An diesem Samstag folgt der siebte Teil der Serie und berichtet über einen comiczeichnenden Clown, eine klarinettespielenden Anti-Raucher-Kampagnen-Unterstützer und einen waisenhausbesuchenden Trickfilmer: Pinto Colvig
Pinto Colvig war eine solch ausgezeichnete Wahl für die Rolle des Goofys, dass er nach seinem Weggang nur durch einen Mann ersetzt werden konnte: Pinto Colvig. Dieser wurde, zur Überraschung weniger, einige Jahre später durch Pinto Colvig ersetzt. Bald darauf schlüpfte er in die Rolle eines wirklichen Clowns und wurde ersetzt durch … seinen Sohn. Die Biographie Colvigs scheint in solchem Maße auf die fiktive seiner Rollen zugeschneidert zu sein, dass sämtliche Abschnitte seines Lebens in die Filme der Figuren eingefügt werden könnten, ohne dass es jemandem auffallen würde. Und ganz in diesem Sinne fehlte es dem Leben Pinto Colvigs keinesfalls an Spannung.
Vance DeBar Colvig wurde am 11. September 1892 in Oregon geboren. Seinen eigentlichen Vornamen legte er früh ab – er wurde später von seinem Sohn zweitverwendet. Stattdessen wurde er von seinen Freunden nur Pinto genannt, nach einem gefleckten Pferd, dessen Äußeres seinen eigenen Sommersprossen nah gekommen sein muss. Ihm wurden in seiner Kindheit alle Freiheiten zugestanden und, als das jüngste Kind einer Großfamilie, von seinen Eltern und sechs älteren Geschwistern umsorgt.
Seine Freizeit füllte er seit frühester Kindheit mit Unsinn jeder erdenklichen Art und Weise. Zusammen mit seinem Bruder Don entwickelte er eine kleine Musikshow, mit der sie auf lokalen Festen auftraten. Daneben übte er sich darin, seine Stimme zu verstellen und Geräusche zu lernen, in der restlichen Zeit brachte er sich Grimassen bei und erfreute seine Umgebung mit Streichen. Einen entscheidenden Schritt für seine Karriere brachte die Entscheidung, Klarinette zu lernen. Im Alter von zwölf Jahren reiste er mit seinem Vater nach Portland, um, wie zweieinhalb Millionen Andere, die Lewis and Clark Centennial Exposition zu besuchen. Dort sah er einen Clown, der mit einer Trommel eine Show ablieferte und fragte ihn, ob er ihm nicht sein squeaky Klarinettenspiel vorführen dürfte. Der Mann stimmte zu, Pinto Colvig eilte zurück ins Hotel und wagte eine Aufführung – mit Erfolg. Er wurde von der Stelle weg verpflichtet und durfte, zum ersten Mal in seinem Leben, geschminkt und in Übergroßen eine quietschende Vorstellung nach der anderen gab. Später sagte er, dass er nach diesem Ereignis das Circusblut nie mehr aus seinen Adern bekommen habe.
Nur wenige Jahre später arbeitete er festangestellt beim Circus und in Stummfilmkinos. Im Winter, wenn der Circus in der Regel im Quartier überwinterte, besuchte er weiterhin die Schule. Tatsächlich begann er sogar ein Studium an der Oregon Agricultural College, zeigte jedoch wenig Interesse an den vermittelten Lerninhalten. Dennoch stellte der Besuch des Colleges eine weitere Wende in Colvigs leben dar, war es doch hier, wo er eine neue Leidenschaft für sich entdeckte: das Zeichnen. Er bereicherte die Studentenzeitung mit Comics und begeisterte seine Mitstudentin mit kuriosen Showzeichnungen, während derer er malte und gleichzeitig Monologe zum Besten gab. Schließlich hatte er 1913 genug von seiner Bildungsstätte und verlegte seine Auftritte dorthin, wo sie eher ins Bild passten: er ging nach Seattle und arbeitete für einige Zeit in Alexander Pantages Vaudeville Circuit, trat in die Circusband ein und reiste so durch das ganze Land.
