Die intelligente, scharfsinnige Situationskomödie der unterdrückten Gemüter
Es gibt Filme, für die muss man erst den nötigen Lebensweg gegangen sein. So entwickelt der geneigte Filmkonsument zwar schon im frühen Alter einen gewissen Sinn für Romantik, anderweitig würden Kinder diverse Disney-Trickfilmklassiker wohl aufgrund der eklig-langweilige Turtelei zwischen den spaßigen Liedern hassen, aber die diffizile Tragik auswegloser Liebesdilemmas erschließt sich erst, wenn man das Leid der Protagonisten in anderer Form am eigenen Leib erlebt hat. Roman Polanskis Der Gott des Gemetzels zählt ebenfalls zu diesen Filmen, in die man erst hineinwachsen muss. Nicht, weil er zu anspruchsvoll für junge Gemüter ist, zu gemächlich oder zu abstrakt. Keineswegs. Doch man muss sich und sein soziales Umfeld in dieser geistreichen Situationskomödie mit gesellschaftskritischen Zwischentönen wiedererkennen können, um ihren Humor vollauf begreifen zu können.
Noch während meiner Schulzeit hätte ich Der Gott des Gemetzels gewiss nur amüsant gefunden, und ich bin mir sicher, dass einige meiner Freunde ihn trotz ähnlichem Filmgeschmack sogar dröge gefunden hätten, da darin nur gestritten wird. Aber exakt dies ist der Punkt, denn die Filmadaption des gleichnamigen Theaterstücks von Yasmina Reza hält dem sich als erwachsen bezeichnenden Publikum einen Spiegel vor und karikiert die kommunikativen Schwächen der ach-so-zivilisierten Zuschauer. Kinder streiten zwar eher mit nonverbalen Mitteln, doch dies bedeutet nicht, dass Auseinandersetzungen im postpubertären Alter harmloser sind. Deshalb entfaltet diese Satire ihre volle Wirkungskraft erst, wenn man sich als ausgereift im zwischenmenschlichen Umgang hält. Denn dann kommen (kathartische) Selbsterkenntnis und (amüsierende) Scham zum Ausdruck. Kinder würden nur denken: "Wieso sprechen die vier noch immer miteinander? Draufhauen! Oder weggehen ..." Als wenn die gesellschaftlichen Gesprächskonventionen und der erwachsene Selbststolz, wie besonnen und reif man doch wäre, das zulassen würden ...
Das verbissene Wettzetern zweier bürgerlicher Paare der gehobenen Mittelklasse nimmt seinen Anfang, als sich eine Gruppe von Kindern in einen dämlichen Streit verzettelt, in deren Folge der Sohn der Cowans (Kate Winslet & Christoph Waltz) dem Sohn der Longstreets (John C. Reilly & Jodie Foster) einen Zahn ausschlägt. Bald darauf treffen sich beide Elternpaare in der Wohnung der Longstreets, um über den Vorfall zu sprechen und die rechtliche Lage zu klären, indem sie den Tathergang niederschreiben. Dabei entstehen kleinere Unstimmigkeiten über vereinzelte Formulierungen und als die zurückhaltenden Paare ganz beiläufig und mit unkritischem Tonfall über die pädagogischen Maßnahmen lamentieren, die sich nun anbieten, kommt es zu ersten Spitzen zwischen den Longstreets und Cowans. Als Zeichen des guten Willens und um vorzuführen, dass sie sich nicht zu solchen Kabbeleien hinreißen lassen wie ihre Kinder, laden die Longstreets die Cowans zu Kaffee und Kuchen ein, was die Longstreets nach erstem Zögern des gerade beruflich in der Pflicht stehenden Anwalts Alan annehmen. Nancy Cowan beginnt Smalltalk mit den Gastgebern, die sich selbst erst kürzlich gestritten haben, weil Michael mit rauen Methoden seinem Unmut über das Haustier seiner Tochter Luft machte und den beruf seiner Gattin Penelope gegenüber Bekannten ständig hochspielt. Die verschiedenen Unstimmigkeiten überkreuzen sich, aus Seitenhieben werden Anschuldigungen und jegliche verbale Selbstverteidigung mündet nur in immer größer werdende Ausbrüche verborgener Empfindungen ...
