausweichen.

Um nicht länger um den entscheidenden Punkt herum zu tänzeln: Meiner Meinung nach wird Disney Dreams! sämtlichen Versprechungen gerecht, es ist ein atemberaubender, energiereicher und berührender Traum aus der wundervollen Disney-Welt und jeder, der die Möglichkeit hat, sich live von ihm verzaubern zu lassen, sollte dies unbedingt tun.

Dass Disney Dreams! so zu begeistern weiß, liegt nicht nur an der nahezu perfekten Technik und der ausgeklügelten Verknüpfung von Lasereffekten, Wasserorgeln, ultrahochauflösender sowie millimetergenauen Projektionen und wunderschönem Feuerwerk, sondern auch an der Musik- und Filmauswahl. Disney Dreams! erfüllt all das, was man sich von einem Disney-Nachtspektakel verspricht, geht dabei allerdings nicht unentwegt die naheliegendsten Wege, wodurch sich diese Show von vergleichbaren Spektakeln abhebt, überrascht und eine eigene Identität entwickelt.

Wer ähnlich unvorbereitet wie ich Disney Dreams! erleben möchte, sollte nun das Lesen einstellen, denn nachfolgend werde ich auf die Geschichte und die in der Show repräsentierten Lieder und Filme eingehen.

Zu Beginn dieses nächtlichen Zaubers versprüht eine altbekannte, zierliche und kecke Fee Feenglanz über das Dornröschen-Schloss, über welchem der „Second Star to the Right“ aufgeht, welcher bekanntlich Träume wahr werden lassen kann. Peter Pan wird aber durch die Macht des Sterns in ein unerwartetes Abenteuer gestürzt: Als sich sein Schatten von ihm löst und unversehens all den Feenglanz aus dem Stern entlässt, stolpert der Junge, der niemals erwachsen werden möchte, durch diverse Disney-Träumereien. Zunächst begegnet er Lumiere, der ihn zu einem traumhaften Dinner einlädt, dann schwärmt ihm Remy von den unendlichen Möglichkeiten in Paris vor – einer Stadt, die auch Quasimodos Traum von Freiheit beherrscht. In weiteren Sequenzen tanzt Peter Pans Schatten auch zusammen mit King Louie, der so gerne ein Mensch wäre, und dem ausgelassenen Dschinni und den Schornsteinfeger-Kumpels von Bert, ehe er vom zärtlichen Gesang Rapunzels und Flynns vom Traum der Liebe hört. Aber als Schatten hat man es nicht leicht, erst recht nicht, wenn so viel Magie im Spiel ist – auch Doktor Facilier läuft frei herum und beschwört seine Freunde aus dem Schattenreich ...

Wie erwähnt, lässt Disney Dreams! zahlreiche Offensichtlichkeiten links liegen und nimmt sich eigensinnigere Entscheidungen heraus. Während Alan Menkens Showstopper Sei hier Gast aus Die Schöne und das Biest zu den großen Uptempo-Disneyklassikern gehört, ist bereits Nur ein kleiner Freundschaftsdienst unter den losgelösten Disney-Nummern eher als Fanfavorit zu betrachten. Die obligatorische Dosis Disney-Romantik versprüht in dieser Show keiner der großen Liebesballadenklassiker aus der Disney-Renaissance, sondern Endlich sehe ich das Licht aus Rapunzel - und den schurkisch-feurigen Pepp, auf den keine großartige Disney-Nachtunterhaltung verzichten mag, liefert weder Arme Seelen in Not, noch Seid bereit oder gar Das Feuer der Hölle, sondern Dr. Facilier mit Freunde aus dem Schattenreich. Angesichts der Handlung rund um Peter Pans Schatten eine inhaltlich vorzügliche Wahl, aber es bleibt eine unerwartete und ungewöhnliche, ist Küss den Frosch doch der Einzug in die vorderen Ränge des Disney-Kanons verwehrt geblieben. Disney Dreams! ist aber keine Underdog-Show, die unterschätzte Lieder und Filme mit etwas zusätzlichem Respekt bedenken möchte, sondern nimmt die Segmente, die ins Gesamtkonzept passen und visuell wie akustisch am meisten versprechen. Dass der große „Ich will“-Song der Show von Quasimodo in die Welt hinausgesungen wird, ermöglicht es, das Dornröschen-Schloss für wenige Minuten in eine malerische Kopie Notre-Dames zu verwanden. Und so ganz nebenher bekommen die Besucher des Disneyland Paris eine Gänsehaut erzeugende Powerballade zu hören, die sie nicht in zig anderen Disney-Shows vorgesetzt bekamen und so zwar bekannt, dennoch aber auch unverbraucht wirkt.

