Robert Tieman, Verfasser des Disney-Geschichte zum Erlebnis machenden Buchs The Disney Treasures, erklärt den phänomenalen Erfolg, den Walt Disney auf dem internationalen Markt feierte, mit den folgenden Worten:
"Der vielleicht einleuchtendste [Grund] ist, dass Zeichentrickfilme eine besondere Wirkung auf das internationale Publikum haben. Die Eigenheiten gezeichneter Fantasien und Ideen stoßen selten auf Übersetzungs- oder Verständnissschwierigkeiten. Walt Disney verstand das beinahe intuitiv und er vermied es bewusst, Figuren zu erfinden, die einzig auf amerikanischen oder christlich religiösen Traditionen beruhten. Es gibt zum Beispiel keinen Kurztrickfilm, in dem die Figuren Erntedankfest oder den 4. Juli feiern - nur eine Hand voll, die von Weihnachten handeln, und nur einen über Ostern."
Die Scheu vor der Weihnachtsthematik hat sich über die Jahrzehnte hinweg gelegt. Allein fürs Kino produzierten die Walt-Disney-Studios gleich drei Adaptionen von Charles Dickens A Christmas Carol, welche durch Tiny Tims obligatorischen Wunsch "Gott segne uns, jeden von uns" auch die von Disney üblicherweise ignorierte Religion direkt ansprechen. Darüber hinaus verzichten nur wenige Disney-Fernsehserien auf eine Weihnachtsepisode, gleich dreimal trat Tim Allen in den Santa Clause-Kinofilmen als Weihnachtsmann auf, und, und, und ... Nicht zu vergessen, dass die Weihnachtssaison in den Disney-Themenparks zu den geschäftigsten Tagen gehört.
Dass zu Beginn von Walt Disneys Eroberung der Filmwelt Weihnachten noch als internationales Kassengift gefürchtet wurde, und es nunmehr zum Stammrepertoire des weltumspannenden Unterhaltungskonzerns gehört, ist eine von der Säkularisierung der Festtage und der Globalisierung getragene Entwicklung. Und es ist mittlerweile wohl eine unvermeidliche Tradition, dass Jahr für Jahr irgendwo in den Medien über Coca-Cola und die Erschaffung des uns heute bekannten Weihnachtsmanns referiert wird. Fast genauso unvermeidlich sind die darauf reagierenden Berichte, die diesen populären Mythos zu korrigieren versuchen.
Nein, Virginia, Coca-Cola hat unser Bild des Weihnachtsmanns nicht erfunden. Dass er rot-weiße Kleidung trägt, kommt dem mit bunt beleuchteten Weihnachtstrucks werbenden Erfrischungsgetränkehersteller zwar gewiss entgegen, jedoch existierten schon vor Coca-Colas Weihnachtskampagnen Darstellungen eines älteren, rundlichen Santa Claus in rot-weißem Mantel.
An dieser Stelle die Geschichte der sich wandelnden Darstellung des Weihnachtsmanns umfassend nachzuerzählen, wäre zweifelsohne müßig und würde uns zu weit von unserem Kernthema entfernen. Deshalb sei schlicht zusammengefasst, das bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Weihnachtsmann oder Nikolaus üblicherweise als Herr in dickem Pelz beschrieben wurde. Farbige Illustrationen tendierten normalerweise zu Brauntönen oder in manchen Fällen einem dunklen Grün. Der deutsch-amerikanische Karikaturist Thomas Nest wird gemeinhin als "Erfinder" des modernen Weihnachtsmannes beschrieben, inklusive der rot-weißen Farbe, die er ihm in den 1860er-Jahren erstmals verlieh.
Allerdings beeinflussten die Illustrationen Nests zunächst die US-amerikanischen Vorstellung des Weihnachtsmanns. 1927 waren die Schaufenster New Yorker Geschäfte bereits völlig standardisiert, 1931 begann Coca-Cola seine erste Weihnachtskampagne, womit sich in den USA endgültig dieses Bild durchsetzte.
Dass sich dieses festgelegte Bild des Weihnachtsmanns auch in anderen Teilen der Welt durchsetzte, wo zu Beginn des 20. Jahrhunderts oft noch eigene Traditionen und der religiöse Ursprung des Fests vorherrschten, ist jedoch wirklich der weltweiten Werbemaschinierie Coca-Colas zuzuschreiben. Sowie den wenigen frühen Weihnachtscartoons Walt Disneys, die den US-amerikanischen Santa Claus in die Kinos dieser Welt brachten.
Dass der alte Mann im Rauschebart viel Humor hat, zeigt auch schon dieser Cartoon. Sei markantes "Ho ho ho!" war 1932 hingegen noch nicht unverzichtbar. Dieser Santa Claus hat noch ein sehr schneidendes "Ha ha ha!" als Standardlache
Die Silly Symphony Santa's Workshop von 1932 popularisierte in Europa nicht nur die mittlerweile allbekannte Vorstellung des Weihnachtsmanns. Zudem war er auch für viele die erste Konfrontation mit dem aus US-amerikanischen Kinderbüchern und -gedichten entliehenen, damals noch sehr jungen Gedanken, dass Santa Claus am Nordpol lebt, wo seine Elfen eine Spielzeugwerkstatt betreiben.
