Seiten
▼
Mittwoch, 18. Januar 2012
David Finchers "Verblendung"
"Die Scheiß-Amis müssen immer die europäischen Filme nachdrehen, weil die zu faul zum Lesen von Untertiteln sind!", ruft's regelmäßig, wenn Hollywood-Remakes hiesiger Filme ankündigt. Da sich David Fincher über die Jahre einiges an Respekt erarbeitete, waren diese Stimmen im Falle von Verblendung etwas rarer. Doch sie waren da. Und auch wenn ich beipflichten kann, dass viele Remakes (oder in diesem Fall korrekter gesagt "Neuverfilmungen bereits filmisch umgesetzter Romane") überflüssig sind, so ärgere ich mich bei Verblendung, bereits die ursprünglich für's Fernsehen gedachten schwedischen Kino-Adaptionen zu kennen.
Ich will ja keineswegs sagen, dass das Team hinter den schwedischen Verfilmungen der Stieg-Larsson-Romane schlechte Arbeit geleistet hätten. Den zweiten Teil fand ich schwach erzählt, was ich aufgrund der Vorlage jedoch auch bei der US-Verfilmung erwarte. Insgesamt waren die Filme allerdings gelungene Krimikost und Noomi Rapace gelang es, mit ihrer Version der Lisbeth Salander die ikonischste weibliche Leinwandfigur zu kreieren, die es in den letzten wasweißichwieviele Jahren im europäischen Kino zu sehen gab.
Trotzdem: David Finchers Adaption hat mir nochmal ein deutliches Stück besser gefallen, und ich wünschte mir, vollkommen ahnungslos in diesen Film zu spazieren. So wäre vielleicht ein Hauch des "Schlag in die Magengrube"-Effekts aufgekommen, den die schwedischen Verfilmungen überhaupt nicht anvisierten, auf den es David Finchers Adaption hingegen ganz offensichtlich abzielt, aufgrund ihrer Erzählweise allerdings nicht so recht erreichen mag.
Fincher legt in seinem Verblendung den Fokus noch stärker auf Atmosphäre und die Etablierung sowie Darstellung der Figuren. Dies birgt, dank der gelungenen cineastischen Umsetzung, sehr viele Vorteile, allerdings auch einen nicht zu verleugnenden Nachteil: Verblendung ist eh vornehmlich der Teil von Larssons Roman-Trilogie, der sich intensiv der Charakterexposition widmet, weshalb es einen etwas zerfahrenen Einstieg gibt und die Geschichte nach Auflösung des zentralen Kriminalfalls einfach keinen Ausstieg findet. Bei Fincher fallen diese Probleme deutlicher auf, als in der schwedischen Verfilmung. Diese ließ einige Elemente, die den Kriminalfall nicht tangierten, aus der Kinofassung raus, lenkte so das Augenmerk auf die Ermittlungen rund um ein schreckliches Familiengeheimnis und konnte die Dramaturgie etwas straffen.
Zu sagen, dass Fincher einen "style over substance"-Film abgeliefert hätte, würde ihm nicht gerecht. Sein Verblendung ist dafür viel zu gehaltsam und thematisch zu schwer. Aber wie Fincher die düsteren Geheimnisse der Familie Vanger für sich stehen lässt, die Ermittlungen (im direkten Vergleich mit der ersten Verfilmung) fast schon "herunterspult", statt den Spannungsbogen rund um Rückschläge und Erfolge bei der Detektivarbeit des Investigativjournalisten Blomkvist und der Hackerin Salander zu spinnen ... Das zeigt, dass ihm dieser Fall eher drittrangig ist, und ihm die Figur Salanders und das in Verblendung skizzierte, finstere Gesellschaftsbild wichtiger sind. Die Kernhandlung eines zweieinhalbstündigen Thrillers an dritte Stelle zu setzen, ist jedoch ... sagen wir ... mutig.
Nachdem ich über die schlechten Seiten gekrittelt habe: Wieso, weshalb, warum finde ich Finchers Verblendung viel besser, als das schwedische "Original"? Zum einen, weil Fincher atmosphärisch das Potential der Vorlage völlig ausschröpft. Die beunruhigenden Kamerafahrtenmit ihren trist gefärbten Bildern, die menschenleere Umgebung und der hypnotisch-beklemmende Score von Trent Reznor & Atticus Ross machen Finchers Verblendung zu einem wesentlich intensiveren Kinoerlebnis. Jeder Anflug von Wärme wird erstickt, meistens schon im Keim, zuweilen erst mit etwas Wartezeit. Es ist ein kunstvoll pessimistischer Thriller. Finchers Vergewaltigungsszenen sind vielleicht nich grafischer, letztlich aber sehr wohl verstörender, als die in der europäischen Filmadaption. Das unablässige Wabern der im Nebenflur dröhnenden Bohnermaschine, die finster ausgeleuchtete Szenerie ... Diese Momente sind die unangenehmen Höhepunkte des Films.
Man kommt natürlich nicht umher, Rooney Maras Lisbeth mit der von Noomi Rapace zu vergleichen. Stellt man sie direkt nebeneinander, ist Rapaces Lisbeth deutlicher eine Kunstfigur. Eine verbitterte Außenseiterin, ein auf seine Gelegenheit wartender Racheengel mit einem verletzlichen Inneren. Rooney Mara hingegen wirkt wie ein gebrechliches Vögelchen, dass man irgendwo aufgelesen hat und, statt es aufzupeppeln, in Leim tunkte und dann im Metallschutt aus Papas Garage wälzte. Das blasse Makeup, der rebellische Haarschnitt, die ihr zartes Gesicht entstellenden Piercings, das wirkt nicht wie das überzeugte Ausüben eines subkulturellen Lebensstils. Sie sieht verkleidet aus. In den Trailern hatte ich, gerade mit Rapaces prägender Darbietung im Hinterkopf, echte Probleme damit. Im endgültigen Film gewöhnt man sich nicht nur daran, Mara und Fincher spielen diese Karte sogar vollauf bewusst aus. Salander wird facettenreicher beleuchtet, und dadurch fällt auch ihre verletzliche Seite bewusster auf. Fincher nutzt mehrere Szenen, um intensiver aufzuzeigen, dass Salander ein Opfer eines pervertierten Patriarchats ist und sich in eine abstoßende, toughe Rolle flüchten musste, um zu überleben.
Manche Kritiker nennen es eine "Vermenschlichung" Salanders, ich sehe es als eine Dramatisierung. Maras Salander ist zwar längst nicht so cool, aber sie lässt den Zuschauer wesentlich mehr mitleiden, wodurch sie ihn aber auch auf noch kälteren Füßen erwischt, wenn ihre psychotische Seite überhand gewinnt. Man gönnt ihr die Rache, und trotzdem kann man es kaum "richtig" nennen. Mara ist einvernehmender - und dadurch wird Daniel Craig (der für sich allein betrachtet genauso gut spielt wie Nyqvist im "Original") völlig an den Rand gedrängt. Da er sehr viele Filmszenen alleine zu tragen hat, wäre es wünschenswert, hätten man seinen trockenen Humor noch etwas mehr herausgestellt. Aber auch so ist Blomkvist noch interessant genug, um den Film nicht runterzuziehen. Bloß hätte er ihn ja auch verbessern können ...
Dessen ungeachtet ist Finchers Verblendung fesselnd, technisch nahezu perfekt und großartig gespielt. Mit einer stringenteren Narrative wäre er halt nur auch nachhaltig wirkungsreicher. Vielleicht klappt's bei der Fortsetzung, sollte Fincher zurückkehren?
Siehe auch:
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen