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Montag, 9. Januar 2012
Lasst "Touchstone Pictures" weiterleben!
Zum Disney-Fan-Dasein gehört es leider auch, sich regelmäßig gewaltig über die Idiotie in Burbank aufzuregen. Dieses Jahr lief bislang alles so schön friedlich, aber wirklich lange hat das ja nicht gehalten ... Ich bin momentan so geladen, ich könnte glatt durch die Decke gehen. Oder höchstpersönlich einigen der Geschäftsführern die Nase einbeulen. Der Grund ist folgender:
In einem Bericht der NY Post wird über die Zukunft des Studiolabels Touchstone Pictures gemutmaßt, und "düstere Aussichten" sind gar kein Ausdruck dafür. Wie Insiderquellen der Post gemeldet haben sollen, zieht Bob Iger eine Schließung oder sogar einen Verkauf in Erwägung, um die Gewinne der disney'schen Filmdivision aufzupolstern. Grund dafür sind der generelle Profitverlust in Hollywood, der Mangel an Erfolgen unter dem Touchstone-Namen sowie die Meinung der Geschäftsführung, dass die Existenz dieses Labels überflüssig geworden wäre. Außerdem wolle man den Markennamen Disney stärken (der anscheinend noch nicht bekannt genug ist), weshalb man sich auf ihn und andere populäre Marken konzentrieren will. Alles andere bekommt nach und nach den Schaft.
Für jene, die nun ahnungslos vor ihrem Bildschirm sitzen: Touchstone Pictures wurde 1984 gegründet, um disneyuntypische Filme wie Der Club der toten Dichter, Pretty Woman oder Armageddon veröffentlichen zu können.
Und damit erreichen wir schon die Oberfläche des Wahnsinns, den Disney wohl befallen haben muss, wenn Bob Iger, Rick Ross und Konsorten allen ernstes darüber nachdenken, Touchstone zu killen. Um es mit den Worten eines Ultimate-Disney-Users zu sagen, der es mit den Worten Emma Stones sagte: Liebe Leute bei Disney ...
Das ist die dämlichste Idee, die in den vergangenen Jahren bei Disney ausgeheckt wurde. Sie ist auf so vielen Ebenen falsch, dass ich fast schon die Orientierung verliere. Zunächst einmal, wie angekündigt, der oberflächlichste Grund: Touchstone Pictures ist ein Mittel, um Geld in einem Filmmarkt zu verdienen, den Disney sonst nicht erreicht. Mit aktuellen Filmen, wie der via Touchstone Pictures vertriebene DreamWorks-Produktion The Help, sowie mit Katalogtiteln, die auf Blu-ray oder DVD noch sehr gut laufen. Wie Armageddon. Freiwillig auf diese Einnahmequellen zu verzichten, oder dieses Filmarchiv womöglich sogar an jemanden anderes zu verkaufen, ist hirnverbrannt.
Dann wäre da noch das historisch-sentimentale Argument. Klar, das wird im profitgierigen Hollywood wohl leider kaum ziehen, trotzdem ist es ein Mitgrund, weshalb mich diese Überlegung zur Weißglut bringt. Touchstone ist ein elementarer Teil der Konzerngeschichte. Als Disney mit seiner traditionellen Ware in den 70ern und frühen 80ern auf keinen grünen Zweig kam und atypische Filme wie Das schwarze Loch, Tron oder Wenn die Wölfe heulen zahllose interne Konflikte auslösten (und zudem mit dem Disney-Namen potentielle Kinogänger abschreckten), gründete man Touchstone, um einem dahinsiechenden Filmstudio dringend benötigtes Leben einzuspritzen. Ja, wenn Disney-Fans über die Disney-Renaissance sprechen, denken sie an Arielle, die Meerjungfrau, Die Schöne und das Biest oder Aladdin. Allerdings spielte Touchstone eine ebenso vitale Rolle darin, den sich dem Bankrott nähernden Konzern zum Unterhaltungsgiganten zu machen, den wir heute kennen. Filme wie Splash!, Zoff in Beverly Hills, Die unglaubliche Entführung der verrückten Mrs. Stone, Good Morning, Vietnam oder Der Club der toten Dichter führten zu hohen Kinoeinnahmen, die der Disney-Konzern dringend nötig hatte. Sie verschafften ihm auch (branchenintern) wieder ein hohes Ansehen, dass er lange verloren hatte. Und auch, als Disney wieder auf seinen Beinen stand, war Touchstone mit Filmen wie Con Air oder Sister Act eine sehr gute Partie.
