Der zehnte Teil dieser Reihe beschäftigt sich mit einem im CinemaScope-Bildformat veröffentlichten Kurzfilm, in den Donald-Stammregisseur Jack Hannah Kindheitserinnerungen hat einfließen lassen: No Hunting.
Diese spezielle Titelkarte eröffnete alle CinemaScope-Cartoons mit Donald
Wie bereits in der vorhergegangenen Ausgabe dieser Artikelreihe angerissen, befand sich die Kunstform des Kurzzeichentrickfilms in den mittleren 50er-Jahren im Umbruch. Hohe Kosten rechneten sich immer schlechter, und insbesondere Disney bekam die Konkurrenz durch die preiswerter arbeitenden UPA-Studios immens zu spüren. Darüber hinaus musste sich die Kinobranche im Allgemeinen Möglichkeiten einfallen lassen, wie die US-Bevölkerung von den Fernsehern loszureißen. Eine der intensivsten, allerdings auch schnelllebigsten, Revitalisierungskuren des Kinos kam in Form von 3D, dem sich die Disney-Studios damals nur in zweifacher Form annahmen: Mit dem als den ersten 3D-Cartoon beworbenen Melody, einem Vorläufer von Toot, Whistle, Plunk and Boom, sowie mit Donalds, Chips & Chaps Working for Peanuts, die beide 1953 den Weg in die Kinos fanden.
Aufgrund einer rasch einsetzenden Marktübersättigung an 3D-Filmen, von denen sehr viele auch mit einer überaus grausigen Qualität glänzten, verschwand der 3D-Trend ungefähr so schnell, wie er aufkam. Platz machte er für eine Vielzahl an Breitbildformaten, die mit hoher, strahlender Bildqualität aufwarteten und versprachen, den Kinogänger durch ihre schier biblischen Ausmaße förmlich ins Leinwandgeschehen zu versetzen. Der heutzutage stattfindende, von Regisseuren wie Brad Bird und Christopher Nolan vorangetriebene IMAX-Aufschwung inmitten des 3D-Booms ist also wahrlich kein filmhistorisches Novum ...
Auch Walt Disney, als technikversessener Visionär, fand großes Interesse an dieser Entwicklung und erwarb von Rechteinhaber 20th Century Fox als einer der ersten die Lizenz, CinemaScope zu gebrauchen. Noch 1953, dem Jahr in dem Fox seinen neuen Prozess öffentlich machte, brachten die Disney-Studios mit Toot, Whistle, Plunk and Boom kurz nach dem ersten 3D-Cartoon auch sofort den ersten Trickfilm in CinemaScope. Ein Jahr später erstaunte Walt Disneys erster auf US-Boden produzierter, reine Realfilm 20.000 Meilen unter dem Meer mit in CinemaScope eingefangenen, großartigen Spezialeffekten und einem imposantem Szenenbild, ehe 1955 mit Susi & Strolch der erste abendfüllende Zeichentrickfilm in CinemaScope die Lichtspieltheater eroberte.
Um Breitbildfilme mit entsprechenden Kurzfilmen koppeln zu können und mit dem technischen Fortschritt mitzuhalten, wurden auch vermehrt Cartoons im CinemaScope-Format produziert. Dies war allerdings nicht ausschließlich eine kommerzielle, sondern auch eine kreative Entscheidung. Wie etwa der legendäre Zeichner Ward Kimball erklärte, konnte die Figurenanimation durch das neue Verfahren vollkommen neu gestaltet werden: Statt ihre Figuren auf einem Fleck vor einem sich bewegenden Hintergrund verharren zu lassen, war es den Zeichnern nun möglich, sie durch die Szenerie des breiteren Bilds zu bewegen. Die Vorzüge des CinemaScope-Formats und des damit einhergehenden, räumlicheren Sounds erkundeten die Disney-Künstler intensiv in ihrem zweiten Cartoon dieser Art: Charles Nichols Grand CanyonScope mit Donald Duck, der auch im Vorprogramm zu 20.000 Meilen unter dem Meer aufgeführt wurde.
Eine der vielen, das CinemaScope-Format voll ausschröpfenden Einstellungen von Grand CanyonScope
Der erste Disney-Kurzfilm, der nach Grand CanyonScope in die Kinos kam, behielt diese Mixtur bei: Auch der am 14. Januar 1955 erstveröffentlichte No Hunting zeigt Donald vor einem extragroßen Hintergrund und nutzt den künstlerischen Vorteil dieses Bildformat. Jedoch nehmen diese formal-handwerklichen Einfälle etwas weniger Raum ein, gebraucht Jack Hannah diesen Kurzfilm doch vornehmlich, um satirische Seitenhiebe auf den Jägersport auszuteilen. So macht er einem Frust Luft, den er seit Kindstagen mit sich herumschleppte ...
