Freitag, 4. Mai 2012
Spy Kids 4D: Alle Zeit der Welt
Robert Rodriguez ist nicht nur eine coole Type, der Kultregisseur kann für seine Fans auch ultra frustrierend sein. Jahrelang lässt er sie nach Sin City 2 hadern, zahllose Projekte, über die er mit ansteckendem temperament spricht, versauern in der Development Hell, aber dafür bringt er immer wieder aus dem Nichts Kinderfilme wie Das Geheimnis des Regenbogensteins oder nunmal Spy Kids 4D raus, die sich bestenfalls als filmische Schnellschüsse bezeichnen lassen. Längst hat sich unter Filmfreunden die Haltung eingeschliffen, dass Rodriguez denkwürdige Erwachsenenfilme und beschissenen Kinderkram macht. Dies würde ich so jedoch nicht unterschreiben: Die ersten zwei Spy Kids-Filme konnten noch mit einer weitäugigen Weltsicht und ungezügelter Fantasie bestechen. Erst mit der Entdeckung von 3D nahmen die Gimmicks überhand, während die inhaltliche Qualität auf den Rücksitz verbannt wurde. Spy Kids 3D aka Mission 3D und Die Abenteuer von Sharkboy und Lavagirl sind cineastische Missetaten, nach denen es wahrlich erstaunte, dass Das Geheimnis des Regenbogensteins, wenn man ihm mit der richtigen Einstellung begegnet, eigentlich wieder ganz nett ist.
Die Zeichen dafür, dass Spy Kids 4D: Alle Zeit der Welt daran anschließt, standen nicht gerade gut. In Promointerviews erklärte Rodriguez zwar, er habe sich seiner Kinderagentenserie erneut angenommen, weil ihn so viele Familien darauf angesprochen hätten, wie viel Spaß sie ihnen bereitet habe, allerdings steht diese Behauptung auf wackligen Beinen. So manchen Gerüchten nach soll Rodriguez keine Lust mehr auf diese Filmreihe verspürt haben, jedoch soll er den Weinsteins noch einen Film geschuldet haben, und diese pochten auf eine Fortsetzung dieses erfolgreichen Franchises. Wenn man sich dann noch in Erinnerung ruft, dass Rodriguez die zündende Idee für Spy Kids 4D hatte, als er am Set von Machete Jessica Alba beim Windelnwechseln zusah, weiß man nahezu alles, was man über diesen (Achtung, Mordsbrüller voraus!) Stinker von einem Film wissen muss.
Der Hauptaufhänger von Spy Kids 4D ist das so genannte Aroma-Scope, eine Pappkarte mit acht parfümierten Feldern, die es einem ermöglichen sollen, den Film in gleich vier Dimensionen zu erleben. Was, wenn man zu lange darüber nachdenkt, für mächtig Kopfschmerzen sorgt: Der Film handelt davon, dass ein Schurke die Macht über die Geschwindigkeit des Zeitlaufs an sich reißen möchte und somit thematisiert, was in der Science-Fiction gemeinhin als vierte Dimension bezeichnet wird. Zugleich wird behauptet, dass der in 3D gefilmte und aufgeführte Film durch sein Duft-Gimmick erst vierdimensional wird. Ist Spy Kids 4D also eigentlich, nach seiner eigenen Logik, eigentlich 5D?
Aber gut, verrenken wir uns nicht, selbst wenn bloß augenzwinkernd, die Gehirnwindungen intensiver, als es sich Robert Rodriguez' lieblos runtergehetzter Kinderfilm verdient hat, sondern kommen gleich zur dünnen Story: Die hochschwangere Superagentin Marissa (Jessica Alba) buchtet kurz vor Geburt ihrer Tochter Marissa den Superschurken Tick-Tock ein und begibt sich somit in Frührente, damit sie sich von nun an um ihre Familie kümmern kann, die außerdem noch aus ihrem Ehegatten Wilbur Wilson (Joel McHale) und ihren Stiefkindern Rebecca und Cecil (Rowan Blanchard und Mason Cook) besteht.
Wilbur arbeitet erfolglos als Fernseh-Agentenjäger und Rebecca ist eine passionierte Streichespielerin, die es vor allem auf Marissa abgesehen hat, die sie als schlechten Ersatz für ihre geliebte, doch verstorbene leibliche Mutter hält. Cecil ist das alles derweil vergleichsweise egal, er passt sich der Situation gelassen an. Dieses gelinde gesagt verbesserungswürdige Familienidyll wird unterbrochen, als der Geheimdienst OSS Marissa zurück in den Dienst beordert, weil der gefährliche "Timekeeper" eine bedrohliche, den Lauf der Zeit beschleunigende Waffe ins Laufen brachte. Marissa jedoch scheitert bei ihrem Auftrag, weshalb ihre (Stief-)Kinder zusammen mit ihrem Roboterhund in Aktion treten müssen ...
Schon von den ersten Minuten an nimmt Spy Kids 4D direkten Kurs auf die traurige Spitzenposition von Die Abenteuer von Sharkboy und Lavagirl als Rodriguez' miesestes Machwerk. Zwar ist der Geruchsfilm längst nicht so konfus, verzichtet auf ennervierende Lektionen über den Wert der Fantasie und hat auch nicht derart unsympatische Hauptfiguren, im direkten Vergleich versprüht die abstruse Hommage an kindliche Imagination aber wenigstens einen dezenten Funken an Ambition. Spy Kids 4D wiederum ist durch und durch ein seelenloses Produkt. Die durchkalkulierte Anbiederung an ein infantiles Kinderpublikum und das absolute Minimum an Eigenleistung, die in die generische Kinderkomödien-Figurenkonstellation gesteckt wurde schreien geradezu nach der DVD-Grabbelkiste, für die dieser Film direkt entworfen zu sein scheint (wenn man es nicht besser wüsste).
Die hauchdünne Geschichte hingegen wird von Rodriguez denkbar schlecht erzählt, so dass sie zwischen den Stühlen fällt: Ist sie für Erwachsene zu belanglos, undramatisch und klischeeüberfrachtet, dürften sich die moralischen und abstrakten Zwischentöne Kindern verschließen, weshalb für beide Zielgruppen nur ein bonbonfarbenes Etwas übrigbleiben, dessen Szenen zwar rasant abgehakt werden, das sich in seiner Gesamtheit hingegen paradoxerweise wie Kaugummi zieht. Der Fall könnte, wenn in Rodriguez' Kinderfilmuniversum auch nur irgendjemand über den Verstand eines normalen Menschen verfügen würde, mindestens in der Hälfte der Zeit gelöst werden. Aber realistisch, glaubwürdig oder wenigstens nur plausibel verhält sich in Spy Kids 4D niemand, ebenso, wie wohl niemand die lästig werdende "Kinder an die Macht!"- und "Nutze die Zeit mit deiner Familie!"-Botschaften des Films abkaufen dürfte, da sie wegen eines Mangels an Unterfütterung nie über eine Hohlphrase auf (Kindergarten-)Stammtischniveau hinaus kommt.
Während der erste Spy Kids noch eine, nach Rodriguez-Logik, schlüssige Eltern-Kind-Actiongeschichte erzählte und die Fortsetzung mit fantasievollen Abenteuersequenzen bestach, hat Spy Kids 4D nicht einmal mehr die spannungsarmen, aber wenigstens Kinder mit ihrer Knalligkeit beschallenden Action-Momente zu bieten. Stattdessen wird das Publikum mit einem Dauerfeuer an haarsträubenden Uhr- und Zeit-Wortspielen beschossen sowie pointenlosem Slapstick. Das Duft-Gimmick wiederum funktioniert überhaupt nicht. Einerseits, weil Rodriguez unfähig war, es zeitlich korrekt abzustimmen. Im Laufe des Films werden mehrfach am oberen Bildrand Nummern eingeblendet, und als Zuschauer soll man die entsprechende Nummer auf seiner Duftkarte reiben, um den jeweiligen Geruch freizusetzen. Doch manchmal kommt die Kameraeinstellung, in der die dazu passende Sache zu sehen ist, noch während die Nummer eingeblendet wird, andere Male kommt sie erst danach ins Bild. Es kommt vor, dass durch die Kameraführung ganz klar die Erwartung aufgebaut wird, dass jeden Moment ein neuer Geruch freigesetzt werden soll (so gibt es eine Nahaufnahme von Cecil, der an Käsesnacks schnuppert), ohne dass diese Erwartung erfüllt wird. Dafür gibt es später im Film so spannende Aromen wie "Finger". Und in einer kurzen Szene werden gleich drei Gerüche kurz nacheinander abgefrühstückt - so rapide, dass man kaum hinterherkommt. Obendrein sind die parfümierten Karten von ordentlichen Produktionsfehlern geplagt: Von meinen acht Feldern rochen fünf nach Aschenbecher (ein Geruch, der im Film nicht vorkommt), eins nach Scheiße (ein Geruch, der gleich zwei Mal im Film auftaucht), eins nach Zimt und eins undefiniert, aber unangenehm (es soll allerdings nach irgendeiner Süßigkeit riechen). Ein Bekannter durfte sich durch vier Zimt-Felder rubbeln, und so weiter, und so weiter.
Einzig und allein die Gaststars können unterhalten, wobei dies an der Kernzielgruppe vorbeirauscht und einzig Fanservice für Rodriguez' ältere Stammzuschauer darstellt. Hätten die Hauptdarsteller ähnlichen Spaß an ihren Rollen, wie man es den Cameos ansieht, könnte Spy Kids 4D womöglich noch auf niedrigstem Niveau als leidlich spaßige Kinderberieselung durchgehen. Jedoch will bei ihnen der Funke nicht überspringen, Kinderdarstellerin Rowan Blanchard agiert hölzern und angestrengt, ihr Filmbruder ist schüchtern und Jessica Alba demontiert schlafwandelnd ihr Leinwandimage als aufreizendes Latinapüppchen. Im englischsprachigen Original macht Ricky Gervais als Stimme des sprechenden Roboterhunds am ehesten noch eine brauchbare Figur, weil er sich schmierig-vergnüglich durch seinen Part näselt.
Hoffentlich hängt Rodriguez mit diesem Tiefpunkt seine Kinderfilmkarriere an den Nagel. Mit Machete Kills und Sin City 2 hat er in den kommenden Monaten genügend Möglichkeiten, sich zu rehabilitieren. Er sollte sie nutzen.
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