Der beste vollkommen überflüssige Film seit The Ring*
Zehn Jahre sind vergangen, seit Sam Raimi und Sony mit Spider-Man bestätigten, dass Comicverfilmungen achtbare Kassenerfolge sein können. Fünf Jahre zogen seit Spider-Man 3 ins Land. Nunmehr zwei Jahre des Kopfzerbrechens über das Spider-Man-Reboot haben wir hinter uns. Jetzt stellt er sich endlich dem Urteil der Kinogänger: The Amazing Spider-Man, der vom (500) Days of Summer-Regisseur Marc Webb in Szene gesetzte Beginn einer neuen Spinnenmann-Saga.
Für den jungen Peter Parker nimmt das ganze Leben schlagartig eine Wende, als sein Vater, der Wissenschaftler Richard Parker, panisch seine Sachen packt. Er und Peters Mutter versprechen ihm, eines Tages zurückzukehren, doch zunächst müsse er bei seinem Onkel Ben (Martin Sheen) und seiner Tante May (Sally Field) leben, da es dort sicherer sei. Seither hat Peter (Andrew Garfield), der zu einem smarten, aber auch wenig populären High-School-Schüler heranwuchs, nie wieder etwas von seinen Eltern gehört. In der Schule erhält er nur wenig Rückhalt, doch seine couragierte sowie bildhübsche Mitschülerin Gwen Stacey (Emma Stone) scheint sich langsam für ihn zu erwärmen. Dennoch beschäftigt Peter die Frage, was mit seinen Eltern geschah, unentwegt. Die Entdeckung eines Aktenkoffers, der seinem Vater gehörte, wirft neue Fragen auf, verspricht aber auch erste Antworten: In ihm befinden sich Dokumente über artübergreifende Genexperimente, die Peters Vater gemeinsam mit Dr. Curt Connors, nun der höchste Wissenschaftler bei Oscorp, unternommen hat. Also beschließt Peter, Dr. Connors einen Besuch abzustatten. Während er in den Labors von Oscorp herumschnüffelt, beißt ihn eine der Laborspinnen, was ihm unerwartete Kräfte und sensationelle Reflexe verleiht ...
The Amazing Spider-Man hat es sich mit den Fans der Raimi-Trilogie nicht wirklich leicht gemacht, erzählt er doch zehn Jahre nach Spider-Mans "Origin Story" ein weiteres Mal, wie Peter Parker seine Geheimidentität erhält, sich erstmals verliebt und lernt, dass seine Kräfte auch Verantwortung mit sich bringen. Dennoch wäre es theoretisch denkbar, dass The Amazing Spider-Man als eigene Entität wahrgenommen wird, statt ununterbrochen mit dem Raimi-Film von 2002 verglichen zu werden. Das Drehbuch von James Vanderbilt, Alvin Sargent und Steve Kloves wurde offenbar auch mit diesem Vorhaben im Hintergrund geschrieben, denn inhaltlich ändert sich genug, um nicht als simples Remake von Spider-Man zu gelten. Die Nebenhandlung mit Peters Selbstfindungsproblemen ist neu, die Liebesgeschichte zu Gwen Stacey geht andere Wege als die mit MJ und auch die Wendepunkte, die aus Peters Mantra "Wow, cool, ich bin stark" wahre Heldenverantwortung machen, sind ungleich denen aus dem Blockbuster des Jahres 2002. Dass dennoch manche Parallelen bleiben, sollte nicht zu verwunderlich sein, da letzten Endes auf der gleichen Grundlage mit den selben Intentionen (vorlagennah, aber doch etwas eigenes) das gleiche Kapitel in Peter Parkers Biografie neu erzählt wird.
