Another Nine widmet sich, in Anlehnung an Walt Disneys Nine Old Men, den über viele Jahrzehnte prägenden Trickfilmern des Studios, neun großartigen Künstlern, deren Einfluss bisher nur unzureichend erkannt und gewürdigt wurde. Vorgestellt werden Menschen, die ihre kreative Arbeit in völlig verschiedenen Bereichen verrichtet haben – Im Schatten der Maus.
In dieser Ausgabe gilt die Aufmerksamkeit dieser Serie einem Mann, der wohl nicht Walt Disneys wichtigster, aber vielleicht verzweifelster Mitarbeiter und damit sein bedeutendster Kritiker war: Jules Engel
Jules Engel, 1949
Jules Engel arbeitete nur dreieinhalb bis vier Jahre bei Walt Disney, so sicher war er sich da selbst nicht mehr, als man ihn einige Jahrzehnte später danach fragte. In einem Punkt war er aber ganz ohne Zweifel: diese Jahre hatten ihn wenig geprägt, da er über Monate hinweg einzig damit beschäftigt war, seinen Kollegen, von denen „nie einer je im Ballett oder Theater“ gewesen sei, für sein ganz eigenes Verständnis von Zeichentrick zu begeistern. Wenn man ihm glauben darf, war sein Bemühen jedoch vergebens, da es ihnen schlicht am nötigen Intellekt gefehlt habe – sie konnten zwar alle Zeichnen, von Kunst hätten sie aber keinen blassen Schimmer gehabt. Wahrscheinlich hat Engels Lieblingsschimpfwort, das im Fernsehen frühestens nach 23 Uhr ausgesprochen werden dürfte, nicht unbedingt dazu beigetragen, das Verständnis seiner Mitstreiter zu fördern, eines muss man ihm jedoch zu Gute halten: er gab die Hoffnung nie auf – und sollte spät als Visionär gefeiert werden.
„It's not a question of drawing, it's a question of timing.“
Jules Engel
Jules Engel wurde 1909 in Budapest geboren – so die offizielle Variante, weshalb im Jahr 2009 zahlreiche Ausstellungen und Würdigungen zu Ehren seines 100. Geburstages gefeiert wurden. Alternativ werden in der Literatur (auch der aktuellen) die Jahre 1913, 1915 und 1918 genannt. Ein späteres Geburtsdatum erscheint wahrscheinlich, wenn man bedenkt, dass Jules Engel erst 1937 die high school beendete – was bedeuten würde, dass er, geboren 1909, zehn Jahre später seinen Abschluss erlangt hätte, als der Durchschnittsschüler. Lawrence Weschler und Milton Zolotow, die seit den 1970er Jahren viele Gespräche mit Engels führten, geben sein Geburtsjahr mit 1913 an.
Er war gerade 13 Jahre alt, als er mit seiner Mutter nach Evanston, Illinois übersiedelte. Es handelte sich dabei nicht um eine klassische Immigration, da Jules Mutter bereits zuvor in den Vereinigten Staaten gelebt hatte und die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besaß – und damit auch ihr Sohn. Tatsächlich war es für Jules Engel nicht leicht, in den Vereinigten Staaten Fuß zu fassen. Das schwierige Alter war nur ein Aspekt, für ihn wesentlich schwerwiegender war die drastische „Entkultivierung“ in den „barbarischen“ USA und seine Kenntnisse der englischen Sprache – die gegen Null gingen. Zumindest gegen letzteres half der Besuch einer Abendschule. Seine Mitmenschen taten ihr Bestes, um Jules Jugend dennoch so glücklich wie möglich zu gestalten. Er beschrieb Evanston, gelegen wenige Meilen vor Chicago, als liebenswürdigen Ort und wurde, Dank seines Charmes, den er auch später nicht verlieren sollte, von allen Seiten verhätschelt.
Ein weiterer Grund, weshalb ihm zu dieser Zeit alle Sympathien zuflogen, waren seine herausragenden sportlichen Leistungen. In der Schule brach er etwa ein Dutzend lokale Rekorde im Laufen und war über Jahre der dominierende Schüler seiner Disziplin. Sein Antrieb bestand nicht etwa darin, dass ihm der Sport einfach Spaß gemacht hätte – er genoss den Wettkampf – weshalb er in späteren Jahren nicht daran dachte, seinem Hobby weiterhin nachzugehen, nur um sich körperlich fit zu halten.