Disney Dreams!-Premerie, gefilmt von DLRP Magic

Die Suche nach meinem Lieblingssegment fällt mir ungeheuerlich schwer. Bei Rapunzel bin ich während meines Disneyland-Besuches ein ums andere Mal dahingeschmolzen, da nicht nur der Song richtig stark ist (für mich eine der besten Disney-Balladen überhaupt), sondern auch die Projektionen auf das Schloss in ihrer unnachahmlich disneyhaften Mischung aus zuckrigem Kitsch und zarter Poesie berührend sind. Aber auch Quasimodos Wunsch, einmal unter Menschen zu sein, ist eine kraftvolle Vereinigung eines unterschätzten Disney-Liedes und gestochen scharfen, milimetergenauen Projektionen. Das Schloss verschwindet förmlich hinter der Notre-Dame-Projektion und Quasimodo klettert behände auf diesem umgeformten Schloss herum. Da der Dschinni das Schloss mal eben zu einer Las-Vegas-Leuchtreklame umfunktioniert, ist sein Segment aber ebenfalls großartig – ich liebe den Song und der heftige, knallige Feuerwerkeinsatz während dieser Szene lässt sie ebenfalls um meinen Favoritentitel kämpfen. Optisch austauschbar und auch thematisch eher verzichtbar ist hingegen Step in Time - welch Zufall, dass diese Szene von den Entertainment-Künstlern hinter Disney Dreams auch als jene benannt wurde, die man bei Bedarf saisonal ersetzen könnte.

Doch wie schneidet Disney Dreams! im Vergleich zur kalifornischen Disneysensation World of Color ab? Um fair zu sein: Ich habe diese nicht live erlebt, weshalb die Gegenüberstellung etwas ungleich ist. Dennoch: Da ich so schnell nicht in den Genuss kommen werde, diese Show live zu sehen, habe ich die (semi-)professionellen Aufnahmen dieser magischen Abendunterhaltung geradezu verschlungen. Und, sofern der Urheber der Aufnahme nicht völlig dilettantische Arbeit geleistet hat, so kann das Aushängeschild des zweiten kalifornischen Disney-Parks auch „aus der Konserve“ mit seinen farbenfrohen Bildern und der wunderschönen Musik begeistern. Möchte ich es allerdings mit Disney Dreams! vergleichen, so komme ich nicht umhin, einige Kleinigkeiten aufzuzählen, die mich an diesem Wasser- und Lichtspektakel stören. Ich will die Show keineswegs kleinreden, es ist ein Prunkstück der Disney-Parkentertainment-Geschichte, doch wenn man zwei Spitzenwerke gegeneinander antreten lässt, lässt sich Haarspalterei kaum vermeiden.

World of Color in Disney California Adventure (Foto: Disney-Wiki-User Hey1234)

So ist die Pariser Show ein Paradebeispiel dafür, wie sich die europäische Vielsprachigkeit und die dadurch entstehende Sprachhürde bei einem europäischen Park zu einem künstlerischen Vorteil wandeln kann: Um das aus zahlreichen Ländern zusammengewürfelte Publikum möglichst einheitlich anzusprechen, beschränkten die Imagineers die Dialogszenen auf ein absolutes Minimum, hauptsächlich besteht Disney Dreams! aus den aussagekräftigen Songs des riesigen Disney-Portfolios. World of Color ist dagegen äußerst redsam, was in einer Gegenüberstellung mit eine fast schon absurde Dimension entwickelt, da World of Color im Gegensatz zu seinem indirekten geistigen Nachfolger keine Handlung aufweist.