In No Hunting wird Donald pünktlich zu Beginn der Jagdsaison vom Geist eines Vorfahren besessen, der als hervorragender Jäger galt. Mit der Flinte schussbereit in der Hand fährt Donald, wie Hunderte andere Freizeitjäger, in den nächstgelegenen Wald, der alsbald an ein Kriegsgebiet erinnert.
Während sich Rugged Bear von 1953, von einer kurzen Anspielung auf den dabei entstehenden Müll, mit einem Kommentar zum Jagdsport weitestgehend zurückhielt und ihn lediglich als Vehikel nutzte, um den Bären Humphrey in Donalds Jagdhütte zu manövrieren, ist No Hunting eine ausgewachsene, und für damalige Disney-Verhältnisse auch recht bissige Satire aufs Jagen. Dieses erlebte in den 50ern eine regelrechte Renaissance und wurde von Gesellschaft und Medien stark romantisiert.
Regisseur Jack Hannah nutzte No Hunting dazu, Beobachtungen über das Gebärden von Sportjägern und -Fischern humorvoll-kritisch zu verarbeiten, die er bereits als Kind während Jagdausflügen mit seinem Vater machte. Schon damals, bevor der Jagdsport einen neuen Frühling in der US-amerikanischen Gesellschaft genoss, erlebte Hannah die jagende Meute als eine Ansammlung von Menschen, die für sich selbst eine größere Bedrohung darstellt, als für die im Jagdgebiet lebenden Tiere. Im Gespräch mit Walt's People-Autor Jim Korkis sprach Hannah rückblickend davon, dass einer Statistik nach am ersten Tag der Jagdsaison mehr Jäger als Rehe angeschossen werden. Eben dieses schießwütige und unorganisierte Verhalten von Amateurjägern wollte er mit No Hunting vorführen.
Drei Szenenbilder aus No Hunting: Von der dekadenten Villa in den herbstwarmen Wald in den Kriegsirrsinn
Die letzten Minuten des Films erinnern in ihrer Gesamtgestaltung letztlich sogar an die Kriegs-Propagandafilme, die bei Disney etwas mehr als zehn Jahre zuvor noch hergestellt wurden. Martialische Musik, Jäger, die sich in Schützengräben verschanzen, Truppen die aus Kampffliegern rausspringen und eine karge, ganz und gar uneinladende Landschaft betonten auf harsche, zugleich aber comichaft-amüsante Weise, wie zerstörerisch der amateurhafte Jagdsport für die Natur ist. Um die Wirkung der visuellen Kriegsanalogien zusätzlich zu untermauern, eröffnet No Hunting dagegen noch sehr prachtvoll: Layoutkünstler Yale Gracey und Hintergrundmaler Ray Huffine steckten Donald zu Beginn des für diese Ära des Disney-Cartoonschaffens besonders liebevoll sowie ausdrucksstark animierten Kurzfilms in eine feudal ausgestattete Villa (wo auch immer Donald diese nun herhaben mag), die das gesamte CinemaScope-Bild mit luxuriösen Details füllt. Danach lockt noch eine herbstliche, warme und satte Waldlandschaft, die mit Anbruch des ersten Jagdtags einer breiten Leinwand voller Ödnis und Kriegstreiben weichen muss.
Mit ihrem dadurch ausgedrückten Umweltbewusstsein waren Jack Hannah und die Autoren Dick Shaw & Bill Berg ihrer Zeit auch ein Schnippchen voraus, erst Anfang der 60er-Jahren wurde die Umweltverschmutzung ein gesellschaftlich prominentes Thema, welches seitens der Disney-Studios auch prompt durch einen Bildungskurzfilm mit Donald in der Hauptrolle kommentiert wurde. Hannah steuerte zudem einen der besten, und obendrein ungewöhnlich modernsten, Gags von No Hunting bei: Er zeigt Bambi mitsamt seiner Mutter, wie sie an einem müllverschmutzten Fluss stehen. Solche Gastauftritte, noch dazu mit einem lässigen "Let's dig out!" seitens Bambis Mutter kommentiert, sind heutzutage üblicher, doch wie No Hunting beweist, längst keine Erfindung der letzten zehn bis zwanzig Jahren.