Wire Wall, 1984
Doch auch wenn er Evanston gerne als „very, very beautiful“ prieß, hielt ihn dort nichts. Für den jungen Jules Engel gab es nur ein Ziel: Hollywood. Mit nichts weiter als zwei Adressen im Gepäck setzte er sich in einen Bus und fuhr nach Kalifornien. Seine große Hoffnung, ein Mann, den er in Chicago kennen gelernt hatte, empfahl in an einen Freund, den er in der örtlichen Handelskammer traf. Statt Engels unter die Arme zu greifen, nutzte dieser die Gelegenheit, ihm dringend zu empfehlen, zurück nach Illinois zu gehen und gab ihm sogar genug Geld, um die Heimreise bezahlen zu können. Jules Engel dachte gar nicht daran, das Geld nahm er trotzdem gerne.
Seine zweite Adresse führte ihn zu einem Künstler, der mit einem Lehrer befreundet war, der Engels in der Schule in Kunst unterrichtet hatte. Er war sich unsicher, auf was er sich da einließ und sah seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt, als er vor dem Haus stand und einen Mann beobachtete, der, in einer Hand einen Bleistift haltend, angestrengt vor sich hin starrte, um die richtige Perspektive zu erfassen. Auch wenn sich schließlich herausstellte, dass dieser Mensch nicht seine Kontaktperson war, blieb ihm ein überaus extravaganter Künstler als zukünftiger Mentor nicht erspart. Ken Strobel malte Landschaften, die er dann verkaufte. Genauer gesagt: er malte Landschaftsbilder von Arizona, die in Los Angeles niemand kaufen wollte, weswegen er regelmäßig, seine jüngsten Werke im Gepäck, eine Reise in den benachbarten Bundesstaat unternahm, um seine Bilder unters Volk zu bringen. Engels konnte ihm in zweierlei Hinsicht dankbar sein: einerseits brachte er ihn im Trickfilmstudio von Walter Lantz unter, andererseits gab er ihm die Gelegenheit, allmorgendlich zwei Stunden bei ihm zu zeichnen. Die Arbeit bei Lantz war für Engels weniger aus künstlerischer, sondern vielmehr aus finanzieller Sicht reizvoll, da er notwendigerweise seinen Lebensunterhalt bestreiten musste. Mit den Werken, die er unter Strobels Aufsicht anfertigte – übrigens handelte es sich dabei um Landschaftsansichten von, richtig, Arizona – verdiente er kein Geld. Sein Meister hingegen schon, wie er einige Monate später zufällig entdeckte. Strobel hatte eine Auswahl seiner Werke an ein Magazin verkauft hatte, ein Magazin, das sich der Schönheit Arizonas widmete (natürlich nicht, ohne sie vorher zu signieren). Jules Engels Unmut hielt sich in Grenzen, hatte sich Strobel doch als Einziger für ihn eingesetzt. Zudem betrachtete er es als Kompliment, dass ein erfahrener Maler mit großem Studio seinen guten Namen auf seine Arbeit zu setzen wagte.
Aber Jules Engel war nicht angekommen – geographisch zwar allemal, künstlerisch sah er sich aber in einer fremden Dimension, die von einer anti-intellektuellen Meute bewohnt wurde. Sein Eindruck, was Kunst sein sollte und wie Kunst sein sollte, war vollkommen anders als der jedes anderen, den er bisher getroffen hatte. Er bat, man müsse ihm glauben, dass er nicht wisse, wo die Inspiration für seine persönliche Wahrnehmung lag – sie sei einfach da gewesen. In Budapest kam er nicht darum herum, mit seiner Mutter Sonntags durch Museen zu schlendern und Meistern wie Rembrandt und Rubens gegenüberzustehen. Noch ein Kind, malte er sich aus, wie er ein klassisches Portraitbild rahmen würde. Die unzweifelhafte Schönheit des Gesichts kümmerte ihn wenig, genauso wenig, wie die feinfühlig gemalten Hände und Finger. Sein Blick war fest auf dem, was kaum einem Betrachter Begeisterung entlocken würde: die Flächen der Leinwand, auf denen auch noch Jahrhunderte später der Pinselstrich der alten Meister zu erkennen war. Diese feinen Linien bedeuteten für ihn die wahre Ästhetik, das Erstrebenswerte in der Kunst. Über alle Zweifel erhaben, unwiderstehlich direkt und nicht weiter zu deuten, ganz und gar perfekt in ihrer Formgebung.
„[...] Die Produzenten reden gerne darüber, wie sie die Filmindustrie retten könnten. Sollte es notwendig sein, eine Sache zu retten, die auf Kreativität beruht, muss das, davon bin ich überzeugt, von den Leuten gemacht werden, die das kreative Talent besitzen – und nicht von den Kerlen hinter den dicken Eichenholzschreibtischen.“
Jules Engel, 1954
Aber Jules Engel war nicht angekommen – geographisch zwar allemal, künstlerisch sah er sich aber in einer fremden Dimension, die von einer anti-intellektuellen Meute bewohnt wurde. Sein Eindruck, was Kunst sein sollte und wie Kunst sein sollte, war vollkommen anders als der jedes anderen, den er bisher getroffen hatte. Er bat, man müsse ihm glauben, dass er nicht wisse, wo die Inspiration für seine persönliche Wahrnehmung lag – sie sei einfach da gewesen. In Budapest kam er nicht darum herum, mit seiner Mutter Sonntags durch Museen zu schlendern und Meistern wie Rembrandt und Rubens gegenüberzustehen. Noch ein Kind, malte er sich aus, wie er ein klassisches Portraitbild rahmen würde. Die unzweifelhafte Schönheit des Gesichts kümmerte ihn wenig, genauso wenig, wie die feinfühlig gemalten Hände und Finger. Sein Blick war fest auf dem, was kaum einem Betrachter Begeisterung entlocken würde: die Flächen der Leinwand, auf denen auch noch Jahrhunderte später der Pinselstrich der alten Meister zu erkennen war. Diese feinen Linien bedeuteten für ihn die wahre Ästhetik, das Erstrebenswerte in der Kunst. Über alle Zweifel erhaben, unwiderstehlich direkt und nicht weiter zu deuten, ganz und gar perfekt in ihrer Formgebung.
Ein andermal, habe er, der sich nie um Autos gekümmert hatte, einen Wagen erblickt, der urplötzlich seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Da er keine Ahnung hatte, um was für ein Fahrzeug es sich dabei handelte, bat er seine Freunde, ihm das Fabrikat zu verraten. Die eröffneten ihm, dass es ein Rolls-Royce war. Ihn faszinierte die Linienführung der Front des Wagens so sehr, dass er ab diesem Moment begann, sich für Autos zu interessieren.
Nie hatte er sich mit abstrakter Kunst auseinandergesetzt, doch er war fasziniert von dem Gedanken, das alles, was ein Mensch mit Stift oder Pinsel zu Papier oder Leinwand brachte, Kunst sein müsse. Noch mehr als das war davon überzeugt, dass Kunst nur dann voll zur Geltung kommen konnte, wenn sie eine unbestechliche Direktheit besaß. Sie musste für sich stehen, als Pinselstrich, nicht als Botschaft ihres Erschaffers. Engel war davon besessen, dass nicht die vielfältige Deutbarkeit, die Detailtreue oder -verliebtheit, sondern das Werk an sich ein Werk ausmachen sollte. Und er verbrachte sein Leben damit, herauszufinden, wie das zu erreichen war – und welch große Möglichkeiten für die Kunst bestanden, wenn man diesen Punkt erst einmal erreicht hatte.
Cel aus Jules Engels Film „Arabian Nights“ (1959)
Jules Engels künstlerische Ausbildung begann in der Schule. Zwar verstand seine Lehrerin nicht, warum Engels so viel daran fand, ständig Kompositionen aus Kreisen, Quadraten und Linien aufs Papier zu bringen, aber sie akzeptierte es und erkannte, dass er Talent besaß. So durfte er im Klassenzimmer bleiben, wenn seine Mitschüler auf Exkursion gingen, um sich in Naturstudien zu üben. Jedoch traf seine eigenwillige Ansicht von Kunst nicht überall auf Gegenliebe, beispielsweise bei der Theatergruppe – seine Mitschüler wollten sich nicht davon überzeugen lassen, dass eine Bank, ein Stuhl und ein Tisch genug Bühnenbild für ein Stück wären.