Man sollte nicht einen wichtigen Teil seiner Vergangenheit leugnen oder verkaufen. Auch nicht als Studio, es sei denn, man steht kurz davor, vollkommen einzugehen. Vor allem kann man aus diesem historischen Argument auch ein wirtschaftlich interessantes rauslesen: Touchstone ist eine wichtige Möglichkeit für Disney. Denn mit Touchstone zog man damals Talente an, die sonst nie zu Disney gekommen wären. Und nach einigen zufriedenstellenden Kooperationen im Erwachsenen- und Jugendsektor holte man viele von ihnen ins Disney-Boot. Tom Hanks entwickelte mit seinen Touchstone-Komödien eine gute, freundschaftliche Geschäftsbeziehung zu Disney. Robin Williams hätte Aladdin wohl niemals zum Megahit machen können, hätte er sich zuvor nicht durch Good Morning, Vietnam geschrieen. Bette Midler stabilisierte erst mit Touchstone-Produktionen ihre Filmkarriere, bevor sie für den Disney-Namen arbeitete. Und Tim Burton, der in den 80ern von Disney gefeuert wurde, kehrte mit Nightmare before Christmas zu Disney zurück. Den Film veröffentlichte man unter Touchstone, weil er für Disney zu düster war. Dann entwickelte er sich zum Kult und somit zum Riesenerfolg. Erst dann packte man den Disney-Namen in den Vorspann und holte Tim Burton für einen gewissen Film namens Alice im Wunderland zurück, der ja eine kleine, schnuckelige Summe in die Kassen spülte. So, über einer Milliarde Dollar ... Ganz davon zu schweigen, dass Touchstones Falsches Spiel mit Roger Rabbit erst den Grundstein für die Zeichentrick-Renaissance legte!
Eines der Argumente, weshalb Disney mittlerweile auf Touchstone verzichten könne, ist, dass man mit Filmen wie der Pirates of the Caribbean-Reihe oder Vermächtnis der Tempelritter ja nunmehr problemlos Action-orientierte Filme für ein jugendliches Publikum unter dem Disney-Namen veröffentlichen kann.
Dieses Argument ist vor allem nur ein Beweis dafür, wie kurzzeitig das Gedächtnis in Hollywood angelegt ist. Wer hat denn nach dem Flop von Die Country Bears das Skript genommen, dem nun jegliches Vertrauen des Studios verloren ging, und versprochen, durch das Engagement neuer Autoren aus einem blutleeren Seefahrtsabeneteuer einen Blockbuster zu machen? Wer schlug vor Johnny Depp zu engagieren, stärkte Depp und Regisseur Gore Verbinski den Rücken, als die Disney-Geschäftsführung Panik bekam, weil Depp ja viel zu tuckig rumliefe? Wer holte Hans Zimmer (und dessen Schützling Klaus Badelt) an Bord, der wiederum einen Soundtrack schuf, der das kollektive Bewusstsein enterte und Disney zunächst mit massig CD-Verkäufen und nun auch mit Konzerten unentwegt Geld in die Kassen spült? Ach, verdammich: Wer hat überhaupt dafür gesorgt, dass Fluch der Karibik nicht wenige Tage vor Produktionsbeginn eingestellt wurde, weil der Film als "nicht rentabel" eingestuft wurde? Und wessen Markenname hat dafür gesorgt, dass der mit einer höheren Jugendfreigabe eingestufte Film ungekürzt in die Kinos kam, er trotz Disney-Assoziation (in den USA, da kennt man ja die Inspiration zum Film) bei Jugendlichen ankam und somit Disney-Realfilme cool und hip machte?
