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Dienstag, 10. April 2012

The Time Machine


Nach der rundum gelungenen Spielfilmadaption aus dem Jahre 1960 erschien eine weitere Verfilmung von H. G. Wells bahnbrechender Novelle Die Zeitmaschine gleichermaßen riskant wie überflüssig. Dabei bestand durchaus Hoffnung auf eine technisch aktualisierte, inhaltlich relevante Neuinterpretation, übernahm doch H. G. Wells' Großneffe die Regie und bekam ein stattliches Effektbudget zur Verfügung gestellt. Aber die 2002 auf das Publikum losgelassene Neuverfilmung übertraf die schlimmsten Befürchtungen, die man an ein groß umworbenes, knalliges Hollywoodremake stellen konnte. Es fügte der Thematik nichts ergiebiges hinzu, sondern reduzierte sie zu einem hohlen Popcornfilm. Das wäre noch verzeihlich, verärgerte The Time Machine von 2002 nicht nur Liebhaber des Filmklassikers, sondern auch bei selbstständiger Betrachtung sein Publikum durch lärmende Idiotie, welche sich mit gähnender Langeweile abwechselt.

Noch dazu stresste die Produktion dieses Schundwerks Regisseur Simon Wells derart, dass der damals noch eng mit dem co-produzierenden Studio DreamWorks verbandelte Gore Verbinski für ihn einspringen musste. Dieser erhielt trotz seiner ebenso kurzen wie intensiven Arbeit an diesem Film keine offizielle Nennung als Co- oder Second-Unit-Regisseur, sondern wird nur im Abspann bei den Danksagungen an allererster Stelle genannt. Verbinski kann darüber nur glücklich sein ...

Zurück zur Tatzeit. Für die Liebe!
Der New Yorker Wissenschaftler und Universitätsdozent Dr. Alexander Hartdegen verbummelt über seine Forschungen wieder einmal eine Verabredung mit seiner Geliebten Emma. Als er mit arger Verspätung und ohne den vorab versprochenen Blumenstrauß eintrifft, will Alexander ihr einen Heiratsantrag machen. Doch dieser wird jäh von einem Räuber unterbrochen. Als Alexander sich zu verteidigen versucht, löst sich im Gerangel ein Schuss aus dem Revoler des Räubers, der Emma tödlich trifft.

Vier Jahre später stellt Alexander eine Zeitmaschine fertig, von der er es sich verspricht, zum Tag des tragischen Geschehens zurückzureisen und seine Herzensdame vor ihrem Schicksal zu retten. Obwohl er tatsächlich durch die Zeit zurückreisen kann, misslingt sein Versuch, Emmas Ableben zu verhindern, weshalb der gefrustete Wissenschaftler in die Zukunft aufbricht. Dort erhofft er sich eine Antwort darauf, wie sich der Lauf der Zeit verändern lässt. Sein erster Stopp führt ihn ins Jahr 2030, wo ihm das holografische Bibliothekeninformationssystem "Vox" darauf hinweist, dass Zeitreisen reine Fiktion seien und sich am Lauf der Zeit niemals etwas ändern würde. Enttäuscht will Alexander weiter in die Zukunft reisen, hoffend, dass sich doch noch eine Lösung findet. Aber schwere Erschütterungen der Zeitmaschine zwingen sie bereits ein Jahr später zum Halt: New York befindet sich in Schutt und Asche, der Erdboden tut sich auf und Teile des Mondes rasen auf den Globus zu. Alexander flüchtet sich wieder in seine Zeitmaschine, welche jedoch kaum aus dem Schwanken kommt. Ein mit seinen Kräften kämpfender Alexander kann sie erst im Jahr 802.701 anhalten. Dort lernt er die Menschen als Naturvolk der Eloi kennen, welches von den in unterirdischen Höhlen lebenden, monströsen Morlocks tyrannisiert wird. Dieses Grauen kann Alexander nicht unbeteiligt mit ansehen, weshalb er sich aufmacht, gegen die Morlocks zu kämpfen ...

