Samstag, 14. Januar 2012

Oscar 2012: Meine zweite "Bester Film"-Prognose


Die meisten Gewerkschaftspreise gaben bereits ihre Nominierungen bekannt, die Globes stehen vor der Tür. Filme gerieten in Vergessenheit (zumindest aus Sicht der Award-Saison), andere wurden immer bedeutsamer. Ich wäre töricht, nicht langsam meine Oscar-Prognose in der Kategorie "Bester Film" revidieren zu wollen. Vieles hat sich nicht geändert, aber die Filme, die aus dem Fokus des Preissegens rutschten, müssen dennoch ersetzt werden. Hier also meine neue Oscar-Vorhersage:

Die zwei potentiellen Gewinner:

The Artist
Wer Film als Kunstform an sich liebt, wird es schwer haben, nicht auch sein Herz an diesen Film zu verlieren. Und damit ist die Oscar-Nominierung so gut wie in der Tasche, denn die Mitglieder der Academy lieben üblicherweise das, was sie so machen. The Artist feiert eine ausgestorbene Kunst, ohne altbacken (verhindere Anerkennung bei modern orientierten Mitgliedern) oder angestrengt postmodern (verhindere Anerkennung bei cineastisch konservativ veranlagten) zu sein. Fühlt sich frisch und zugleich zeitlos an. Ein Film, der sehr gut ins Oscar-Pantheon passt, ja, richtiggehend dorthin gehört!

Gefährten
Steven Spielbergs Epos mag zwar an den Kinokassen nicht ganz die Erwartungen erfüllen und unter dem vielen Kritikerlob blitzen auch ein paar harschere Verrisse hervor, dessen ungeachtet ist War Horse (der deutsche Titel ist ja mal saudämlich und unpassend) ganz großes Kino mit einer breiten Spannweite voller großer Emotionen. Man kann ihn mit Titanic vergleichen (was aus meiner Feder nicht immer gleich eine Beleidigung sein muss!), als dass es ein sehr stark auf die Tränendrüsen drückender, handwerklich perfekter Film ist, der durch die Hand seines Regisseurs anspruchsvoller scheint, als man ihn bei einer anderen Regieführung einschätzen würde. Es ist kein kluger Film, auch kein enorm unterhaltsamer (auch wenn er schon Spaß machen kann), aber einer, der ans Herz geht.
Gefährten ist traurig, und bei aller Traurigkeit noch immer sehr lebensbejahend. Es ist, Umsetzung und Handlung gleichermaßen berücksichtigt, die Form von Kitsch, die bei der Academy ankommt, die bei nicht sonderlich zynischen Cineasten plötzlich Gefallen findet, obwohl sie sonst bei solch dick aufgetragenen Filmen die Nase rümpfen. Es ist ein Film, den seine Feinde hassen, und seine Fans besonders stark lieben. So mancher wird über Gefährten die Haare raufen, aber die meisten werden ihn lieben. Es ist die Art Film, die auf dem Stimmzettel der Academy sehr, sehr häufig auf Rang 1 auftauchen wird (ein paar Mal auf Rang 2 und sonst gar nicht). Für eine Nominierung sollte das wohl reichen.

Fünf weitere sehr gute Nominierungstips:
Midnight in Paris
Eigentlich lässt sich hier meine Begründung aus der ersten Prognose wiederholen: Es ist ein magischer, anspruchsvoller und dennoch sehr kurzweiliger, ein nachdenklicher und dabei keinesfalls verkopfter, toller Film. Vielleicht ein winziges bisschen zu schräg und zu verkopft für die Academy, weshalb ich mittlerweile bei einem gesetzten Fünf-Filme-Feld etwas Angst um ihn hätte, aber bei den neuen Regeln ... Nun, ich wäre sehr geschockt, wenn Woody Allens jüngstes Werk keine Nominierung erhielte ...

The Descendants
Eine von George Clooney getragene Tragikomödie, die bei den Globes, den Screen Actors Guild Awards, und dem Preis der Produzentengewerkschafts nominiert wurde, hervorragende Kritiken erhielt und bereits einige Kritikerpreise abräumte. Regisseur Alexader Payne ist zudem noch immer wegen Sideways in guter Erinnerung.

The Help
Für The Help spricht einerseits die Thematik: Ein historisches Rassendrama, spielend in den mittleren USA, welches nebenher auch eine Position zur Emanzipation der Frau bezieht. Es basiert auf einem beliebten Bestseller und ist obendrein, und das ist der zweite große Pluspunkt, weder zu moralisierend, noch zu kitschig oder zu deprimierend. The Help ist ein ehrlicher, rührender sowie ans Gute in unserer Gesellschaft glaubender Film, der dennoch unverblümt über ein dunkles Kapitel der US-Geschichte referiert.

Moneyball
Der anfangs enorme Oscar-Buzz um dieses biographische Sportdrama hat etwas nachgelassen, und dass der Film trotz starker Darstellerriege bei den Preisen der Schauspielergilde nichtmal nominiert wurde, lässt einen auch etwas an einer Nominierung zweifeln. Dennoch: Brad Pitt, Philip Seymour Hoffman und ein endlich erwachsen werdender Jonah Hill. Ein scharfsinniges Drehbuch, enormes Kritikerlob, ein Oscar-taugliches Material und eine doch recht starke Oscar-Kampagne ... Eine Nominierung ist sehr gut möglich!

