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Mittwoch, 1. Februar 2012

Melancholia


Zuvor bei Sir Donnerbolds Bagatellen: Im Sommer 2011 scherzte ich noch, dass der beruflich begründete Kinobesuch von solchem Schund wie der vulgären, lustlosen Körpertauschkomödie Wie ausgewechselt mich davon abhält, eine ansehnliche Filmkritik zu Melancholia zu verfassen. Einige Zeit später war nicht weiter von einer Besprechung der neusten Regiearbeit Lars von Triers die Rede. Gegen Ende des Jahres gab es immer wieder ominöse Ankündigungen, ich müsse ein paar, auserwählte Filme nochmal begutachten, um guten Gewissens meine cineastische Jahresbestenliste zu erstellen.

Und nun geht es weiter bei ... Sir Donnerbolds Bagatellen!

Falls ihr euch wundert, weshalb es dieses Jahr so lange dauert, bis ich meine Filmhitliste veröffentliche, hier habt ihr einen der Gründe: Melancholia! Während seiner regulären Kinoauswertung kam ich zeitlich nicht dazu, eine brauchbare Kritik zu verfassen, also wollte ich es irgendwann nachholen. Dann habe ich das aus den Augen verloren, wollte dem Film aber in meinem Hitlisten-Jahresrückblick etwas größeren Platz einräumen. Bloß konnte ich mich nicht so recht entschließen, wo Melancholia dort hingehört. Also musste eine zweite Sichtung her, um mich auf einen Rang festzulegen. Das Problem daran ist bloß, dass die Heimkinoauswertung erst im Mai erfolgt. Also musste ich einen der Sondereinsätze in meiner Region erhaschen, was leider auch dauerte. Tja, und hier ist sie nun, meine Melancholia-Besprechung. Außerhalb meiner Jahresbestenliste. Ja, gewissermaßen war alles vergebens, denn auf einem zweiten Blick habe ich für mich selbst beschlossen, dass ich Melancholia, wenngleich knapp, nicht in meine Hitliste packe.

Mit Melancholia verarbeitet Lars von Trier zum zweiten Mal auf filmische Weise seine Depression. War Antichrist noch das düstere, kompromisslose und aggressive Schaffen eines mit der Welt abrechnenden Künstlers, lässt Melancholia einen zarten Silberstreif der Hoffnung für von Trier vermuten. Noch immer breitet der Auteur seinem Publikum wie selbstverständlich seine Weltverdrossenheit aus. Dass ein gewaltiger Planet, mit dem nicht sonderlich subtil gewählten Namen Melancholia, auf die Erde zusteuert, hat für den Regisseur und sein Sprachrohr, die von Kirsten Dunst gespielte Justine, etwas vertröstendes oder eher etwas versöhnliches. Wenn diese triste, triviale und bonierte Welt von der Melancholie verschluckt wird, was wäre schon verloren? Wir sind eh allein da draußen, und wenn nun das ganze Universum zu einer Gesamtheit des Nichts wird, wen soll dies bekümmern?

Trotzdem, Melancholia wohnt auch etwas zufriedenes oder wenigstens gleichgültiges inne, ein atmosphärischer Hauch, der diese Welt eben nicht als tiefschwarzen Pfuhl zeichnet. Sondern eher als gräulich-milchige Masse, die es zu einem Minimum an Ästhetik und Wert taugt. Schließlich macht ausgerechnet der depressive Schwarzseher Lars von Trier aus dem nahenden Weltuntergang weniger freudiges Spektakel, als es Michael Bay oder Roland Emmerich tun. Bei ihnen, die ja mit ihrem Eskapismus Spaß verbreiten wollen, sehnt man sich der Zerstörung hin. Aber von Trier, dem es gewiss zuzutrauen wäre, verkauft den Weltuntergang nicht als herbeizusehnendes, alle Qualen beendendes Ereignis (ohne den Spaß eines Popcorn-Blockbuster). Der Planet Melancholia kommt nicht in Form des Erlösers daher, sondern augenscheinlich unvermeidbar. Das Ende der Welt ist entweder hinzunehmen oder panisch wegzuwünschen. In der Bildsprache und der schwermütigen Stimmung des wehmütigen Dänen ist das so positiv, wie nur möglich.

Nicht nur aus diesem Blickwinkel betrachtet ist Melancholia bloß sekundär eine Erzählung vom Weltuntergang. Primär ist es ein durchdringendes Mood Piece, das mit Beobachtungen über das Verhalten sowie Empfinden Depressiver versetzt ist. Die gehaltvollste Erkenntnis dieses psychologischen Dramas ist die, wissenschaftlich sogar haltbare, Realisierung, dass sich unter Depressionen leidende Menschen in extremen Stresssituationen rationaler verhalten, als ihre (")gesunden(") Zeitgenossen. Davon abgesehen ist Melancholia längst nicht so gedankenschwer, wie es der Feuilleton zweifelsohne gern hätte. Selbstredend lässt sich in vereinzelte Symbole noch mehr hineinlesen, und wenn man denn möchte, kann man den gesamten Film als Allegorie für das Krankheitsbild einer Depression deuten. Letzten Endes verschiebt damit aber nur die Perspektive, Aussage und Wirkung von Melancholia bleiben größtenteils deckungsgleich.

