Donnerstag, 21. Juni 2012

Merida: Wenigstens das Ziel getroffen


Die Pixar Animation Studios können sich als Meisterschützen Hollywoods bezeichnen. Mit Filmen wie Ratatouille, WALL•E, Oben und Toy Story 3 trafen sie in den vergangenen sechs Jahren gleich mehrfach ins Schwarze – manchmal ohne jeden Schlenker, manchmal gelang der Schuss etwas knapper. Wirkliche Ausrutscher gab es in den vergangenen Jahren nur bei Cars (eher ein mittlerer Treffer auf der Punkteskala) und bei Cars 2 zu vermelden. In letzterem Fall segelte man allerdings auch direkt mehrere Meilen am üblichen Pixar-Standard vorbei.

2012 erwartet den geneigten Kinogänger also Merida – Legende der Highlands, oder kurz Brave, wie Pixars 13. abendfüllendes Werk im englischsprachigen Raum betitelt ist. Die Produktionsgeschichte spricht eine klare Sprache: Entwickelt von Brenda Chapman, die 1998 Trickgeschichte schrieb, indem sie als erste in einem großen Hollywoodstudio angestellte Frau mit Der Prinz von Ägypten einen langen Zeichentrickfilm auf die Beine stellte, ist Merida zufälligerweise auch der erste Pixar-Film mit einer zentralen weiblichen Figur. Es ist auch Pixars erster Ausflug in ein märchenhaftes, mittelalterliches Setting – und einer von vielen Pixar-Filmen, bei denen im Laufe der Produktion der Regieposten gewechselt wurde. An Chapmans Stelle trat Mark Andrews (vom Pixar-Kurzfilm One Man Band) sowie später auch Pixar-Jüngling Steve Purcell, der Andrews bei der Vollendung des Films behilflich war. Böses Blut gab es jedoch nicht, Chapman wird weiterhin als (Co-)Regisseurin und -Autorin genannt und ist weiterhin bei Pixar beschäftigt.

Während seitens der Produktionshistorie und in Interviews also primär ein Bild der Frauenpower geprägt wurde, sprach das Marketing für Merida gleich mehrere Sprachen. Der frühe Teaser und ein paar der Trailer deuteten ein epochales, abenteuerliches Pixar-Fantasymärchen an, andere Trailer ließen nervöse Disney-Fans aufgrund "unzähliger Gags im Dreamworks-Stil" die Haare zu Berge stehen.

Die gute Nachricht: Zumindest meiner Definition nach verzichtet Merida auf Humor der Marke Dreamworks Animation, es gibt keine Popkulturanspielungen und halbseiden verdeckte Vulgaritäten wie sie aus den Shrek- oder Madagascar-Filmen bekannt sind. Der Film kann sich ein paar Schottenrock-Witze nicht verkneifen, allerdings besprechen wir hier schlussendlich weiterhin einen Pixar-Film, und ein paar Rülps- und Pupswitze sind aus den Trickzauberern aus Emeryville schon immer rausgedrungen, wer will ihnen da also diese fast unvermeidlichen Witzlein verbieten? Merida verfügt über Pixar-Humor, sofern es diese Kategorie überhaupt gibt, und zwar über den kindlicheren als auch den etwas gehobeneren. Darüber hinaus, und das dürfte jene enttäuschen die sich von Merida eine der ernsteren und thematisch schwereren Pixar-Produktionen erhofften, verfügt Merida aber auch über sehr viel typischen Disney-Humor. Genauer gesagt: Disney-Humor wie er aus den Classic Cartoons gewohnt ist. Noch genauer gesagt: Merida hat einige sehr ausführliche, häufig aber auch unerwartet schlecht eingesetzte Disney-Classic-Cartoon-Slapstickeinlagen. Nach den zwischenzeitlich sehr nachdenklichen WALL•E, Oben und Toy Story 3 scheint sich in den Pixar-Studios mit Cars 2, Merida und dem anstehendem Die Monster Uni also eine Phase der Leichtherzigkeit eingestellt zu haben.