Hugo Cabret
Wenn der Kinostart ansteht, kann ich mehr dazu sagen, aber ich möchte euch trotzdem jetzt schon wissen lassen, dass ich Martin Scorseses magischen Familienfilm für ein wenig überschätzt halte. Dessen ungeachtet ist Hugo Cabret aus technischer Sicht atemberaubend. Obendrein gelingt es Scorsese, eine zeitlose Atmosphäre zu erschaffen und inbrünstig über die Magie des Kinos zu referieren. Das gefällt, das verzaubert. Es hat seine erzählerischen Macken, dennoch konnte Scorsese die meisten Kritiker und Kinogänger um den Finger wickeln.

Der achte Rang

Im Dezember veröffentlichte The Wrap einen wahnsinnig spannenden Artikel darüber, weshalb es höchst wahrscheinlich dazu kommen wird, dass die Academy dieses Jahr acht Nominierungen in der Oscarkategorie "Bester Film" geben wird (siehe hier). Da die guten Jungs dieser Branchenseite mehr Ahnung von ihrer Sache haben als ich, und ihre Argumente bestechend sind, schließe ich mich diesem Tipp an. Mein Problem: Ich halte sieben Filme für sehr sichere Kandidaten. Und der Rest meiner potentiellen Oscar-Kandidaten darf sich nun um den achten Rang prügeln.

Da wäre Drive, ein außerordentlich hoch gelobter, genial gespielter und intelligenter Actionthriller. Kein klassisches Oscar-Material, aber manchmal durchbricht die Inszenierung die Genregrenzen. Deutlich klassischeres Oscarmaterial wäre das Politdrama/der Politthriller Ides of March, wenn der Film nicht so zähflüssig und pessimistisch wäre. So kommt es, , dass ich ihn nicht ohne inneren Tumult als Oscar-Kandidaten sehen kann. Der einst so sichere Kandidat Extrem nah und unglaublich laut fiel bei den Kritikern und dem Publikum durch, weshalb diese durchkalkulierte Tränenziehernummer sehr zu meiner Schadenfreude nur noch ein unwahrscheinlicher Oscar-Kandidat ist. Ähnliches gilt für Clint Eastwoods J. Edgar, der eher misslungen sein soll. Harry Potter 7.2 hat den gesamten Preisverleihungszirkus bislang verschlafen, so dass es mir scheint, dass die Academy diese Kinosaga höchstens mit ein paar handwerklichen Preisen abspeisen wird. Wenn überhaupt. Wenn man in der Branche das Verlangen hätte, Harry Potter zu prämieren, wäre er schon längst für ein paar zusätzliche Preise nominiert worden.

Verblendung tauchte bei den Produzenten-Awards auf und brachte David Fincher eine Nominierung bei den Preisen der Regiegilde ein, was ihn weiterhin auf der sinnbildlichen Oscar-Landkarte hält. Eigentlich hätte ich ihn mittlerweile aus meiner Oscar-Prognose (für die Hauptkategorie) rausgenommen, da es doch im US-Branchenkosmos recht leise um ihn wurde und David Finchers Thriller auch nicht ganz den "Wumms!" hat, den er mit seiner Trostlosigkeit bräuchte, um trotz seiner Andersartigkeit bei den Oscars gute Aussichten zu haben.

Dame, König, Ass, Spion hat leider jeglichen Hype um ihn verloren. Dieser sehr kühle Thriller bräuchte aber so etwas wie Buzz, da er kein Film ist, der einen emotional so sehr packt, dass man sofort an ihn denkt, wenn es um die Nominierungen geht. Er gehört eher in die Sparte "gelungener Film ... an den man erinnert werden muss, um für ihn zu schwärmen". Dennoch, jene, die ihn gut finden, finden ihn sehr gut. Und dann wären da natürlich die Arthouse-Titel des Jahres 2011: Shame, Melancholia und Tree of Life. Während ersterer (von der NC-17-Jugendfreigabe in den USA abgesehen) eh keinen großen Wirbel auslöste, legte sich der um die letzten beiden gegen Ende des Kinojahres. Und, so sehr ihre Fans für diese Filme kämpfen: Sie sind keinesfalls Oscar-Material. Solche Kunstware läuft in Cannes gut, aber die Academy mag ihre Geschichten generell weniger verkopft und assoziativ. Antichrist wurde lauter umjubelt als Melancholia, und erhielt keine Oscar-Nominierung, und Tree of Life ist ein Film, der entweder geliebt oder gehasst wird. Man kann zwar nicht gegen ihn stimmen, aber er dürfte im Gegensatz zu Werken wie The Help keine zusätzlichen Stimmen erhalten, indem er auf Platz 4 oder 5 einer Nominierungsliste auftaucht. Entweder man setzt ihn nach ganz vorne, oder man hält ihn für schalen Hokuspokus. Stellt sich nur die Frage: Gibt es genug Academy-Mitglieder, die Tree of Life auf ihrem Zettel vor The Artist oder Gefährten setzen?

Ich lehne mich, zumindest im Moment, sehr weit aus dem Fenster, und tippe deshalb auf Drive. Auch wenn kaum ein Indikatorpreis darauf hindeutet. Es ist reines Bauchgefühl, und bis Ende dieses Monats, wenn meine endgültige Prognose ansteht, ändert es sich vielleicht. Aber im Moment sitzt Ryan Goslings cooles Thrillerdrama auf dem achten Rang meiner Prognose.

Wenn es zehn Filme werden:

Auf Rang 9 meiner Prognose setze ich den mehrfach Globe-nominierten Ides of March, auf Nummero 10 Verblendung, der bei den Producers Guild Awards mit im Rennen ist.

Meine komplette Liste lautet also: The Artist, Gefährten, Midnight in Paris, The Descendants, The Help, Moneyball, Hugo Cabret und Drive (sowie Ides of March und Verblendung). Ich hab kein gutes Gefühl dabei, aber umso größer ist dann die Freude, sollte es trotzdem stimmen!

Weiterführende Artikel:

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen