Sonntag, 18. März 2012

Mexican


Wie schon Mäusejagd, fand ich Mexican vorab nicht sonderlich attraktiv. Diese Produktion aus dem Jahr 2001 wurde von mehreren Seiten als mit mexikanischem Setting gewürzte Romantikkomödie beworben, die nach jahrelangem Warten endlich erstmals zwei der größten Hollywood-Stars auf der Leinwand vereint: Brad Pitt und Julia Roberts. Poster, viele Szenenbilder und einige komplett an der tatsächlichen Filmhandlung vorbeiführenden Inhaltsangaben ließen so den Eindruck eines seelenlosen, glatt gebügelten Starvehikels entstehen, das sich einzig und allein auf die Zugkraft seiner namenhaften Hauptdarsteller verlässt.

Dennoch kam ich irgendwann in den Genuss von Mexican und war außerordentlich erstaunt, welch falsches Bild ich von diesem Film hatte, der eigentlich wesentlich mehr mit einer Independent-Komödie gemein hat. Vor allem aber entfalten sich in Mexican die Eigenheiten des Regisseurs Gore Verbinski, der hiermit seinen zweiten abendfüllenden Kinofilm drehte. Bereits Mäusejagd lässt sich rückblickend als eine Regiearbeit Verbinskis identifizieren, aber in seinem Nachfolgefilm kommt die Handschrift dieses leicht verschrobenen, Genres und filmische Grundstimmungen balancierenden Ex-Werbefilmers wesentlich besser zur Geltung. Man könnte sagen, dass Mexican die prägende Stunde des Verbinski-Stils ist. Denn auch wenn er keiner dieser Filmemacher ist, deren Name auf Postern über den Hauptdarstellern genannt wird, so hat Verbinski definitiv eine die Gangart des Films stark beeinflussende Vorgehensweise. Diese mag zwar nicht dazu führen, dass Verbinskis Filme sind, im Gegensatz zu denen vieler berühmter Regiegrößen, auf den ersten Blick identifizierbar sind, doch wer sich ein wenig mit ihm beschäftigt und genauer hinsieht, wird stilistische Parallelen auffinden. Und ab einschließlich Mexican gereichen sie ihnen, zumindest meiner Meinung nach, eindeutig zum Vorteil.

Wie bereits erwähnt, ist eine auffällige Gemeinsamkeit aller Verbinski-Filme, dass sie sich um Genregrenzen einen feuchten Kehricht kümmern. Das Spielen mit Genregesetzen und das großzügige Umfassen mehrerer Genres ist selbstredend nichts, was exklusiv auf Werke des Gelegenheitsmusikers zutrifft, jedoch gehört er zu denen, die sich sehr gezielt damit befassen. Dieses "Genre Blending" gibt auch den Takt von Mexican vor, der dem starren Schubladensystem eng umfasster Genredefinitionen eine leicht skurrile Roadtrip-Gangsterkomödie mit Elementen des Westernabenteuers und der Romantikkomödie entgegensetzt:

Der schusselige Jerry (Brad Pitt) macht seit fünf Jahren widerwillig Botengänge für den Verbrecherboss Arnold Margolese, meint jedoch, nun endlich seine Schuld beglichen zu haben. Kaum glaubt sich Jerry frei, erhält er erneut einen Auftrag. Dieser sei, so wird ihm fest versprochen, der allerletzte. Er soll nach Mexiko fahren, um dort einen Kerl namens Beck (David Krumholtz) aufzugabeln, welcher wiederum in den Besitz einer alten, sagenumwobenen sowie wertvollen Pistole namens The Mexican gelangt sei. Jerrys Aufgabe sei es, Beck mitsamt Pistole in die USA zu überführen – und dann würde er nie wieder etwas von den Gangstern hören.
Dass Jerry entgegen seiner vorherigen Aussagen schon wieder einen Auftrag des Verbrechersyndikats Margoleses angenommen hat, bringt seine Freundin Sam (Julia Roberts) zur Weißglut. Der Streit lässt sich nicht klären, und so beendet die von Jerrys ständigen, falschen Entschuldigungen entnervte Sam die Beziehung, um ein neues Leben in Las Vegas zu beginnen. Während sich Jerry mit mexikanischen (Klein)-Gangstern rumschlägt und immer wieder verzweifelt versucht, über's Telefon die Beziehung mit Sam zu kitten, wird diese vom Profikiller Leroy (James Gandolfini) entführt. Der bestimmte, allerdings auch außerordentlich zuvorkommende Mann hat den Auftrag, Sam als Pfand im Auge zu behalten, damit Jerry nicht auf die Idee kommt, irgendwelche fiesen Tricks abzuziehen ...