Weshalb No Hunting eine Oscar-Nominierung einheimste, dürfte vor diesem Hintergrund kaum überraschen: Die in Sachen Originalität im Kurzfilmsektor einst fast abgeschriebenen Disney-Studios überraschten mit einem zeitgemäßen, einer populären Meinung ohne moralischen Zeigefinger widersprechenden Satire, die obendrein technisch sowie trickkünstlerisch auf dem neusten Stand war. Und wie schon Rugged Bear war No Hunting für das zeitgenössische Publikum ein lauthalses Lachen auslösender Kurzfilm, der aus dem üblichen Disney-Output mit einem wahren Tex-Avery-mäßigen Tempo herausragte.
Bambis Mutter, etwas mehr als 35 Jahre vor ihrem Cameo in Die Schöne und das Biest
Am 21. März 1956 traten bei der Verleihung der 28. Academy Awards vier Cartoons im Rennen um die Trophäe für den besten animierten Kurzfilm an.
Neben No Hunting war mit The Legend of Rockabye Point zum ersten und einzigen Mal ein Cartoon mit Chilly Willy nominiert. Walter Lantz mochte diesen 1953 kreierten Pinguin besonders gern, fürchtete jedoch, dass die Figur nur wenig Potential aufweist. Doch ein Jahr später heute Tricklegende Tex Avery in Lantz' Studio an, woraufhin er die Regie beim von Kinogängern geliebten I'm Cold und diesem Oscar-nominierten Cartoon übernahm. Nach dem von Michael Maltese (One Froggy Evening) verfassten The Legend of Rockabye Point verließ Avery das Studio wieder, welches daraufhin nie mehr eine Oscar-Nominierung erhalten sollte.
Außerdem erhielt der Hanna-Barbera-Cartoon Good Will to Men eine Nominierung. Es war der erste Kurzfilm des Regie-Duos seit dem Jahr 1941, der nicht Teil der Tom & Jerry-Reihe darstellt und lässt sich als mit Mäusen besetztes Remake des gesellschaftskritischen (und ebenfalls Oscar-nominierten) Peace on Earth von 1939 betrachten. Der Oscar ging allerdings an Speedy Gonzales, den erst zweiten Cartoon mit der schnellsten Maus von Mexiko und die erste Begegnung zwischen Speedy und Sylvester.
Dieser Donalds Ahnen schöne Augen machende Elch wurde von Jack Hannah gesprochen, der noch weitere kleine Rollen in diesem Cartoon übernahm
Obwohl die CinemaScope-Kurzfilme weiterhin Publikumszuspruch erhielten, stellte Walt Disney 1956 mit der Donald-Duck-Serie auch seine letzte reguläre Cartoonreihe ein. Jack Hannah blieb bis 1959 bei Disney beschäftigt, wo er sich nun vollauf auf die Fernsehshow Disneyland beziehungsweise Walt Disney presents konzentrierte. Hannah kam schon seit 1954 die Betreuung mehrerer Donald-zentrischer Episoden zu Teil, außerdem erhoffte er sich, durch das nun "hauptberufliche" Drehen von Walts Begrüßungssequenzen Erfahrungen als Realfilmregisseur zu sammeln, damit er dies zu seiner neuen Kernaufgabe bei Disney machen könne. Allerdings rasselte er deswegen mehrfach mit Walt Disney aneinander, der sich Hannah nicht in dieser Tätigkeit vorstellen konnte, so dass Hannah das Studio 1959 verließ. Schließlich kam er bei Walter Lantz unter, wo er mit dem Ranger Willoughby und Fatso Bear eine Kopie von Humphrey und Ranger Woodlore entwickelte. Diese bildete wiederum Konkurrenz zu Yogi Bär, Hanna-Barberas eigener Antwort auf Hannahs letzte große Disney-Schöpfung.
No Hunting war derweil der vorletzte Cartoon mit seinen klassischen Trickhelden, für den Walt Disney eine Oscar-Nominierung in der Kategorie für animierte Kurzfilme erhielt. 1962 folgte eine für Goofys Leinwand-Comeback Aquamania, doch hauptsächlich setzten die Disney-Studios ab den späten 50ern auf experimentellere Cartoons und kurzweilige Lehrfilme. Beide Formen erhielten auch Anerkennung in Form von Oscar-Nominierungen. Zu diesen späten Oscar-nominierten Disney-Kurzfilmen gehören Bill Justices Noah's Ark und ein weiterer Kurzfilm mit Donald Duck, der von der Academy als Dokumentation wertgeschätzt wurde. Mehr dazu in der nächsten Ausgabe von Entengold.
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