Misslungenes Sci-Fi-Abenteuer mit fadenscheinigem Bezug zur Vorlage
An Stelle der den Zuschauer emotional an die Hand nehmenden und zum Nachdenken anregenden Figur Georges (in Die Zeitmaschine von 1960) tritt in diesem seelenlosen Möchtegern-Blockbuster das charakterarme Abziehbild eines Leinwand-Wissenschaftlers. Dr. Alexander Hartdegen erinnert erschreckend an Robin Williams' seine Liebe für verrückte Forschungen vernachlässigenden Professor aus Flubber (nur ohne jeglichen Witz) sowie Steve Coogans Forscher aus der Disney/Walden-Media-Fassung von In 80 Tagen um die Welt. Hartdegens Laboratorium ist überfüllt mit viktorianischen Versionen moderner Erfindungen und allerhand überdrehtem Schnickschnack aus der Requisitenkiste für Hollyoods Big-Budget-Umdeutung der viktorianischen Ära.

Das muss man per se nicht sofort verurteilen. Der Anfang von The Time Machine deutet unmissverständlich an, dass das Publikum eine spaßig-abenteuerliche Popcornversion von H. G. Wells' Klassiker zu erwarten hat. Würde Simon Wells diesen Einschlag konsequent verfolgen, so hätte er zwar keine Chance, an den Filmklassiker von 1960 heranzureichen, aber er könnte immerhin einen kurzweilig-spannenden Sci-Fi-Trip abliefern. Stattdessen unterbetont er all die quirlig-verrückten Gags in den frühen Filmminuten, um die forcierte, nicht eine Sekunde lang überzeugende Liebesgeschichte stärker in den Fokus zu rücken, so dass letztlich beide Filmzutaten ennervierend sind.

Emma-Darstellerin Sienna Guillory (Tintenherz) macht sich als Alexanders Turteltäubchen lächerlich, vor allem ihr Ableben schwankt zwischen ungewollt komisch und schlichtweg dämlich. Guy Pearce (Memento) investiert nur sehr wenig in diesen Aspekt seiner Rolle, was möglicherweise seinem Frust mit den Produktionsproblemen verschuldet ist. In Presseinterviews erklärte er nach Kinostart, dass er lange mit sich haderte, ob er so einen reinen Unterhaltungsfilm drehen sollte, sich aber dazu entschied, weil er neue Facetten seines Leinwand-Ichs zeigen wollte. Am Set war er schnell von widersprüchlichen Regieanweisungen, ständigen Skriptänderungen und ermüdenden Drehbedingungen gefrustet, fühlte sich gleichermaßen darstellerisch unterfordert. Das scheint in Pearces Performance durchzuscheinen: Manche Sequenzen über agiert er angestrengt, übertrieben ernsthaft, in anderen könnte man glauben, er habe schon den schauspielerischen Autopiloten eingeschaltet.

Ein herbes Problem von The Time Machine ist, dass das Drehbuch über keinerlei zentrales Thema verfügt, wodurch der Film in zwei miteinander kaum verbundene Einzelteile verfällt, die jeweils abrupt und ohne befriedigendes Ende ausklingen. Rund die Hälfte des Films scheint es Alexanders Intention zu sein, Emma vor ihrem Tod zu bewahren. Daraufhin wird dieser Handlungsfaden vollkommen fallen gelassen, sowohl inhaltlich, als auch emotional. Im Jahr 802.701 angelangt verkommt The Time Machine schließlich zu einer Art verwirrtem Planet der Affen: Das menschliche Naturvolk muss sich gegen die kräftigen, doch dummen und lichtscheuen Morlocks zur Wehr setzen. Damit wird die Aussage der Vorlage verdreht und stellt sich auch noch die Frage, weshalb es erst einen untrainierten Wissenschaftler aus dem Jahr 1899 braucht, um den Eloi im Kampf gegen die Morlocks anzuführen.

Nicht nur, dass einige Storyfäden von The Time Machine unabgeschlossen bleiben, dieses Blendwerk bietet obendrein Logiklöcher noch und nöcher. So wird unter anderem lang und breit erklärt, dass sich die Morlocks nur im Dunkeln aufhalten können. Die nächste Szene ist eine spannungsarm inszenierte Actionsequenz, in der die Morlocks tagsüber die Eloi angreifen. Die Eloi sprechen übrigens kein Englisch, wie eingangs etabliert und womit einer der wenigen Denkfehler des 60er-Films umgangen wird. Dann können sie es plötzlich doch. Und die filminterne Funktionsweise der Zeitmaschine ändert sich auch unentwegt. Weshalb die Filmemacher erst das im Original nicht vorhandene Thema eines Zeitparadoxes aufnehmen, es dann aber verhauen und sofort fallen lassen, ist wahrlich ein Rätsel.

