Samstag, 31. März 2012

No Hunting

War Micky das "Über-Ich" des ewigen Träumers Walt Disney, lässt sich der vom Pech verfolgte und cholerische Donald Duck als sein "Es" betrachten. Mit seiner unverwechselbaren Art trat er schnell aus dem Schatten der Maus. Diese Artikelserie präsentiert die Cartoons, die Donald auch aus Sicht der Academy of Motion Picture Arts &  Sciences in den Film-Olymp aufsteigen ließen. Dies sind die Kurzfilme, die ihm eine Oscar-Nominierung einbrachten. Dies ist Entengold.

Der zehnte Teil dieser Reihe beschäftigt sich mit einem im CinemaScope-Bildformat veröffentlichten Kurzfilm, in den Donald-Stammregisseur Jack Hannah Kindheitserinnerungen hat einfließen lassen: No Hunting.

 Diese spezielle Titelkarte eröffnete alle CinemaScope-Cartoons mit Donald

Wie bereits in der vorhergegangenen Ausgabe dieser Artikelreihe angerissen, befand sich die Kunstform des Kurzzeichentrickfilms in den mittleren 50er-Jahren im Umbruch. Hohe Kosten rechneten sich immer schlechter, und insbesondere Disney bekam die Konkurrenz durch die preiswerter arbeitenden UPA-Studios immens zu spüren. Darüber hinaus musste sich die Kinobranche im Allgemeinen Möglichkeiten einfallen lassen, wie die US-Bevölkerung von den Fernsehern loszureißen. Eine der intensivsten, allerdings auch schnelllebigsten, Revitalisierungskuren des Kinos kam in Form von 3D, dem sich die Disney-Studios damals nur in zweifacher Form annahmen: Mit dem als den ersten 3D-Cartoon beworbenen Melody, einem Vorläufer von Toot, Whistle, Plunk and Boom, sowie mit Donalds, Chips & Chaps Working for Peanuts, die beide 1953 den Weg in die Kinos fanden.

Aufgrund einer rasch einsetzenden Marktübersättigung an 3D-Filmen, von denen sehr viele auch mit einer überaus grausigen Qualität glänzten, verschwand der 3D-Trend ungefähr so schnell, wie er aufkam. Platz machte er für eine Vielzahl an Breitbildformaten, die mit hoher, strahlender Bildqualität aufwarteten und versprachen, den Kinogänger durch ihre schier biblischen Ausmaße förmlich ins Leinwandgeschehen zu versetzen. Der heutzutage stattfindende, von Regisseuren wie Brad Bird und Christopher Nolan vorangetriebene IMAX-Aufschwung inmitten des 3D-Booms ist also wahrlich kein filmhistorisches Novum ...

Auch Walt Disney, als technikversessener Visionär, fand großes Interesse an dieser Entwicklung und erwarb von Rechteinhaber 20th Century Fox als einer der ersten die Lizenz, CinemaScope zu gebrauchen. Noch 1953, dem Jahr in dem Fox seinen neuen Prozess öffentlich machte, brachten die Disney-Studios mit Toot, Whistle, Plunk and Boom kurz nach dem ersten 3D-Cartoon auch sofort den ersten Trickfilm in CinemaScope. Ein Jahr später erstaunte Walt Disneys erster auf US-Boden produzierter, reine Realfilm 20.000 Meilen unter dem Meer mit in CinemaScope eingefangenen, großartigen Spezialeffekten und einem imposantem Szenenbild, ehe 1955 mit Susi & Strolch der erste abendfüllende Zeichentrickfilm in CinemaScope die Lichtspieltheater eroberte.

Um Breitbildfilme mit entsprechenden Kurzfilmen koppeln zu können und mit dem technischen Fortschritt mitzuhalten, wurden auch vermehrt Cartoons im CinemaScope-Format produziert. Dies war allerdings nicht ausschließlich eine kommerzielle, sondern auch eine kreative Entscheidung. Wie etwa der legendäre Zeichner Ward Kimball erklärte, konnte die Figurenanimation durch das neue Verfahren vollkommen neu gestaltet werden: Statt ihre Figuren auf einem Fleck vor einem sich bewegenden Hintergrund verharren zu lassen, war es den Zeichnern nun möglich, sie durch die Szenerie des breiteren Bilds zu bewegen. Die Vorzüge des CinemaScope-Formats und des damit einhergehenden, räumlicheren Sounds erkundeten die Disney-Künstler intensiv in ihrem zweiten Cartoon dieser Art: Charles Nichols Grand CanyonScope mit Donald Duck, der auch im Vorprogramm zu 20.000 Meilen unter dem Meer aufgeführt wurde.

Eine der vielen, das CinemaScope-Format voll ausschröpfenden Einstellungen von Grand CanyonScope

Der erste Disney-Kurzfilm, der nach Grand CanyonScope in die Kinos kam, behielt diese Mixtur bei: Auch der am 14. Januar 1955 erstveröffentlichte No Hunting zeigt Donald vor einem extragroßen Hintergrund und nutzt den künstlerischen Vorteil dieses Bildformat. Jedoch nehmen diese formal-handwerklichen Einfälle etwas weniger Raum ein, gebraucht Jack Hannah diesen Kurzfilm doch vornehmlich, um satirische Seitenhiebe auf den Jägersport auszuteilen. So macht er einem Frust Luft, den er seit Kindstagen mit sich herumschleppte ...

In No Hunting wird Donald pünktlich zu Beginn der Jagdsaison vom Geist eines Vorfahren besessen, der als hervorragender Jäger galt. Mit der Flinte schussbereit in der Hand fährt Donald, wie Hunderte andere Freizeitjäger, in den nächstgelegenen Wald, der alsbald an ein Kriegsgebiet erinnert.
Während sich Rugged Bear von 1953, von einer kurzen Anspielung auf den dabei entstehenden Müll, mit einem Kommentar zum Jagdsport weitestgehend zurückhielt und ihn lediglich als Vehikel nutzte, um den Bären Humphrey in Donalds Jagdhütte zu manövrieren, ist No Hunting eine ausgewachsene, und für damalige Disney-Verhältnisse auch recht bissige Satire aufs Jagen. Dieses erlebte in den 50ern eine regelrechte Renaissance und wurde von Gesellschaft und Medien stark romantisiert.

Regisseur Jack Hannah nutzte No Hunting dazu, Beobachtungen über das Gebärden von Sportjägern und -Fischern humorvoll-kritisch zu verarbeiten, die er bereits als Kind während Jagdausflügen mit seinem Vater machte. Schon damals, bevor der Jagdsport einen neuen Frühling in der US-amerikanischen Gesellschaft genoss, erlebte Hannah die jagende Meute als eine Ansammlung von Menschen, die für sich selbst eine größere Bedrohung darstellt, als für die im Jagdgebiet lebenden Tiere. Im Gespräch mit Walt's People-Autor Jim Korkis sprach Hannah rückblickend davon, dass einer Statistik nach am ersten Tag der Jagdsaison mehr Jäger als Rehe angeschossen werden. Eben dieses schießwütige und unorganisierte Verhalten von Amateurjägern wollte er mit No Hunting vorführen.



Drei Szenenbilder aus No Hunting: Von der dekadenten Villa in den herbstwarmen Wald in den Kriegsirrsinn

Die letzten Minuten des Films erinnern in ihrer Gesamtgestaltung letztlich sogar an die Kriegs-Propagandafilme, die bei Disney etwas mehr als zehn Jahre zuvor noch hergestellt wurden. Martialische Musik, Jäger, die sich in Schützengräben verschanzen, Truppen die aus Kampffliegern rausspringen und eine karge, ganz und gar uneinladende Landschaft betonten auf harsche, zugleich aber comichaft-amüsante Weise, wie zerstörerisch der amateurhafte Jagdsport für die Natur ist. Um die Wirkung der visuellen Kriegsanalogien zusätzlich zu untermauern, eröffnet No Hunting dagegen noch sehr prachtvoll: Layoutkünstler Yale Gracey und Hintergrundmaler Ray Huffine steckten Donald zu Beginn des für diese Ära des Disney-Cartoonschaffens besonders liebevoll sowie ausdrucksstark animierten Kurzfilms in eine feudal ausgestattete Villa (wo auch immer Donald diese nun herhaben mag), die das gesamte CinemaScope-Bild mit luxuriösen Details füllt. Danach lockt noch eine herbstliche, warme und satte Waldlandschaft, die mit Anbruch des ersten Jagdtags einer breiten Leinwand voller Ödnis und Kriegstreiben weichen muss.

Mit ihrem dadurch ausgedrückten Umweltbewusstsein waren Jack Hannah und die Autoren Dick Shaw & Bill Berg ihrer Zeit auch ein Schnippchen voraus, erst Anfang der 60er-Jahren wurde die Umweltverschmutzung ein gesellschaftlich prominentes Thema, welches seitens der Disney-Studios auch prompt durch einen Bildungskurzfilm mit Donald in der Hauptrolle kommentiert wurde. Hannah steuerte zudem einen der besten, und obendrein ungewöhnlich modernsten, Gags von No Hunting bei:  Er zeigt Bambi mitsamt seiner Mutter, wie sie an einem müllverschmutzten Fluss stehen. Solche Gastauftritte, noch dazu mit einem lässigen "Let's dig out!" seitens Bambis Mutter kommentiert, sind heutzutage üblicher, doch wie No Hunting beweist, längst keine Erfindung der letzten zehn bis zwanzig Jahren.

Weshalb No Hunting eine Oscar-Nominierung einheimste, dürfte vor diesem Hintergrund kaum überraschen: Die in Sachen Originalität im Kurzfilmsektor einst fast abgeschriebenen Disney-Studios überraschten mit einem zeitgemäßen, einer populären Meinung ohne moralischen Zeigefinger widersprechenden Satire, die obendrein technisch sowie trickkünstlerisch auf dem neusten Stand war. Und wie schon Rugged Bear war No Hunting für das zeitgenössische Publikum ein lauthalses Lachen auslösender Kurzfilm, der aus dem üblichen Disney-Output mit einem wahren Tex-Avery-mäßigen Tempo herausragte.

Bambis Mutter, etwas mehr als 35 Jahre vor ihrem Cameo in Die Schöne und das Biest

Am 21. März 1956 traten bei der Verleihung der 28. Academy Awards vier Cartoons im Rennen um die Trophäe für den besten animierten Kurzfilm an.

Neben No Hunting war mit The Legend of Rockabye Point zum ersten und einzigen Mal ein Cartoon mit Chilly Willy nominiert. Walter Lantz mochte diesen 1953 kreierten Pinguin besonders gern, fürchtete jedoch, dass die Figur nur wenig Potential aufweist. Doch ein Jahr später heute Tricklegende Tex Avery in Lantz' Studio an, woraufhin er die Regie beim von Kinogängern geliebten I'm Cold und diesem Oscar-nominierten Cartoon übernahm. Nach dem von Michael Maltese (One Froggy Evening) verfassten The Legend of Rockabye Point verließ Avery das Studio wieder, welches daraufhin nie mehr eine Oscar-Nominierung erhalten sollte.