Ursprünglich sollte eine kleine, orangefarbene Wasserfontäne namens Little Squirt die Zuschauer bei ihrer Reise durch die Disney-Welt begleiten, doch in seiner endgültigen Form ist das kalifornische Nachtspektakel nichts weiteres als eine (überwältigende, kunstvolle) Ansammlung von Disney-Momenten, ein rein assoziatives Medley. Dass dieses nun immer wieder durch Dialogmomente unterbrochen wird, ist meiner Ansicht nach unfassbar schade, erst recht, da es sich dabei um ein wahlloses Durcheinander aus Lieblingszitaten der repräsentierten Filme handelt. Würden die gewählten Sequenzen einen Story-Überbau erschaffen oder die emotionale Thematik der sie umgebenen Musikstücke stützen, wäre das noch zu verzeihen. Aber wenn zum Beispiel das großartige, rhythmische Medley aus Unter dem Meer und Thomas Newmans Findet Nemo-Score durch Geplapper von Crush und seinem Sohn unterbrochen wird und danach der Beginn der Wal-Szene aus dem Oscar-prämierten Fischfilm jeglichen Drive aus der Show nimmt, ist das einer dieser künstlerischen Schnitzer, die dieser großartigen Show in meinen Augen die Möglichkeit rauben, Perfektion zu erreichen. Zumal man stattdessen ganz rasch vom Unterwassermedley zum poetischen Pinien von Rom-Segment überleiten könnte, was den traumhaften Charakter von World of Color ausbauen würde.

Selbiges gilt etwa auch für die Toy Story-Sequenz, die sich dank Buzz Lightyear und seinem Erzfeind Zurg zu einer stylischen Laser-Einlage wandelt, zuvor aber meint, in aller Ausführlichkeit den „Buzz, du bist ein Spielzeug, du kannst nicht fliegen“-Streit zwischen dem Space Ranger und Woody rezitieren zu müssen. Auch das ultrakurze, und dadurch etwas zwanghaft eingefügt wirkende, aber dank Musik und Bildern schöne Oben-Segment, kommt nicht ohne Rezitation eines beliebten Filmsatzes aus – doch so knuffig ich Dug und seine Liebeserklärung an Carl finden mag, sie schwächt den Zauber der instrumentalen Musik und passt thematisch selbst beim besten Willen nicht zwischen zwei Stücke mit Flug-Thematik.

Uneinig bin ich mir mit dem kleinen Gastauftritt der Raupe Gustl aus Das große Krabbeln: Nach dem imposanten Farbenspiel des Winds fliegt ein Stück Laub näher auf die imaginäre Kamera zu. Auf diesem Blatt befindet sich Gustl, der mit seinem lustigen Akzent anmerkt, dass das Publikum von da oben aus so klein wie Ameisen aussieht. Es beginnt zu Regnen und Gustl mutmaßt erst, dass ein kleiner Regenschauer beginnt, doch das Unwetter wird heftiger. „Uhhh … BIG rain!“ - er wird weggewischt und verabschiedet sich, woraufhin eine verspielte, liebevolle Sequenz beginnt, die The Old Mill und der Regenszene aus Bambi Tribut zollt. Gustls Kommentar ist wenigstens witzig und, im Gegensatz zu den restlichen Dialogmomenten, neu, jedoch wäre der Übergang von Pocahontas zum immer heftiger werdenden Regenschauer genauso gut sprachlos möglich, was ihn vom Niveau einer Disney-Spaßshow lösen würde. Nach Gustls Abgang gelingt dies World of Color tatsächlich: Sind die ersten zwei Drittel durch die Kombination aus Farbe, Licht, Musik, Disney-Erinnerungen und der malerischen Wasserorgel-Choreographie faszinierend, bleiben sie schlussendlich nichts anderes, als künstlerisch wertvoll glorifizierte Disney-Schnipsel in nahezu kopfloser Reihenfolge. Ab einschließlich The Old Mill ist die Abfolge der Segmente mit einer stärkeren assoziativen Logik versehen und World of Color steigt zu Disneys eigenem, kleinen, selbstfeiernden Fantasia auf, nur mit Lasern, Projektionen und Wasserfontänen statt einer Kinoleinwand.