Der Gore-Faktor
Einem eifrigen Fan der Pirates of the Caribbean-Reihe, der außerdem Rango gut fand und dafür nicht allein Johnny Depp verantwortlich macht, sondern unter anderem auch Gore Verbinski, lässt sich leicht vorwerfen, er agiere bei der Besprechung anderer Verbinski-Filme voreingenommen. Oder in webgemäßen Termini ausgedrückt: Bei manchem Blogleser stehe ich sicherlich unter dem Generalverdacht, ein Gore-Verbinski-Fanboy zu sein, der sich aufgrund seiner Zuneigung zu Fluch der Karibik andere Filme dieses einstigen Musikclip-Filmers schönredet und ihm ein Talent zuspricht, über das er nicht verfügt.

Deswegen möchte ich The Time Machine als Gegenbeweis anbringen. Als ich dieses Schundwerk zum ersten Mal begutachtete, war mir nicht bekannt, welche Sequenzen von Gore Verbinski stammen, und ich bemängelte neben den bereits genannten Schwächen des Films auch sehr stark, wie er in Szene gesetzt wurde. Die Requisiten und Einsätze von Computergrafik mogen zwar weitestegehend beeindruckend sein, auch einige der Schauplätze sind hübsch, aber die Aufnahmen sind oftmals schlichtweg langweilig. Die Regieführung ist über weite Strecken so ideenlos, die Wahl der Kameraeinstellungen so rudimentär, dass es mit dazu beiträgt, dass The Time Machine deutlich länger als seine mickrigen ca. 90 Minuten Laufzeit wirkt. Simon Wells wählte zwar den Ansatz eines Popcorn-Abenteuers, aber er bringt kein abenteuerliches Flair auf.

Als Alexander das unterirdische Versteck der Morlocks erkundschaftet, merkte ich allerdings auf. Am fadenscheinigen Drehbuch hatte sich zwar nichts geändert, doch mit einem Mal vermittelten die Aufnahmen einen minimalen Sinn fürs Bedrohliche. Die unterirdische Höhle sieht darin leicht abstrakt aus und die gewählten Kamerawinkel lösen eine beklemmende Atmosphäre aus, weshalb die lachhaften Monster plötzlich wenigstens ein Stück weit gefährlich wirkten. Sahen die vorherigen Actionsequenzen im Wald planlos und hektisch runtergedreht aus, hatte das Szenenbild nun auch in Bewegung etwas Tiefe.

Der Audiokommentar beschert dem wissbegierigen Betrachter dann eine klare Antwort: "Diese Aufnahme stammt von Gore Verbinski", lobt Simon Wells seinen Kollegen. Verbinski selbst behauptet, er wäre nur ein Handwerker gewesen, der einsprang und den Film wie vorbereitet zu Ende brachte, doch Wells empfindet Verbinskis Beitrag als deutlich größer. Und tatsächlich sehen Verbinskis Sequenzen wenigstens ein bisschen nach hohlem Popcorn-Spaß aus, während dem Gesamtwerk jegliche noch so dümmlich-vergnügliche Ausstrahlung abgeht.

Um an dieser Stelle etwas Licht in die zumeist nur angerissene Arbeitsteilung der The Time Machine-Regisseure zu bringen: Nur 18 Tage vor dem angesetzten Ende der Dreharbeiten musste Simon Wells den Produktionsprozess fallen lassen. Wells, der zuvor Co-Regisseur von Feivel, der Mauswanderer im wilden Westen, 4 Dinos in New York und Der Prinz von Ägypten sowie der alleinige Regisseur hinter Balto war, fühlte sich von den Anforderungen eines actionreichen, effektstarken Big-Budget-Realfilms überfordert. Ärzte attestierten ihm, dass er an extremer Überlastung leide und verordneten ihm strenge Bettruhe. Die Produktion wurde für zehn Tage angehalten. In dieser Zeit fand man mit Gore Verbinski einen Regisseur, den man mit der Fertigstellung der noch ausstehenden Sequenzen beauftragte. Die Postproduktion übernahm letztlich wieder Simon Wells.

Während Filmjournalisten die Gerüchteküche anheizten, die Studios hätten Wells wenige Tage vor dem geplanten Produktionsende rausgekickt und ihn ersetzt, um eine drohende cineastische Katastrophe abzuwenden, erhielt Verbinski exakt drei mickrige Tage Vorbereitungszeit – dann musste er sofort mit dem Dreh sämtlicher Szenen von Jeremy Irons beginnen, dessen voller Terminplan keine weiteren Verzögerungen erlaubte. Verbinski drehte also auch diese saudämlichen Sequenzen, in denen Jeremy Irons nicht so recht weiß, ob er diesen Auftrag einfach nur runterspulen, oder sich in Dungeons & Dragons-Manier in reinem Overacting aalen soll.