Außerdem erhielt der Hanna-Barbera-Cartoon Good Will to Men eine Nominierung. Es war der erste Kurzfilm des Regie-Duos seit dem Jahr 1941, der nicht Teil der Tom & Jerry-Reihe darstellt und lässt sich als mit Mäusen besetztes Remake des gesellschaftskritischen (und ebenfalls Oscar-nominierten) Peace on Earth von 1939 betrachten. Der Oscar ging allerdings an Speedy Gonzales, den erst zweiten Cartoon mit der schnellsten Maus von Mexiko und die erste Begegnung zwischen Speedy und Sylvester.

Dieser Donalds Ahnen schöne Augen machende Elch wurde von Jack Hannah gesprochen, der noch weitere kleine Rollen in diesem Cartoon übernahm

Obwohl die CinemaScope-Kurzfilme weiterhin Publikumszuspruch erhielten, stellte Walt Disney 1956 mit der Donald-Duck-Serie auch seine letzte reguläre Cartoonreihe ein.  Jack Hannah blieb bis 1959 bei Disney beschäftigt, wo er sich nun vollauf auf die Fernsehshow Disneyland beziehungsweise Walt Disney presents konzentrierte. Hannah kam schon seit 1954 die Betreuung mehrerer Donald-zentrischer Episoden zu Teil, außerdem erhoffte er sich, durch das nun "hauptberufliche" Drehen von Walts Begrüßungssequenzen Erfahrungen als Realfilmregisseur zu sammeln, damit er dies zu seiner neuen Kernaufgabe bei Disney machen könne. Allerdings rasselte er deswegen mehrfach mit Walt Disney aneinander, der sich Hannah nicht in dieser Tätigkeit vorstellen konnte, so dass Hannah das Studio 1959 verließ. Schließlich kam er bei Walter Lantz unter, wo er mit dem Ranger Willoughby und Fatso Bear eine Kopie von Humphrey und Ranger Woodlore entwickelte. Diese bildete wiederum Konkurrenz zu Yogi Bär, Hanna-Barberas eigener Antwort auf Hannahs letzte große Disney-Schöpfung.

No Hunting war derweil der vorletzte Cartoon mit seinen klassischen Trickhelden, für den Walt Disney eine Oscar-Nominierung in der Kategorie für animierte Kurzfilme erhielt. 1962 folgte eine für Goofys Leinwand-Comeback Aquamania, doch hauptsächlich setzten die Disney-Studios ab den späten 50ern auf experimentellere Cartoons und kurzweilige Lehrfilme. Beide Formen erhielten auch Anerkennung in Form von Oscar-Nominierungen. Zu diesen späten Oscar-nominierten Disney-Kurzfilmen gehören Bill Justices Noah's Ark und ein weiterer Kurzfilm mit Donald Duck, der von der Academy als Dokumentation wertgeschätzt wurde. Mehr dazu in der nächsten Ausgabe von Entengold.

Seht die Premiere von "Disney Dreams!", dem neuen Spektakel des Disneyland Paris, online!


Für all diejenigen, die es noch nicht wissen: Heute Abend feiert Disney Dreams! seine Weltpremiere im Disneyland Paris. Das neue, farbenfrohe Spektakel aus Wasserfontänen, hochauflösenden Projektionen und Feuerwerk stellt das Highlight der neuen Programmpunkte dar, die der Pariser Themenpark zu seinem 20-jährigen Jubiläum anbietet, und offenbar ist man in Paris sehr stolz auf seine eigene Variante der kalifornischen World of Color-Show. Denn heute Abend um 22.30 Uhr wird die Premiere live im Internet übertragen - ein absolutes Novum für den Disney-Park. Dazu wird im Laufe des späten Abends auf dem offiziellen YouTube-Kanal von Disneyland Paris eine extra Seite geöffnet.

Ich selbst weiß noch nicht, ob ich mir die Übertragung anschauen werde. Im Laufe des späten Frühlings / frühen Sommers fahre ich wieder an meinen Lieblingsort innerhalb Europas und werde dort natürlich auch Disney Dreams! bestaunen. Ich möchte diese Show eigentlich mit ganz offenen, unvorbereiteten Augen sehen, und nicht live nacherleben, nachdem ich sie schon aus dem Web kenne. Deshalb habe ich mir auch den bekannt gegebenen Ablauf nicht angeschaut, der verrät, welche Filme und Figuren vorkommen.

Mir reicht es, zu wissen, dass Joel McNeely die Musik zu Disney Dreams! verfasst beziehungsweise arrangiert hat und sich somit das beste (beziehungsweise im Fall von Teil 3 das einzig gute) an den TinkerBell-Filmen an dieser garantiert zauberhaften Show versuchen durfte. McNeely ist meiner Meinung nach ein hervorragender Komponist, der noch immer auf seinen Ausbruch aus der Disney-Direct-to-Video-Hölle warten muss, und da ist so etwas wie Disney Dreams! schonmal eine willkommene Abwechslung.

Allen, die entweder zu neugierig sind, oder nicht wissen, ob es sie während der kommenden Monate nach Disneyland Paris schaffen, wünsche ich aber viel Spaß mit der Onlineübertragung dieses großen Moments!

Freitag, 30. März 2012

The Dark Knight Rises: Lego-Remake des Trailers

Anklicken, anschauen, Bauklötze staunen.
(*3 Lego-Steine in die Wortspielkasse*)



(via /Film)

Mittwoch, 28. März 2012

Die Tribute von Panem – The Hunger Games


Satirische Thematisierungen der medialen Sensationsgier gibt es bereits zuhauf. Das Millionenspiel, Running Man und Gamer sind nur wenige, populäre filmische Beispiele aus einer langen Reihe, zu der man auch Werke wie Die Truman Show zählen kann. Wenngleich dieser Punkt wohl diskutabel ist, so würde ich statuieren, dass diese Mediensatiren ihr Hauptaugenmerk darauf legen, ihrem Publikum vorzuführen, wie rücksichtslos und moralisch verwerflich die Unterhaltungsmedien sind und worauf die Gesellschaft zuzusteuern droht. Diese Botschaft wird häufig mit der dystopischen Zukunftsvision von Todesspielen übermittelt, während Die Truman Show in übertriebener Art Sendungen wie Big Brother vorhersagte.

Die Schriftstellerin Suzanne Collins entwarf mit Die Tribute von Panem – Tödliche Spiele eine weitere Dystopie, in der Menschen für eine mediale Ausschlachtung um ihr Leben kämpfen müssen. Während jedoch viele Anti-Utopien aus der Zeit vor Reality-Formaten und Castingshows stammen, und sich in ihrer Kritik vornehmlich auf die Befürchtung des bereits erwähnten moralischen Verfalls konzentrieren, nimmt sich Collins in ihren Zukunfts-Gladiatorspielen auch die Doppelzüngigkeit vieler Unterhaltungssendungen vor. Dieser zweite, weniger abgegriffene und obendrein zeitgenössisch besonders relevante Aspekt wurde in der überaus erfolgreich angelaufenen Hollywood-Verfilmung der populären Jugendbuchreihe weiter herausgestellt und gehört somit zu ihren spannendsten Elementen. Wer sich also von irreführenden, frühen Marketing-Aussagen, Die Tribute von Panem sei das neue Twilight, bislang hat verschrecken lassen, darf seine Reserviertheit gegenüber dem jüngsten Teenager-Phänomen getrost aufgeben.


Das unauthentische, tödliche Reality-TV der Zukunft
In einer nicht näher datierten Zukunft sind die Vereinigten Staaten von Amerika an Kriegen und Naturkatastrophen niedergegangen. Auf deren Trümmern entstand Panem, dessen unter Hunger leidendes Volk eines Tages einen blutigen, doch von den Herrschenden niedergeschmetterten Aufstand versuchte. Seither werden alljährlich aus jedem der zwölf Distrikte von Panem jeweils ein Junge und ein Mädchen zwischen 13 und 18 Jahren als Tribut ausgelost, um in den so genannten Hungerspielen um ihr Leben zu kämpfen. Diese Spiele sollen, so die herrschende Schicht Panems, an das Leid erinnern, das Panem beim Aufstand widerfahren ist, dienen aber als Unterdrückungsmittel sowie zur Belustigung der Oberen. Als ihre jüngere Schwester ausgewählt wird, bietet die 16-jährige Katniss (Jennifer Lawrence) aus Distrikt 12 an, an ihrer Statt als Tribut von Panem an den brutalen Spielen teilzunehmen. Als weiteres Tribut dieses Bezirks wird Peeta (Josh Hutcherson) zur Teilnahme gezwungen.

Ihnen beiden wird ein Mentor in Form von Haymitch Abernathy (Woody Harrelson) zur Seite gestellt, der als einziges Tribut aus Distrikt 12 in der 74-jährigen Geschichte der Hungerspiele mit dem Leben davonkam. Der unnahbare, dauergenervte Haymitch hat nicht nur Ahnung, wie man überlebt, sondern versteht auch die Politik hinter den Hungerspielen, deren Sponsoren und der Zuschauermanipulation ...

Was darauf folgt, ist eine in knalligen Farben umgesetzte, durch ihren makaberen Hintergrund ebenso bissige wie nachhaltige Vorführung eines elendig großen Anteils des modernen Fernsehprogramms. Die 24 Tribute, die sich wenige Tage später bis aufs Blut bekämpfen werden, tingeln von einem kommerziellen Pflichttermin zum nächsten. Sie müssen bei den für die Show verantwortlichen Geldgebern und Experten ihre Talente vorführen, damit diese eine Bewertung abgeben können, an denen sich Buchmacher und Sponsoren orientieren. Sie treten bei einer Art Schaulaufen der Gladiatoren auf, wo sie sich dem Publikum anbiedern. Und sie müssen allesamt in eine Talkshow tingeln, in der sie vom überdrehten Talkmaster Caesar Flickerman (Stanley Tucci) kurzweiligen Smalltalk halten und oberflächliche, pseudo-dramatische Angaben über ihr bewegtes Leben machen. In diesem bestechenden Abschnitt kann Die Tribute von Panem dramatisch sowie mit hintergründigem Witz die Verwertungskette im Fernsehen aufzeigen und die (in jeglichem Wortsinne) Falschheit von Reality-TV und Castingshows kritisieren. Die Talkshow zu den Hungerspielen ist mit ihren hohlen Phrasen und den sich feilbietenden, Geschichten verkaufenden Kandidaten nur einen Fingerbreit von Deutschland sucht den Superstar, Germanys Next Topmodel, Big Brother und den entsprechenden Begleitmagazinen oder den thematisch ergänzenden Berichten in Boulevardsendungen entfernt. Es ist, genauso wie die von den Programmplanern forcierte Dramaturgie der Hungerspiele, eine vielsagende, nicht aufdringliche Satire, die sich obendrein sehr gut in den gesamten Ablauf der Filmhandlung einfügt und als Verfilmung eines Jugendbuchs genau die Altersgruppe anvisiert, die diese kritisierten Sendungen erst zum Erfolg macht.

Da sich der Kinofilm von der begrenzten Perspektive der Hauptfigur Katniss löst, und den Verlust der mit ihr erzielten Beklommenheit durch Vertiefung des medialen Ablaufs der Hungerspiele kompensiert, ist er ein noch besser gelungener Kommentar auf die fehlende Authentizität und manipulative Inszenierung von Reality-Shows oder vergleichbaren Programmen. Mit dem famos aufgelegten Stanley Tucci, einem effektiv arbeitenden Wes Bentley als unerprobten Spielemacher sowie einem charismatischen Lenny Kravitz, der in seiner Rolle mit einer gewissen Abscheu vor den Hungerspielen einfühlsam und mit Ideenreichtum die Vorbereitungen von Distrikt 12 begleitet, werden verschiedene Archetypen in der Showwelt dargestellt. Das gelingt sehr clever sowie mit Unterhaltungsfaktor, ohne dabei den ernsthaften Hintergrund zu verlieren. Am besten gefiel mir aber Woody Harrelson, der seine Rolle völlig für sich einnimmt, so dass man ihr ihren vergangenen Schmerz und ihre Ablehnung des Systems anmerkt. Leicht hätte aus der Figur einfach nur ein weiterer, schroffer Kino-Mentor werden können, der sich letztlich als aufgeweckt beweist, aber Harrelson vermeidet diese Falle.

Weggewackelte Gewalt mit Aussage
Nutzt Regisseur Gary Ross den medialen Wechsel von gedruckter Seite zur Kinoleinwand zu seinem Vorteil, lässt seine Filmversion des erfolgreichen Jugendromans mit Beginn der brutalen Hungerspiele etwas nach. Zwar ist auch der dritte Abschnitt des Films spannend geraten, und durch die Trostlosigkeit der gräulichen Wälder, in denen der Todeskampf stattfindet, ist auch für eine passende Stimmung gesorgt. Jedoch ist die Filmgewalt, zweifelsohne aus kommerziellem Kalkül, viel zu handzahm geraten. Es geht darum, dass Teenager gezwungen werden, sich bis zum Tod zu bekämpfen und dass das unleidliche Areal so weitläufig ist, dass man Tage mit der Suche nach Proviant verbringen kann. Wegen der intendierten Aussage darf die Gewalt selbstverständlich nicht glorifiziert werden, jedoch wäre es dramaturgisch sowie emotional sehr wohl angebracht, die perfiden Todesspiele nachhaltig abzubilden. Stattdessen wird durch schnellen Schnitt und eine konstant wackelnde Kameraführung das meiste der Filmgewalt kaschiert. Somit bleiben dem Zuschauer die schwer verdaulichen Anblicke, denen die Protagonisten ausgesetzt sind, weitgehend erspart, obwohl es der dystopischen Zukunftsvision und der filmischen Grundstimmung entgegengekommen wäre, zumindest manche der Gewaltspitzen einzufangen. Zu viel Splatter wäre selbstredend kontraproduktiv, doch ich bin fähig, gleich mehrere Disney-Realfilme aufzählen, die in ihrer Gewaltdarstellung grafischer waren, und das sollte ich über eine in den USA mit PG-13, hierzulande ab zwölf Jahren freigegebene Schreckensvision künftiger Gladiatorenspiele keineswegs sagen können.

Die Wackelkamera ist dennoch nicht konstant deplatziert. Der Startschuss der Hungerspiele ist beispielsweise ein hektischer Moment, in dem 24 Tribute um ihr Leben rennen, in dem sie von Gefühlen und den Geschehnissen überrannt werden. Dass diese Sequenzen desorientierend sind, alles mögliche gleichzeitig geschieht und als Zuschauer ebenso wie Katniss nicht weiß, wohin man blicken soll, ist gelungene Regiearbeit. Doch wenn sich das Chaos legt, oder wie in der Eröffnungssequenz des Films noch gar nicht erst begonnen hat, sollten Schnitt und Kameraarbeit keinesfalls so aufdringlich wilde Formen annehmen.

Ebenfalls etwas enttäuschend ist, dass nicht nur durch inszenatorischen Stilmittel die Unerbittlichkeit der Hungerspiele runtergespielt wird, obwohl selbst im Rahmen der begehrten Jugendfreigabe mehr möglich gewesen wäre, sondern auch atmosphärisch phasenweise etwas Biss verloren geht. Die Hatz durch die Wälder ist zwar oft bedrohlich und packend, gelegentlich muten die Hungerspiele aber wie aus einem ganz normalen Jugendabenteuer an. Die Anspannung der Figuren und die an den Kräften zehrende Überlebensprobe scheint zwischendurch aus den Augen verloren oder zumindest nicht so stark betont, wie es meiner Ansicht nach wünschenswert wäre. Dies soll aber keinesfalls bedeuten, dass Die Tribute von Panem mit dem Beginn der Hungerspiele beliebig würde, keineswegs. Die Filmmusik von T-Bone Burnett und James Newton Howard begleitet die Handlung mit emotionalen Melodien und während der Gladiatorenkämpfe gibt es auch einige spannende, manchmal auch emotionale Wendemomente durchzustehen, zudem erzeugen Skript und Umsetzung für ein stets unsicheres Gefühl, wem Katniss in der Arena (vorübergehend?) vertrauen kann. Kurzum: Auf die Verschnaufpausen hätte man verzichten sollen, und die Inszenierung der Action ist mal verwackelt, mal versetzt sie einen mitten ins Geschehen, doch die Dramaturgie und der Handlungsverlauf sind könnerhaft entworfen.

Eine abgerundete Teenie-Heldin
Wo ich dem generellen Konsens ein klein wenig widerspreche, ist das glühende Lob für Jennifer Lawrences Performance als Katniss Everdeen. Sie spielt zweifelsohne gut, bringt in Kernszenen wie der Talkshow oder kurz vor Beginn der Hungerspiele die Masse an Katniss überkommenden Gefühle sehr glaubwürdig und feinfühlig zur Geltung. Allerdings lesen sich manche Kritiken so, als wäre dies Lawrecnes Rolle fürs Leben, als trage sie ganz allein den gesamten Film. Dem möchte ich nicht zustimmen, ich finde, dass sie sich auch für längere Sequenzen stark zurücknimmt und eindeutig die Geschichte im Vordergrund spielt, zudem würde ich behaupten, dass es auch andere Schauspielerinnen gibt, die diese Rolle hätten meistern können, während ich mir zum Beispiel niemanden an der Stelle Woody Harrelsons vorstellen kann.

Noch feuriger, als den lodernden Lobeshymnen, möchte ich aber den vereinzelten, harschen Verrissen widersprechen. Manche Kritiker, die sich offenbar zu sehr von den Twilight-Vergleichen haben leiten lassen, sehen in Lawrences Katniss eine makel- wie kantenlose, blasse Füllfigur, in die sich ein leicht beeinflussbares, junges weibliches Publikum hineinprojizieren soll. Ich frag mich wirklich, wie sich dieser Schluss ziehen lässt, da Katniss zwar eine durchsetzungsfähige, trainierte junge Frau ist, die dafür jedoch einige, um Neudeutsch zu bemühen, "Soft Skills" mangeln lässt. Einfühlungsvermögen, das Lesen von Absichten ihrer Mitmenschen und das Ausdrücken eigener Gefühle oder auch schlicht die Fähigkeit, sich auf Anhieb Freunde zu machen, sind bei ihr weniger ausgeprägt, und die Geschichte selbst wird von diesen Persönlichkeitsmerkmalen Katniss' beeinflusst. Dadurch formiert sich ein durchdachtes Gesamtbild zwischen der Charakterreise und der dystopischen, mediensatirischen Geschichte.

Fazit: Durch die hektische Inszenierung werden zwar Gewaltspitzen vertuscht, die der Qualität des Films nachhaltig zuträglich wären, dennoch ist Die Tribute von Panem – The Hunger Games eine spannender sowie unterhaltsamer, dystopischer Abenteuerfilm, dessen größte Stärke seine treffende Satire des Reality-Fernsehwahns ist. Wer aber einen düsteren Abenteuerthriller über futuristische Gladiatorenkämpfe sucht, könnte trotz toller Schauspielleistungen aufgrund der Zahmheit der Bilder leicht enttäuscht sein.

Samstag, 24. März 2012

Waltmenschen: Cy Young


In der Serie Waltmenschen möchten wir den bekannten und weniger bekannten kreativen Mitarbeitern Walt Disneys einige Zeilen widmen.

Cy Young, 1900–1964

Cyrus Young war der erste Chinese, der als Trickfilmzeichner für die Disney-Studios arbeitete. Das sagte zumindest Dick Huemer über den US-Amerikaner Young, der als Sohn chinesischer Eltern im Jahr 1900 auf Hawaii geboren wurde. Seine Herkunft war genauso außergewöhnlich, wie die Abteilung, für die er arbeitete – das kleinste Department, das das Studio zu bieten hatte.

Seine Karriere beim Trickfilm begann Young 1924 im New Yorker Bray Studio. Zu dieser Zeit befand sich die einstige Musterschmiede des animierten Films bereits im Niedergang und sollte 1927 komplett schließen. Die meisten Künstler, darunter die leitenden Regisseure der letzten mehr oder weniger erfolgreichen Produktionen, namentlich Walter Lantz und Clyde Geronimi, wechselten zu anderen Studios. Cyrus Young setzte seine akademische Ausbildung fort und veröffentlichte als Student den Kurzfilm Mendelssohn's Spring Song, dem Mendelssohn Bartholdys A-Dur Op. 62 Nr. 6 aus dem 5. Heft der Lieder ohne Worte zu Grunde liegt. Walt Disney war beeindruckt von Youngs Werk, was mit Blick auf Fantasia kaum verwundern mag. Die Faszination an Youngs Animation drückte sich weniger durch aufwändige Charakter- und Hintergrundgestaltung oder gar die Handlung aus, sondern durch seine Fähigkeit, das Spiel von Bewegung in Licht und Schatten realistisch echt darzustellen.

Walt war vom Können Youngs so angetan, dass er ihm die Leitung einer neuzugründenden Abteilung anbot – dem Effects Department, eine bis dato beispiellose Innovation für ein Trickfilmstudio. Cy Young schlug ein. Neben ihm arbeitete nur Ugo D'Orsi fest im Effects Department, hinzu kam ein Assistent. Für die führenden Zeichner des Studios wirkte die neue Abteilung relativ überflüssig, das exzentrische Duo aus dem chinesischstämmigen Young und dem Italiener D'Orsi trug zur Akzeptanz nur bedingt bei. Beide Männer waren einerseits sehr von ihrer Herkunft
geprägt, andererseits aber auch überaus belesen und vertraut mit der amerikanischen Kultur. Untereinander verband sie vor allem die Leidenschaft für ihr Werk, die Kommunikation dagegen stellte sich als Hürde heraus, da beide durch ihren starken Akzent schwer zu verstehen waren und sich die Situation noch verschärfte, wenn sie sich unterhalten mussten, glaubt man Ollie Johnston und Frank Thomas.

Das Projekt, auf das Young mit seinem zwei-Mann-Team hinarbeitete, war Schneewittchen und die sieben Zwerge. Es gelang ihm nur langsam, die Trickfilmer davon zu überzeugen, Aufgaben an ihn weiterzureichen. Nebel, Regen oder Wasserbewegungen waren bisher selbstverständlich in der Hand des jeweiligen Zeichners gewesen, was er zu ändern gedachte. Von seinen Gegenübern wurde das mitunter nicht nur belächelt, er wurde auch zum Opfer von Scherzen. Ted Sears, Leiter des Story Department, verteilte regelmäßig Produktionsnotizen an seine Kollegen, die scheinbar von Young stammten und in gebrochenem Englisch und von Irrtümern durchsetzt Szenen und Filmvorlagen hinsichtlich ihrer Tauglichkeit für das Effects Department untersuchten. Es handelte sich dabei keinesfalls um Spott, sondern um ein Spiel mit Vorurteilen, da Young zwar schwer zu verstehen war, aber ansonsten fehlerfreies Englisch sprach. Nach der Aufführung einer Realverfilmung von Peter Pan, die Walt Disney und sein engerer Mitarbeiterstab besucht hatten, um einen Eindruck vom Stoff zu bekommen, war es für Sears wieder an der Zeit, einen echten Young in Umlauf zu bringen:

Good god what fun resulting from Sat p.m. being spent at Evil Theatre, to witness performing of childsplay Petapan from the immortal pen of Late jas. Barry. Oh! did we laughing—oh! and how! First scenes begin in crazy house. Nurse are a big animal poorley stuffed on all four, eating medicine slyly prepare by father of little Windy. From then on is madhouse of one disconnecting episodes after each other. Additional idiots are big brother who should be enrolled in straightsjacket by all means wearing a silk hat, Small sister is named Patricks, causing further confusion—but England is funny race of people, so what in hell, anyway.