Wenn nicht durchgehend, so zumindest zum Einstieg und anschließend in vereinzelten Momenten besteht viel des Witzes von Der Gott des Gemetzels daraus, dass die Konstellation aus den vier ein eigentlich begrenztes Thema hinter sich bringen wollenden Erwachsenen einen auf ironisch überspitzte Weise an bereits erlebte Gesprächsentgleisungen, kommunikative Macken und verfahrene Dialoge erinnert. Wer kennt solche Situationen nicht, in denen man eigentlich davonziehen möchte, in letzter Sekunde aber von seinem Gegenüber wieder in das lästige Gespräch eingewickelt wird? Und wohl jeder hat solche Diskussionen bereits erlebt, in denen man sich weitestgehend einig ist, jedoch über einen einzelnen Wortlaut stolpert. So kleinlich es auch sein mag, diese eine verfluchte Formulierung muss man einfach korrigieren. Und dann wären da diese Momente, in denen der Gesprächspartner stolz Details aus einem seiner Interessengebiete präsentiert, für das man überhaupt nichts übrig hat, allerdings muss man Interesse heucheln, um freundlich zu wirken, hoffend, so seine eigene Agenda in diesem Dialog durchzusetzen ...
Polanski und Reza nehmen all diese und weitere Holprigkeiten des verbalen Miteinanders und verbinden sie zu einer eskalierenden bürgerlichen Kammerspiel-Katastrophe, in der nach und nach die Fassaden bröckeln und sich der romantische Zusammenhalt von Paaren in Luft auflöst, um dem reinen Egoismus Raum zu machen. All das ist für die Beteiligten die reinste Tortour, eine Parade der Bloßstellungen und Aggressionen, aber für den Betrachter ist es ein spitzfindiges Fest des Dialoghumors. Dies liegt insbesondere an der Zusammenstellung vier unterschiedlicher, auf der Oberfläche noch harmonierender, in Wahrheit aber absolut inkompatbiler Charaktere, die von dem fantastischen Ensemble zu gleichen Teilen lebensecht-authentisch und satirisch-karikaturesk dargeboten werden. Wie sich Winslet, Waltz, Reilly und Foster aus dem Leben gegriffene, in dieser Abfolge aber wunderbar haarsträubende Verteidigungen, Anschuldigungen, Stammtischweisheiten und Lebensphilosophien um die Ohren schmeißen ist dank der gepfefferten Kombination aus realer Situationskomik und schwarzhumoriger Satire urkomisch.
Mein persönlicher Favorit ist Christoph Waltz' staubtrockener Sarkast und Zyniker Alan, der eingangs jede Spitzfindigkeit der Longstreets mit einem unverhohlen falschem Grinsen kommentiert und sich einen Dreck darum schert, ob seine ironischen Anmerkungen als Angriffe verstanden werden oder erfolgreich ihren Dienst als vorgetäuschte Nettigkeiten leisten. Er ist der Selbstunterhalter der Gruppe, der am liebsten weggehen und seine Arbeit erledigen würde, doch wenn er schon an dieses ihn kaum interessierendes Treffen gekettet ist, so will er dabei wenigstens seinen Spaß haben. Gewiss, Alan ist ein selbstgefälliges Ekel, doch so schockierend offen damit und mit seinem distinguiertem Humor derart charismatisch, dass er mir durchweg ein schmutzig-vergnügtes Grinsen entlockt. Waltz legt Alan ein wenig wie seine Inglourious Basterds-Paraderolle an, mit dieser ekelhaften Attitüde und dem unerhörten Charme, den sie eigentlich nicht ausstrahlen dürfte. Und vielleicht, aber auch nur vielleicht kann ich mich so gut über Waltz' Figur amüsieren, weil sie in der Ursprungskonstellation die Position einnimmt, in die ich bei so manchen lästigen Gesprächen verfalle. Nein, im Gegensatz zu ihr glaube ich nicht an den Gott des Gemetzels und habe mein Männerbild nicht aus Western gewonnen, doch der im ersten Drittel getätigte Selbstunterhaltungssarkasmus findet sich auch in meinem Kommunikationsrepertoire.