Die Storygrundlage: Eine Prinzessin, die Abenteurerin sein möchte
An dieser Stelle möchte ich noch keine Spoiler anbringen, also belasse ich meinen Storyüberblick bei folgenden Zeilen, die unentschlossenen oder neugierigen Kinogängern aber schon genügen sollten, um ein Gefühl für das Setting und die Figuren zu erhalten: Merida spielt in den schottischen Highlands, ungefähr im 10. Jahrhundert: Das Königreich DunBroch wird von einem Baum von einem Mann regiert; dem starken, fülligen und einen prächtigen, roten Bart besitzenden König Fergus, dessen Charakter so gar nicht dem entspricht, was sein Aussehen erwarten lässt. Ja, wenn es darum geht, seine Vertrauten zu beschützen, kämpft er wie ein Bär, doch sonst ist er ist ein äußerst genügsamer Mensch, der viel Spaß versteht und seiner über alles geliebten Tochter Merida allerlei Freiheiten lässt. Was Fergus an elterlichem Durchsetzungsvermögen mangelt, hat seine Frau, die Königin Elinor zu viel gepachtet: Mit eisiger Strenge überwacht sie das Leben ihrer Tochter, deren Abenteuerdrang und Querköpfigkeit der ebenso fürsorglichen wie felsenharten Königin ein Dorn im Auge ist. Meridas Mutter hat eine sehr eng definierte Vorstellung davon, wie sich eine Prinzessin zu verhalten hat, und Abweichungen dessen werden sofort ermahnt.

Trotz dessen wächst Merida zu einer lebensfrohen, freigeistigen jungen Abenteurerin heran, die jede Gelegenheit nutzt, um sich im Bogenschießen, Klettern und Reiten zu üben, was ihren Vater mit Stolz erfüllt und sie zur Heldin ihrer drei kleinen Wirbelwinde von Brüdern macht. Königin Elinor wiederum kann nicht über Meridas Aktionen lachen, steht doch bald das Treffen mit drei befreundeten Lords an: Lord Macintosh, Lord MacGuffin, und Lord Dingwall, die ihre Erstgeborenen mit sich bringen, damit diese um Meridas Hand anhalten können. Verheiratet zu werden ist schließlich die Bestimmung einer jeden Prinzessin. Als Merida vom Vorhaben ihrer Mutter erfährt, verliert sie jegliche Geduld und nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand. Mit ungeahnten Konsequenzen ...

Der Anfang: Bezaubernd, aber mit Macken
Auf Basis dieser Grundidee ließe sich eine Vielzahl an unterschiedlich gearteten Geschichten erzählen, weswegen zunächst wohl (so gut wie möglich) fehlgeleiteten Erwartungen vorgebeugt werden sollte: Aufgrund des ersten Akts, der sich teils sehr ins Mysteriöse flüchtenden Trailern und möglicherweise auch wegen des recht pompösen, erd- und waldfarbenen Produktionsdesign ließe sich schnell ein Highland-Epos erwarten, ein mit übernatürlichen Elementen gespicktes Pixar-Rob Roy. Dem ist nicht so, selbst jene, die kein großes Spektakel erwarten, könnten überrascht sein, wie klein und intim die Geschichte ausgefallen ist. Und es hat schon seine Gründe, dass Disneys und Pixars Marketing nahezu durch die Bank weg von Pixars erstem Märchen sprach, denn der Tonfall von Merida ist viel eher bei einem familientauglichen Kunstmärchen als bei einem Fantasy-Abenteuer für ein Familienpublikum zu verorten.

Ist dies erst einmal etabliert, begriffen oder verdaut worden (abhängig davon, wie man denn nun an Merida herangeht), beeindruckt die Trickproduktion zunächst am meisten mit ihren atemberaubenden Schauwerten: Die schottischen Highlands scheinen zum Greifen nah, als Betrachter möchte man sich, ob man nun die 3D- oder 2D-Fassung bestaunt, am liebsten in den detailreichen, in einem fantasievoll-überhöhten Realismus gehaltenen Hintergründen verlaufen. Die visuelle Komponente wird treffend von einem keltisch-folkloristischen Filmscore des Komponisten Patrick Doyle (Gosford Park, Planet der Affen – Prevolution) untermalt. Der Schotte und Pixar-Novize konnte mir zwar keinen Ohrwurm mit nach Hause geben, aber sofern man eine Schwäche für schottisch angehauchte Musik hat, wird einem die gleichermaßen tragende wie gefühlvolle Musik gewiss ein paar Mal wohlige Gänsehaut über den Rücken laufen lassen.

Nach dem ansehnlichen, wenngleich keinen all zu großen Eindruck hinterlassendem Prolog lernt das Publikum auch Pixars erste weibliche Hauptrolle besser kennen, und Merida ist eine wahrlich gelungene Heldin. Sie ist ein charismatischer Dickkopf mit einem glaubwürdigen Verhältnis zu ihren Eltern und genügend Identifikationspunkten für Zuschauer aller Altersklassen und jeden Geschlechts. Kelly MacDonald (No Country for Old Men) macht im Original einen vorzüglichen Job als Sprecherin und leitet mit Energie und Charakter einen ganzen Stapel toller Sprecherleistungen an. Die Charakteranimation Meridas ist auf wundervoll ungeschliffene Weise niedlich – Merida ist keine archetypische Disneyprinzessin und genauso wenig einfach noch ein weiteres bubenhaftes Mädel. Auf die Gefahr hin, einen etwas unausgereiften Vergleich zu machen, wirkt Merida auf mich wie eine Mischung aus Coraline und Ronja Räubertochter.

Die Umsetzung von Meridas Eltern schließt nicht ganz an die meisterliche Bogenschützin an: König Fergus ist einfach nur "der bärige, starke Mann, der eigenlich ein ganz braver Typ ist und unter der Fuchtel seiner Frau steht", aber Billy Connollys perfektes Timing und die gekonnt zwischen Klobigkeit und skurril wirkender Filigranität changierende Animation hebt ihn aus der Stereotypisierung heraus. Königin Elinor ist da schon ein komplizierterer Fall – die Inszenierung und Dialoge gehen weite Wege, um sie zu einer herrischen Eiskönigin zu machen, der geneigte Disney-Fan wird in ihr schnell eine unheilige Mischung aus Frollo, Lady Tremaine und Mutter Gothel erkennen, und wenn nicht das, so könnte man wenigstens schwören, dass sie alle den gleichen Eltern-Ratgeber gelesen haben. Anders als bei den genannten Beispielen lässt einen die Regie und die Performance von ihrer Sprecherin Emma Thompson jedoch keine Möglichkeit, es zu genießen, sie zu hassen. Elinor soll nicht als biestige Disney-Schurkin verstanden werden, sondern als harsche, dennoch liebende Mutter, die ihre Beweggründe nicht ausdrücken kann. Das macht sie zu einer komplexeren Figur, aber die eingeschobenen Einsichten in ihre Handlungsmotive kommen nicht vollauf natürlich rüber – wenigstens bei mir häuften sich Zweifel, weshalb sie sich ob ihrer Beweggründe nicht einfach besser verständigt. Oder einfach aufhört, dermaßen unerträglich zu sein. Es ist offenkundig, was die Filmemacher mit Königin Elinor bezweckten, oftmals ist sie dennoch nur eine unangenehme Zielscheibe der Publikumsabneigung.

