Dieses Jahr feiert eine von Disneys beliebtesten und frühsten Figuren den achtzigsten Jahrestag ihres Leinwanddebüts: Goofy! In dieser Reihe zerren wir den optimistischen Tölpel aus dem Schatten der Maus und blicken zur Feier seines Jubiläums auf seinen cineastischen Werdegang unter Walt Disney. Dies sind Goofys Meilensteine.
Ende der 30er änderte sich der Stand der Disney-Cartoons. Einerseits, weil mit der Produktion abendfüllender Zeichentrickfilme begonnen wurde, andererseits aber auch, weil Mickys Co-Stars Donald, Goofy und Pluto beim Publikum an Popularität gewannen und auch innerhalb des Studios als immer attraktiver galten. Somit wurden Teams abgesteckt, die sich speziell um Kurzfilme mit Donald oder auch Pluto in der Hauptrolle kümmerten. Während diese beiden schon 1937 ihre eigene Filmreihe erhielten, erschwerten mehrere Faktoren den Start einer eigenen Goofy-Reihe. Erst am 17. März 1939 konnten US-Kinogänger den Tollpatsch in seinem ersten Solo-Auftritt ohne Unterstützung bekannter Disney-Schöpfungen bewundern: Goofy and Wilbur.
Original-Kinoplakat zu Goofy and Wilbur. Man bemerke den Hinweis auf "Mickey Mouse"
Obwohl Art Babbitt ein ausführliches Essay über die Persona Goofys verfasste, welches schließlich Wunder bei der Verwendung dieser Figur in ihren gemeinsamen Filmen mit Micky und Donald wirkte, herrschte Ratlosigkeit unter den Disney-Gagautoren und -Zeichnern, wie Goofynicht bloß eine Nebenhandlung, sondern einen kompletten Kurzfilm stemmen könnte. Denn der liebenswerte Naivling funktionierte in seinen bisherigen Auftritten am besten, wenn er eine simple Aufgabe schlichtweg nicht bewältigen konnte, sei es, weil er den naheliegenden Lösungsansatz nicht fand oder absurde Umwege ging.
Während Autoren wie Carl Barks und Regisseur Jack King Möglichkeiten sahen, rund um Donalds Temperament und Missgeschicke ganze Kurzfilme aufzubauen, und sich in den Studios bereits viele auf pointierte Geschichten mit Pluto spezialisierten, konnte man nichts mit dem Konzept "Goofy als Star" anfangen. Erschwerend kam hinzu, dass es 1937* nach den Tonaufnahmen zu The Lonesome Ghosts zu einem Ausfall zwischen Walt Disney und Pinto Colvig, Goofys Sprecher und die Inspiration zum Disney-Underdog, kam. Wie unter anderem in der Walt-Disney-Biographie von Neil Gabler berichtet wird, beschwerte sich der in den Studios nicht gerade unterbeschäftigte Colvig (er sprach auch Schweinchen Schlau in Three Little Pigs sowie zwei der sieben Zwerge in Schneewittchen und war als Autor und Regisseur in der Cartoon-Abteilung tätig) über mangelnde Bezahlung. Dies artete in hitzige Debatten aus, nach denen Walt Disney einen klaren Strich zog: "Er ist einfach nur ein Clown und nicht die Art Zeitgenosse, die wir brauchen, um unsere Produktion am Laufen zu halten", berichtet Walt in einem Brief an seinen Bruder Roy, der dazu führte, dass Colvigs Arbeitsvertrag nicht verlängert wurde. Es wird aber nicht allein die Bitte um ein höheres Gehalt sein, die Colvig seine Stellung gekostet hat. Auch Donald-Sprecher Clarence Nash bat um mehr Geld, wurde dafür von Walt jedoch nur in einem familiären Tonfall ausgeschimpft. Es war auch Colvigs Tonfall, der Walt Disney missfiel: "Er winselt mich voll, seit er hier angestellt ist. [...] Ich brauche seine Stimme für den Goof nicht so dringend, als dass ich ihn länger ertragen müsste."
*Manche Quellen datieren diesen Streit erst auf 1939, möglicherweise, weil in diesem Jahr Goofy and Wilbur startete. Die unter anderem bei Disney-Archivist Dave Smith getätigte Behauptung, Colvig und Walt trennten 1937 ihre Wege, erscheint mir jedoch schlüssiger und ist vor allem durch die detailliertere Schildung im Kontext von Lonesome Ghosts etwas glaubwürdiger.
Im Anschluss an Colvigs Entlassung konnten sich die Disney-Künstler in den Trio-Cartoons noch damit behelfen, alte Tonschnipsel wieder zu verwerten. Für einen Goofy-Soloausflug war dies dagegen eine arge Herausforderung, so dass letztlich Ersatz für Colvig hermusste. Mit dem Cartoon Goofy and Wilbur wagten die Disney-Studios dann auch einen Neuanfang für Mickys trotteligen Kumpel. Zwar wurden Colvigs charakteristischste Goofy-Aufrufe wiederverwertet, zugleich aber wurde auch George Johnson darum gebeten, Colvigs Tonfall nachzuahmen und neue Zeilen einzusprechen. Die Regie für den Kurzfilm führte Donald-Mitschöpfer Dick Huemer, der sich in Lonesome Ghosts als grandioser Goofy-Zeichner bewies und auch den Cartoon The Whalers leitete, in dem sich Donald und Goofy ohne ihren Mäuserich von Freund herumschlugen.
Goofy and Wilbur zeigt den sachte aufsteigenden Disney-Star bei seiner außergewöhnlichen Auslegung des Freizeitsports Angeln: Er fährt mit seinem Freund, den Grashüpfer Wilbur, auf einen Teich und setzt ihn als lebenden Köder ins Wasser, wo er sich den Fischen preisbietet. Dann hüpft das kecke Kerlchen durch ein Fischernetz, durch das die Fische nicht passen. Die vitale Animation Wilburs, die die frohe Attitüde vieler Silly Symphonies mit dem Slapstick der sonstigen Disney-Cartoons vereint, macht Goofys ersten eigenen Cartoon bereits zu einem kleinen Hit, zudem gehört er zu den abwechslungsreicheren Kurzfilmen seiner Zeit. Frühere Micky-Kurzfilme etwa hätten diese eigenartige Weise des Fischefangens mehrfach wiederholt, vielleicht von einer anderen Musik untermalt. Doch Wilburs und Goofys Methode geht alsbald schief, so dass Goofy zunächst versucht, mit dem von einem Fisch verschluckten Wilbur zu kommunizieren, und kaum ist Wilbur aus dieser Lage gerettet, bringt er sich erneut in Schwierigkeiten, was Goofy auf eine Verfolgungsjagd schickt, bei der die Zeichner zeigen können, zu welcher physikalischen Comedy der Goof fähig ist.
An diesem Kurzfilm lässt sich sowohl ablesen, inwieweit die Künstler in den Disney-Studios den aus heutiger Sicht typischen Goofy-Witz schon beherrscht haben, und inwieweit man Goofy gegenüber noch reserviert war. Die Aufmerksamkeit teilt sich Goofy zu ungefähr gleich großen Stücken mit Wilbur, was sowohl ein Sicherheitsnetz darstellt, sollte Goofy auf eigenen Beinen beim Publikum weniger ankommen als Micky und Donald, als auch eine willkommene Möglichkeit, sich nicht zu viele Gags mit ihm ausdenken zu müssen. Goofy "telefoniert" mit einem Fisch und ahmt auf schlacksig-gelenkige Weise verschiedene Tiere nach – ulkige Bewegungen funktionierten schon früh bei dieser Figur und sollten später an Bedeutung gewinnen. Aber Goofy and Wilbur verfügt auch über klare Charakterzeichnung: Goofy sind seine Freundschaft für sowie seine Sorgen um Wilbur klar abzulesen und bereits das Konzept des Cartoons trifft die zuvor festgelegte Charakterisierung Goofys exakt auf den Kopf, differenziert sich deutlich davon, wie Micky oder Donald vorgehen würden.
Für einige der ausdrucksstärksten Bewegungsabläufe Goofys ist bei diesem Cartoon auch nicht Art Babbitt verantwortlich, sondern Wolfgang Reitherman, dessen Goofy-Zeichnungen in Clock Cleaners hohe Achtung erlangten, weshalb er auch für Goofy and Wilbur eingeteilt wurde. Zeichnete "Woolie" vorrangig Goofys Dialog mit Wilbur sowie die Gefühlsausbrüche Goofys, übernahm Babbitt unter anderem die Verfolgungsjagd mit dem Frosch, der Wilbur verschluckt hat.
Es ist nicht schwer, Disney-Liebhaber zu finden, welche die als "Walt Disney Meisterwerke" deklarierten, abendfüllenden Zeichentrickfilme als Königsklasse des Disney-Erbes verstehen während sie die Kurzfilme als vergleichsweise unbedeutend betrachten. Aber es ist keine universell gültige Betrachtungsweise. Disney-Legende Dick Huemer etwa war bei den Kurzfilmen wesentlich glücklicher. In der Interview-Sammlung Working with Walt äußert Huemer, wie stolz er auf seine Kurzfilm-Regiearbeiten The Whalers und Goofy and Wilbur ist, und dass er es bedauert, Walts Wünschen gefolgt zu haben: "Ich hätte dabei bleiben sollen, bei Kurzfilmen Regie zu führen, aber Walt versetzte mich zu[r Produktion von] Pinocchio", berichtet Huemer, der dort die ursprüngliche Eröffnungssequenz leitete, in der ein damals noch rundlicher und glatzköpfiger Gepetto über seine Einsamkeit sinniert, kurz bevor eine Horde Schulkinder seinen Laden stürmt. Im endgültigen Film zeichnete Huemer die Szene, in der Pinocchio einen Felsen an seinen Eselsschwanz bindet, um unter Wasser nach seinem Vater zu suchen. Kurz nach Fertigstellung dieser Szene wurde Huemer zum "Konzertfilm" berufen, um gemeinsam mit Walt, Leopold Stokowski, Joe Grant und Deems Taylor die Auswahl der Musikstücke zu tätigen. Anschließend schrieb er unter anderem an Dumbo und Alice im Wunderland mit. Allein schon deswegen dürfte Huemer die Bewunderung und vielleicht auch den Neid vieler Trickliebhaber sicher haben. Und dennoch hallt der geborene New Yorker nach: "Aber ich wünschte, ich wäre bei meinen Kurzfilmen geblieben."
Dass Huemer aus seiner Position im Cartoon-Departement Disneys beordert wurde, hatte nicht nur für ihn selbst eine große Auswirkung, sondern auch für seinen neuen (sowie kurzzeitigen) Schützling Goofy. Dieser stand nun ohne die Stimme dar, die überhaupt zu seiner Schöpfung führte, sowie ohne einen Regisseur, der sich bereits in der Inszenierung mit ihm erprobt hatte. Das talentierte, aber immens hitzköpfige Problemkind Art Babbitt zu einem Regisseur zu befördern, schien Walt ausgeschlossen. Die Lösung kam schließlich mit einem radikalen Stilwechsel und dem wilden Humor bevorzugenden Querkopf Jack Kinney. Aber dazu nächstes Mal mehr ...
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