Genau, jetzt alle im Chor: Jerry Bruckheimer. Der zuvor einen einzigen Disney-Film machte (Gegen jede Regel aus dem Jahr 2000), obwohl er seit 1994 Teil des Konzerns ist. In der Zwischenzeit produzierte er nämlich stur weiter die Art von Filmen, die ihn in den 80ern zu einem der wichtigsten Produzenten Hollywoods machte. Dass Con Air, Armageddon, Der Staatsfeind Nummer Eins oder Coyote Ugly nicht als Disney-Filme in die Kinos kamen, versteht sich von selbst. Anders gesagt: Der Film, der Touchstone angeblich überflüssig macht, wäre ohne Touchstone nie zum Hit geworden. Denn wer ernsthaft glaubt, Bruckheimer hätte in den 90ern einen Vertrag mit einem "Wir machen nur Familienfilme"-Disney geschlossen, hat nicht mehr alle Muttern an seinen Schrauben.
Ironie des Schicksals? Nein, Dummheit der Geschäftsführung. Ja, Bruckheimer hat man mittlerweile an der Angel. Aber wer sorgt für krachende Blockbuster, sobald er seine Sachen packt? "Disney's Next Jerry Bruckheimer" kann vielleicht auch ohne Touchstone gefunden werden, mit Touchstone ist die Sache aber wesentlich einfacher.
Ja, Touchstone siecht so vor sich hin. Nach M. Night Shyamalans The Village aus dem Jahr 2004 hatte man kaum noch Erfolg. Step Up war erfolgreich genug für ein paar Fortsetzungen, Déjà Vu wurde nicht als Flop abgestempelt (wieder Bruckheimer!), Prestige war ein Genrehit und Born to be Wild ein kleiner Komödienerfolg. Aber alles jetzt nicht sooo der Kassenbringer. Das kann nur Selbst ist die Braut von sich behaupten. Dagegen stehen leider einige Flops. Aber das liegt an der Qualität der aktuellen Touchstone-Ware sowie dem Umstand, dass man am Publikum mehr oder weniger vorbeiproduziert. Mittlerweile dient das Label ja als Verleih der DreamWorks-Filme, mit Real Steel und The Help nahm man nun wieder gut Geld ein. Aber was ist, sobald der Vertrag mit Spielbergs Studio endet?
Das Label zu killen oder gar (mitsamt Archiv) zu verkaufen, wäre eine kurzfristige Lösung. Viel intelligenter wäre aber, Touchstone wieder aufzupeppeln. Die Kritik, Touchstone habe keinen Markenwert, ist eine selbstverschuldete. In den 80ern und frühen 90ern hatte dieser Name noch einen eigenen Klang, weckte eigenständige Assoziationen. Das kann man wieder erreichen. Gute Filme mit eigenständigem Charakter wären ein weiser Schritt und wenn man die besseren der Hollywood-Pictures-Filme auf Blu-ray nun mit dem Touchstone-Logo zuklatscht, baut man den Wiedererkennungswert weiter aus.
Man muss nur ein wenig Initiative zeigen. Wenn man Touchstone nun killt, heult man in zehn oder zwanzig Jahren wieder den Möglichkeiten nach, die dieses Label bot. Wenn man einen neuen Jerry Bruckheimer braucht, und die Enkel der Twitter-Generation wieder Angst vor dem Disney-Namen bekommen haben, weil sie ihn mit Manna Hontana und Die Zauberenkel vom Waverly Place verbinden, wenn Micky Maus als Firmenmaskottchen ausgedient hat und nur noch als Gütesiegel für Babynahrung tätig ist, dann wird man auf die 80er blicken und sich fragen: Wie haben wir es da nur aus dem Dreck geschafft?!
Man kann dann alles wieder neu aufbauen. Oder man lässt es gar nicht erst so weit kommen.
Starker Artikel & volle Zustimmung!
AntwortenLöscheninsbesondere gefällt mir, dass miramax in den tags auftaucht. zwei jahre ist es jetzt her, dass dort dichtgemacht wurde. und mein persönlicher eindruck bestätigt, was hier ab und an mal durchklingt: viele leute bringen fluch der karibik nicht mit disney in zusammenhang, sind regelrecht überrascht. sollte disney touchstone dennoch verkaufen, wäre es wohl das kleinere übel, wenn sie touchstone nicht erst verhungern lassen: miramax wurde nach schließung für 640 millionen an investoren verkauft, also ein drittel der 2 mrd., die die weinsteins hätten zahlen müssen (was ich mal als marktwert annehme). dann wäre disney zwar eine stütze los, wir aber nicht das studio. (ist ein übel, aber das kleinere übel)
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