Sonntag, 17. Juni 2012

Spider-Man 2


Nach dem weltweiten Erfolg von Spider-Man begann man bei Sony Pictures mit Hochdruck an der Entwicklung einer Fortsetzung. Diese hielt sich in nahezu allen Belangen an die typische Sequel-Maxime: "Mehr von dem, was das Original beliebt machte, größere Action, höheres Budget ... das muss doch einen besseren Film ergeben?!" Im Gegensatz zu vielen anderen Fortsetzungen ging bei Spider-Man 2 diese Rechnung auf: Die Publikumsreaktionen waren euphorischer und die Kritiken fielen ebenfalls noch positiver aus. Auf die gute Popcorn-Unterhaltung Spider-Man folgte ein Film, der Spaß und eine mitnehmende Behandlung der Schattenseiten des Heldendaseis vereinte. Spider-Man 2 hob den Superheldenfilm in den Augen des Feuilletons auf eine neue, komplexere Ebene.

In Zeiten nach Batman Begins oder The Dark Knight würde man dieses Urteil wohl kaum noch über Spider-Man 2 fällen. Trotzdem gehört diese Fortsetzung auch rückblickend eindeutig zu den besseren Superheldenfilmen, lässt sich das große Plusargument für Spider-Man 2 auch ohne den Innovationsfaktor bringen: Direkt nach einem visuell ansprechenden, dramatischen Vorspann in Comicoptik wirbelt Sam Raimi die Erwartungen des Publikums durcheinander, ohne es bewusst zu täuschen. Von epochaler, heroischer Musik von Danny Elfman begleitet, schwebt die Kamera durch den Wolkenkratzer-Dschungel New Yorks zur Verkehrsstoßzeit (wann ist in NYC keine Stoßzeit?) ... und Peter Parker liefert mit großen Augen und schlecht sitzendem Helm auf einem mickrigen Moped Pizza aus. Was leicht als riesiger Mittelfinger ins Gesicht der Superheldenaction erwartenden Zuschauer ausgehen könnte, ist in diesem Falle gewitztes, humorvolles Storytelling. Während sich Peters soziales Umfeld im Leben vorwärts bewegt und vor allem die vom Schicksal geschundene Mary Jane endlich ihre Träume verwirklicht, krebst die wahre Identität Spider-Mans am unteren Ende der gesellschaftlichen Nahrungskette herum. Ein lieber Junge, ein Physikgenie und ... ein kurz vor der Entlassung stehender Pizzalieferant, der sich sein Studentendasein kaum mehr leisten kann.

Der gesamte Anfang des Films dient hauptsächlich dazu, überzeugend darzustellen, welchen Preis Peter Parker dafür zahlt, als Superheld durch New York City schwingen und Menschenleben retten zu können. Dazu bedient sich Sam Raimi sehr viel seines flapsigen Humors (Spider-Man führt peinlichen Smalltalk im Fahrstuhl) sowie gut umgesetzter Seifenoperelemente. Peter kann nicht mit Mary Jane zusammen sein, sie ist davon genervt, darauf zu warten, dass er den nächsten Schritt unternimmt, sie sucht sich einen neuen Partner, währenddessen wächst der Groll, den Peters bester Freund Harry auf Spider-Man hegt, ins Unermessliche. Und Tante May kämpft mit dem Alleinsein. Die dramatisch ausgespielten Szenen dieser Misere könnten leicht ins Telenovela-artige abrutschen, doch da alle Beteiligten besser spielen als in Spider-Man (vor allem Dunst und Franco geben engagiertere Darbietungen) und auch die Dialoge etwas feiner geschliffen sind, nimmt einen Peters missliche Lage tatsächlich mit. Dass er seinen Heldeneifer verliert und sich lieber um sein alltägliches Leben bemühen möchte, ist nach dem ausführlichen (und bei allem Leid noch immer spaßigen) Filmanfang überaus nachvollziehbar und macht Peter Parker/Spider-Man zu einem Helden, der sich auf Augenhöhe seines Publikums befindet.

