Donnerstag, 5. April 2012
Die Mond-Nazis kommen: "Iron Sky"
Bereits die Genese dieser uchronischen, neotrashigen Nazi-Clockpunk-Komödie ist bemerkenswert: Der finnische No-Budget-Filmer Timo Vuorensola, der in finnischen Nerdkreisen zuvor mit den Star Trek- und Babylon 5-Parodien der Star Wreck-Reihe von sich reden machte, veröffentlichte 2008 einen Teaser für sein kommendes Projekt Iron Sky. Diese Vorschau auf einen bewusst trashig-hirnverbrannten Film versprach absolutes Kultpotential, sollte er doch von einem alternativen Geschichtsverlauf erzählen, in dem sich die Nazis nach Untergang des Dritten Reichs heimlich auf die dunkle Seite des Mondes verschanzten, wo sie seither auf die ideale Gelegenheit für einen Rückschlag lauern.
Nazis, die in Zeppelinraumschiffen vom Mond kommen, um die Erde zu erobern – in Zeiten der postmodernen, selbstironischen Neoexploitation nach Vorbildern wie Robert Rodriguez' und Quentin Tarantinos Grindhouse schüttelt der erstaunte Betrachter nicht mehr darüber den Kopf. Stattdessen erhofft er sich einen sich selbst durchschauenden, mit schundhaften Aspekten kokettierenden filmischen Irrsinn.
Dessen waren sich Regisseur Vuorensola und sein Team bewusst, weshalb sie bei Veröffentlichung ihres Teasers, noch dazu im Rahmen der Filmfestspiele in Cannes, darauf spekulierten, die nötigen Investoren für ihre verrückte Idee zu finden.
Dem war auch so: Mit Hilfe kleinerer, risikofreudiger Produktionsfirmen und vor allem auch durch allerhand Investitionen online mobilisierter Filmenthusiasten konnte aus dem Sci-Fi-Fanprojekt ein ausgewachsener, international produzierter Kinofilm entstehen, der für 7,5 Millionen Euro in Frankfurt am Main sowie in australischen Studios realisiert wurde. Im Heimatland dieses abgedrehten Unterfangens übernahm die Disney-Dependance Buena Vista International Finland den Verleih, auch auf dem restlichen internationalen Parkett fanden sich rasch interessierte Abnehmer. Sogar in Deutschland fand sich problemlos ein Vertrieb, obwohl man sich hierzulande in regelmäßigen Abständen diskutiert, ob man es sich überhaupt erlauben dürfe, über den Faschismus zu lachen. Darüber hinaus hielt man die Iron Sky-Weltpremiere im Rahmen der Berlinale ab. Die Sci-Fi-Nerds mit ihrem schrottig-augenzwinkernden Humor und dieser anarchischen Finanzierungsmethode des "Crowdfunding" hatten es also geschafft, sie nisteten sich zwischen den Intellektuellen und Kulturhütern ein, ohne wirkliche Proteste über sich ergehen lassen zu müssen. Beeindruckend!
Noch aufregender ist aber die zahlreiche, wundervoll abstruse (erzählerisch jedoch fließend ins Gesamtkonzept eingelassene) Haken schlagende Handlung von Iron Sky. Und da die sich entfaltenden Verrücktheiten einen großen Reiz dieser cineastischen, überraschenden Science-Fiction-Nazi-Achterbahnfahrt ausmachen, sei nachfolgend nur an deren Oberfläche gekratzt:
Im Jahr 2018 greift die amtierende Präsidentin der USA (Stephanie Paul als erschreckend vorlagennaher Sarah-Palin-Verschnitt) zu einem ungewohnten Publictiystunt, um ihre Wiederwahl zu sichern. Sie entsendet erstmals seit über fünfzig Jahren Menschen zum Erdtrabanten, was der Bevölkerung die Macht und Verlässlichkeit ihrer Regierung demonstrieren soll. Nach der Mondlandung machen die Astronauten allerdings eine erschreckende Entdeckung: Auf der Rückseite des Mondes befindet sich eine monumentale, hakenkreuzförmige Basis, die von Nazis bevölkert wird. Die Nazis nehmen daraufhin den baffen Astronauten James Washington (Christopher Kirby) gefangen, um ihn zu verhören. Derweil macht der von Allmachtsfantasien besessene Nachrichtenübermittlungsführer Klaus Adler (Götz Otto) der zierlichen, engagierten Lehrerin Renate Richter (Julia Dietze) Avancen. Er ist sich nämlich sicher, dass die auf den Mond geflohenen, stolzen Vertreter der arischen Rasse bald wieder über die Erde herrschen und dort ihre Botschaft ("von Frieden, Harmonie und einer besseren Zukunft", so meint zumindest Renate) verbreiten werden. Dabei wolle er ganz vorne mit dabei sein, aber dazu gehöre auch eine reinrassige, genetisch perfekte Frau an seiner Seite. Wie es der Zufall so will, gelingt Mondführer Wolfgang Kortzfleisch (Udo Kier) sowie der oberste Wissenschaftler der Nazibasis (Tilo Prückner), kurz darauf der technologische Fortschritt für einen effektiven Angriff auf die Erde ...