Mit den Lords hält dann etwas mehr Humor Einzug in den Film – hier noch willkommener, gießt die Lächerlichkeit dieser Kerle doch nur weiteres Öl in Meirdas brodelndes Feuer der Aufmüpfigkeit. Das Figurendesign löste in diversen Disneyforen ja bereits heftige Debatten aus. Die Lords sind wirklich keine schönen Zeitgenossen und heftig karikiert, doch es fügt sich gut in ihr Wesen ein und die gewohnt hohe Qualität der Pixar-Animation lässt sie ganz ansehnlich wirken. Ärgerlicher empfand ich derweil Meridas Brüder, die bloß ungestümer, ständig herumwirbelnder Slapstick auf zwei (beziehungsweise sechs) Beinen sind, ohne wirklichen Charakter oder nennenswerte Bedeutung für die Handlung. Zynische Zungen würden einwerfen, dass Pixar wohl meinte, die Jungs im Publikum bei der Stange halten zu müssen, aber das glaube ich erst, wenn jemand unachtsam dergleiches im Audiokommentar fallen lässt.

Der erste Akt führt jedenfalls sehr effektiv die Figuren und ihre Konflikte ein. Mir verging er etwas zu schnell, da er mit Meridas Abenteuertouren und den geisterhaften Will O' the Wisps (blaue Lichtwesen der Highlands) mehrmals atmosphärischere Momente antäuscht, daraufhin aber rasch zu Komik oder der anstrengenden Mutter zurückschwenkt. Insgesamt aber beginnt Merida unterhaltsam, mit eigener, leicht unsteter Identität und dem unausgesprochenen Versprechen, dass auf den Schultern der ersten Szenen etwas einzigartiges stehen wird.

Die Mitte: Ändere dein Schicksal
Erneut, dieser Vergleich mag manchen etwas forciert vorkommen, mir erscheint er dennoch passend: Merida beginnt so als sei es Pixars Pocahontas – etwas Humor ist drin, aber auch viel Dramatik und ein ernsthafter Tonfall, der seine starke Frauenfigur und ihre Probleme umgibt. Sobald Merida sich aber aufmacht, ihr Schicksal zu ändern, schubst Mark Andrews sein Publikum in einen völlig neuen Film. Als atmosphärischer Brückenschlag dient lediglich eine verschrobene Sequenz, die gleichermaßen atmosphärisch-schaurig ist wie mordskomisch. Für mich stellte sie mit zwei superben Randfiguren und einem cleveren Cameo des Pizza-Planet-Trucks sowie stimmungsvoller Lichtdramaturgie den (letzten) Höhepunkt des Films dar. Danach steigt sukzessive der Disney-Classic-Cartoon-Slapstick-Anteil an. Darüber mag man sicherlich geteilter Meinung sein – die ersten eintrudelnden US-Rezensionen deuten ja an, dass sich auch die Kritiker auf der anderen Seite des Atlantiks keine einheitliche Meinung über Merida bilden können – jedoch kam mir es fast schon wie ein Betrug am eigenen Film vor. Und das sage ich nicht aus Abscheu vor markantem Disney-Slapstick. Dass ich diesen Humor genieße, dürfte treue Blogbesucher nicht überraschen. Und auch Pixar beherrscht cartoonhaften Slapstick. Üblicherweise.

Nehmen wir Ratatouille als gelungenes Gegenbeispiel zu Merida. Brad Birds Meisterstück erzählt die zeitlos-magische Geschichte einer Ratte namens Remy, die Koch werden will. Absonderliche Idee, aber Birds munter zeitgenössische Versatzstücke mit fast märchenhaften Komponenten versetzende Erzählweise, eine Prise Humor zu Beginn und eine unprätentiöse, kunstverliebte Attitüde wickeln einen schnell um den Finger. Einige Zeit später legt Bird in seiner Geschichte einen völlig verrückten Einfall nach: Die Ratte kann ihrem Traum nachgehen, indem sie ihren menschlichen Freund Linguini wie eine Marionette steuert – die Plausibilität wird enorm strapaziert, jedoch tragen die Pixar-Künstler über die ersten Zweifel hinweg, indem sie mit sehr übertriebenen, comichaften Einstiegsszenen herzliche Lacher erzeugen, so dass gar keine Nachfragen gestellt werden. Wenn Remy und Linguini ihr Kunsstück verfeinern, freut sich das Publikum mit ihnen und akzeptiert die Cartoonlogik in diesem so kultiviert-europäisch wirkenden Pixar-Traum.