Die romantische Komponente, die von der Promotion hochgepusht wurde und mich eine durchschnittliches, konturloses Starvehikel erwarten ließ, ist in Wahrheit die am wenigsten ausgeprägte von Mexican. Und leider auch die schwächste, da ich zu keinem Zeitpunkt davon überzeugt war, dass es sich um die Beziehung zwischen Sam und Jerry zu kämpfen lohnt. Zwischen Brad Pitt und Julia Roberts besteht zwar durchaus eine gewisse Leinwandchemie, aber eher die zweier platonischer Freunde, und die Dialoge ihrer Figuren lassen ebenfalls kaum Rückschlüsse darauf zu, was sie zusammenführte und emotional voneinander abhängig macht.
Glücklicherweise muss man sich nicht auf die Liebesbeziehung von Jerry und Sam einlassen oder sie nachfühlen, um sich von Mexican unterhalten zu lassen, jedoch hält die unnachvollziehbare Liebesgeschichte den Film etwas zurück. Mit einer emotional involvierenderen Romanze ließe sich nämlich die Zuschauerbindung zu den zwei Protagonisten verdichten und somit auch die Spannung erhöhen.

Als Romantikkomödie ist Mexican wahrlich kein großer Wurf, allerdings liegt der Schwerpunkt eh wesentlich mehr auf seinem humoristischen (Western-)Abenteuer- und (Roadtrip-)Gangsterplot. Sollte ich versuchen, die tonale Natur von Mexican zu beschreiben, so wäre wohl ein Vergleich mit Guy Ritchies frühen, kultigen Gangsterfilmen Bube, Dame, König, grAs und Snatch angebracht sowie mit der typischen Legendenbildung eines Robert Rodriguez – bloß alles etwas gezähmter. Und mit Zwischenschnitten zu einer Steven-Soderbergh-Roadtrip-Buddykomödie mit Julia Roberts und James Gandolfini in den die Natur der Liebe ergründenden Hauptrollen. Solch einen umfassenden Umschlag cineastischer Traditionen und Stilrichtungen muss man mögen. Viele Kritiker, die Mexican schlecht bewerteten und nicht bloß rumwimmerten, sie hätten die versprochene Zusammenarbeit zwischen Pitt und Roberts nicht bekommen (da sie nur ca. 8 Minuten zusammen auf der Leinwand verbringen), werfen Gore Verbinski vor, er wolle sich nicht für ein Genre entscheiden, er habe den Film zu einem Kuddelmuddel verkommen lassen.

Dabei ist gerade dieses bewusste Überschreiten klar umsteckter Genregrenzen das Ziel von Mexican. Selbstredend ist nicht jeder Film automatisch gelungen, nur weil er Genres durcheinanderwirbelt, und auch Mexican hat so manche Schwäche. Allerdings beherrscht Verbinski in meinen Augen dieses in den ersten Sekunden konzeptlos oder zusammengeklatscht wirkende Tänzeln zwischen den Filmwelten sehr gut, und gerade das macht den Reiz von Mexican aus. Durch die Mischung der ernsthaft gemeinten Heldenwerdung des Tölpels Jerry und den immer wieder auftauchenden, ironischen Brechungen ist dieser Film schwer berechenbar. Die Übergänge erfolgen dabei immer mit großem Effekt, plötzliche Wechsel zum Gangstermovie erhöhen die Spannung, der Humor bringt wiederum einen kultigen Charme mit sich. Zu meinen frühen Lieblingsmomenten gehört das inszenatorische Schüren der Erwartungshaltung, dass Jerry sich in eine der miesesten Ganovenkneipen Mexikos begab und der ihn dort erwartende Beck ein richtig gefährlicher Kerl ist.
Die Szene scheint so abzulaufen, wie man sie aus zahlreichen Filmen kennt, doch dann spielt Krumholtz seinen schurkischen Buben mit viel Wärme und lässt ihn liebevoll die Geschichte der titelgebenden Waffe erzählen.