Possible for cartoons.

1. Tinkabells (only female fairy) could be done much better in EFX department very reasonable, getting rid of jumps and flicka.

We should avoid troubling the censorships by keeping more boys and girls out of same bed because of narrow minded American publics. Most entertainment is contain in hit song of the Pirus “A fast delay, me-too”, giving big chance for new words and lyrics by Lee Washington.

Next act, sorry to say is most entirely lost because of paper monoplane being sailed by Roy Disney, Jr., blocking right eye. Best character for model departments is unseen alligator, unable to digest alarm watch going ticktock offstage to scare the daylight from villainous Hooks. When Piruss get killed ovaboard—most glorious fake ever perpetrate on public!

Not one water effecs! Not once! Not even fool a Japan audience with this swindle—by crocky!

2. Big climb-axe is happen when all rowdy kids in audience must applause, otherwise Tinkle Bell is going out like a light in very poor animation. Crap hands is coming from all over house. This shows heart is in the right place even on some American brat (no personal offence).

To end by finally summing up the conclusions, is beyond the shadows of a doubt that for show entered by Anna Oakleys ticket was well worth double the price. More power to the Evil Wilshire Theatre!

p.s. coo be betta
(Quelle: Michael Barrier)

1939 verließ Cy Young während der Arbeiten an Pinocchio die Führung seiner langsam wachsenden Abteilung und machte Platz für seinen Nachfolger Josh Meador. Das bedeutete jedoch keinesfalls einen Karriereknick für ihn, tatsächlich sollten seine erinnerungswürdigsten Arbeiten noch folgen. Besonders erwähnenswert ist hier sein Wirken unter Regisseur Samuel Armstrong an Fantasia, vor allem für die Nussknacker-Suite, für die er den minutenlang Tanz der Blüten zeichnete. Die Animation der langsam zu Wasser schwebenden Blumen ist besonders beeindruckend und besticht durch die sehr gefühlvoll umgesetzte Illusion echter Bewegung. Wie bereits Eingangs erwähnt, bestand Youngs großes Talent nicht im Umsetzen hektischer Szenerie, sondern feingliedriger Arbeit. Das bewies er erneut mit seiner Arbeit an Dumbo, von ihm stammt der Flug der Fallschirme, die den sehnlichst erwarteten Nachwuchs sicher ans Ziel bringen. Diese Szene erinnert sehr an seine vorhergegangene Arbeit, aber Young konnte weit mehr und schuf auch die endgültige Gestalt der Landschaft in Bambi, die er zum Leben erweckte.

Dennoch nahm seine Zusammenarbeit mit Walt Disney kein gutes Ende. 1941 wurde er, wahrscheinlich im Zuge des großen Streiks, entlassen und kehrte dem Unternehmen nach einem kurzzeitigen Wiedereintritt bald darauf endgültig den Rücken. Im Anschluss arbeitete er viel Jahre für die US-Armee, 1964 nahm er sich das Leben. Er hinterließ seine zweite Frau, Betty, mit der er fast 30 Jahre lang verheiratet gewesen war – und ein mehr als beachtenswertes Lebenswerk.

Das moderne Kassengift: Schepperndes, geschmiedetes Eisen


John Carter zerrt Disneys Umsatzprognosen nach unten, und auf eine Fortsetzung von Prince of Persia dürfen wir wohl auch noch lange warten. Sofern uns nicht Captain Jack Sparrow entgegen torkelt oder J. R. R. Tolkien die Vorlage verfasst hat, haben es Filme, in denen kämpfende Männer ihr Metall zum Klingen bringen, seit einiger Zeit unfassbar schwer, beim Publikum anzukommen.

Hat etwa Der Herr der Ringe den Schwertfilm gekillt? Die großen Leinwandepen, aus denen früher Kinoträume gesponnen wurden, sind nunmehr nur noch ambitioniert gefilmtes Kassengift. Lassen wir die Zahlen sprechen, ein Meinungsbild darf sich jeder selbst machen:

Die zwei erfolgreichen Reihen:
Der Herr der Ringe I (2001): 871.530.324 Dollar Einnahmen | 93. Mio. Dollar Budget
Der Herr der Ringe II (2002): 926.047.111 Dollar | 94 Mio.
Der Herr der Ringe III (2003): 1.119.929.521 Dollar | 94 Mio.

Fluch der Karibik (2003): 654.264.015 Dollar | 140 Mio.
PotC - Die Truhe des Todes (2006): 1.066.179.725 Dollar | 225 Mio. 
PotC - Am Ende der Welt (2007): 963.420.425 Dollar | 300 Mio.
PotC - Fremde Gezeiten (2011): 1.043.871.802 Dollar | 200 Mio.

Der Rest (im Kino das Budget nicht wieder eingespielt; wird "offiziell" als Erfolg bezeichnet):
Die vier Federn (2002): 29.882.645 Dollar | 35 Mio.
Hidalgo (2004): 108.103.450 Dollar | 100 Mio.
King Arthur (2004): 203.567.857 Dollar | 120 Mio.
Königreich der Himmel (2005): 211.652.051 Dollar | 130 Mio.
Die Chroniken von Narnia I (2005): 745.013.115 Dollar | 180 Mio.
Eragon (2006): 249.488.115 Dollar | 100 Mio.
300 (2007): 456.068.181 Dollar | 65 Mio.
Schwerter des Königs (2007): 13.097.915 Dollar | 60 Mio.
Die Chroniken von Narnia II (2008): 419.665.568 Dollar | 225 Mio.
Robin Hood (2010): 321.669.741 Dollar | 200 Mio.
Prince of Persia (2010): 335.154.643 Dollar | 200 Mio.
Conan, der Barbar (2011): 48.795.021 Dollar | 90 Mio.
Die drei Musketiere 3D (2011): 132.274.484 Dollar | 75 Mio.
John Carter (2012, noch im Kino): 183.433.380 Dollar | 250 Mio.
Alle zusammen: 3.457.866.166 Dollar Einnahmen | 1.830 Mio. Budget
Der Durchschnittsfilm: 246.990.440 Dollar Einnahmen | 130,7 Mio. Budget

Wären da nicht 300 und der erste Narnia-Film, so sähe dieses Bild noch ein gutes Stück deprimierender aus.

Hängt euch bitte nicht an der Terminologie "Schwert" auf, die ich eingangs verwendet habe. Es mag sein, dass gewisse Piraten Degen bevorzugten und der Prinz von Persien Säbel rasseln ließ und einen magischen Dolch in seinem Besitz hielt, doch so kleinlich wollen wir an dieser Stelle nicht sein. Im kollegialen Gespräch mit anderen Kinogängern wird man noch immer von der Schwertchoreographie reden, und ich bezweifle, dass gegebenenfalls jemand in Hollywood sagen wird: "Wenn Säbel floppen, packen wir halt Degen in unser nächstes Epos!"

Empfehlenswerte Artikel:

Nach 37 Jahren Trickmagie: Glen Keane verlässt Disney


Vergangenes Jahr erschütterten Gerüchte die Animationsbranche, und wohl noch mehr die Disney-Fangemeinde, dass Glen Keane Disney verlassen würde, um zu DreamWorks Animation zu ziehen. Mit seinem Traumprojekt Rapunzel wieder aus den Kinos, soll Keane März 2011 bei Gesprächen mit höheren Vertretern von Disneys derzeit hartknäckigsten Mitbewerber gesehen worden sein. Damals reagierte er auf diese Berichte, dass sein Vertrag mit Disney im Mai ausliefe, und er sich vor einer Erneuerung umsehen möchte, wo seine Karriere zunächst besser gedeihen könnte. Er war sehr zufrieden mit Rapunzel und konnte sich dort, obwohl er vom Regieposten abdankte, sehr kreativ betätigen und in seiner Funktion als visueller Berater mehr Zeichnungen machen, als Chefzeichner der Titelfigur von Tarzan. Jedoch habe er auch eine gute Beziehung zu Jeffrey Katzenberg und sei von der inneren Dynamik der DreamWorks-Trickstudios beeindruckt.

Ob Keane nun nach DreamWorks Animation wechselt, ist bislang nicht bekannt. Doch nach einem Jahr Verzögerung bewahrheiten sich die Meldungen über Keanes Ausstieg aus den Disney-Studios, wo er (mit kürzeren Unterbrechungen während produktionstechnischer Dürreperiosen) 37 Jahre lang die Welt des Trickfilms entscheidend mitprägte. Keane gehört zu den geachtesten und talentiertesten Zeichnern seiner Generation und war unter anderem der Chefzeichner von Rattenzahn aus Basil, der große Mäusedetektiv, Arielle (gemeinsam mit Mark Henn), Pocahontas, Tarzan und John Silver in Der Schatzplanet.

Keane war stets daran interessiert, die Animationskunst voranzutreiben und Zeichentrick mit Computeranimation zu vereinen. Von Tron beeindruckt entwarf er zusammen mit John Lasseter einen Animationstest für eine Zeichentrick und Computertechnik verschmelzende Adaption von Wo die wilden Kerle wohnen und sein gezeichneter, mit computeranimierten Prothese ausgestatteter John Silver ist ein technischer Meilenstein des Mediums. Keane sorgte auch dafür, dass Rapunzel einer der visuell atemberaubendsten Computeranimationsfilme wurde, mit dynamischen, weichen Figuren, die nichts mit den Starren Wesen vieler anderer moderner Trickproduktionen gemein haben.

Keane wird bei Disney definitiv eine große Lücke hinterlassen, und wenn er es Dean DeBlois & Chris Sanders gleichtut, dann ist es nur Jeffrey Katzenbergs Gewinn und ich bin gespannt, was Keane ohne Disney noch erschaffen wird.

Auf Cartoon Brew wurde Keanes Brief an seine Kollegen veröffentlicht.

Viel Glück, Glen; viel Glück, Disney ... und darf ich schon "Respekt, DreamWorks!" sagen?