Gegenpunkt Merida: Die Spannungen zwischen der Titelfigur und ihrer Mutter, die dramatischen, angedeuteten Hintergrundlegenden über die schottischen Königreiche, die betörenden und doch so unheilbringend erscheinenden Will O' the Wisps und Meridas Drang nach Freiheit und tollkühnen Erlebnissen bauen selbst beim gewählten, märchenhaften Tonfall die Erwartung einer komplexen und bedrohlichen Held(inn)enreise auf. Wenn Merida ihr Schicksal ändern will, gefährliche Konsequenzen zu tragen und so ihr Königreich retten sowie die Beziehung zu ihrer Mutter aufbauen muss, so scheint in diese Geschichte kein vor Disney-Cartoon-Slapstick platzendes Abenteuer zu passen. Und dennoch – Merida wächst in diesem Pixarfilm über ihr anfängliches Ich hinaus, während das Publikum wesentlich mehr zum Lachen hat als zum Mitfiebern. Oder eher: Das Publikum soll mehr zum Lachen haben als zum Mitfiebern, jedoch sind die Dialogwitze ab einem bestimmten Punkt nicht weiter nennenswert und der Slapstick weist nur sporadisch das richtige Tempo auf.

An dieser Stelle scheiden sich wieder die Geister, wie eine Filmbesprechung zu sein hat. Wäre ich nicht der Autor, sondern der Leser, wären mir diese Einschätzungen genug. Andere würden dies als zu vage einstufen und Spoiler fordern, denn Überraschungen sind offenbar weniger wert als Klarheit. Deshalb dürfen Leserinnen und Leser mit der erstgenannten Mentalität zum nächsten Absatz scrollen, während die unbändig Neugierigen die nachfolgenden Zeilen markieren:

[ACHTUNG! SPOILER! Zum Lesen markieren!]

Merida bestellt bei einer Hexe einen Fluch, der ihre Mutter verändern soll, so dass sie ihr keine Vorschriften mehr macht. Durch diesen Fluch verwandelt sich Elinor in einen Bären – Elinors Verstand wohnt weiterhin im Bärenkörper inne, mit Menschen kann sie aber nicht weiter kommunizieren. Da König Fergus jedem Bären, der ihm über den Weg läuft, einen schnellen Tod geschworen hat, schleichen sich Merida und ihre Bärenmutter aus dem Schloss, um die Hexe aufzusuchen und den Fluch rückgängig zu machen. Ich gebe zu – dieser Twist war mir ganz persönlich zu undramatisch. Aber ich konnte mich dazu bringen, mich mit ihm zu arrangieren. "Ja, ich wollte von Pixar eine andere Geschichte erzählt bekommen – aber das muss ja nicht heißen, dass die stattdessen gelieferte nicht gut ist", so mein Gedanke. Bloß, dass nahezu der gesamte Mittelteil des Films aus einer Aneinanderreihung von "Ach, ist das nicht witzig, wie dieser Kloß von Bär versucht, sich wie eine Königin zu benehmen"-Gags besteht. Ein Gefühl der Mystik oder Gefahr kommt nach der Verwandlung vielleicht nur noch in einer einzigen Szene auf, und das einzig wegen der geisterhaft-kargen Kulisse, in der diese spielt.

Gelungen fand ich die "Hilfe, meine Mami ist ein Bär"-Animationen auch nur einmal. Wie Elinor als Bärin eine Festtafel deckt und mit improvisiertem Besteck Beeren zu essen versucht, ist schon köstlich. Ansonsten aber trafen die Figurenanimationen von Elinor und der auf sie reagierenden Merida nie so recht meine Lachmuskeln. Das Timing stimmte nicht, mal waren die Grimassen zu schnell weg, andere Male wurden sie zu lange ausgekostet. Disney gelingt dieser Humor in meinen Augen im Rahmen der Meisterweke schlicht besser – und die Jungs bei Pixar bekommen es in ihren Kurzfilmen auch oft genug wunderbar hin. Aber hier schien mir einfach alles etwas "off". Deswegen konnte ich auch über den Figurenbogen nicht hinwegsehen: Merida und ihre Mutter überkommen ihre Differenzen unglaubwürdig unkompliziert. Etwas übertrieben gesagt: "Oh, meine Mutter ist wegen mir verflucht – vergessen wir alles, was zuvor zwischen uns geschah", beziehungsweise "Oh, meine Tochter will mir helfen, den Bann loszuwerden, den ich wegen ihr auf mir ruhen habe – ich ändere am besten meine gesamte Weltsicht!" 