Bereits ein Jahr später konnte er Fuß fassen als Cartoonist und begann, für zwei Zeitungen in Reno und in Carson City zu arbeiten. Doch dass Leben eines Sesshaften war nicht im Sinne Colvigs, weshalb er die erstbeste Chance nutzte, sich wieder ins Circusleben zu stürzen und 1915 Al G. Barnes Circus anschloss, als dieser seine Zelte in Carson City aufgeschlagen hatte. Erneut als Clown und Klarinettenspieler aktiv, nutzte er die Winterpausen nun nicht mehr für halbherzige Versuche, einem geregelten Schulbesuch nachzukommen, sondern zeichnete stattdessen in dieser Zeit. So kam es, dass er ausgerechnet im Winter 1916 das Leben eines Vagabunden aufgeben und sprichwörtlich festfrieren musste, als er seiner großen Liebe Margaret Slavin begegnete, die binnen kurzer Zeit seine Ehefrau wurde – und auf einen festen Wohnsitz pochte.
Gemeinsam zog das junge Paar, das sich 1918 eines ersten gemeinsamen Sohnes erfreuen durfte (dem bis 1930 vier weitere folgen sollten), nach San Francisco, wo Colvig seine Arbeit als Cartoonist intensivierte. Unter anderem für den San Francisco Chronicle entwarf er die Serie Life on the Radio Wave, die seinen künstlerischen Durchbruch bedeutete, bald vom United Features Syndicate entdeckt und daraufhin überall im Land nachgedruckt wurde. Pinto Colvig war froh über den Weg, den sein Leben genommen hatte und vermisste den Circus insofern wenig, als dass er den Unterschied zwischen einem Clown, der sein Werk auf Papier, und einem, der es in der Manege zum Besten gibt, für vernachlässigbar hielt.
Pinto Colvig musste jedoch schnell erkennen, dass er, wenn er als Trickfilmer größere Erfolge feiern wollte, seine Familie zu noch einem weiteren Umzug überreden musste – schließlich spielte die Musik in Los Angeles. Dort angekommen wurde niemand geringeres als Mack Sennett auf ihn aufmerksam. Mag der Name dieses Mannes in der heutigen Zeit nur noch Kennern bekannt sein, ist das von ihm gegründete Studio schon bekannter – und die Stars, die er schuf, sind bis heute Legenden. Sennetts Keystone Film Co. war die Heimat von Charlie Chaplin und wäre es nach dem Studiogründer gegangen, hätte sein Filmunternehmen auch eine Hauptrolle im rasant wachsenden Markt des Zeichentrickfilms gespielt. Dazu kam es nie, doch Pintos Karriere schadete das nicht. Es dauerte nicht lange, bis der als experimenteller Trickfilmer angestellte Colvig auch Einfluss auf die Drehbücher der Realfilme nehmen konnte und sogar selbst in einigen Werken auftrat. Zusammen mit Walter Lantz arbeitete er auch weiter an Trickfilmen, zusammen schufen sie im Jahr 1928, fast zeitgleich mit Walt Disneys Steamboat Willie, einen frühen Tonfilm, Bolivar, the Talking Ostrich, der jedoch floppte und das baldige Ende von Pintos Arbeit für Sennett bedeutete. Auch seine Wirken mit Walter Lantz nahm an dieser Stelle ein – vorläufiges – Ende.
Im Jahr 1930 nahm sich dann ein anderer Studiochef des Colvig'schen Talents an: Walt Disney unterzeichnete einen Vertrag mit ihm und stellte ihn als Autor an – und als Stimme für zahlreiche Trickfiguren. Zu seinen Arbeiten als Autor gehörte die erste Textfassung von Who's Afraid of the Big Bad Wolf?, die er in Zusammenarbeit mit Frank Churchill und Tea Sears schuf (wem es nach näheren Informationen zu diesem Teil der Disney-Geschichte dürstet, outet sich hiermit als unregelmäßiger Leser dieser Serie – zu empfehlen ist die Lektüre der Biographie von Frank Churchill, die an selber Stelle veröffentlicht wurde).
Eine weitaus tragerndere Rolle in der Trickfilmgeschichte spielte Pinto Colvig aber als Stimme (und Seele) zahlreichere Trickfilmcharaktere. Dazu gehören das kluge Schwein der Three Little Pigs, Grumpy und Sleepy aus Schneewittchen und die sieben Zwerge, der treue Pluto und natürlich allen voran: Goofy. Er war mehr, als ein Synchronsprecher, er war die Inspiration von Goofys Verhalten und Grimassen. Goofy selbst war eine einfach gestrickte Version von Colvig, nichts mehr und nicht weniger. Seine Stimme, die Laute, die er Goofy auf die Zunge legte, sind in solchem Maße mit der Figur verbunden, dass die Walt Disney Studios mit Sicherheit sehr ins Grübeln gerieten, als Walt den Fehler beging, Pinto Colvig im Streit davonziehen zu lassen. Das war eine kleine Katastrophe, der man entgegenzusteuern versuchte, indem man sich entschied, zukünftig auf recyceltes Tonmaterial zusetzen (eine sehr schöne Zusammenstellung des Ergebnisses dieser Entscheidung ist hier zu finden – die allerdings nicht vollständig ist).