Dass all dies nur die oberste Spitze des Eisberges ist, stellt sich als große Stärke von Iron Sky heraus. Der Grundgedanke von auf (hinter) dem Mond lebenden Nazis mag zwar einige Minuten dämlich-glückseliges Nerdgrinsen auslösen, allerdings lässt sich der Witz dieser kuriosen Vorstellung nur über einen bedingten Zeitraum ausreizen. Ein abendfüllender Film über Mond-Nazis benötigt also zusätzliches Material. Denkbar wäre es gewesen, die volle, brachiale Exploitationrichtung einzuschlagen und eine überdrehte Nazi-Weltallmetzelei zu veranstalten. Doch Iron Sky ahmt lieber die hanebüschenen Plots früherer B-Movies nach und so entwerfen die Autoren Michael Kalesniko & Timo Vuorensola genussvoll haarsträubende Situationen, die sie dazu nutzen, um im Kleid trashig-dämlicher Albernheiten auch allerhand satirische Seitenhiebe zu verteilen.
Die US-amerikanische Wahlkampfmaschinerie bekommt dabei ebenso ihr Fett weg, wie das imperialistische Gehabe der großen Industrienation oder auch der schon von Team America gepflegt durch den Kakao gezogene Diktatorenstaat Nordkorea. Weitere spritzige Gags treffen, wie man bei Iron Sky nur erwarten konnte, das Naziregime. Unter anderem fällt der Film- und Englischunterricht unter der eifrigen Lehrerin Richter ziemlich fragwürdig aus, und wie selbstverständlich sind die Nazis so in ihren alten Gepflogenheiten festgefahren, dass der neue Führer noch immer mit "Heil Hitler!" gegrüßt wird – sehr zu seinem Ärgernis. Mit der pointierten Verwendung alten deutschen Liedgutes, Nazireden und gelegentlichen Anspielungen auf wichtige Nazigrößen kitzelt Iron Sky dem historisch versiertem Betrachter noch einige zusätzliche Lacher raus. Ebenso kommen Filmliebhaber auf ihre Kosten: Anspielungen auf Klassiker wie Apocalypse Now, Stanley Kubricks Dr. Seltsam oder Der große Diktator, aber auch auf die James Bond-Reihe sowie die viralen Parodien von Der Untergang machen ein filmisches Grundwissen definitiv bezahlt.
Außerdem ahmt Timo Vuorensola immer wieder mit humoresker Methode seinen Vorbildern nach und zieht visuelle Parallelen zu Star Wars, Star Trek, Starship Troopers oder Babylon 5. Vor deren Effektgewalt muss sich Iron Sky auch keinesfalls verstecken, denn was die finnischen Effektspezialisten für das vergleichsweise lachhafte Budget herbeigezaubert haben, ist eine wahre Augenweide. Die Raumschiffe und überdimensionalen Nazimaschinen sehen grandios aus, stecken voller Details und auch das Shading ist zum Teil besser gelungen als bei so manchen runtergehetzten US-Blockbustern.