Trotzdem ist The Amazing Spider-Man keine radikale Neuinterpretation, das Reboot dieser Filmreihe bricht nicht völlig mit der inneren Logik oder dem Tonfall der ersten Spider-Man-Trilogie. Es ist nicht der Batman Begins zu Batman oder gar Batman & Robin. Es ist auch nicht Marvels Der unglaubliche Hulk zu Ang Lees Hulk. Die Zusammensetzung aus Action, Dramatik, Liebesgeschichte und Humor ist sehr nah am Mix aus Spider-Man 1 – 3, was es schwer macht, The Amazing Spider-Man als einen notwendigen Neuanfang zu bezeichnen. Es ist jedoch ein durch und durch gelungener: Andrew Garfield überzeugt sowohl in der Heldenrolle, als auch in der des Durchschnittsteenagers. Mit kleinsten Gesten trägt er radikale Stimmungswechsel und von Maguires Interpretation hebt er sich dadurch ab, dass er keinen ganz so nerdigen Verlierer abgibt, sondern eher eine unscheinbare, stille Persönlichkeit. Sehr stark funktionieren seine gemeinsamen Szenen mit Emma Stone, deren liebenswürdige Gwen Stacey Humor, Hirn und Herz hat. Die Liebesgeschichte schlägt also ganz klar die in Spider-Man. Welcher Look besser gefällt, ist wohl Geschmacksfrage: The Amazing Spider-Man hat eine realere, etwas schmutzigere Optik (ohne die Düsternis eines Nolan-Films aufzuweisen), während Spider-Man farbenfroher geraten war. Bei den Effekten hat Marc Webbs Großproduktion von 2012 natürlich einen Vorteil, den sie auch klar ausnutzt: Davon abgesehen, dass das Design des Schurken eher unspektakulär ist, sind die Effekte greifbar und makellos. Wie Spider-Man durch New York schwingt ist atemberaubender denn je – und das großartige 3D trägt selbstredend auch sein Scherflein dazu bei: Das Bild ist kristallklar, der Fokus ist stets sehr weit gefasst und die zahlreichenen Bildebenen sind lebensecht voneinander abgegrenzt.
Die Action ist auch eine wahre Wucht, die Kampfszenen fügen sich nahtlos in die Geschichte ein und jede hat ihren eigenen Clou. Sobald man den Film mit Spider-Man vergleicht, ist sie vielleicht etwas zu bombastisch geraten, dass unser Heldenanfänger all dies durchsteht, funktioniert nur auf Superheldenfilm-Logik. Würde The Amazing Spider-Man für sich stehen, fiele es allerdings nicht weiter auf. James Horners Filmmusik weiß, die emotionale Seite dieser Coming-of-Age-Heldengeschichte zu verstärken und in Actionmomenten die Spannung oben zu halten, geht aber nicht so sehr ins Ohr wie Danny Elfmans ikonische Musikthemen aus Spider-Man. Rhys Ifans macht als Dr. Connors / die Echse solide Arbeit, aber mehr als die schlichte Antagonistenrolle hat das Skript für ihn nicht zu bieten.
Marc Webbs The Amazing Spider-Man ist mit seiner Action und den weitschweifenden Ausblicken auf die Straßenschluchten Manhattans gleichermaßen etwas bombastischer und größer angelegt als die 2002-Variante, und mit den sehr geerdeten Problemen Peter Parkers auch persönlicher. Aufgrund dessen ist es schade, dass zwei Wendepunkte (Onkel Bens Ableben und ein Handlungselement auf dem Weg zum Finale) recht konstruiert wirken, wodurch die sonst sehr reale Emotionalität des Films kurzfristig überstrapaziert wird.
Kurzum: The Amazing Spider-Man ist tolles Popcornvergnügen mit emotional involvierenden Darstellungen interessanter Figuren, treffendem Humor und gelungener Action. Letzere ist nicht besonders einfalls-, sehr wohl aber abwechslungsreich. Die Entstehungsgeschichte Spider-Mans wird also ein weiteres Mal kurzweilig unterzählt. Nicht derart revolutionär, dass man vergessen könnte, dass der Film nur existiert, weil Sony Pictures noch mehr Geld machen will, aber so gut, dass man darüber nicht mehr herziehen will. The Amazing Spider-Man ist schlussendlich ungefähr so gut wie überflüssig. Eine Fortsetzung darf kommen, muss dann aber noch eigenständiger werden.
*Absolute Urteile sind natürlich immer so eine Sache. Ich habe seit Beginn des Abspanns mein Gedächtnis gequält, an überflüssige, jedoch gute Filme der letzten zehn bis fünfzehn Jahre zu denken. Gut möglich, dass ich einem Film qualitativ unrecht tat oder ihn nicht überflüssig genug eingeschätzt habe – doch ad hoc bin ich von diesem Vergleich überzeugt.
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1 Kommentare:
Immerhin, gut zu hören, dass der Film einen Kinobesuch wert ist. Im Moment läuft der Versuch, es irgendwie mit den Mädels organisiert zu kriegen. *seufz*
OT: Zufällig diesen verrückten Kram schon gesehen? XD
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