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Montag, 23. April 2012
The Ring
Um meine Meinung zu The Ring in den richtigen Kontext zu rücken, muss ich wohl etwas weiter ausholen: Ich sah (wie wohl sehr viele andere) das US-Remake vor dem japanischen Original. Mir hat Gore Verbinskis letzter Film, bevor er wohl für den Rest seines Lebens als "der Regisseur von Fluch der Karibik" bekannt wurde, an und für sich sehr gefallen. Allerdings erschien es mir nahezu unmöglich, ihn auch für sich alleine stehend zu betrachten, denn die Parodie in Scary Movie 3 war einfach zu treffend, weshalb einige der nervenaufreibendsten Sequenzen von The Ring für mich ihre Wirkung verloren.
The Ring ist jedoch zu stark, um ewig unter der Blödeleien in Scary Movie 3 zu versacken, so dass ich mit etwas Abstand diesen modernen Horror-Klassiker wieder neu für mich entdecken konnte. Und da es der bislang letzte piratenlose Film von Gore Verbinski ist, den ich hier im Blog noch zu besprechen habe, möchte ich ohne weiteren Anlass einen weiteren Blick auf die Schauergeschichte vom tötenden Videoband werfen.
Die Story: Bevor du stirbst, siehst du den Ring
Nach dem mysteriösen Tod ihrer Nichte Katie erfährt die junge Journalistin Rachel Keller (Naomi Watts) von einer düsteren Legende, die unter Jugendlichen kursiert: Es soll ein verstörendes Video geben, das verflucht ist. Wenn man es sich ansieht, erhält man einen Telefonanruf, der einem ankündigt, in sieben Tagen zu sterben. Und bislang hielt die schaurige Telefonstimme jedes Mal ihr tödliches Versprechen ein.
Rachel geht diesem Gerücht nach und verfolgt die letzten Tage ihrer Nichte. Schließlich gelangt sie an die sagenumwobende Videokassette, schaut sich den surrealen, albtraumhaften Film an ... und erhält auch den geisterhaften Anruf. Die Uhr tickt unaufhaltsam, innerhalb einer Woche muss sie dieser Sache erfolgreich nachgehen ...
Ein Film zwischen den Zeiten
Wie schon erwähnt, sah ich das japanische Original erst nach Gore Verbinskis The Ring, was meine Rangfolge beider Filme mitbeeinflusst haben dürfte. In meinen Augen ist die Idee hinter diesem Stoff nämlich zwar Aufsehen erregend, nicht aber so stark, dass ich sie in mehreren Auslegungen sehen muss. Deshalb habe ich auch bislang einen Bogen um die Fortsetzungen (egal welches Herkunftslandes) gemacht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass nach einer Auslotung der Grundprämisse nichts vorhersehbares oder allein auf Schreckeffekte setzendes bei herauskommen kann.
Was ich damit aussagen möchte: Nachdem ich The Ring erstmal gesehen hatte, konnte ich mich nicht mehr so sehr auf die japanische Variante einlassen, wie ich mich etwa seit der 1993er Disney-Verfilmung von Die drei Musketiere auf zahllose andere Verfilmungen einlassen konnte. Hinzu kommt aber noch, dass Verbinskis und die japanische Fassung in ihrer Art des Horrors zwar sehr nahe sind, die Nippon-Variante jedoch stärker in Aspekte abrutscht, die ich persönlich weniger an dieser Filmgattung wertschätze. Im Original erzeugt Hideo Nakata sehr viel Anspannung dadurch, dass sich Dinge im Halbdunkeln abspielen und die Erwartungshaltung geschürt wird, jeden Moment käme es zu einem Jump Scare (welche wiederum meines Erachtens nach die billigste Form des Schreckens sind). Das ist zwar bei einmaliger Betrachtung Nerven aufreibend, sobald man es allerdings durchschaut hat oder den Film kennt schnell aufgebraucht, beim ersten Mal ist es schon bei Beginn des Abspanns schnell vergessen. Die parapsychologischen Elemente, die in der Protagonistenfamilie des Originals aufkommen, wollen mir ebenso wenig gefallen. Es ist einfach nicht so mein Geschmack.
Gore Verbinskis Interpretation der Geschichte setzt die Schwerpunkte etwas anders, dazu gleich mehr, darüber hinaus profitiert sie aber, wie ich finde, auch enorm von ihrem Veröffentlichungszeitpunkt. Dieser Gesichtspunkt ist selbstredend eher zufällig, und nicht der Verdienst der Filmemacher, dennoch beeinflusst er, wie ich The Ring rezipiere. Denn für mich ist The Ring der einzige bedeutungsvolle Horrorfilm, der exakt während der Übergangszeit vom analogen zum digitalen Zeitalter entstand, erschien und dies auch indirekt thematisierte. Es ist ein Produkt dieser kurzen Phase, wodurch sich auch Inhalt und Stimmung gegenüber des Vorgängers ändern. Nur zwei Jahre früher wären Videokassetten alltäglicher gewesen, wodurch in der sich der Geisterwelt weniger gewisseren US-Version sicherlich das Element der Medienangst überhand genommen hätte. Zwei Jahre später wären Videos ein totes Medium, weshalb die Grundidee schwerer zu akzeptieren gewesen wäre. Aber The Ring kam zum richtigen Zeitpunkt, nicht nur um seinerzeit zu funktionieren, sondern auch aus der heutigen Sicht, da er diese Übergangsphase auch ausstrahlt. Rachels Recherchen führen erst zu Bücherregalen, dann ins Internet. Sie hat mit monströsen Profi-Videogeräten zu hantieren, weshalb ihre Manipulationen des verfluchten Videos etwas manuelles erhalten, nach Handarbeit suchen. Dennoch existiert mit ihrem von Martin Henderson gespielten, Video-Freak-Kontakt auch ein digitales Element, weshalb die verfluchte Kassette etwas mystischer wirkt. Es ist ein bisschen so, wie in "Haunted House"-Filmen, die schließlich auch bevorzugt in alten Häusern spielen.