Trotz der kurzen Laufzeit von kaum mehr als 70 Minuten und des sehr theaterhaften, auf ein cineastisches Crescendo verzichtenden, unerwartet erreichten Endes befolgt Der Gott des Gemetzels eine klassische Drei-Akt-Struktur: Der Film eröffnet noch mit den zwei jeweils eine Einheit bildenden Paaren, die sich in friedlicher Absicht begegnen und deren Gespräch nur durch menschliche, verzeihliche Schwächen schief läuft. In dieser Phase ist Polanskis Kammerspiel eine gesottene Kino-Sitcom, deren Pointen nicht so konstruiert erscheinen wie bei TV-Serien dieses Genres, sondern ganz beiläufig das sich wiedererkennende Publikum erreichen. Doch sobald aus dem Schlichtgespräch eine hitzige Diskussion wird und sich die zuvor zurückhaltende, diplomatische Nancy bei ihren Gastgebern auskotzt, kommt Bewegung in die Figurenkonstellation, sowie auch in die auf engem Raum beschränkte Inszenierung. Polanski trennt die vier Darsteller erstmals länger, findet neue Einstellungen und mischt ganz nebenher die Allianzen neu. Der Humor wird bei den sich verschiebenden Verbrüderungen extremer, die peinlich berührte Selbsterkenntnis des Zuschauers und die freudig-gehässigen Erinnerungen an Macken von Bekannten weichen distinguiertem Schockhumor. Wo Teenie-Komödien mit Schamhaaren und Sperma ankommen, erschreckt Der Gott des Gemetzels in seinem mittleren Part damit, was sich die vier Mittelständer alles an den Kopf werfen. Im letzten Drittel, das nur kurz vor der Rezitation des Titels beginnt, stehen die Figuren schließlich nur noch für sich selbst, das heitere Spiel mit Wut und Empörung ist verfolgen. An dessen Stelle steht ein wegen seiner satirischen Wirkung äußerst witziges Trauerspiel, in dem jede der Figuren ihr betrübliches wahres Ich zeigt. Deshalb ist das Kinoplakat und DVD-Cover des Films, so grässlich es auch aussehen mag, so perfekt: Es hält die jeweils drei Gemüter der vier Persönlichkeiten fest, die diesen denkwürdigen Zwist austragen.
Die Aussage von Der Gott des Gemetzels ist nicht von komplexem philosophischen Wert, aber wie Lachmuskeln überstrapazierend amüsant sie rübergebracht wird und wie exakt mit den vier Hauptfiguren reale Archetypen getroffen und ausgleuchtet wurden, macht diese Komödie so denkwürdig. Die Erkenntnis, dass selbst die bürgerlich-zivilisierteste Fassade nur Kleid für ein egomanisches Inneres ist und dass jeder Mensch bloß eine Rolle spielt, die nach genügend Provokation zusammenbricht, führen Reza und Polanski nicht zu den bitterbösesten Konsequenzen. Das bleibt schwarzeren Komödien überlassen, dafür ist Der Gott des Gemetzels dann doch zu sehr im Alltag verhaftet, weshalb manchem Betrachter vielleicht der letzte Kick fehlen könnte. Ich dagegen vermisse die letzte Schärfe nicht, bleibt es so doch eine durch und durch menschliche Komödie, die während des Abspanns noch einen leicht hoffnungsvollen Abbinder findet: Ohne die Waffen kommunikativer Kriegsführung ist manche Uneinigkeit leicht wieder vergessen.
Empfehlenswerte Filmkritiken:
Noch während meiner Schulzeit hätte ich Der Gott des Gemetzels gewiss nur amüsant gefunden, und ich bin mir sicher, dass einige meiner Freunde ihn trotz ähnlichem Filmgeschmack sogar dröge gefunden hätten, da darin nur gestritten wird. Aber exakt dies ist der Punkt, denn die Filmadaption des gleichnamigen Theaterstücks von Yasmina Reza hält dem sich als erwachsen bezeichnenden Publikum einen Spiegel vor und karikiert die kommunikativen Schwächen der ach-so-zivilisierten Zuschauer. Kinder streiten zwar eher mit nonverbalen Mitteln, doch dies bedeutet nicht, dass Auseinandersetzungen im postpubertären Alter harmloser sind. Deshalb entfaltet diese Satire ihre volle Wirkungskraft erst, wenn man sich als ausgereift im zwischenmenschlichen Umgang hält. Denn dann kommen (kathartische) Selbsterkenntnis und (amüsierende) Scham zum Ausdruck. Kinder würden nur denken: "Wieso sprechen die vier noch immer miteinander? Draufhauen! Oder weggehen ..." Als wenn die gesellschaftlichen Gesprächskonventionen und der erwachsene Selbststolz, wie besonnen und reif man doch wäre, das zulassen würden ...