Freitag, 23. März 2012

Sturm in den Weiden


1996 nahm sich Regisseur und Autor Terry Jones (Die Ritter der Kokosnuss, Das Leben des Brian, Der Sinn des Lebens) des britischen Romanklassikers Der Wind in den Weiden von Kenneth Grahame an. Diese mehrfach in verschiedenen Trickmedien, darunter im Disney-Zeichentrickfilm Die Abenteuer von Ichabod und Taddäus Kröte, adaptierte Geschichte setzte Jones mit seinen Monty Python-Weggefährten John Cleese, Eric Idle, Terry Jones und Michael Palin sowie mit Steve Coogan (später: Nachts im Museum) und Stephen Fry (Ein Fisch namens Wanda) als farbenfrohen, exzentrischen Realfilm um. Hätte Terry Gilliam nicht aus Zeitgründen absagen müssen, wäre es eine mit Gästen geschmückte Reunion aller lebender Pythons geworden. Britische Kritiker waren vom Ergebnis weitestgehend entzückt, allerdings wussten Kinos und der Verleih nicht, an welches Publikum sich Jones' The Wind in the Willows richtet, an Familien oder nur an jüngere Kinder, weshalb er zu einem enttäuschenden Einspielergebnis fast ausschließlich in der Nachmittagsschiene aufgeführt wurde.

Disney erwarb die US-Rechte am Film, während Columbia Pictures die internationalen Vertriebsrechte sicherte. Aufgrund der schwachen Zahlen aus dem Vereinigten Königreich fasste der Disney-Konzern entgegen ursprünglicher Versprechungen gegenüber Jones eine Direct-to-Video-Veröffentlichung ins Auge. Columbias Verträge auf dem internationalen Parkett waren jedoch davon abhängig, dass The Wind in the Willows in den USA im Kino läuft, weshalb es zu einem Rechtsstreit zwischen beiden Filmkonzernen kam. Dieser endete mit der Einigung, dass Disney in den USA die Rechte für den Videomarkt behält und Columbia die Kinorechte erhält. Da es Columbia jediglich um die Absicherung seiner internationalen Verträge ging, und man mit dieser Pflichterfüllung Disneys Videoauswertung durch einen erfolgreichen Kinostart nicht unnötig Publictiy verschaffen wollte, kam es zu einem Alibistart für den Zeitraum von einer Woche und der nur wenige Kinos in New York und Los Angeles umfasste. Um der Absurdität einer weitere Schicht zu verleihen: Auf Video taufte Disney den Film in Mr. Toad's Wild Ride um, in Anlehnung an die populäre Themenparkattraktion – deren Version in Walt Disney World zu diesem Zeitpunkt bereits trotz großer Proteste geschlossen wurde.

Jones Spielfilmadaption orientiert sich etwas enger am Original als Disneys Themenpark- oder Zeichentrickvariante, gönnt sich jedoch ebenfalls einige Freiheiten und lässt die nicht zur Haupthandlung gehörenden Zwischenkapitel außer Acht: Maulwurfs unterirdische Heimat wird durch einen Bulldozer komplett zerstört. Die listigen Wiesel haben Kröte das Feld, auf dem Maulwurf lebt, abgekauft, woraufhin sich der stets eine neue Manie verfolgende Kröterich eine Kutsche gekauft hat. Als Maulwurf vor den Bulldozern flieht, begegnet er am Fluss die lebensfrohe, höfliche Ratte. Diese begleitet ihn zum prächtigen Anwesen von Kröte, um sich nach einem neuen Obdach für Maulwurf zu erkundigen. Kröte bietet den beiden an, ihm bei seiner ersten Kutschfahrt zu begleiten. Während dieser sieht Kröte zum ersten Mal in seinem Leben ein Automobil, und auf Anhieb ist er davon besessen, ebenfalls eins zu besitzen. Während Ratte und Maulwurf sich bei Kröte einquartieren, um ihn zu seinem eigenen Wohl von seiner neuen Manie abzuhalten, verfolgen die Wiesel ihren großen Plan, Kröte sein Anwesen abzuluchsen ...

Als Werk über bekleidete, sprechende Wald- und Flusstiere bietet sich Kenneth Grahames Klassiker eigentlich eher für animierte, als mit realen Darstellern besetzte Adaptionen an, schließlich wären überzeugende Ganzkörpermasken eine gewaltige Herausforderung und dürften eher visuell abschreckend geraten. Terry Jones umging dieses Problem dadurch, dass er auf aufwändige Masken und Tierkostüme verzichtete und einen minimalen Weg beschritt: Die Figuren tragen Kleidung, die ihrer jeweiligen Persönlichkeit entspricht, so trägt die Ratte einen farbenfrohen, viktorianischen Herren-Freizeitanzug, der an Bert in der Jolly Holiday-Sequenz aus Mary Poppins erinnert. Der Bezug zur verkörperten Tierart wird durch unaufdringliche Merkmale hergestellt, etwa durch aus Rattes Schnauzbart rausstechende Schnurrhaare sowie einen aus dem Frack ragenden Rattenschwanz oder durch haarige Handschuhe, eine runde Nickelbrille und gräuliche Kleidung bei Maulwurf. Diese Kostümidee ist simpel und fantasievoll, weshalb sie nach sehr kurzer Eingewöhnungszeit viel Charme versprüht.

Sturm in den Weiden fühlt sich, was bei seiner Besetzung und angesichts der minimalistischen Tierkostüme nicht verwundern dürfte, stellenweise wie ein besonders bizarrer und ausführlicher Sketch an, der aus Monty Pythons Flying Circus rausgeschnitten wurde. Der wohl größte Unterschied zu diesem Familienfilm und längeren Flying Circus-Einlagen ist, dass diese Kinoproduktion längere Sequenzen weder mit absurden Schlusspointen, noch der penetrant-bewussten Abstinenz einer Schlusspointe ausklingen lässt. Davon abgesehen dürften sich Liebhaber der kultigen Sketchcomedy bei solchen Details wie unablässig rumknutschenden Karnickel-Statisten, einer sarkastischen sprechenden Sonne, den altbewährten schwarzen Kinderwagen, gelegentlichen Illusionsbrüchen oder so manchem staubtrocken abgelieferten, gewollt-saudämlichen Dialog sofort heimisch fühlen. Hinzu kommt, dass Eric Idle und John Cleese ihre Rollen auch exakt so spielen, wie sie es wohl im Flying Circus getan hätten.

Jedoch ist Sturm in den Weiden nunmal kein Monty Python-Film, und auf jeden kurzen Momente der vor Einfallsreichtum sprühenden Python-Mentalität kommen ausgedehnte Strecken, in denen er einfach nur vor sich dahinplätschert. Dramaturgisch ist Terry Jones' Drehbuch nicht wirklich ausgefeilt, die Geschichte wird nur schleppend vorangetrieben und einzelne Szenen, wie etwa Krötes Gerichtsverhandlung, werden zu lang ausgespielt. Noch sperriger sind jedoch die Regieführung und der Schnitt, vor allem die Außenaufnahmen sind arm an Energie, doch auch Dialogszenen zwischen dem eher unsympatisch ausgefallenen Kröte und seine Freunde kommen öfter nicht so recht vom Fleck. Ein weiterer Schwachpunkt sind die Songs, die weder die Geschichte vorantreiben, noch sonderlich amüsant oder eingängig sind. Einzige Ausnahme bildet der vorantreibende Schurkensong der Wiesel, der zudem auch sehr fantasievoll und vergleichsweise flott mit surrealen Bildern und extremen Kameraeinstellungen in Szene gesetzt wurde – eindeutig der Höhepunkt des Films.



Was mich am meisten an Sturm in den Weiden irritiert, ist der schwer einzuordnende Tonfall. Mit einer von redseligem Gegenständen und sogar einem sprechenden Fluss, ständig grinsenden Darstellern und der, von der irrealen Gesangseinlage der Wiesel abgesehen, beschaulichen, märchenhaft-friedfertigen Erzählweise hat Terry Jones' Buchverfilmung viel von einer klassischen britischen Kinderserie. Auch der Humor hat vornehmlich etwas von leicht absurden Kinderprogrammen, da Sturm in den Weiden vor allem durch seine Andersartigkeit unterhalten will, doch nur selten so wild und verrückt ist dass ein älteres Publikum angesprochen wird. Dennoch ist Sturm in den Weiden durch seine pythonesquen Einlagen sowie mancher der aus dem Original rübergeretteten Zwischentöne auch um erwachsene Zuschauer bemüht, selbst wenn diese nicht durchweg gehalten werden können.

Um zu einem Punkt zu kommen: Ich kann mich nicht für Sturm in den Weiden erwärmen, mir erscheint er in seiner Gesamtheit zu absonderlich, ohne etwas denkwürdig unkonventionelles zu sein. Da Sturm in den Weiden mittlerweile auch zu Spottpreisen erworben werden kann, lohnt er sich, wenn man unbedingt nahezu die komplette Monty Python-Bande nochmal zusammen rumblödeln sehen will. Eric Idle ist eine tolle, frohgemute Gentleman-Ratte und John Cleese als unfähiger Verteidiger Krötes ist ebenfalls für ein paar Lacher gut. Hinzu kommen ein paar tolle Wiesel-Momente, und schon macht sich ein vorsichtiger Blick für den gepflegten Python-Fan bezahlt, jedoch sollte man sich nicht zu viel versprechen.

Dienstag, 20. März 2012

"The Sweatbox": The Rocky Road to Llama


1997 heuteren die Walt Disney Animation Studios, damals noch unter dem Namen Walt Disney Feature Animation, den Musiker Sting an, damit er die Musik zum neuen Projekt des Der König der Löwen-Regisseurs Roger Allers beisteuert. Dieses epochale Zeichentrickmusial sollte Kingdom of the Sun heißen und im Reich der Inkas spielen. Es war als eine Art mit Mystizismus gekreuzte, tragikomische Nacherzählung von Mark Twains Der Prinz und der Bettelknabe gedacht und weckte in seiner Anfangsphase unter Mitgliedern der Zeichentrickbranche die Hoffnung, Disney könnte damit einen neuen Meilenstein erreichen.

Doch Kingdom of the Sun wurde niemals veröffentlicht. Stattdessen wurde der Film nach mehreren Jahren Produktionszeit komplett umgeschmissen und zur Komödie Ein Königreich für ein Lama umgearbeitet. In der von Disney unabhängig produzierten Dokumentation The Sweatbox werden die einschneidenden Ereignisse dieser holprigen, abgehetzten und anstrengenden Produktion aufgezeigt. Disney erwarb die Rechte an The Sweatbox und hielt diese Dokumentation von der Öffentlichkeit fern. Es gab nur wenige Festivalaufführungen sowie einen einwöchigen Kinoeinsatz einer bearbeiten Version von The Sweatbox in einem Kino in Los Angeles, um eine Oscar-Qualifikation zu erreichen. Selbst konzernintern scheut man davor zurück, The Sweatbox ohne weiteres zugänglich zu machen. Als Pixar-Regisseur Pete Docter aus Bildungszwecken eine Vorführung des Films auf dem Pixar-Campus plante, entsandte die Konzernführung mitsamt der Kopie des Films einen Wachmann, dem aufgetragen wurde, sie keinen Augenblick unüberwacht zu lassen.

Und doch erblickte zehn Jahre nach Erstveröffentlichung eine Arbeitsfassung von The Sweatbox die dunklen Kanäle dieser Welt ...

Was mich an The Sweatbox überrascht, ist dass diese Dokumentation gewissermaßen den Onkel Remus' Wunderland-Effekt zu spüren bekam. Da Disney den Film unter Verschluss hält und nur wenig über ihn bekannt ist, entstand diese vermeintliche Überzeugung, er wäre für den Disney-Konzern extrem unvorteilhaft und dass die Änderungen, die aus dem epochalen, ambitionierten Kingdom of the Sun die kleine, originelle Komödie Ein Königreich für ein Lama machten, als wirtschaftlich gesteuerte, künstlerische Vorstellungen zerstörende Einmischungen skizziert werden. Seit in der Disney-Fangemeinde die Existenz von The Sweatbox bekannt ist, wurde gemutmaßt, dieser Einblick in den brutalen Entstehungsprozess von Ein Königreich für ein Lama würde Disney von seiner boshaftesten Seite zeigen.