Selbstredend basiert die Welt von Iron Sky auf Spaßlogik, und so sieht die Wunderwaffe der Nazis mit ihren Abertausenden Zahnrädern aus, als sei sie einem Steampunk-Mammutwerk entflohen. Und das, obwohl Dieselpunk, also die nerdig-futuristische Weiterspinnerei von Maschinerie aus den frühen bis mittleren 40er-Jahren, eigentlich die schlüssigere Wahl wäre. Aber Steampunk ist eines der Lieblingssettings vieler Geeks, weshalb es eine Schande wäre, so ein Projekt wie Iron Sky nicht ein Stück weit in diese Richtung abgleiten zu lassen. Und in dieser Hinsicht gilt, wie auch für die geschichtlichen und cineastischen Anspielungen: Man muss sich in diesen Gefilden nicht auskennen, um sich bei Iron Sky schief zu lachen. Die meisten Referenzen funktionieren auch sehr gut als eigenständige Gags, so dass die wenigen exklusiven Jokes für Kenner diese irre Nazikomödie kein Stück ausbremsen.
Generell ist das Tempo sehr hoch, Iron Sky begeht zu keinem Zeitpunkt den Fehler, einfach nur in seiner knalligen Ausgangssituation zu verweilen und sie somit zu stark zu strapazieren. Hilfreich ist dabei auch, dass die Figuren (welche natürlich allesamt bis ins Groteske überzeichnet sind und der Klischeekiste entsprugen sind) von ihren Darstellern mit einer wahnsinnigen Spielfreude verkörpert werden. Den intensivsten Eindruck hinterlassen ein glühend-boshafter Götz Otto, Peta Sergeant als bissige Karikatur einer skrupellosen Marketingchefin sowie Julia Dietze, die es sich tatsächlich traut, eine (bitte festhalten) sympathische Nazi-Frau zu spielen (Ah, oh mein Gott, darf man das?!).
Weshalb während der Berlinale der Eklat ausblieb, den es auf dem Papier eigentlich hätte geben müssen, lässt sich mit dieser ungewöhnlichen humoristischen Mixtur von Iron Sky erklären: Es ist, von der Grundgestaltung her, ein "Hirn aus, sinnbefreiter Kappes an"-Schundstreifen, der sich mit Abstrusitäten und dem Aufeinandertreffen von Moderne und Nazizeit viele schnelle Lacher einholt. Allerdings steckt verklausuliert in all diesem Irrsinn eine treffende, frisch-fröhlich verpackte Demontage der faschistischen Grundidee. Inglourious Basterds nahm das selbstgeißelnde Betroffenheitsdrama mit all seinen konstruierten (und meistens scheiternden) Versuchen, reales Leid fiktionalisiert nachzubilden, rammelte es durch und schoss ihm daraufhin ins Gesicht. Eigentlich hätte man den Nazifilm damit begraben können. Aber nun kommt halt Iron Sky daher, und feiert auf dessen leblosen Korpus ein grelles Fest mit einer unübersehbaren Botschaft: Wir wären krank in der Rübe, erneut solch ein Regime entstehen zu lassen, sollten uns aber nicht in selbstgefälliger Sicherheit wägen.
Wenn so etwas darüber hinaus in allererster Priorität Spaß macht, so kann man diese "Darf man über Nazis lachen?"-Debatten einfach nicht mehr neu aufkochen. Dennoch wird Iron Sky nicht jedem gefallen. Das ist jedoch nicht der Witze über den Nationalsozialismus geschuldet, sondern der neotrashigen Natur dieses Films: Es ist Schund mit verstecktem Genie, der weiß, dass er Schund ist, und deswegen von seinem Publikum nicht ungefiltert als Schund rezipiert wird. Das setzt eine Art von Filmverständnis voraus, die nicht jedem zusagt. Manche hätten lieber einen "echten" Trashfilm, den sie lästernd kommentieren können. Andere finden diese meta-cineastischen Rezeptionsprozesse allgemeinhin bescheuert. Für solche Leute wird Iron Sky ein Rätsel oder blutleeres, mutloses Schauspiel bleiben, und das ist deren gutes Recht.
Wer aber bei Mond-Nazis denkt "Höhö, geil!", abstruse Selbstironie mit plakativ-schriller und dennoch so wahrer Politsatire interessant findet oder einfach nur jemand ist, der sich absonderlichen Kultfilmen öffnen kann, sollte dieses Projekt unterstützen und Iron Sky ansehen. Nehmt Freunde und gute Laune mit, schon darf dem Kinovergnügen nichts mehr im Wege stehen.
Siehe auch:
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
2 Kommentare:
Läuft der eigentlich in Deutschland auch im o-Ton oder auch nur auf deutsch?
Hier in München läuft er z.B. heute um 22:30 Uhr im O-Ton - wenn dir das irgendwie weiterhilft???
Kommentar veröffentlichen