Mittwoch, 13. Juni 2012
Rushmore
Herzlich willkommen zu einer Filmkritik aus unserer unregelmäßigen Sparte "Wilder Mix aus Filmbesprechung, Selbstreflexion, persönlichem Blogeintrag und Report erstattender Eigendarstellung, der in dieser Form auf keiner ernstzunehmenden cineastischen Plattform veröffentlicht werden würde und deswegen genau so nur in diesen Blog gehört". Oder kurz: "Beispiele dafür, weshalb es Sir Donnerbolds Bagatellen heißt, und nicht Sir Donnerbolds total wichtige Filmkritiken"
Angespornt von meiner Begeisterung für Moonrise Kingdom schaue ich mir derzeit nochmal alle Filme des von mir verehrten Regisseurs Wes Anderson an, dessen Filmographie von mir bislang nur an einem Punkt keinerlei Zuneigung erfuhr. Und zwar mit seinem abendfüllenden Zweitwerk Rushmore, welches sogar in meiner Liste der Filme Eingang fand, die jeder (bis auf meine Wenigkeit) liebt. Erstmals sah ich Rushmore gegen Mitte der vergangenen Dekade, als ich meine Schulferien bevorzugt mit Dauerfernsehmarathons begang, während denen ich meine cineastischen Wissenslücken zu füllen versuchte. Kurz hintereinander sah ich mir auf Videokassette die zwei bekannteren Filme des damaligen Geheimtipp-Regisseurs Wes Anderson an, Rushmore und Die Royal Tenenbaums. Während mir letzterer das Herz aufgehen ließ, verdarb der erstgenannte Film in stickiger Langeweile. Auch ein zweiter Versuch einige Zeit später half nicht, meine Meinung zu dieser verschrobenen Schülerkomödie aufzubessern. Jason Schwartzman spielte mir zu unaufgeregt, die Reifeprüfung-Versatzstücke wollten mich nicht überzeugen und die humoristischen Absurditäten waren in meinen Augen zu verkopft, um mich wirklich zu amüsieren. Doch im Rahmen meiner Wes-Anderson-Retrospektive wollte ich Rushmore keinesfalls auslassen – vielleicht ging ich zuvor einfach falsch an den Film heran?
Faul und überengagiert
Der 15-jährige Max Fisher (Jason Schwartzman) wäre eigentlich ein archetypischer Streber: Er besucht die elitäre Privatschule Rushmore, für die er sich mit seiner Genialität ein Stipendium verdiente, er steht gut mit dem Schulrektor, hat Probleme, sich mit seinen weniger geistreichen Mitschülern abzugeben und seine Freizeit verbringt er damit, dass er sich in Schul-Arbeitsgemeinschaften betätigt. Zum Streberdasein fehlt es Max bloß an einem: An guten Noten! Der passionierte Autor explosiver Theaterstücke ist zwar bei den außerschulischen Aktivitäten extrem engagiert, jedoch ist das Wunderkind auch unsagbar faul, was sein Stipendium in Gefahr bringt. Eines Tages müssen sich die Schüler Rushmores eine Motivationsrede des wohlhabenden Schulstifters Herman Blume (Bill Murray) anhören, in der der Industriemagnat gegen die unsäglichen Reichen wettert. Max bewundert Blume als den besten Redner aller Zeiten – und strebt eine Freundschaft zu dem Kindskopf an, den sein Berufsalltag zu Tode langweilt, dessen Ehe träge geworden ist und der sich für seine geistigen Nieten von Söhnen schämt. Nahezu zeitgleich lernt Max die neue Lehrerin Rosemary Cross (Olivia Williams) kennen, in die er sich sofort verliebt. Um in ihrer Nähe zu sein, und sie vielleicht eines Tages verführen zu können, bietet er sich als Aushilfe an. Als er zudem mitbekommt, dass sich Ms. Cross mit Hingabe um das kümmerliche, schulische Aquarium sorgt, fasst der megalomanische Max einen großen Plan: Er will Blume davon überzeugen, ein mehrere Tausend Dollar teures Aquarium zu stiften, dessen Entwurf selbstredend aus Max' eigener Feder stammt. Aber nicht nur, dass Ms. Cross schnell dahinterkommt, welche Gefühle Max für sie hegt, nein, auch ausgerechnet Max' Freund und Beinahe-Mentor Blume muss ein Auge auf die zärtliche Lehrerin werfen ...
Vorhang auf für die Vergangenheit
Schaffen wir das Relevante zuerst aus dem Weg: Ja, ich bin nun von Rushmore überzeugt. Und, nein, ich kann nicht mit dem metaphorischen Finger exakt auf den Grund zeigen, weshalb er bei mir zunächst nicht zünden wollte. Ich kann bloß eine Auswahl an Teilgründen einkreisen, die kulminiert wohl meine anfängliche Abneigung bedingten. Rückblickend betrachtet scheint es etwa so, dass die Verschrobenheiten von Rushmore nicht zu verkopft sind, sondern ich zu verkopft an sie heranging. Nicht jede Abweichung Rushmores von unserer Realität ersäuft in mehrbödiger Bedeutung ... manches ist einfach bloß witzig. Oder verrückt. Oft genug beides gleich. Auch erschienen mir die Körbe, die Max Fisher erhält, in ihrem Tonfall zu unterschiedlich – dass dies so sein muss, und dennoch der selbe Charakter bei ihnen rausklingt, erkannte ich einfach nicht. (Silly, young me!) Manch andere Kleinigkeiten stören mich wiederum noch immer, jedoch nicht mehr so sehr, dass ich dem Film eine schlechte Bewertung geben würde. Dafür sind mir die vielen Kleinigkeiten und Randnotizen zu lieb geworden.