Im Gegensatz zu Disney konnte Pinto Colvig der Trennung gelassen entgegensehen. Gegen Ende der 1930er Jahre mangelte es ihm nicht an Aufträgen. Er wirkte für MGM, Warner Bros. und Max Fleischer. Besonders erwähnenswert ist die Zusammenarbeit mit letzterem Studio. Er sprach eine Figur ins Fleischers Antwort auf Schneewittchen und die sieben Zwerge (1937), Gullivers Reisen (1939) und lieh Bruto, dem Widersacher von Popeye die Stimme. Im Jahr 1941 schloss er Frieden mit Walt Disney und setzte seine Arbeit dort als Freischaffender fort.
Die folgende Zeit verlief für Pinto Colvig zwar beruflich äußerst erfolgreich, seine Familie aber litt. Vier der fünf Söhne von Margaret und Pinto drohte die Einberufung in die Armee. Besonders Margaret litt unter der Vorstellung, eines ihrer Kinder im Krieg gegen Japan oder die Nazis zu verlieren. Der psychischen Belastung folgte der körperliche Verfall, der dazu führte, dass Margaret der ständigen Fürsorge ihres Mannes bedurfte und im Jahr 1950 verstarb. Ihre fünf Söhne überlebten den Krieg.
Bereits bei seiner ersten Anstellung im Alter von Zwölf gab ihm sein Lehrmeister einen Spitznamen: Bozo, eine damals übliche Bezeichnung für umtriebige Clowns. Im Jahr 1946 wurde Alan Livingston beauftragt, ein Kinderbuch zu entwickeln, dass die ABC-Schützen nicht nur lesen, sondern gleichzeitig auch auf Schallplatte anhören und so ihre Aussprache perfektionieren konnten. Als Sprecher der Platte wurde Pinto Colvig angeheuert, der, wie Livingston und sein Verlag, unvorbereitet mit dem enormen Erfolg von Bozo at the Circus konfrontiert wurde. Bis zum Beginn der 1950er Jahre wurden das Erstlingswerk und die Folgealben rund acht Millionen Mal verkauft.
Livingston war begeistert gewesen von Pinto Colvig, weil er nicht zu, sondern mit Kindern sprach. Er war das Idealbild eines Clowns und gleichzeitig geldsparend, weil er in der Lage war, die vielen Charaktere, die in den Alben auftraten, fast alle alleine zu sprechen. In der Folge wurde sogar eine Fernsehserie mit Pinto Colvig als Bozo gedreht, die ab 1949 auf KTTV (später CBS) ausgestrahlt wurde. Er blieb der Figur treu, bis er sich 1956 – weitestgehend – in den Ruhestand zurückzog. Sein Nachfolger wurde Larry Harmon, dem 1959 wiederum Vance Colvig folgte, Pintos Sohn. Was könnte einen Clown stolzer machen, als einen Clown zum Sohn zu haben?
Colvigs Ruhestand sah wenig Ruhe vor, er beschäftigte sich lieber damit, Kinder weiterhin zum Lachen zu animieren, besuchte Waisenhäuser und Schulen und engagierte sich karitativ.
Ein besonderes Anliegen war ihm, vor den Folgen des Rauchens zu warnen. In einer Zeit, in der einem der eigene Lungenarzt noch mit der Zigarette im Mund versicherte, dass Lungenkrebs und Nikotin weniger gemein hätten als Kapitalismus und Kommunismus, setzte er sich, zusammen mit der Senatorin Maurine Neuberger, dafür ein, dass Warnhinweise auf den Schachteln eingeführt werden. Es ist an Tragik kaum zu übertreffen, dass er 1967, vier Jahre, nachdem er sein Engagement begonnen hatte, ausgerechnet an Lungenkrebs starb.
Würdigung erfuhr er 1993, als er postum die Auszeichnung Disney Legend zuerkannt bekam. Noch mehr gefreut hätte er sich wahrscheinlich über seine Aufnahme in die Clown Hall of Fame im Jahr 2004.
Es wird Menschen geben, die sagen, es sei übertrieben zu behaupten, die Disney-Filme tragen Colvigs Signatur. Diese Menschen haben Unrecht. Vor allem, wenn man der Legende glauben darf, nach der Walt Disneys Unterschrift von Colvig erfunden wurde.
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