Platz 17: Gargoyles – Auf den Schwingen der Gerechtigkeit
Disneys Zeichentrickserien bestehen in der Regel aus "Stand alone"-Episoden. Von der gelegentlichen Doppelfolge oder einem noch längeren Mehrteiler (üblicherweise zu Staffelbeginn) abgesehen lassen sich die Sendereihenfolge bei den Disney-Trickserien beliebig durcheinanderwirbeln, ohne dass der Zuschauer größeren Qualitätsverlust zu befürchten hat. Und in diesen munteren Reigen der Episoden-Durchwirbelei haben sich die ausstrahlenden Sender auch immer wieder liebend gerne eingereiht. Bei manchen Serien wie Darkwing Duck führte dies dazu, dass mit den Schurken-Entstehungsgeschichten die wenigen Folgen, die man keinesfalls unachtsam irgendwann ausstrahlen sollte, trotzdem wahllos gesendet wurden.
Zu den raren Ausnahmen, in denen tatsächlich, wenngleich nicht in jeder Episode, so aber gehäuft so etwas wie ein roter Faden zu spüren war, gehörte auch eine der ersten Disney-Trickserien: Die Gummibärenbande, welche insbesondere in ihren letzten Zügen immer mehr zu dem wurde, was der TV-Junkie ein Serial nennt. Ausgerechnet diese kunterbunte Serie soll dem ehemaligen Englischlehrer Greg Weisman zusammen mit dem Polizeidrama Polizeirevier Hill Street als Inspiration zur Schöpfung einer eigenen Serie gedient haben, die ambitionierter, erwachsener und in sich durchdachter war, als alles, was der US-Programmblock The Disney Afternoon sonst so zu bieten hatte.
Dass Disney so ein Konzept wie Gargoyles umsetzte, ist sicherlich dem Erfolg von Batman: The Animated Series zu verdanken, die zwar auch ihre campigen Momente hatte, insgesamt aber tonal dunkler war, als sonstige US-Trickserien jener Tage und ihren eigenen Batman-Mythos entwarf.
Gargoyles handelt von einer Gruppe Wasserspeier, die bei Nacht zum Leben erwachen. Einst, im altertümlichen Schottland, gab es einen großen Clan von Gargoyles, die das Schloss ihres Herren vor Angreifern überwachten. Aber die ängstliche Natur des Menschen überwog wie so oft die Vernunft, weshalb die meisten der Gargoyles zerstört wurden. Jahrhunderte später wurden die letzten der Gargoyles, darunter ihr Anführer Goliath, nach New York verfrachtet. Dort agieren sie nun als Verbrechensbekämpfer, die in der Polizistin Elisa Maza eine Verbündete finden.
Insbesondere durch seine Schurken fällt Gargoyles aus jeglichem Disney-Alltag heraus: Es gibt sehr wenige dick auftragende Bösewichter, deren Boshaftigkeit nach wenigen Sekunden überdeutlich ist. Häufig überraschte die Serie auch mit der Identität des Antagonisten und gab ihnen auch regelmäßig nachvollziehbare Motive sowie sympathische Züge. Die Bösewicht-Gallerie reicht dabei von Sagengestalten zu auf die falsche Seite des Rechts abgerutschte Normalmenschen hin zu diabolischen Genies (mit genügend menschlichen Zügen, dass es einem schwer fällt, ihnen durchgehend zu misstrauen). Der wichtigste Schurke der Serie ist der immer wieder auch unerwartet vertrauenswürdige Xanatos, ein geistreicher Milliardär, der seinen Widersachern stets drei Schritte voraus ist und oftmals auch einen ausgefuchsten Plan B in der Hinterhand hat. Hinzu kommt sein jovales Äußeres und seine charismatische Stimme, und schon ist es kein Wunder, dass Popkultur-Sammelstätten wie TV Tropes ihn zu einem der größten Genies der Fernsehgeschichte erheben.
Dass sich die Produzenten Greg Weisman und Frank Paur nicht die übliche Disney-Denke teilten, äußert sich auch in Anekdoten wie folgender: Stellvertreter von Disney Consumer Products, Disneys Merchandisingabteilung, drängten die Serienmacher, in einer Gargoyles-Episode ein Motorrad einzubauen, da man unbedingt ein Spielzeug-Motorrad für die Gargoyles-Actionfiguren herstellen wollte. Über Dauer sahen sich die Serienmacher gezwungen, nachzugeben, jedoch ließen sie sich zu einem kleinen symbolischen Stinkefinger hinreißen und jagten das Teil in seiner großen Folge nach wenigen Augenblicken in die Luft.