Für Irons' mit nachgeschobener Exposition überfrachteten, hanebüschenen Zeilen kann Verbinski ja nichts, aber wenigstens bemühte er sich, diese Szenen visuell interessanter zu machen. Obwohl er nur der Ersatzregisseur war, ordnete er für diese Sequenz ein neues Set mit ungewöhnlicheren Ausmaßen an, gleichzeitig wurde in seinem Auftrag auch heftig am Hauptraum des Morlocks-Verstecks gearbeitet. Denn die zuvor genannte Erkundungssequenz wurde auf einem Set gedreht, das nach Verbinskis Übernahme des Projekts innerhalb von neun Tagen hastig zusammengezimmert wurde. Entworfen wurde das Set von Crash McCreery, den Verbinski noch von Mäusejagd kannte und zu Rate zog. Verbinski erfand darüber hinaus die Sequenz, in der Alexander auf die Überbleibsel der Morlock-Opfer stößt und schlug vor, den bereits entworfenen Endkampf wenigstens durch einen Stakkato-Lichteffekt visuell aufregender zu machen.

Es ist Verbinski keineswegs gelungen, diesen Popcornschund zu etwas sehenswertem zu machen, doch wenigstens füllte er den letzten Akt mit etwas Stimmung und brachte ein visuelles Gespür mit, das in Wells strikt geradeheraus gedrehten Sequenzen nur äußerst selten zu vernehmen ist. Wenn diese Anekdote eins belegt, dann die These der Pirates of the Caribbean-Autoren Ted Elliott & Terry Rossio, dass Verbinski immer nach visueller Perfektion strebt. In den Piraten-Filmen werden zur Vitalisierung des Bildes Ziegen eingebaut, und ein etwas mehr als zwei Wochen dauernder Gig als Notfallregisseur führt bei Verbinski dazu, dass er neue Sets bauen lässt, weil er sich so eine dichtere Stimmung im Film verspricht.

Selbst die schöne Oberfläche hat Dellen
Verbinski hin, Verbinski her, die Qualitäten von The Time Machine sind rar gesät und oberflächlich: Die titelgebende Maschine zum Beispiel. Sie war zum Zeitpunkt des Kinostarts die größte und teuerste Requisite der Filmgeschichte, und das sieht man diesem aufwändig gestalteten Monstrum auch an. Wundersamerweise erhielt dieser Film aber eine Nominierung für das Make-up, und das ist im Falle von Jeremy Irons als Morlock-Anführer peinlich, während seine Untertanen in schattigen Weitaufnahmen noch recht gut gestaltet aussehen. In stärker beleuchteten Nahaufnahmen zeigen sich allerdings zahlreiche Schwächen in der Umsetzung.

Es spricht schon Bände, wenn die beste Figur ein von Orlando Jones gespieltes Hologramm ist, welches albernen Meta-Humor vom Stapel lässt. Aber bei dieser flachen Interpretation von Wells' Roman ist das noch eine sehnenswerte Gangrichtung, ist Jones doch immerhin kurzweilig. Selbst wenn seine Ausführungen Logiklöcher in den Film schießen, die groß genug sind, um dem explodiertem Mond eine neue Herberge zu bieten. Wenn Vox (der eigentlich ein Roboter sein sollte, wogegen Steven Spielberg ein Veto einlegte, weil er parallel zu dieser DreamWorks-Produktion an A.I. arbeitete) über ein Broadway-Musical über H. G. Wells' Roman Die Zeitmaschine brabbeln kann, wieso überrascht ihn dann die ganze Eloi/Morlock-Sache, wenn sie tatsächlich geschieht?

Brauchbar ist noch Klaus Badelts erster großer Hollywood-Score, der in diesem Film erklingt. Seine Ethnoklänge sind etwas zu dick aufgetragen, dennoch ist die Musik für The Time Machine sehr eingängig und einfallsreich. Sie hätte einen besseren Film als diesen tumben, spannungsbefreiten Zeitreiseunfall.

1 Kommentar:

  1. Herbert de Vaucanson12. April 2012 um 16:51

    Hat denn irgendwer verstanden, was die Szene mit Jeremy Irons uns überhaupt sagen sollte?

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