Dem ist nicht so. The Sweatbox ist eine nahezu unvergleichlich ehrliche, einsichtsvolle und ungeschmückte Darstellung dessen, wie die gewohnten Mechanismen der Genese eines Disney-Zeichentrickfilms beim Exempel von Ein Königreich für ein Lama zu einem vollkommenen Extremfall führten. In der Dokumentation wird angeschnitten, dass der Weg zu vielen Disney-Klassikern steinig war, und Disney-Fans kennen mit Toy Story 2 und Ratatouille ähnlich harte Beispiele aus den als künstlerfreundlicher gehandelten Pixar-Studios. Aber es wird auch klar, dass die Produktion von Ein Königreich für ein Lama in ihrer Härte und der Masse an weitreichenden Umgestaltungen eine Ausnahme darstellt. Vor allem jedoch finde ich, dass The Sweatbox sehr gerecht und bodenständig zeigt, dass die von Thomas Schumacher und Peter Schneider, den Präsidenten der Disney-Trickstudios, vorangetriebenen Änderungen nicht auf Ahnungslosigkeit, Geldgier oder gar reiner Boshaftigkeit basierten. Sie fanden mit The Kingdom of the Sun einen Film vor, der tolle Elemente aufzuweisen hat, aber nicht funktionierte. Die harten Einwände sind nachvollziehbar, so wird in einer Produktionsbesprechung angemerkt, dass man als Zuschauer Probleme hat, sich um die Bauernfamilie zu sorgen, dies aber wichtig für den Schluss wäre.

Ich bin auch überrascht, dass The Sweatbox entgegen mancher Berichte nicht parteiisch ist. Trudie Styler, Co-Regisseurin der Dokumentation und Stings Ehefrau, zeichnet den Sänger, der mit Herzblut sechs Lieder für Kingdom of the Sun schrieb und letztlich kurz vor und während der Tournee zu seinem neuen Album zwei neue Lieder für die komplett geänderte Filmversion zu schreiben hatte, nicht als freigeistiges Opfer der Filmmaschinerie. Was The Sweatbox einfängt, sind deprimierende und aufreibende Stationen einer außerordentlich problembelasteten Filmproduktion, es wird auch ein resignierender Sting gezeigt, der nicht mehr weiß, was er vom Film zu halten hat und sich fragt, ob er die Lieder nicht einfach rausrotzen soll. Doch wenn die Schmerzen des radikalen Richtungswechsels erstmal abklingen, sieht man auch, wie Sting Freude an Ein Königreich für ein Lama hat. Darüber hinaus zeigt die Dokumentation, dass man bei Disney nicht lernresistent ist: Stings knallharter, ehrlicher und gedankenvoller Beschwerdebrief bezüglich des ursprünglichen Filmendes von Ein Königreich für ein Lama, das zeigt wie Kusco seinen Palast mitsamt Themenpark irgendwo im Wald baut, wird als konstruktive und stimmige Kritik aufgenommen. Daraufhin entwickelte man das neue Ende der Komödie. Und Thomas Schumacher zeigt sich gegen Ende von The Sweatbox selbstkritisch, dass er seine Bedenken bezüglich der ursprünglichen, komödiantisch-dramatischen Musicalversion des Films früher hätte äußern müssen.

The Sweatbox ist keine perfekte Dokumentation, wer sich ein genaueres Bild darüber machen will, wie Kingdom of the Sun ausgesehen hätte und weshalb dieses Projekt in eine Ecke manövriert wurde, ist noch auf zusätzliche Materialien angewiesen. Trotzdem ist The Sweatbox als überaus informatives, schonungsloses Making of ein absoluter Pflichtfilm für jeden Disney-Fan und jeden, der sich für den Prozess des Filmemachens interessiert. So lange ihr die Gelegenheit dazu habt, schaut ihn euch an!

Montag, 19. März 2012

Der Michelangelo der Animationskunst ...


... verstarb heute vor 25 Jahren. Milt Kahl, geboren am 22. März 1909 in San Francisco, war einer von Walt Disneys vertrauten Nine Old Men und bestach mit seinem Intellekt, seiner großen Passion für das Zeichenhandwerk, einer vorbildlichen Arbeitsmoral, mühevollen wie auch erkenntnisreichen Analysen seiner Zeichenobjekte sowie mit dem ungehobeltsten Mundwerk in den ganzen Disney-Studios. "Als ich Milt zum ersten Mal traf, war sein Wortschatz derart mit Schimpfwörtern gepfeffert, dass man niemals geahnt hätte, welch hohen IQ er hat", merkte zum Beispiel Disney-Legende Ken Anderson bezüglich Milt Kahl an. Dieser bezeichnete sich selbst als perfekt für die Kunstform des Zeichentricks, und was nach schierer Arroganz klingt, ist eine treffende Selbsteinschätzung eines seinen Kollegen stets eine hilfreiche Hand anbietenden Genies, das von seinen zahlreichen Schülern wie Andreas Deja und Brad Bird als einer der besten seines Fachs geschätzt wird.

Milt Kahls Durchbruch kam mit dem zweiten abendfüllenden Disney Meisterwerk, Pinocchio. Da sich die Geschichte in den USA Ende der 30er größerer Bekannt- und Beliebtheit erfreute, als die von Schneewittchen und die sieben Zwerge, zugleich aber Pinocchio als unsympathische Figur empfunden wurde, sorgte die Planung von Pinocchio bereits für arges Kopfzerbrechen. Die größte Herausforderung war aber das Design der Disney-Variante von Pinocchio, da sie sowohl kindlich und echt, aber auch marionettenhaft und künstlich aussehen musste. Milt Kahl fand das (vermeintlich) finale Design von Ollie Johnston und Frank Thomas abstoßend und trug seine Beschwerde dem Regisseur Ham Luske vor, der ihm vorschlug, sich an einer Alternative zu versuchen. Kahls Vorschlag wurde angenommen und ihm wurde die Animation der meisten Szenen mit Pinocchio zugeteilt.

In den 50ern und 60ern erhielt Kahl mit Alice, Peter Pan, Wendy und dem Prinzen aus Dornröschen eine menschliche, ernste Figur nach der anderen. Kahl beschwerte sich über diese Eintönigkeit und diese Schubladenbesetzung, fühlte sich allerdings auch geschmeichelt, da ihm diese herausfordernden Aufgaben nur aufgrund seiner Expertise zugetragen wurden. Kahl konnte aus diesem Rollenschema wieder ausbrechen, als er für Walt Disney's Wonderful World of Color Donalds Gelehrten jedoch auch wirren, aus Wien stammenden Großonkel Primus von Quack erfand und den majestätischen, dennoch auch ab und an leise scherzenden Shir Khan in Das Dschungelbuch zeichnete.

Kahl lehrte seinen Kollegen und Schülern den Wert von charaktertypischen Posen und genauer Beobachtung dessen, was man Zeichnen möchte. Für ihn war die Zeichenkunst nichts, was aus dem Bauch heraus entschieden wird, sondern von handwerklichen Fähigkeiten und dem Intellekt abhängt. Für ihn war der Schaffensprozess das Entscheidende, weshalb er auch die Wiederverwendung alter Animation, etwa das Umwandeln von Schneewittchens Tanz mit den Zwegen zur tanzenden Marian in Robin Hood, geradezu verabscheute. Kahl mag zwar stets Hilfe angeboten haben, doch ebenso ehrlich war er auch, wenn ihn etwas störte, weshalb er zu professionellen, nicht aber freundschaftlichen Kontakten mit anderen Disney-Künstlern tendierte. Für Milt Kahl zählte allein die durchdachte Zeichenarbeit, Wolfgang Reithermans spätere Filme wie Bernard und Bianca sieht er als bestenfalls mittelmäßige Ergebnisse absoluter Faulheit an, in der seine eigenen oder Frank Thomas mühevolle Zeichnungen versinken.

Im Rahmen von Im Schatten der Maus folgt nächsten Monat hier im Blog ein Tribut an Milt Kahls Schaffen.

Sonntag, 18. März 2012

Mexican


Wie schon Mäusejagd, fand ich Mexican vorab nicht sonderlich attraktiv. Diese Produktion aus dem Jahr 2001 wurde von mehreren Seiten als mit mexikanischem Setting gewürzte Romantikkomödie beworben, die nach jahrelangem Warten endlich erstmals zwei der größten Hollywood-Stars auf der Leinwand vereint: Brad Pitt und Julia Roberts. Poster, viele Szenenbilder und einige komplett an der tatsächlichen Filmhandlung vorbeiführenden Inhaltsangaben ließen so den Eindruck eines seelenlosen, glatt gebügelten Starvehikels entstehen, das sich einzig und allein auf die Zugkraft seiner namenhaften Hauptdarsteller verlässt.

Dennoch kam ich irgendwann in den Genuss von Mexican und war außerordentlich erstaunt, welch falsches Bild ich von diesem Film hatte, der eigentlich wesentlich mehr mit einer Independent-Komödie gemein hat. Vor allem aber entfalten sich in Mexican die Eigenheiten des Regisseurs Gore Verbinski, der hiermit seinen zweiten abendfüllenden Kinofilm drehte. Bereits Mäusejagd lässt sich rückblickend als eine Regiearbeit Verbinskis identifizieren, aber in seinem Nachfolgefilm kommt die Handschrift dieses leicht verschrobenen, Genres und filmische Grundstimmungen balancierenden Ex-Werbefilmers wesentlich besser zur Geltung. Man könnte sagen, dass Mexican die prägende Stunde des Verbinski-Stils ist. Denn auch wenn er keiner dieser Filmemacher ist, deren Name auf Postern über den Hauptdarstellern genannt wird, so hat Verbinski definitiv eine die Gangart des Films stark beeinflussende Vorgehensweise. Diese mag zwar nicht dazu führen, dass Verbinskis Filme sind, im Gegensatz zu denen vieler berühmter Regiegrößen, auf den ersten Blick identifizierbar sind, doch wer sich ein wenig mit ihm beschäftigt und genauer hinsieht, wird stilistische Parallelen auffinden. Und ab einschließlich Mexican gereichen sie ihnen, zumindest meiner Meinung nach, eindeutig zum Vorteil.