Später im Film, wenn sich Jerry langsam zum schrittfesten Helden der Marke Steve McQueen mausert, untergräbt dieser seinen erstaunlichen Heldenstatus, indem er wild mit seinen Händen fuchtelnd und einem Touristengrinsen auf dem Gesicht einen auf Pisolero macht. Die Kamera fängt dies aber stur so ein, als wäre es ein ikonischer Tex-Mex-Western-Moment, während Komponist Alan Silvestri eine wundervolle, eingängige Melodie darunterlegt, die sowohl in einem echten Mexiko-Ganovenabenteuer, als auch in einer cleveren, reinen Komödie funktionieren würde. Und generell ist Alan Silvestris Score wirklich hervorragend: Er mischt humorvoll alte Westernklänge und mexikanisches Flair mit einer etwas kontemporäreren Note und präsentiert sich somit gewissermaßen als ergänzender Gegenpol des Leinwandgeschehens.

Mexican bleibt atmosphärisch eigentlich immer in Bewegung, ohne jemals wie Flickenwerk rüberzukommen. Das könnte ihm zum absoluten Kult-Geheimtipp machen, wäre er auch inhaltlich derart dynamisch, doch ein schleppender Einstieg und so manche zähe Wegstrecke zum nächsten, unerwarteten und dem Film Energie zurückgebenden Wendepunkt sorgen dazu, dass der zweistündige Film etwas hinter seinem Potential zurückstecken bleibt. Drehbuchautor J.H. Wyman nimmt in manchen Dialogen zu viel Anlauf und Gore Verbinski spielt die tonale Ambivalenz zwar perfekt aus, schafft es aber nicht durchgehend, das Erzähltempo angemessen voranzutreiben. Mexican wäre mit ein paar Minuten weniger besser beraten, vor allem in der B-Storyline gibt es zwar einige kurzfristig sehr amüsante Momente mit Roberts und Gandolfini, ihr Einfluss auf das große Bild hält sich jedoch in Grenzen. Julia Roberts ist für mich eh der Schwachpunkt der Besetzung, da sie zu aufgesetzt und überdreht rüberkommt, sich den Szenen förmlich aufdrückt. Da Mexican die Gestalt eines Independent-Movies hat, der halt nur zufällig mit großen Stars besetzt ist, ist diese gezwungene Dominanz deplatziert und Roberts' Minenspiel, die lautstarke Stimme und ihre weit aufgerissenen Augen können in einigen Szenen letztlich sogar nerven.

Brad Pitt ordnet sich dagegen den Bedürfnissen des Films unter und gibt mit herrlichem Akzent (natürlich nur im Originalton) und schlacksiger Körperhaltung einen großartigen Beinahe-Helden ab, den die Umstände in den Legendenstatus schubsen. Stellt euch vor, Pitts Figur aus Burn After Reading hätte zusammen mit einer taffen Braut eines kultigen Robert-Rodriguez-Streifens einen Sohn. Das wäre wohl Jerry.

Der heimliche Star von Mexican ist aber James Gandolfini als zielstrebiger, jedoch auch äußerst sensibler Auftragskiller. Gandolfini erfüllt diese Rolle mit einem unwiderstehlichen Charisma und darüber hinaus verleiht er ihr eine ungesehene Vergangenheit, also eine zusätzliche Dimension zu dem, was der Film explizit ausführt. Dass hinter allem mehr steckt, als man anfangs vermuten mag, ist ein übergreifendes Thema von Mexican, welches allerdings nur bei Leroy und dem Mythos der umkämpften, sagenumwobenen Waffe wirklich zur Geltung kommt. Die Beziehung zwischen Sam und Jerry soll wohl auf der Leinwand ebenso funktionieren, doch hier scheitern Buch, Regie und Darbietung an der Ausführung.

Was in Mexican dagegen gelingt, sind die plötzlichen Handlungswenden. Wie auch der Tonfall, so nimmt auch die Geschichte selbst gelegentliche Richtungswechsel, und die Twists sind nie offensichtlich oder reine Überraschungseffekte ohne inhaltliche Relevanz. Jeder Twist hat handlungstechnisches sowie auch emotionales Gewicht. Ebenso gelungen empfinde ich das Vermeiden und Verdrehen von Genre-Konventionen, wozu ich die Dynamik von Leroy und Sam oder die zuvor beschriebene Szene mit Jerry und Beck zählen würde. Weniger konstant sind die zelebrierten Klischees: Baden die denkwürdigen Rückblenden in Tex-Mex-Western-Klischees, wirken andere Momente eher beliebig. Im Audiokommentar benennt Verbinski beispielsweise eine Flughafenszene als bewusst klischeehaft, als eine Feier des unvermeidlichen sowie abgenutzten Handlungspunkts, doch im laufenden Film kommt das nicht so recht rüber und erscheint eher wie irgendeine Szene vom Fließband. Nicht besonders kitschig, aber genauso wenig spürt man die Selbstironie heraus.