Das verbissene Wettzetern zweier bürgerlicher Paare der gehobenen Mittelklasse nimmt seinen Anfang, als sich eine Gruppe von Kindern in einen dämlichen Streit verzettelt, in deren Folge der Sohn der Cowans (Kate Winslet & Christoph Waltz) dem Sohn der Longstreets (John C. Reilly & Jodie Foster) einen Zahn ausschlägt. Bald darauf treffen sich beide Elternpaare in der Wohnung der Longstreets, um über den Vorfall zu sprechen und die rechtliche Lage zu klären, indem sie den Tathergang niederschreiben. Dabei entstehen kleinere Unstimmigkeiten über vereinzelte Formulierungen und als die zurückhaltenden Paare ganz beiläufig und mit unkritischem Tonfall über die pädagogischen Maßnahmen lamentieren, die sich nun anbieten, kommt es zu ersten Spitzen zwischen den Longstreets und Cowans. Als Zeichen des guten Willens und um vorzuführen, dass sie sich nicht zu solchen Kabbeleien hinreißen lassen wie ihre Kinder, laden die Longstreets die Cowans zu Kaffee und Kuchen ein, was die Longstreets nach erstem Zögern des gerade beruflich in der Pflicht stehenden Anwalts Alan annehmen. Nancy Cowan beginnt Smalltalk mit den Gastgebern, die sich selbst erst kürzlich gestritten haben, weil Michael mit rauen Methoden seinem Unmut über das Haustier seiner Tochter Luft machte und den beruf seiner Gattin Penelope gegenüber Bekannten ständig hochspielt. Die verschiedenen Unstimmigkeiten überkreuzen sich, aus Seitenhieben werden Anschuldigungen und jegliche verbale Selbstverteidigung mündet nur in immer größer werdende Ausbrüche verborgener Empfindungen ...
Wenn nicht durchgehend, so zumindest zum Einstieg und anschließend in vereinzelten Momenten besteht viel des Witzes von Der Gott des Gemetzels daraus, dass die Konstellation aus den vier ein eigentlich begrenztes Thema hinter sich bringen wollenden Erwachsenen einen auf ironisch überspitzte Weise an bereits erlebte Gesprächsentgleisungen, kommunikative Macken und verfahrene Dialoge erinnert. Wer kennt solche Situationen nicht, in denen man eigentlich davonziehen möchte, in letzter Sekunde aber von seinem Gegenüber wieder in das lästige Gespräch eingewickelt wird? Und wohl jeder hat solche Diskussionen bereits erlebt, in denen man sich weitestgehend einig ist, jedoch über einen einzelnen Wortlaut stolpert. So kleinlich es auch sein mag, diese eine verfluchte Formulierung muss man einfach korrigieren. Und dann wären da diese Momente, in denen der Gesprächspartner stolz Details aus einem seiner Interessengebiete präsentiert, für das man überhaupt nichts übrig hat, allerdings muss man Interesse heucheln, um freundlich zu wirken, hoffend, so seine eigene Agenda in diesem Dialog durchzusetzen ...
Polanski und Reza nehmen all diese und weitere Holprigkeiten des verbalen Miteinanders und verbinden sie zu einer eskalierenden bürgerlichen Kammerspiel-Katastrophe, in der nach und nach die Fassaden bröckeln und sich der romantische Zusammenhalt von Paaren in Luft auflöst, um dem reinen Egoismus Raum zu machen. All das ist für die Beteiligten die reinste Tortour, eine Parade der Bloßstellungen und Aggressionen, aber für den Betrachter ist es ein spitzfindiges Fest des Dialoghumors. Dies liegt insbesondere an der Zusammenstellung vier unterschiedlicher, auf der Oberfläche noch harmonierender, in Wahrheit aber absolut inkompatbiler Charaktere, die von dem fantastischen Ensemble zu gleichen Teilen lebensecht-authentisch und satirisch-karikaturesk dargeboten werden. Wie sich Winslet, Waltz, Reilly und Foster aus dem Leben gegriffene, in dieser Abfolge aber wunderbar haarsträubende Verteidigungen, Anschuldigungen, Stammtischweisheiten und Lebensphilosophien um die Ohren schmeißen ist dank der gepfefferten Kombination aus realer Situationskomik und schwarzhumoriger Satire urkomisch.