Ich befürchte, dass dieses Argument schwer nachzuvollziehen ist, dennoch verstärkt es meinen Genuss von The Ring. Er spricht aus und für eine Zeit, als Video nicht mehr aktuell, aber noch nicht tot war. Bänder waren kein cooles Novum mehr, doch noch präsent genug, um als Gefahr wahrgenommen zu werden. In der Art und Weise, wie Verbinski dies inszeniert, entwickelt es seine eigene, komplexe Stimmung. Und die ist einer der Gründe, weshalb mir dieser Film besser als das Original gefällt.
Kunst, Kommerz, Genrekompott: Der Verbinski-Effekt
Es dürfte kaum jemanden noch überraschen: Selbstredend stellen die Regieführung, die daraus resultierende tonale Ambiguität und der abwechslungsreiche, dennoch in sich abgerundete Stil für mich das Hauptargument dar, weshalb ich The Ring eher zugeneigt bin als seiner japanischen Vorlage (welche ja wiederum eine Buchverfilmung ist, selbst wenn dieser Fakt gerne vergessen wird).
Während sich das Original eigentlich durchgehend als Horrorthriller goutieren lässt, wechselt Verbinski häufiger, doch stets in fließend-sanfter Bewegung, die Gangart: Vom Psycho- zum Horrorthriller, dann wird die journalistische Detektivarbeit Rachels stärker in den Vordergrund gekehrt, dann mutet Ring mehr nach einem (übernatürlichen) Familien-Drama an. Ab und an gibt es auch sehr behutsam eingesetzten Humor, der aber nie vom Schrecken der Geschichte ablenkt. So einen Genre-Mischmasch kann man lästig finden, aufgrund der Versiertheit, mit der dieser bei The Ring umgesetzt wird, gewinnt der Film meiner Meinung nach dagegen an Reichhaltigkeit. Die Drama- und Krimi-Elemente verwurzeln zudem die spinnerte Grundidee stärker in der Realität.
Verbinskis ambitionierte Inszenierung verleiht diesem Remake auch ein künstlerisches Flair, welches in den nach The Ring aufgekommenen Neuverfilmungen von Nippon-Horrorfilmen fehlte. Die kunstvollere Mise-en-scène wirkt zugegebenermaßen manchmal aufgesetzt, hat aber stets auch eine verlockende Klasse. Ganz besonders gefällt mir, wie nur in ausgewählten Szenen das Nasskalte der blaugrünen Farbästhetik dieses Films durchbrochen wird, um ein einzelnes Element hervorzuheben oder die gesamte Szenerie unheilvoll neu einzufärben. Wenn sich Rachel das Videoband anschaut, färbt sich das gesamte Bild im Blutrot eines nahstehenden Baums – nicht aber aus reiner Effekthascherei, sondern um zu signalisieren, dass die regnerische Realität verlassen wird. Das Video selbst ist letztlich ein albtraumhaftes Chaos, das an Dalís Ein andalusicher Hund erinnert und geht über den strikteren Grauen des Japan-Originals hinaus. Des Weiteren befinden sich in The Ring mehrere unaufdringliche, die Atmosphäre verdichtende Hitchcock-Hommagen, welche sich sehr gut in Verbinskis eigene Visualität einfügen.
Sonstige Stärken und die Schwächen
Neben der Bildsprache gibt es noch zwei weitere Hauptpfeiler, auf denen sich The Ring stützt: Hans Zimmers tragisch-verstörter Moll-Soundtrack und die Darbietung von Naomi Watts, die als barsche, engagierte Journalistin mit zunehmender Laufzeit auftaucht und mit steigender Angst auch immer mehr Menschlichkeit zeigt, so dass aus einer anfänglichen Klischeerolle eine runde Persönlichkeit wird. Zwar effektiv, allerdings sehr einsteitig ist dagegen ihr distanzierter Filmsohn, etwas charismatischer aber genauso nur handlungstechnisch notwendige Staffage Martin Henderson als Rachels Vertrauter.
Dramaturgisch ist The Ring sehr gut aufgebaut, die Genrewechsel bewegen sich mit dem Spannungsbogen mit, so dass aus einem Slasher-imitierenden Opening stückweise eine übernatürliche Familientrgödie entwickelt, der zum Schluss allerdings ein konsequent getragenes Finale entwächst. Gelungen ist auch, wie Symboliken phasenweise an Bedeutung gewinnen, ärgerlich dagegen, wie unentschlossen Verbinski und Drehbuchautor Ehren Krueger sind, ob übernatürliches in sich ruhen gelassen oder doch mit Erläuterungen unterfüttert wird. Aufgrund dessen ist die dieser Version exklusive Fährensequenz mit einem verängstigten Pferd alleinstehend betrachtet aufreibend, rückblickend betrachtet allerdings auch inhaltlich überflüssig und allein um der Atmosphäre willen eingefügt.
The Ring ist natürlich bei weitem nicht der derbste oder innovativste Horrorfilm seiner Dekade, aber er gehört für mich zu den handwerklich gelungensten und aufgrund der darin involvierten Talente sowie seiner Ausstrahlung eines flüchtigen Zeitgeistes genieße ich ihn, nun da ich die Scary Movie 3-Parodie endgültig verdaut habe, noch ein gutes Stück mehr, als er rein objektiv betrachtet verdient hat.
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