Gut, aber noch ein wenig verbesserungswürdig, gefiel mir die visuelle Komponente von Mexican. Schlüsselmomente werden stets in aussagekräftigen, manchmal durch Inhalt oder Musikuntermalung ironisch eingefärbten, Kameraeinstellungen eingefangen, beide Storylines und die Rückblenden haben ihre jeweils eigene Farbästhetik und insbesondere die längeren Einstellungen verleihen Mexican auch etwas Schwere. Dies hätte man, um die Ausstrahlung des Films zu vergrößern, noch kosnequenter verfolgen müssen, wie Verbinski im Audiokommentar anmerkt, war dazu aber die Probezeit zu kurz. Deswegen fällt Mexican gelegentlich aus seinem eigenen Stilmix raus, zurück in die Durchschnittlichkeit einer kontemporären Hollywood-Komödie. Verbinski, Kameramann Dariusz Wolski (drehte später mit Verbinski die Pirates of the Caribbean-Filme) und die Szenenbildner tun jedoch ihr bestes, um selbst gewöhnlich ausgeleuchtete sowie ganz normal gefilmte Sequenzen mit besonderen Details zu versehen.

Was mich dazu zurück führt, dass Mexican die Geburtsstunde des Gore-Faktors ist, oder wie es Ted Elliott und Terry Rossio später auch als "... und eine Ziege!" titulieren. Szenen, die ein konventioneller Regisseur schlicht runterspulen würde, werden vom zwischen den Welten inszenierenden Verbinski in Mexican mit Details und Leben gefüllt, die überhaupt nicht notwendig sind, dem Film aber eine leicht verschrobene Note verleihen oder einfach nur die Filmwelt ausschmücken. So sind zum Beispiel im Büro eines schurkischen Buchhalters als bizarre Dekoration Fotos von Zugunglücken zu bestaunen, und sogar die aus den Pirates of the Caribbean-Filmen berühmten sowie geliebten Ziegen machen drei Auftritte, die den Dreh mit Sicherheit verkomplizierten, doch die eingefangene Karikatur Mexikos mit weiterem Flair versehen. Auch die als Metapher dienenden Ampelszenen wurden von Gore Verbinski zugefügt. Sie machen aus Mexican längst keinen Arthouse-Film, doch sie sind Teil des versuchten Spagats zwischen Mainstream- und eigensinnigem Independentkino, weshalb ich sie in Mexican nicht missen möchte.
Auch der Stab führt rote Fäden in der Filmographie Verbinskis fort: Hinter der Kamera behielt er nämlich seinen Schnittmeister Craig Wood, den Mäusejagd-Komponisten Alan Silvestri (den er ursprünglich auch für Fluch der Karibik engagierte, bevor er aus kreativen Unstimmigkeiten mit Jerry Bruckheimer über die Klangfarbe des Films durch Klaus Badelt und Ghostwriter Hans Zimmer ersetzt wurde, wodurch die Bande zwischen Verbinski und letzterem enger wurden) sowie Castingleiterin Denise Chaiman bei.

Für diejenigen, denen der Werdegang Verbinskis schnuppe ist, bietet Mexican über die Ausformung seines Stils hinaus tolle Sprüche, einen faszinierenden Genremix sowie einen gut aufgelegten, komödiantischen Brad Pitt und einen großartigen James Gandolfini. Zwar halten das misslungene romantische Element und eine deplatzierte Julia Roberts (selbst wenn sie und Pitt den Film in der Größenordnung erst möglich machten) Mexican zurück, dennoch ist es ein sehenswerter, ausgelassener Schwank, der unter seiner unterhaltsamen Oberfläche mit durchdachten, wiederkehrenden Motiven überrascht. Würden die beiden cineastischen Welten, in denen Mexican wildert, stärker betont (und im Gegenzug die manchmal aufblitzende Mittelklasse getilgt), so wäre er wahrscheinlich echter Kult geworden. Aber auch in der fertigen Form ist er eine überdurchschnittliche Komödie, die Fans von Guy Ritchie und Robert Rodriguez' Gangsterfilmen eine ungewöhnliche, blutärmere Alternative für zwischendurch bietet.

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