Um bei amerikanischen Weihnachtslegenden zu bleiben: Für moderne Zuschauer ist der Cartoon Santa's Workshop eventuell verwunderlich, weil das Rentier Rudolph mit Abwesenheit in den Stallungen des Nordpols oder an der Spitze des Schlittengespanns glänzt. Das liegt daran, dass dieses Element des zeitgenössischen Weihnachtsmann-Mythos erst sieben Jahre nach Santa's Workshop in die US-Kultur eingeführt wurde. Auch die mittlerweile in Weihnachtsfilmen und -cartoons standardisierte Form der Elfen als sehr jung gebliebene Wesen ist noch neueren Datums, weshalb die Elfen in Santa's Workshop noch wie kleine, grün gekleidete Weihnachtsmänner aussehen.
Der Cartoon, der unter der Regieführung von Wilfred Jacksons entstand, ist von der atypischen Weihnachtsthematik abgesehen, eine ganz und gar klassische Silly Symphony. Es gibt keine echte Handlung oder einen Konflikt, stattdessen bietet dieser Kurzfilm vor einem bunten Hintergrund kurze, amüsante Sequenzen in denen sich die Figuren perfekt zur Musik abgestimmt bewegen. Santa's Workshop gehört dabei zu den ersten Cartoons seiner Reihe, in dem die Hintergründe sehr detailliert sind, und er stellte auch die Vorlage für den 1934 veröffentlichten Cartoon Funny Little Bunnies dar. Dieser zeigte die Arbeitsabläufe im Tal der Osterhasen und verfolgte nicht nur einen sehr ähnlichen Ablauf, sondern kopierte auch vereinzelte Gags aus Disneys erstem Weihnachtsmann-Film.
Zu den fidelen Spielzeugen in diesem Kurzfilm gehört nicht nur eine Aufziehvariante von Walt Disneys befreundetem Kollegen Chaplin sondern eine Spielzeug-Arche. Was gehörige Fragen in der ganzen "Können der Weihnachtsmann und das Christentum koexistieren"-Diskussion aufwirft ...
Santa's Workshop ist Teil des Walt-Disney-Weihnachtsspecials From All of Us to All of You, welches 1958 im Rahmen der Anthologieshow Walt Disney presents ausgestrahlt wurde. Seit 1960 ist es alljährlicher Bestandteil des schwedischen Weihnachts-Fernsehprogramms, seit Mitte der 70er in veränderter Form auch anderer skandinavischer Länder. Ähnlich wie hierzulande Dinner for One trotz mangelnder Synchronisation zu einem richtigen Silvester gehört, betrachten viele Schweden Kalle Anka och hans vänner önskar God Jul (Donald Duck und seine Freunde wünschen fröhliche Weihnachten) als unerlässliche Weihnachtstradition. Das Programm landet stets in den Top 5 der meistgesehenen Fernsehsendungen des Jahres (zwischen Sportgroßereignbissen, dem Eurovision Song Contest sowie dem Melodiefestivalen) und einige der Filmzitate sowie die darin vorkommende Musik wurden Teil der schwedischen Populär- und Weihnachtskultur. Als der Sender SVT bekannt gab, die Tradition aufgrund der hohen Lizenzkosten enden zu wollen, löste dies massenhaft Proteste aus und die Kosten sparende Idee musste begraben werden.
Santa's Workshop ist allerdings nicht nur ein faszinierendes Untersuchungsobjekt für jeden, den die Internationalisierung von Weihnachten sowie den Aufbau einer standardisierten Weihnachtsmann-Sage interessiert. Der Kurzfilm ist auch Teil einer Reihe von Disney-Cartoons, an denen sich die veränderte Mentalität bezüglich rassistischer Stereotypen verfolgen lässt. In einer Sequenz überprüft der Weihnachtsmann blonde Püppchen, die "Mama" sagen, wenn man sie ein wenig kippt. Als letztes rutscht energisch eine schwarze Puppe auf den Tisch des Weihnachtsmanns und brüllt ihm kess ein "Mammy!" entgegen, bevor sie sich selbst den "O.K."-Stempel aufdrückt. Da die Puppe den Blackface-Figuren einer typischen Minstrel Show nachempfunden ist, wird diese als eventuell rassistisch interpretierbare Szene häufig aus TV-Wiederholungen und Heimkino-Veröffentlichungen geschnitten.
"Und dich schenke ich den Machern von Fantasia! Ho ho ho! Ich meine: Ha ha ha!"
Santa's Workshop fand im Folgejahr eine indirekte Fortsetzung in Form von The Night Before Christmas, in welchem der Weihnachtsmann seine Geschenke verteilt. Natürlich, indem er den Kamin runterrutscht. Damals allerdings ohne die Hilfe hoch technisierter Elfen. Wer weiß, ob in siebzig Jahren nicht die Welt von Prep & Landing (Elfen helfen) und Aardman Animations Arthur Weihnachtsmann für jedes Kind ganz selbstverständlich zeigt, wie der Weihnachtsmann vorgeht ...
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