Seine Zeit bei Charles Mintz bedeutete für ihn das nackte Grauen. Nicht nur hatten die produzierten Filme in seinen Augen keinen künstlerischen Wert, auch waren die Künstler des Studios gar keine, so seine Meinung. Die Mitarbeiter von Mintz gingen vor, ohne Leidenschaft zu zeigen. Für sie war es nur ein „Job“. Jules Engel war verzweifelt ob der Gewissheit, dass er nichts daran ändern konnte, schließlich war er lediglich ein Lehrling, der als Zwischenphasenzeichner arbeitete. Als Neuling im Medium erwartete man von ihm, dass er vor allem eines anstrebte: ein vollwärtiger Trickfilmzeichner zu werden. In Anbetracht der Tatsache, dass er schlichtweg alles, was im Studio entstand, als „grausam“ und „schrecklich“ empfand, fiel ihm das schwer. Zwar fand sein Talent teilweise Anerkennung – den Nutzen dahinter erkannte jedoch niemand und er war regelmäßig dem Spott seiner Kollegen ausgesetzt – späte erzählte er, man habe ihn als „Snob“ oder „Eierkopf“ tituliert und gelernt, den Mund zu halten und seine Arbeit zu machen. Was für ihn zählte war, neben dem finanziellen Aspekt, die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen. Zu anderen Künstlern – und zu Walt Disney.
„[...] The whole place was very anti-intellectual, anti-sensetive to art, anti-art, anti-culture.“
Jules Engel über die Charles Mintz Studios
Tatsächlich lernte er Ende der 1930er Jahre zahlreiche Mitarbeiter der Walt Disney Studios kennen. Als er vom Konzept des Films Fantasia hörte, war er elektrisiert. Als er in einem Magazin ein Foto entdeckte, das herabgleitende Samen einer Pusteblume zeigte, gab er das Bild einem Freund, der an Fantasia arbeitete und bat ihn, das Motiv als Inspiration für die Produktion der Nussknacker-Suite in Erwägung zu ziehen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Engels Angewohnheit, freiwillig das Ballett zu besuchen und das Theater abgöttisch zu lieben, bereits herumgesprochen. Als die Künstler bei Disney feststellten, dass sie der Chinesische, der Russische und der Arabische Tanz vor erhebliche Probleme stellte, war es daher nicht weiter verwunderlich, dass sie sich an ihn erinnerten. Er wurde zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen und anschließend als Choreograph angestellt.
Die erste Hürde, die er zu nehmen hatte, war, seinen neuen Kollegen verständlich zu machen, was ein Choreograph im Zeichentrickfilm zu suchen hatte. Wie auch die Mitarbeiter von Charles Mintz, waren die allerwenigsten von ihnen jemals im Theater oder bei einer Tanzvorführung gewesen, keiner kannte Paul Klee oder Wassily Kandinsky oder gar die Künste eines russischen Balletts. Zwar besaßen die allermeisten ein ausgesprochenes Talent, es fehlte ihnen jedoch an zweierlei Dingen: sie besaßen einerseits keine intellektuelle Tiefe und hätten es auf der anderen Seiten niemals gewagt, Walt Disneys ausgereiftes Gestaltungskonzept in Frage zu stellen. Jules Engels Beiträge waren dahingehend eine ständige Belastung für die Nerven seiner Kollegen – es kam vor, dass seine Skizzen rasch vom Storyboard gepflückt wurden, wenn der Maestro höchstselbst vorbeischaute, aus Angst, man könnte ihn damit verärgern.
Doch es wäre falsch zu glauben, dass seine Ideen stets das Nachsehen gehabt hätten. So hatte er den Einfall, dass die Tänze vor schwarzem Hintergrund bei weitem am Besten zur Geltung kommen würden – die anderen in der Abteilung hielten ihn spätestens ab diesem Moment für komplett übergeschnappt, war es für sie doch Gesetz, feststehend wie die Schwerkraft, dass in den Hintergrund „[...] ein Baum, Gras oder sonst irgendein Zeug“ zu gehören hatte. Doch tatsächlich setzte sich Engel beim Russischen Tanz und dem Chinesischen Tanz durch, beide kommen ohne Hintergrund aus. Seiner Ansicht nach hatte das aber weniger mit plötzlicher Einsicht zu tun, als mit dem Umstand, dass Walt Disney schlichtweg kein Geld mehr hatte, um überflüssige Hintergründe entwerfen zu lassen. Auch die Choreographie der beiden Tänze stammen von Jules Engel, der zwar nicht am Design beteiligt war, seine Vorstellung von Bewegung aber schlussendlich durchsetzen konnte.