Vergleicht man dies mit Bärenbrüder (inhaltlich naheliegend) oder gar Ein Königreich für ein Lama (humoristisch nicht fremd) ist dies besonders enttäuschend. Kenai musste erst wochenlang als Bär rumwandern, ein neues Leben lieben lernen und eine erschreckende Erkenntnis machen, bevor er sich besserte, und auch Kuzco wurde nicht durch seine Verwandlung verändert, sondern erst durch die (komödiantisch erzählten) Höhen und Tiefen in seinen darauf folgenden Abenteuern mit Pacha. In Merida gibt es keine überzeugenden Sequenzen, die so einen Geisteswandel begründen können.

[/SPOILER ENDE!]


Der Schluss: Eine Geschichte, die eine Legende sein will
Im Anschluss an den tonal sehr unerwarteten (und die Figurenkonstellation sowie -zeichnung verflachenden) Mittelteil folgt ein rasches, wie ich finde, die interne Logik nicht sonderlich streng sehendes Finale, das wieder sehr emotional und theatralisch daherkommen mag, sich diese getragenen Gefühle aber nur teilweise verdient. Das Ende von Merida feiert sich fast so groß, als sei der einem Mythos würdige Stoff von Der König der Löwen abgeschlossen, was einer Tragweite gleichkommt, die dieser Film keinesfalls aufweisen kann. Von der Größenordnung her würde ich Merida, selbst wenn er optisch naturgemäß um ein Vielfaches ausgereifter und überwältigender ist, eher neben Das große Krabbeln einsortieren. Pixars oft übersehenes Zweitwerk bietet wohlgemerkt einen denkwürdigeren Schurken und balanciert seinen Humor ungezwungener mit seiner Spannung aus.

Ein Fehlschuss wie Cars 2 ist Merida dennoch nicht: Mit seiner zauberhaften Optik, einem atmosphärischen Score und einer denkwürdigen Heldin hielt der Film die gesamte Laufzeit über wenigstens mein Interesse aufrecht, Cars 2 derweil war eine inhaltliche Tortur. Außerdem befinden sich vereinzelte Szenen auf hohem Pixar-Niveau, etwa das Bogenschützen-Turnier oder der Moment, in dem Merida entscheidet, ihr Schicksal zu ändern. War John Lasseters Auto-Agentenkomödie nicht wert, den Pixar-Markennamen zu tragen, traf Merida immerhin das Ziel. Man darf diese Produktion guten Gewissens einen Pixar-Film nennen – ich würde sie allerdings weit am Rande dieses Spektrums ansiedeln. Nicht primär, weil Pixar hier stilistisch auf Disney-Pfaden wildert – das ist nicht das Problem, Pixar kann gerne "Ausrutscher" in die Disney-Welt machen und umgekehrt. Auslöser ist viel eher, dass dieser wohl disneyhafteste aller Pixars nur teilweise gelungen ist. Pixar hat hier schlecht abgeschrieben und somit den Fokus verloren.

Ach übrigens: Es wird mehrfach aus dem Off gesungen. Sollte ein Pixar-Musical anstehen, so dürfen gerne Ron Clements & John Musker den Pixar-Köpfen Nachhilfe geben, wie man gut bei Disney klaubt. Dann klappt's vielleicht auch wieder mit den Volltreffern.

Merida – Legende der Highlands startet am 2. August in den deutschen Kinos.

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