Trotzdem gehen die Autoren noch einen Schritt weiter und "zwingen" ihren Protagonisten dazu, das Heldendasein in die Tonne zu kloppen, weil er aus psychosomatischen Gründen seine Kräfte verliert. Für mich wird so die zuvor getätigte Entscheidung, dem Film-Spidey keine mechanischen Webshooter zu geben, unbestechlich begründet. Der Verlust der Kräfte ist ein notwendiger Schubs für den so verantwortungsbewusst-verzweifelten Peter Parker, obendrein verstärkt er die Teenagerleben-/Pubertätsanalogie, die in Spider-Man steckt. Es mag ein Bruch mit der Comickontinuität sein, allerdings kann man es mit dem Verlangen nach Vorlagentreue auch übertreiben.

Mit Alfred Molina, der den Wissenschaftler Otto Octavius darstellt, welcher nach einem fehlgeschlagenen Experiment als schrecklicher Doc Ock die Stadt unsicher macht, hat Spider-Man 2 ein weiteres Plus gegenüber seinem Vorläufer. Molina verkörpert die innere Zerrissenheit zwischen dem in Doc Ock glühenden Gutmenschen und dem verletzten, besessenen Wahnsinnigen wesentlich glaubwürdiger als Dafoe es mit seinem Green Goblin tat, außerdem kann er sich auf ein besseres Drehbuch verlassen. Doc Ock ist stärker entwickelt und hat weniger alberne Gags abzuliefern, darüber hinaus eignet er sich für packendere Actionszenen. Doc Ock ist in diesem Film eine tragische, coole Schurkenrolle und lässt das übertriebene Spiel seiner Leinwand-Ehefrau schnell vergessen.

Mit Doc Ocks imposanten Angriffen auf New York City / Spider-Man kommt aber auch einer der größten Schwachpunkte von Spider-Man 2, zumindest in meinen Augen: Ist der erste Film eine dramaturgisch sehr gut gesponnene Origin-Geschichte, fließt Spider-Man 2 weitaus weniger wie aus einem Guss. Schon vor dem größeren Action-Block gibt es vereinzelte narrative Schnitzer, etwa dass Peter Parker für sich praktisch schon beschlossen hat, seine Heldenidentität aufzugeben, worauf dennoch ein paar kurze heroische Szenen folgen, bloß um dann nach einem verpatzten Treffen mit Mary Jane die endgültige Entscheidung nachzulegen. Das reißt mich zwar nicht aus dem Film, dennoch wirkt es in der Szenenabfolge unnatürlich, was im restlichen Film einige weitere Male geschieht. Generell sind die mitreißend inszenierten Actionszenen allesamt etwas zu lang, so dass sie für sich stehend besser wirken als im erzählerischen Gesamtfluss, doch der holprigste Moment ist für mich der ausführliche Kampf auf dem Stadtzug. Diese Sequenz ist wie ein großes Finale aufgebaut, dient aber nur als kleiner Wendepunkt und mündet zudem in eine kitschige "wir behalten dein Geheimnis für uns"-Sequenz, deren Weltsicht bloß mit zugedrücktem Auge in das zuvor gezeichnete "Helden können kein glorreiches Leben führen"-Universum des Films passt. Die sehr unnatürlich agierenden Statisten (im ganzen Film, insbesondere allerdings hier) tun dann ihr übriges ...

Trotzdem überflügelt Spider-Man 2 meiner Ansicht nach knapp seinen Vorgänger. Das Comic Relief ist witziger (J Jonah Jameson steigert sich von "super" zu "nahezu unschlagbar") sowie deutlich besser in die Hauptgeschichte eingearbeitet, Alfred Molina und Tobey Maguire spielen auf ihre jeweils eigene Weise sehr überzeugend die zerrissenen Helden- und Schurkenrollen und ich kaufe dem Film die Dramatik seiner Liebesgeschichte besser ab. Auch sind die Effekte weniger auffällig als die teils unpolierten in Spider-Man.

Fazit: Obwohl die Erzählweise leicht unbeholfen ist, berichtet Spider-Man 2 unterhaltsam von der Einsamkeit und den elenden Pflichten eines Superhelden. Ja, The Avengers schlägt ihn eindeutig als "Superhelden-Achterbahnfahrt von einem Film" und The Dark Knight bezüglich der Komplexizität, aber wenn einem irgendwie nach beidem zugleich ist, ist Spider-Man 2 ein vergnüglicher, etwas holpriger Kompromiss.

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