Es ist nicht einfach, zu analysieren, was Jules Engel mehr erzürnte: die Furcht seiner Mitstreiter oder der Dickkopf Walt Disneys. In den 1970er Jahren erzählte Jules Engel von einer Konferenz, auf der die Künstler, die an der Bambi arbeiteten, Walt Disney ihre Ideen vorstellten – was Engel zu zeigen hatte, gefiel Walt Disney nicht. Als nach dem Ende des Zusammentreffens ein Kollege an ihn herantrat, um ihm zu versichern, dass er eine hohe Meinung von seiner Kunst habe, bekam Jules Engel einen Wutanfall und beschimpfte ihn ob seiner Feigheit, ebendas nicht auch vor Disney selbst gesagt zu haben.
Zum Team, das an Bambi arbeitete, war Jules Engel durch Tom Codrick gekommen, den Artdirector des Films. Codrick war von Engels Arbeit an Fantasia begeistert gewesen und gehörte zu den wenigen Personen, die dieser auch aus künstlerischer Sicht respektierte. Es gab in Bambi keine Tanzszenen, das war aber auch nicht der Grund für Codricks Wunsch gewesen, mit Jules Engel zusammenzuarbeiten. Es ging ihm um die Farbe. Engel hatte Experimente mit Farbe gemacht, da er das dramatische Element von Farbgebung nutzen wollte. Er konnte nicht malen, wie die Illustratoren und Inspirational Sketch Artists von Disney, deren Konzeptzeichnungen ihn in Verlegenheit brachten. Aber ihn faszinierte der Gedanke, dass die Farbgestaltung nicht nur im Hintergrund stattfinden könnte, sondern einen Beitrag zur Erzählung und Stimmung des Films leisten könnte. Doch auch für diese Idee war Disney noch nicht bereit. Die klassischen Künstler des Studios standen ganz in der Tradition der Malerei, die auch Engels Lehrmeister Strobel praktiziert hatte. Erst Jahre später, als er bei UPA (United Productions of America) in einer Position war, in der er den kreativen Tenor selbst vorgeben konnte, war er in der Lage, seine Ideen umzusetzen. Tatsächlich musste er dann feststellen, dass Disney sich wiederum beim Design der UPA-Filme bediente, besonders deutlich ist das bei Die Musikstunde (Toot, Whistle, Plunk and Boom) zu beobachten. Zwar gaben die Verantwortlichen nie zu, dass sie von UPA kopiert hatten, Engel war sich da aber sicher. Auch in einem anderen Punkt: es war eine überaus schlechte Kopie, die seelenlos und uninspiriert war.
Ein Urteil, das Engel so oder so ähnlich meistens fällte, wenn es um die Arbeit von Walt Disney ging. Zwar bewunderte Engel Disney ob seiner klaren, gestalterischen Linie, die ihre Authentizität nie verlor, mit „Kunst“ habe das alles aber wenig zu tun gehabt. Vielmehr habe Disney versucht, das Konzept der großen Hollywoodstudios auf den Trickfilm anzuwenden – daher war Micky Maus wenig ein Objekt der Kreativität, als vielmehr Vertragsschauspieler. Der Unterschied bestand nur darin, dass Micky Maus und Donald Duck animiert waren und man nicht fürchten musste, dass sie kündigten (in Engels Augen waren die beiden Stars von Disney eine andere Version von Charlie Chaplin und Jerry Lewis – die Aussage stammte natürlich aus späterer Zeit, schließlich war Lewis zu Beginn der 1940er Jahre noch unbekannt).
Nachdem er Walt Disney 1942 verlassen hatte, wurde er zur Armee eingezogen. Er wurde Teil einer Abteilung der Streitkräfte, die sich um die Produktion propagandawirksamer Filme kümmerte. Neben Schauspielern wie Ronald Reagan, Clark Gable, DeForest Kelley (Darsteller von Dr. McCoy in Raumschiff Enterprise), gehörten dieser auch Trickfilmkollegen wie Xavier Atencio und John Hubley an. Unter anderem mit letzterem gründete er nach seinem Ausscheiden 1944 die UPA und gestaltete zahlreiche Charaktere und Kurzfilme, darunter auch Mr. Magoo. Bereits 1945 erhielt er durch die Familie Guggenheim die Chance, eine Ausstellung seiner Werke in Los Angeles zu veranstalten.
Jules Engel war angekommen. In seinen Filmen bei UPA war er endlich in der Lage, seinen Stil umzusetzen. Der Einfluss zahlreicher zeitgenössischer Künstler ist in den Werken deutlich zu erkennen, seien es die schon erwähnten Kandinsky und Klee, oder auch Raoul Dufy und Henri Matisse. 1959 gründete er mit seinem UPA-Mitstreiter Herbert Klynn die relativ kurzlebigen Format Films. In den frühen 1960er-Jahren ging er nach Paris, wo er mit seinen Filmen zahlreiche Preise gewinnen konnte. Zurück in den USA, zog er sich endgültig vom kommerziellen Trickfilm zurück und eröffnete 1970, auf Anregung des Präsidenten des California Institute of the Arts (CalArts), bis heute Kaderschmiede Disneys, den Fachbereich für experimentellen Trickfilm.
Zu seinen Schülern zählten Henry Selick, Tim Burton, John Lasseter, Glen Keane, Mark Kirkland, Andreas Deja und Stephen Hillenburg, Erfinder von SpongeBob Schwammkopf, der ihm 2004, ein Jahr nach Engels Tod, den Kinofilm des Unterwasserhelden widmete – um es kurz sagen: fast alle der führenden Trickfilmer unserer Zeit. So gelang es Jules Engel letztendlich doch, seine Kunst „an den Mann“ zu bringen. Charles Mintz zum Trotz. Walt Disney zum Trotz. Und einem Riesenhaufen Trickfilmern zum Trotz, die niemals im Theater waren.
„Er schickte seine Schüler in den Sommer, mit nicht mehr, als einem inspirierenden Buch, sei es von Cezanne, sei es von Mattise. Und er war so stolz, dass es ihnen gelang, zu den führenden Künstlern des zeitgenössischen Trickfilms zu werden.“
Steven Lavine, Präsident von CalArts
Nachdem er Walt Disney 1942 verlassen hatte, wurde er zur Armee eingezogen. Er wurde Teil einer Abteilung der Streitkräfte, die sich um die Produktion propagandawirksamer Filme kümmerte. Neben Schauspielern wie Ronald Reagan, Clark Gable, DeForest Kelley (Darsteller von Dr. McCoy in Raumschiff Enterprise), gehörten dieser auch Trickfilmkollegen wie Xavier Atencio und John Hubley an. Unter anderem mit letzterem gründete er nach seinem Ausscheiden 1944 die UPA und gestaltete zahlreiche Charaktere und Kurzfilme, darunter auch Mr. Magoo. Bereits 1945 erhielt er durch die Familie Guggenheim die Chance, eine Ausstellung seiner Werke in Los Angeles zu veranstalten.
Jules Engel war angekommen. In seinen Filmen bei UPA war er endlich in der Lage, seinen Stil umzusetzen. Der Einfluss zahlreicher zeitgenössischer Künstler ist in den Werken deutlich zu erkennen, seien es die schon erwähnten Kandinsky und Klee, oder auch Raoul Dufy und Henri Matisse. 1959 gründete er mit seinem UPA-Mitstreiter Herbert Klynn die relativ kurzlebigen Format Films. In den frühen 1960er-Jahren ging er nach Paris, wo er mit seinen Filmen zahlreiche Preise gewinnen konnte. Zurück in den USA, zog er sich endgültig vom kommerziellen Trickfilm zurück und eröffnete 1970, auf Anregung des Präsidenten des California Institute of the Arts (CalArts), bis heute Kaderschmiede Disneys, den Fachbereich für experimentellen Trickfilm.
Zu seinen Schülern zählten Henry Selick, Tim Burton, John Lasseter, Glen Keane, Mark Kirkland, Andreas Deja und Stephen Hillenburg, Erfinder von SpongeBob Schwammkopf, der ihm 2004, ein Jahr nach Engels Tod, den Kinofilm des Unterwasserhelden widmete – um es kurz sagen: fast alle der führenden Trickfilmer unserer Zeit. So gelang es Jules Engel letztendlich doch, seine Kunst „an den Mann“ zu bringen. Charles Mintz zum Trotz. Walt Disney zum Trotz. Und einem Riesenhaufen Trickfilmern zum Trotz, die niemals im Theater waren.
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