Mein persönlicher Favorit ist Christoph Waltz' staubtrockener Sarkast und Zyniker Alan, der eingangs jede Spitzfindigkeit der Longstreets mit einem unverhohlen falschem Grinsen kommentiert und sich einen Dreck darum schert, ob seine ironischen Anmerkungen als Angriffe verstanden werden oder erfolgreich ihren Dienst als vorgetäuschte Nettigkeiten leisten. Er ist der Selbstunterhalter der Gruppe, der am liebsten weggehen und seine Arbeit erledigen würde, doch wenn er schon an dieses ihn kaum interessierendes Treffen gekettet ist, so will er dabei wenigstens seinen Spaß haben. Gewiss, Alan ist ein selbstgefälliges Ekel, doch so schockierend offen damit und mit seinem distinguiertem Humor derart charismatisch, dass er mir durchweg ein schmutzig-vergnügtes Grinsen entlockt. Waltz legt Alan ein wenig wie seine Inglourious Basterds-Paraderolle an, mit dieser ekelhaften Attitüde und dem unerhörten Charme, den sie eigentlich nicht ausstrahlen dürfte. Und vielleicht, aber auch nur vielleicht kann ich mich so gut über Waltz' Figur amüsieren, weil sie in der Ursprungskonstellation die Position einnimmt, in die ich bei so manchen lästigen Gesprächen verfalle. Nein, im Gegensatz zu ihr glaube ich nicht an den Gott des Gemetzels und habe mein Männerbild nicht aus Western gewonnen, doch der im ersten Drittel getätigte Selbstunterhaltungssarkasmus findet sich auch in meinem Kommunikationsrepertoire.
Trotz der kurzen Laufzeit von kaum mehr als 70 Minuten und des sehr theaterhaften, auf ein cineastisches Crescendo verzichtenden, unerwartet erreichten Endes befolgt Der Gott des Gemetzels eine klassische Drei-Akt-Struktur: Der Film eröffnet noch mit den zwei jeweils eine Einheit bildenden Paaren, die sich in friedlicher Absicht begegnen und deren Gespräch nur durch menschliche, verzeihliche Schwächen schief läuft. In dieser Phase ist Polanskis Kammerspiel eine gesottene Kino-Sitcom, deren Pointen nicht so konstruiert erscheinen wie bei TV-Serien dieses Genres, sondern ganz beiläufig das sich wiedererkennende Publikum erreichen. Doch sobald aus dem Schlichtgespräch eine hitzige Diskussion wird und sich die zuvor zurückhaltende, diplomatische Nancy bei ihren Gastgebern auskotzt, kommt Bewegung in die Figurenkonstellation, sowie auch in die auf engem Raum beschränkte Inszenierung. Polanski trennt die vier Darsteller erstmals länger, findet neue Einstellungen und mischt ganz nebenher die Allianzen neu. Der Humor wird bei den sich verschiebenden Verbrüderungen extremer, die peinlich berührte Selbsterkenntnis des Zuschauers und die freudig-gehässigen Erinnerungen an Macken von Bekannten weichen distinguiertem Schockhumor. Wo Teenie-Komödien mit Schamhaaren und Sperma ankommen, erschreckt Der Gott des Gemetzels in seinem mittleren Part damit, was sich die vier Mittelständer alles an den Kopf werfen. Im letzten Drittel, das nur kurz vor der Rezitation des Titels beginnt, stehen die Figuren schließlich nur noch für sich selbst, das heitere Spiel mit Wut und Empörung ist verfolgen. An dessen Stelle steht ein wegen seiner satirischen Wirkung äußerst witziges Trauerspiel, in dem jede der Figuren ihr betrübliches wahres Ich zeigt. Deshalb ist das Kinoplakat und DVD-Cover des Films, so grässlich es auch aussehen mag, so perfekt: Es hält die jeweils drei Gemüter der vier Persönlichkeiten fest, die diesen denkwürdigen Zwist austragen.
Die Aussage von Der Gott des Gemetzels ist nicht von komplexem philosophischen Wert, aber wie Lachmuskeln überstrapazierend amüsant sie rübergebracht wird und wie exakt mit den vier Hauptfiguren reale Archetypen getroffen und ausgleuchtet wurden, macht diese Komödie so denkwürdig. Die Erkenntnis, dass selbst die bürgerlich-zivilisierteste Fassade nur Kleid für ein egomanisches Inneres ist und dass jeder Mensch bloß eine Rolle spielt, die nach genügend Provokation zusammenbricht, führen Reza und Polanski nicht zu den bitterbösesten Konsequenzen. Das bleibt schwarzeren Komödien überlassen, dafür ist Der Gott des Gemetzels dann doch zu sehr im Alltag verhaftet, weshalb manchem Betrachter vielleicht der letzte Kick fehlen könnte. Ich dagegen vermisse die letzte Schärfe nicht, bleibt es so doch eine durch und durch menschliche Komödie, die während des Abspanns noch einen leicht hoffnungsvollen Abbinder findet: Ohne die Waffen kommunikativer Kriegsführung ist manche Uneinigkeit leicht wieder vergessen.
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Was wirklich witzig ist: Im Film haben sie Cobbler gegessen. Genau den hab ich vor wenigen Stunden zum ersten Mal ausprobiert. Zufall?
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