Wie bereits erwähnt, ist eine auffällige Gemeinsamkeit aller Verbinski-Filme, dass sie sich um Genregrenzen einen feuchten Kehricht kümmern. Das Spielen mit Genregesetzen und das großzügige Umfassen mehrerer Genres ist selbstredend nichts, was exklusiv auf Werke des Gelegenheitsmusikers zutrifft, jedoch gehört er zu denen, die sich sehr gezielt damit befassen. Dieses "Genre Blending" gibt auch den Takt von Mexican vor, der dem starren Schubladensystem eng umfasster Genredefinitionen eine leicht skurrile Roadtrip-Gangsterkomödie mit Elementen des Westernabenteuers und der Romantikkomödie entgegensetzt:

Der schusselige Jerry (Brad Pitt) macht seit fünf Jahren widerwillig Botengänge für den Verbrecherboss Arnold Margolese, meint jedoch, nun endlich seine Schuld beglichen zu haben. Kaum glaubt sich Jerry frei, erhält er erneut einen Auftrag. Dieser sei, so wird ihm fest versprochen, der allerletzte. Er soll nach Mexiko fahren, um dort einen Kerl namens Beck (David Krumholtz) aufzugabeln, welcher wiederum in den Besitz einer alten, sagenumwobenen sowie wertvollen Pistole namens The Mexican gelangt sei. Jerrys Aufgabe sei es, Beck mitsamt Pistole in die USA zu überführen – und dann würde er nie wieder etwas von den Gangstern hören.
Dass Jerry entgegen seiner vorherigen Aussagen schon wieder einen Auftrag des Verbrechersyndikats Margoleses angenommen hat, bringt seine Freundin Sam (Julia Roberts) zur Weißglut. Der Streit lässt sich nicht klären, und so beendet die von Jerrys ständigen, falschen Entschuldigungen entnervte Sam die Beziehung, um ein neues Leben in Las Vegas zu beginnen. Während sich Jerry mit mexikanischen (Klein)-Gangstern rumschlägt und immer wieder verzweifelt versucht, über's Telefon die Beziehung mit Sam zu kitten, wird diese vom Profikiller Leroy (James Gandolfini) entführt. Der bestimmte, allerdings auch außerordentlich zuvorkommende Mann hat den Auftrag, Sam als Pfand im Auge zu behalten, damit Jerry nicht auf die Idee kommt, irgendwelche fiesen Tricks abzuziehen ...

Die romantische Komponente, die von der Promotion hochgepusht wurde und mich eine durchschnittliches, konturloses Starvehikel erwarten ließ, ist in Wahrheit die am wenigsten ausgeprägte von Mexican. Und leider auch die schwächste, da ich zu keinem Zeitpunkt davon überzeugt war, dass es sich um die Beziehung zwischen Sam und Jerry zu kämpfen lohnt. Zwischen Brad Pitt und Julia Roberts besteht zwar durchaus eine gewisse Leinwandchemie, aber eher die zweier platonischer Freunde, und die Dialoge ihrer Figuren lassen ebenfalls kaum Rückschlüsse darauf zu, was sie zusammenführte und emotional voneinander abhängig macht.
Glücklicherweise muss man sich nicht auf die Liebesbeziehung von Jerry und Sam einlassen oder sie nachfühlen, um sich von Mexican unterhalten zu lassen, jedoch hält die unnachvollziehbare Liebesgeschichte den Film etwas zurück. Mit einer emotional involvierenderen Romanze ließe sich nämlich die Zuschauerbindung zu den zwei Protagonisten verdichten und somit auch die Spannung erhöhen.

Als Romantikkomödie ist Mexican wahrlich kein großer Wurf, allerdings liegt der Schwerpunkt eh wesentlich mehr auf seinem humoristischen (Western-)Abenteuer- und (Roadtrip-)Gangsterplot. Sollte ich versuchen, die tonale Natur von Mexican zu beschreiben, so wäre wohl ein Vergleich mit Guy Ritchies frühen, kultigen Gangsterfilmen Bube, Dame, König, grAs und Snatch angebracht sowie mit der typischen Legendenbildung eines Robert Rodriguez – bloß alles etwas gezähmter. Und mit Zwischenschnitten zu einer Steven-Soderbergh-Roadtrip-Buddykomödie mit Julia Roberts und James Gandolfini in den die Natur der Liebe ergründenden Hauptrollen. Solch einen umfassenden Umschlag cineastischer Traditionen und Stilrichtungen muss man mögen. Viele Kritiker, die Mexican schlecht bewerteten und nicht bloß rumwimmerten, sie hätten die versprochene Zusammenarbeit zwischen Pitt und Roberts nicht bekommen (da sie nur ca. 8 Minuten zusammen auf der Leinwand verbringen), werfen Gore Verbinski vor, er wolle sich nicht für ein Genre entscheiden, er habe den Film zu einem Kuddelmuddel verkommen lassen.

Dabei ist gerade dieses bewusste Überschreiten klar umsteckter Genregrenzen das Ziel von Mexican. Selbstredend ist nicht jeder Film automatisch gelungen, nur weil er Genres durcheinanderwirbelt, und auch Mexican hat so manche Schwäche. Allerdings beherrscht Verbinski in meinen Augen dieses in den ersten Sekunden konzeptlos oder zusammengeklatscht wirkende Tänzeln zwischen den Filmwelten sehr gut, und gerade das macht den Reiz von Mexican aus. Durch die Mischung der ernsthaft gemeinten Heldenwerdung des Tölpels Jerry und den immer wieder auftauchenden, ironischen Brechungen ist dieser Film schwer berechenbar. Die Übergänge erfolgen dabei immer mit großem Effekt, plötzliche Wechsel zum Gangstermovie erhöhen die Spannung, der Humor bringt wiederum einen kultigen Charme mit sich. Zu meinen frühen Lieblingsmomenten gehört das inszenatorische Schüren der Erwartungshaltung, dass Jerry sich in eine der miesesten Ganovenkneipen Mexikos begab und der ihn dort erwartende Beck ein richtig gefährlicher Kerl ist.
Die Szene scheint so abzulaufen, wie man sie aus zahlreichen Filmen kennt, doch dann spielt Krumholtz seinen schurkischen Buben mit viel Wärme und lässt ihn liebevoll die Geschichte der titelgebenden Waffe erzählen.

Später im Film, wenn sich Jerry langsam zum schrittfesten Helden der Marke Steve McQueen mausert, untergräbt dieser seinen erstaunlichen Heldenstatus, indem er wild mit seinen Händen fuchtelnd und einem Touristengrinsen auf dem Gesicht einen auf Pisolero macht. Die Kamera fängt dies aber stur so ein, als wäre es ein ikonischer Tex-Mex-Western-Moment, während Komponist Alan Silvestri eine wundervolle, eingängige Melodie darunterlegt, die sowohl in einem echten Mexiko-Ganovenabenteuer, als auch in einer cleveren, reinen Komödie funktionieren würde. Und generell ist Alan Silvestris Score wirklich hervorragend: Er mischt humorvoll alte Westernklänge und mexikanisches Flair mit einer etwas kontemporäreren Note und präsentiert sich somit gewissermaßen als ergänzender Gegenpol des Leinwandgeschehens.

Mexican bleibt atmosphärisch eigentlich immer in Bewegung, ohne jemals wie Flickenwerk rüberzukommen. Das könnte ihm zum absoluten Kult-Geheimtipp machen, wäre er auch inhaltlich derart dynamisch, doch ein schleppender Einstieg und so manche zähe Wegstrecke zum nächsten, unerwarteten und dem Film Energie zurückgebenden Wendepunkt sorgen dazu, dass der zweistündige Film etwas hinter seinem Potential zurückstecken bleibt. Drehbuchautor J.H. Wyman nimmt in manchen Dialogen zu viel Anlauf und Gore Verbinski spielt die tonale Ambivalenz zwar perfekt aus, schafft es aber nicht durchgehend, das Erzähltempo angemessen voranzutreiben. Mexican wäre mit ein paar Minuten weniger besser beraten, vor allem in der B-Storyline gibt es zwar einige kurzfristig sehr amüsante Momente mit Roberts und Gandolfini, ihr Einfluss auf das große Bild hält sich jedoch in Grenzen. Julia Roberts ist für mich eh der Schwachpunkt der Besetzung, da sie zu aufgesetzt und überdreht rüberkommt, sich den Szenen förmlich aufdrückt. Da Mexican die Gestalt eines Independent-Movies hat, der halt nur zufällig mit großen Stars besetzt ist, ist diese gezwungene Dominanz deplatziert und Roberts' Minenspiel, die lautstarke Stimme und ihre weit aufgerissenen Augen können in einigen Szenen letztlich sogar nerven.

Brad Pitt ordnet sich dagegen den Bedürfnissen des Films unter und gibt mit herrlichem Akzent (natürlich nur im Originalton) und schlacksiger Körperhaltung einen großartigen Beinahe-Helden ab, den die Umstände in den Legendenstatus schubsen. Stellt euch vor, Pitts Figur aus Burn After Reading hätte zusammen mit einer taffen Braut eines kultigen Robert-Rodriguez-Streifens einen Sohn. Das wäre wohl Jerry.

Der heimliche Star von Mexican ist aber James Gandolfini als zielstrebiger, jedoch auch äußerst sensibler Auftragskiller. Gandolfini erfüllt diese Rolle mit einem unwiderstehlichen Charisma und darüber hinaus verleiht er ihr eine ungesehene Vergangenheit, also eine zusätzliche Dimension zu dem, was der Film explizit ausführt. Dass hinter allem mehr steckt, als man anfangs vermuten mag, ist ein übergreifendes Thema von Mexican, welches allerdings nur bei Leroy und dem Mythos der umkämpften, sagenumwobenen Waffe wirklich zur Geltung kommt. Die Beziehung zwischen Sam und Jerry soll wohl auf der Leinwand ebenso funktionieren, doch hier scheitern Buch, Regie und Darbietung an der Ausführung.

Was in Mexican dagegen gelingt, sind die plötzlichen Handlungswenden. Wie auch der Tonfall, so nimmt auch die Geschichte selbst gelegentliche Richtungswechsel, und die Twists sind nie offensichtlich oder reine Überraschungseffekte ohne inhaltliche Relevanz. Jeder Twist hat handlungstechnisches sowie auch emotionales Gewicht. Ebenso gelungen empfinde ich das Vermeiden und Verdrehen von Genre-Konventionen, wozu ich die Dynamik von Leroy und Sam oder die zuvor beschriebene Szene mit Jerry und Beck zählen würde. Weniger konstant sind die zelebrierten Klischees: Baden die denkwürdigen Rückblenden in Tex-Mex-Western-Klischees, wirken andere Momente eher beliebig. Im Audiokommentar benennt Verbinski beispielsweise eine Flughafenszene als bewusst klischeehaft, als eine Feier des unvermeidlichen sowie abgenutzten Handlungspunkts, doch im laufenden Film kommt das nicht so recht rüber und erscheint eher wie irgendeine Szene vom Fließband. Nicht besonders kitschig, aber genauso wenig spürt man die Selbstironie heraus.

Gut, aber noch ein wenig verbesserungswürdig, gefiel mir die visuelle Komponente von Mexican. Schlüsselmomente werden stets in aussagekräftigen, manchmal durch Inhalt oder Musikuntermalung ironisch eingefärbten, Kameraeinstellungen eingefangen, beide Storylines und die Rückblenden haben ihre jeweils eigene Farbästhetik und insbesondere die längeren Einstellungen verleihen Mexican auch etwas Schwere. Dies hätte man, um die Ausstrahlung des Films zu vergrößern, noch kosnequenter verfolgen müssen, wie Verbinski im Audiokommentar anmerkt, war dazu aber die Probezeit zu kurz. Deswegen fällt Mexican gelegentlich aus seinem eigenen Stilmix raus, zurück in die Durchschnittlichkeit einer kontemporären Hollywood-Komödie. Verbinski, Kameramann Dariusz Wolski (drehte später mit Verbinski die Pirates of the Caribbean-Filme) und die Szenenbildner tun jedoch ihr bestes, um selbst gewöhnlich ausgeleuchtete sowie ganz normal gefilmte Sequenzen mit besonderen Details zu versehen.