Die Originalversion von World of Color, gefilmt von Sharp Productions

Das finale Drittel ist ein einziger, großer Gänsehautmoment, und während Nur ein kleiner Freundschaftsdienst dank des originellen Einsatz des Dornröschen-Schloss in Disney Dreams! deutlich denkwürdiger ist als auf der Wasserleinwand von World of Color, kann der kalifornische Publikumsrenner in diesem Drittel tatsächlich das Pariser Jubiläumsgeschenk schlagen: Gegen den gewaltigen Schurken-Part von World of Color mit seiner teuflischen Farbwelt und der nahezu apokalyptischen Musik kommt Disney Dreams! mit seinem Steampunk-Schloss und dem eiligen Bösewichttreffen zwischen Hook, Ursula und Malefiz nicht heran.

Sowohl für Disney Dreams als auch für World of Color gilt wiederum gleichermaßen, dass sie technisch den höchsten Standards entsprechen. Das Timing zwischen visuellen und akustischen Reizen, die Klarheit und minutiöse Genauigkeit der Projektionen und im Falle von Disney Dreams! auch die Abstimmung zwischen Laser, Feuerwerk und den restlichen Effekten ist erstaunlich. Die Pariser Show hat mit ihrem Schauplatz – dem Dornröschenschloss – das theoretisch schlechtere Los getroffen. Es ist unförmig und begrenzt, während die Wasserfontänen auf dem künstlichen See in Kalifornien eine große Leinwand bieten. Aber die Imagineers haben ihrer Fantasie freien Lauf gelassen und aus ihrem Nachteil einen Vorteil geschaffen – das Schloss in Dschungeltempel, Radwerke und den Notre Dame zu verwandeln (oder eine täuschend echte Kopie seiner selbst, die für eine finale Pointe da ist) ist dann doch beeindruckender als die im Raum schwebende Filmclipansammlung auf der Wasserorgel. Da wünscht man sich glatt, wieder ein naives Kind zu sein, das wirklich glauben könnte, dass sich das Dornröschen-Schloss so leicht verformen lässt. Gewitzt finde ich auch, wie Disney Dreams! seinem französischen Publikum die Hand reicht: Ist die Auswahl, welche Lieder auf Englisch oder Französisch zu hören sind, oftmals nicht nachzuvollziehen, werden in diesem Fall Einmal und Sei hier Gast in der Sprache der Pariser Gastgeber gesungen, also die Lieder, die von französischen Figuren stammen. Welch glücklicher Zufall, dass Einmal obendrein in der französischen Synchro sowieso viel emotionaler und schöner klingt.

Um ein Fazit zu ziehen: Beide Shows sind meisterlich und sollten von jedem gesehen werden, der auch nur irgendwas für Disney übrig hat. Doch im direkten Vergleich gebe ich, als Kalifornienbesuch-Jungfrau, Disney Dreams! ohne zu zögern den Vorrang. World of Color ist als Vereinigung von Bildern, Musik und Wasserorgeln Disney-Megalomanie at it's best, um als Traum mit offenen Augen durchzugehen ist es jedoch zu geschwätzig und die ersten zwei Drittel der Originalshow (auf die Abwandlungen werde ich an anderer Stelle ein paar Worte verlieren) mischen die verarbeiteten Disney-Filmszenen recht beliebig durcheinander. Disney Dreams! könnte man mit sehr viel bösem Willen vorwerfen, kalkuliert gegen den Strich gebürstet zu sein und einige der ikonischsten Disney-Bilder bewusst auszulassen. Tatsächlich aber wird so nur die Einmaligkeit der Show gestärkt, die mit ihrer straffen Pseudostory Längen vermeidet und einen magischen Rahmen für das bunte, musikalische Disney-Treiben schafft. Es fehlt der von anderen Disney-Prunkshows gewohnte Punch in der Schurkensequenz, dafür ist der Rest umso traumhafter.

Ist World of Color eine magische Disney-Show, wie sie sich kaum jemand erträumen könnte, ist Disney Dreams! ein showgewordener Traum, wie ihn sich selbst der größte Disney-Liebhaber nicht ausmalen könnte.

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