Auch deswegen lege ich für mich den Schwerpunkt dieser Weltuntergangsoperette auf ihre Stimmung, denn genau darin liegt ihre Nachhaltigkeit. Wie im zweiten Teil des Films eine problembelastete Familie mit dem drohenden Armageddon umzugehen versucht, sich Justine vom reinsten Wrack schrittweise aufrappelt und letztlich als einzige einen kühlen Kopf erhält, erzählt von Trier weitestgehend unaufdringlich und mit bestechenden Beobachtungen. Kirsten Dunst liefert eine gewaltige Leistung ab, und die Bilder, die von Trier auf dem romantischen Anwesen des Tjolöholm Castle einfing, entfalten eine berückende, wie auch bedrückende Mischung aus opernartiger Stilisierung und Realismus. Die letzten zehn Minuten sind mit ihrer Anspannung und der emotionalen Plausibilität nahezu makellos, die letzte Einstellung meisterhaft.

Allerdings krankt Melancholia auch am unangezweifelten Autorenfilmer-Status seines Schöpfers. Würde von Trier eine Zweitreflexion gestatten und folgen, könnte der Film einen noch viel weitreicheren Nachhall entwickeln, neben seiner starken Atmosphäre vielleicht sogar denkwürdige Figuren oder auch mehrere positiv herausstehende Szenen aufzeigen. In seiner endgültigen Form verschwimmen zwischen dem Prolog (zu dem komme ich gleich noch) und dem Schluss alle Szenen zu einer aus reiner Stimmung bestehenden, grauen Masse mit nur sehr, sehr wenigen tollen visuellen oder erzählerischen Momenten. Sowie mit ein paar schlechten Ausreißern. Der erste Teil erzählt von einer unter keinem guten Stern stehenden Hochzeit (höhö, höhö), und auch wenn die Juxtaposition deutlich ist, so ist sie überhaupt nicht gut ausgearbeitet. Beide Teile erzählen von einer Katastrophe, jedoch gibt es davon abgesehen kaum Parallelen. Stattdessen dient die erste Hälfte fast nur der Charakterexposition, und diese kommt mir zu sehr mit dem Hammer daher. Dabei wäre es viel besser, wenn sie sich auf ihrem verschrobenen Humor, die schleichende Demaskierung der Figuren und ihre triste Grundstimmung verließe.

Justine fühlt sich in einem gesitteten, bürgerlich-spießigen Umfeld nicht wohl und hat wegen ihrer miesen Kindheit eine Depression mitgeschleppt. Ja, das wird jedem schnell klar, und führt zu manchen interessanten Konflikten. Aber dass von Trier sein Autorenspiegelbild auf einen Golfrasen sein Geschäft erledigen lässt (worauf nie wieder angespielt wird, und was der Figur auch keine Erleuchtung oder sonstwas gibt) oder wir minutenlanges Gezeter mit tertiären Figuren erdulden müssen, das halte ich für schludrige Schreibarbeit. Denn sehr vieles, was im ersten Teil geschieht, kaut einfach nur das ewig gleiche wieder. Es vertieft nicht die Figuren, es verstärkt nicht die Stimmung. Ich schätze, dass fünfzehn Minuten Gezeter und künstlerisch wertvolles grimmig dreinschauen hätten rausfliegen können, und der Film wäre letztlich sogar durch seine dichtere Atmosphäre unangenehmer geworden. Ganz nach von Triers Wunsch. So ist er dagegen ab und an einfach langwierig.

Und die Kameraarbeit, oh die Kameraarbeit: Von Trier ist fähig, ausgeklügelte, viel sagende und wirkungsvolle Bilder zu komponieren, wovon er im (positiv) schwülstigen Prolog und auch im zweiten Teil Gebrauch macht. Im ersten Teil geht das weitestgehend unter, weil der Regisseur von seinen Dogma-Wurzeln nicht loslassen kann und meint, durch eine Wackelkamera einem etwaigen Kitsch-Vorwurf entgegnen zu müssen. Es ist einfach nur nervig und hindert von Trier daran, das Leinwandgeschehen für sich sprechen zu lassen. Noch nerviger ist nur Justines Neffe ...

Der Kunstfilmer knallt bei von Trier dann auch in der in Trailern durchgenudelten Nacktszene von Kirsten Dunst durch. Sie zeigt eine losgelöste Justine, die sich nachts nackt im Wald im blauen Schein von Melancholia wälzt. Das Bild der sexualisierten Frau, die sich im Angesichts der nahenden Bedrohung vollkommen angstbefreit zeigt, ist bereits völlig abgegriffen, und Melancholia tut nichts, um diese Wiederverwertung zu rechtfertigen. Es ist so, als vermute von Trier, er müsse dem Publikum mit dem Holzhammer einbläuen, dass Justine Lust auf den Weltuntergang hat.

Es sind solche Mängel, die mich an Melancholia beim zweiten Anschauen mehr störten, als zuvor. Von Trier gelang eine ambivalente, da beängstigende sowie befreiende, Weltuntergangsgeschichte mit einer unheimlich dichten Atmosphäre und einer hervorragend aufspielenden Kirsten Dunst. Doch er erzählt zu selbstverliebt, zu schludrig und kann sich nie so recht entscheiden, ob er seinem Publikum auf Augenhöhe entgegnet, oder auf es herabblickt. Das beste ist der Prolog, der auch perfekt auf eigenen Füßen stehen und einen albtraumhaften Kurzfilm abgeben könnte. Auch die letzten zehn Minuten sind großes Arthouse. Der Rest bräuchte Feinschliff, um seine volle Gewalt zu entfalten.

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