Was mich dazu zurück führt, dass Mexican die Geburtsstunde des Gore-Faktors ist, oder wie es Ted Elliott und Terry Rossio später auch als "... und eine Ziege!" titulieren. Szenen, die ein konventioneller Regisseur schlicht runterspulen würde, werden vom zwischen den Welten inszenierenden Verbinski in Mexican mit Details und Leben gefüllt, die überhaupt nicht notwendig sind, dem Film aber eine leicht verschrobene Note verleihen oder einfach nur die Filmwelt ausschmücken. So sind zum Beispiel im Büro eines schurkischen Buchhalters als bizarre Dekoration Fotos von Zugunglücken zu bestaunen, und sogar die aus den Pirates of the Caribbean-Filmen berühmten sowie geliebten Ziegen machen drei Auftritte, die den Dreh mit Sicherheit verkomplizierten, doch die eingefangene Karikatur Mexikos mit weiterem Flair versehen. Auch die als Metapher dienenden Ampelszenen wurden von Gore Verbinski zugefügt. Sie machen aus Mexican längst keinen Arthouse-Film, doch sie sind Teil des versuchten Spagats zwischen Mainstream- und eigensinnigem Independentkino, weshalb ich sie in Mexican nicht missen möchte.
Auch der Stab führt rote Fäden in der Filmographie Verbinskis fort: Hinter der Kamera behielt er nämlich seinen Schnittmeister Craig Wood, den Mäusejagd-Komponisten Alan Silvestri (den er ursprünglich auch für Fluch der Karibik engagierte, bevor er aus kreativen Unstimmigkeiten mit Jerry Bruckheimer über die Klangfarbe des Films durch Klaus Badelt und Ghostwriter Hans Zimmer ersetzt wurde, wodurch die Bande zwischen Verbinski und letzterem enger wurden) sowie Castingleiterin Denise Chaiman bei.

Für diejenigen, denen der Werdegang Verbinskis schnuppe ist, bietet Mexican über die Ausformung seines Stils hinaus tolle Sprüche, einen faszinierenden Genremix sowie einen gut aufgelegten, komödiantischen Brad Pitt und einen großartigen James Gandolfini. Zwar halten das misslungene romantische Element und eine deplatzierte Julia Roberts (selbst wenn sie und Pitt den Film in der Größenordnung erst möglich machten) Mexican zurück, dennoch ist es ein sehenswerter, ausgelassener Schwank, der unter seiner unterhaltsamen Oberfläche mit durchdachten, wiederkehrenden Motiven überrascht. Würden die beiden cineastischen Welten, in denen Mexican wildert, stärker betont (und im Gegenzug die manchmal aufblitzende Mittelklasse getilgt), so wäre er wahrscheinlich echter Kult geworden. Aber auch in der fertigen Form ist er eine überdurchschnittliche Komödie, die Fans von Guy Ritchie und Robert Rodriguez' Gangsterfilmen eine ungewöhnliche, blutärmere Alternative für zwischendurch bietet.

Samstag, 17. März 2012

Fantasia - Elemente eines Meisterwerks: Zugabe - Clair de Lune

Fantasia is timeless. It may run 10, 20 or 30 years. It may run after I'm gone. Fantasia is an idea in itself. I can never build another Fantasia. I can improve. I can elaborate. That's all.“ - „We all make mistakes. Fantasia was one, but it was an honest mistake. I shall now rededicate myself to my old ideals.
- Walt Disney


Ganz im Sinne dieser geradlinigen Beurteilung seines Schöpfers möchte ich in dieser Artikelreihe Im Schatten der Maus Walt Disneys zeitlosen Fehler näher beleuchten:

Fantasia – Die Elemente eines Meisterwerks
Den Abschluss meiner Fantasia-Reihe widme ich einem Segment, dass es damals nicht in den Film geschafft hat und erst über fünfzig Jahre später in seiner ursprünglichen Form präsentiert wurde: Clair de Lune

Das Werk, das einen Reiher zeigt, der durch die mondbeschienene Nacht wandelt, war eines der Stücke, die von Anfang an von Walt Disney für Fantasia ausgewählt wurden. Einige Monate vor Veröffentlichung des Filmes beschloss man jedoch, die Suite aus dem Film zu streichen, der schon in seiner jetzigen Form über zwei Stunden dauerte. Doch die Arbeiten an Clair de Lune waren weit vorangeschritten und ganz im Sinne von Walt Disneys ursprünglicher Absicht, Fantasia in veränderter Form wieder und wieder zu veröffentlichen, wurde das Stück als potentielles Material 1942 vollendet.
Bis 1946 hatten sich diese Pläne durch Fantasias enttäuschendes Einspielergebnis aber erledigt, und um die Animation trotzdem zu nutzen, landete der Kurzfilm leicht umgeschnitten in Make Mine Music, wo er von dem Lied Blue Bayou von den Ken Darby Singers unterlegt wurde.
Nachdem 1992 eine alte Nitrat-Arbeitskopie des Filmes wiederentdeckt wurde, machte man sich daran, das Original zu restaurieren; bis 1996 wurde das Stück wieder in seine ursprüngliche Form gebracht und mit dem von Stokowski aufgenommenen Soundtrack unterlegt. Alleine die alten Filmaufnahmen von Stokowski und seinem Orchester blieben unauffindbar, so dass die ersten Takte mit bearbeitetem Material aus der Toccata und Fuge unterlegt wurden - eine Maßnahme, die durch das extrem unterschiedliche Tempo leider sofort ins Auge springt.
Zu finden ist der Film auf der SC-DVD und der Bluray von Fantasia. Warum eine Veröffentlichung auf der neuen DVD fehlt, ist eine Frage, die wohl nur Disneys Marketing-Abteilung beantworten kann.

Clair de Lune, oder Mondschein, ist der dritte Satz von Claude Debussys Suite bergamasque. Das Klavierstück, das von Stokowski für das Orchester überarbeitet wurde, stellt wohl das bekannteste Werk des Komponisten dar.

Inspiriert wurde Debussy wahrscheinlich von dem Gedicht Clair de Lune von Paul Verlaine, aus dessen zweiter Zeile auch der Titel von Debussys Suite stammt:

Clair de lune

Votre âme est un paysage choisi
Que vont charmants masques et bergamasques,
Jouant du luth, et dansant, et quasi
Tristes sous leurs déguisements fantasques.

Tout en chantant sur le mode mineur
L‘amour vainqueur et la vie opportune,
Ils n‘ont pas l‘air de croire à leur bonheur,
Et leur chanson se mêle au clair de lune.

Au calme clair de lune triste et beau,
Qui fait rêver les oiseaux dans les arbres
Et sangloter d‘extase les jets d‘eau,
Les grands jets d‘eau sveltes parmi les marbres.

Oder in einer deutschen Übersetzung (den Übersetzer habe ich leider nicht ausmachen können; für Informationen wäre ich dankbar):

Mondschein

Dein Herz ist eine Landschaft, wo zu Gast
Sind reizende Figuren, Bergamasken,
Mit Lautenspiel und Tanz und traurig fast
In ihren so phantastisch bunten Masken.

Wie sie besingen anmutig in Moll
Der Liebe Siege und das süße Leben,
Sehn sie nicht aus, als sei‘n sie hoffnungsvoll,
Und‘s Liedchen scheint im Mondschein zu verschweben.

Im Mondenschein, der still und traurig blinkt,
Der träumen lässt die Vögel in den Zweigen
Und die Fontänen bis zum Schluchzen bringt,
Die schlank und steil aus ihrem Marmor steigen.

Ich denke, es ist sehr wahrscheinlich, dass dieses Gedicht auch als Inspiration für den Film diente. Die zärtlich-melancholische Stimmung des Gedichtes trifft wunderbar auf die Interpretation der Disney-Künstler zu und gerade die letzte Strophe wirkt wie auf das Segment geschrieben.
Das Werk zeigt den langsamen Flug eines Reihers durch die mondbeschienenen Everglades. Er landet in einem Weiher und wirbelt zu dem leichten Zittern der Musik zarte Wellen auf, um sich am Ende gemeinsam mit einem anderen Reiher zum Vollmond aufzuschwingen. Das Stück schafft mit einfachen Mitteln eine Atmosphäre voller Zauber ohne aufdringlich zu werden und es hätte einen wunderbaren Kontrapunkt zu den anderen, eher grellen Segmenten von Fantasia gebildet.

Es stellt sich die Frage, warum gerade dieser Teil aus Fantasia gestrichen wurde. Clair de Lune ist mit seinen fünf Minuten eines der kürzesten Segmente und konnte die Laufzeit nicht allzu sehr beeinflussen. Vielleicht liegt die Antwort darin, dass Walt Disney den späteren „Werdegang“ des Stückes vorausgeahnt hat: Durch seine eher einfache Animation und den ruhigen Charakter der Musik war Clair de Lune quasi prädestiniert dazu, in ein anderes musikalisches Klima verlegt zu werden; ein Vorhaben, das bei den anderen Stücken schwer bis unmöglich gewesen wäre. 
In der Bearbeitung als Blue Bayou für Make Mine Music wird der Fokus von den Zeichnungen auf den Gesang verlagert und die Animation bietet nunmehr eher die Untermalung für die Ballade. Das Ergebnis ist vielleicht weniger ambitioniert als Clair de Lune, doch so beeindruckend, dass es sogar zum Patron eines der stimmungsvollsten Restaurants in Disneyland wurde. In seiner Art, dass die Musik die „Handlung“ nicht mehr vorgibt, sondern nur noch atmosphärisch begleitet, ähnelt Blue Bayou nun eher den Segmenten von Fantasia 2000 als denen des Originals.
Um die für Clair de Lune geschaffenen Zeichnungen in den Hintergrund für Blue Bayou zu verwandeln, wurde das Filmmaterial leicht bearbeitet. Einige lange Einstellungen wie der erste Schattenriss des Reihers wurden gekürzt, und vor allem wurden die Einstellungen, während denen der Kranich durch das Wasser stapft, um- und teilweise herausgeschnitten. Sieht man sich die Stücke im Vergleich an, machen die Änderungen Sinn: Die Wellenbewegungen des Wassers und der in den Wellen gespiegelte Mond bewegen sich in perfekter Synchronität zur Musik und die Zeichner hatten keine Scheu, diesen zarten Moment längere Zeit auszukosten. Zur Musik von Blue Bayou jedoch würden diese Einstellungen Gefahr laufen, zähflüssig zu wirken - den Bildern kommt nur der zweite Rang zu. Insgesamt lässt sich Clair de Lune genug Zeit, seine Bilder wirken zu lassen und strahlt dadurch und durch Debussys Musik eine Melancholie und Dramatik aus, die in Blue Bayou völlig fehlen.

Disney bezeichnete das Ave Maria und Clair de Lune als Möglichkeiten der Erleichterung für das Publikum und als einen für Fantasia wichtigen Kontrast. Gerade Clair de Lune kommt mit einem Minimum an Animation aus und lässt der Musik und den Hintergründen genug Raum, ihre volle Wirkung auf den Zuschauer zu entfalten.
Es ist ein besonderes Glück für unsere Generation, dass wir dieses Kleinod erstmals in seiner ursprünglichen Pracht erleben dürfen.


Mehr von mir gibt es auf www.AnankeRo.com.