Greg Weisman ist auch sichtbar engagierter, seine Schöpfung weiterzuführen. Es gab bereits mehrere Gargoyles-Comicreihen, die die Serie ergänzten oder ab der Stelle weiterführten, ab der Weisman (und somit auch das Fandom) sie nicht mehr als Kanon erachten. Diese Comics standen nie unter einem guten Stern: Die 1995 gestartete Marvel-Comics fanden ein jähes Ende, da Disney und Marvel wenige Monate nach dem Startschuss getrennte Wege gingen, und die 2006 begonnene Reihe im kleinen Verlag Slave Labor Graphics musste beendet werden, weil Disney die Lizenzkosten erhöhte, so dass der Verlag sie nicht weiter bezahlen konnte.
Aber zuurück zur Serie: Gargoyles ist eigentlich ein Kandidat für deutlich höhere Weihen in dieser Hitliste, bietet die Serie doch alles, was man sich wünschen könnte: Intelligente Rückgriffe auf die Werke Shakespeares, durchdachte Verarbeitungen alter Mythen, tolle Schurken, toll eingesetzte Plottwists und keine Scheu vor düsteren Momenten oder moralisch ambivalente Entwicklungen. Und mit Xanatos hat man ja sogleich eine Figur, die nach einem vergleichbaren Schema funktioniert wie Sloane in Alias - Die Agentin, einer meiner Lieblingsfiguren in einer meiner absoluten Lieblingsserien.
Wieso also "strafe" ich Gargyoles mit einem "schwachen" 17. Platz ab? Nun, zunächst gilt das selbe, wie ich schon bei meiner Disney-Song-Hitliste schrieb: Allein schon in der Liste zu sein, bedeutet viel. Ich liste ja nicht alle Disney-Serien auf und zwänge sie in eine Rangfolge, sondern präsentiere in dieser Artikelreihe meine Favoriten. Dabei zu sein ist also bereits eine Hervorhebung vor dem "mickrigen Rest".
Dass Gargoyles nicht weiter oben landet, liegt wohl zu einem Großteil daran, dass ich einfach zu spät auf diese Serie stieß. Ich sah sie zum ersten Mal, als mir bereits der ganze (US-)Kult um sie bewusst war. Somit wäre bereits Fehler Nr. 1 gegeben: Ich ging mit zu hohen Erwartungen an sie heran. Fehler Nummer 2: Ich kannte zu diesem Zeitpunkt bereits auch moderne Realserien, die ebenfalls komplexe Geschichten über mehrere Episoden, ja, teils über mehrere Staffeln sponnen und vot schockierenden Twists nicht zurückschreckten. Ich kam also vom harten Stoff runter, um endlich diese Einstiegsdroge zu probieren, von der im Web alle schreiben.
Die Folge dessen: Ich respektiere die Serie sehr für das, was sie sich gewagt hat (zumindest in den zwei Staffeln, in denen Serienschöpfer Weisman an Bord war), ich liebe einige der dramatischeren Episoden und bin beeindruckt, wie reich die Mythologie der Gargoyles ist. Jedoch: Ich finde auch, dass die Erzählweise in den einzelnen Folgen (nicht die gesamten Storybögen über) sehr oft auch schwerfällig ist. Es wird gerne unnötig monologisiert, die Musik trägt ab und an viel zu dick auf und während die Batman-Serie in Wahrheit cartooniger ist, als man sie meistens in Erinnerung hat, ist Gargoyles manchmal einen kleinen Ticken zu spröde. Das ist alles Haarspalterei und Erbsenzählerei, das gebe ich zu. Und hätte ich die Serie früher kennengelernt, könnte ich sicherlich besser darüber hinwegsehen. Aber so, wie es nunmal kam, hindern mich diese Kleinigkeiten daran, Gargyoles in einer persönlichen Hitliste, wo ich emotionale und "geistige" Bewertung ausbalancieren möchte, noch etwas weiter nach oben zu pushen.
Trotzdem sollte jeder Superheldenfan und Disney-Fan unbedingt reinschauen. Vielleicht hilft euch mein Genöle auch, nicht zu denken "och, ist toll, aber man hat im Web ja schon auch viel heiße Luft drumherum gemacht".
3 Kommentare:
Xanatos ist der beste Schurke aller Zeiten! Die Serie war echt klasse, ist insgesamt aber nicht so gut gealtert find ich. Gerade während der Avalon Saga gab es einige schächere Episoden.
Früher fand ich die echt gruselig. Das waren vielleicht Zeiten.
Wenn eine Serie mit einem Sprechertext zu Anfang beginnt, nervt dieser mich in der Regel nach ein paar Folgen, so dass ich ihn, wenn ich die Serie aufgenommen habe, vorspule. - Bei "Gargoyles" habe ich das nie getan, so sehr gefiel mir schon gleich der große Pathos zum Einstieg!
Dazu eine Serie mit nicht nur coolen, sondern auch noch vieldimensionalen Schurken, sowie relativ düsteren Helden und wir haben bei mir wohl den zweiten Platz (nach "Kim Possible") besetzt.
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