Unentschlossen bin ich zum Beispiel noch immer bezüglich Jason Schwartzmans Schauspielleistung als sich erwachsen gebender Tagträumer Max. Meine zuvor geäußerte Einschätzung, er schlafwandle sich durch Rushmore war viel zu harsch. Der Humor des Films verlangt von ihm eine sehr unterbetonte Darbietung, aber er ist mir dennoch etwas zu zurückhaltend in den Momenten, die größere Empathie für Max erzeugen könnten. So bleibt mir den gesamten Film über unklar, ob ich seine Rolle sympathisch finden soll, ob sie Mitleid verdient oder doch eher Abscheu. Auch, und das ist mein letzter Kritikpunkt, gehen mir die Beziehungsentwicklungen viel zu schnell vonstatten, so dass schlussendlich sogar der ganze Film durch im Dialog abgeratterte Fazits seine Figurenkonstellation abrundet.
Ein Backfisch von einem Streber-Film
Doch genug gejammert. Denn endlich habe ich auch Rushmore mögen, vielleicht sogar auch lieben gelernt, und da sollte ich mich in meiner Kritik nicht zu sehr an Unebenheiten reiben. Der größte Pluspunkt ist die generelle Stimmungslage des Films: Obwohl es eine verschrobene Komödie ist, schwelgt Rushmore in einer durch seine schweren, wohlweißlich nur angeschnittenen Themen in einer einsamen Melancholie. Dies trifft auch auf die Figuren zu, die primär aus ihren Neurosen und aneckenden Charakterzügen bestehen, und erst sekundär ihre (für den Zuschauer) spaßige Seite zeigen. Dass dies auf kurzweilige Art funktioniert, liegt auch daran, dass Andersons Inszenierung sowie das Schauspiel von Schwartzman und Bill Murray die Pointen sehr beiläufig angehen – dies aber mit einer sehr hohen Trefferquote und in einem erstaunlich rapiden Tempo. Immer wieder überraschen die Figuren mit einem schmerzlichen Dialogfetzen, einem weiteren Beweis ihrer Weltfremdheit oder einfach damit, dass sie sich in wieder einer tragikomischen Situation wiederfinden. Zu den Parademomenten von Rushmore gehört, wie Bill Murrays Industriemagnat während einer Geburtstagsfeier betrübt feststellt, dass seine Gattin fremdflirtet, und ihn seine Söhne noch mehr nerven denn je zuvor. Kaum eine Miene verziehend, mit zerfallenem Gesicht und schlaffem Gang schleppt er sich zum Sprungbrett, springt in den Pool und sucht unter Wasser sein Refugium – ohne Erfolg.
Man muss es vielleicht gesehen, und sich darauf eingelassen haben, aber Rushmore zelebriert eine traurige Ironie – und ist dadurch paradoxerweise lebensbejahend. Die Hauptfiguren setzen mit ihren Sozialschwächen und Ticks Freundschaften und Liebe auf's Spiel, und trotzdem haben sie auch Spaß in ihrem Leben. Max mag noch so ein schlechter Schüler sein, seine Theaterstücke sprengen dafür jegliche Konkurrenz davon. Eine tiefschürfende Bedeutung haben diese und ähnliche Verrücktheiten in Rushmore nicht – und das sollen sie auch nicht, denn schlussendlich wäre die Welt ziemlich trübe, wenn alles ein zu knackendes Rätsel wäre. Manchmal braucht's einfach eine Mordsgaudi – so wie Max' Stücke. Oder Rushmore. Naja, zumindest, was intellektuelle Komödien anbelangt, ist Wes Anderson hier ein Spaßstück gelungen.
Rushmore ist der nachdenkliche Cousin normaler Teeniekomödien, erwachsen, willig, eine Lehrerin zu lieben, statt einer knackigen Gleichaltrigem. Aber in Wes Andersons Kultfilm schlägt noch immer das Herz eines kleinen Buben, weshalb dieser Film niemals seine Lehrerin durchorgeln würde, als wäre es ein American Pie-Ableger. Ja, Rushmore bewegt sich zwischen den Welten, ist so gesehen geradezu pubertär. Doch es ist Pubertät für ein genießerisches, geduldiges Kinopublikum, das sorgsam aufgebaute Running Gags und tragikomische Zwischentöne zu schätzen weiß. Man sollte bloß nicht zu viel Anspruch erhoffen – und nicht zu hohe Dosen lauten Spaß erwarten.
Rushmore ist clever, eigen und narrativ noch ungeschliffen. Der Schluss kommt ebenso flott, wie einige vorherige Wendepunkte, weshalb Wes Andersons nachfolgende Werke mir weiterhin deutlich lieber sind. Aber Rushmore stellt einen tollen Übergang zwischen Bottle Rocket und Die Royal Tenenbaums dar, einen Übergang, der Andersons Markenzeichen herauskristallisieren lässt und einige schrullige Schmunzler hervorzaubert. Zur Not halt auch erst beim wiederholten Anlauf.
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