Im fünften Teil dieser Reihe geht es um einen Cartoon, der Donald von der damaligen Filmlandschaft beeinflusst durch einen albtraumhaften inneren Konflikt jagt: Donald's Crime aus dem Jahre 1945.
Das Original-Kinoplakat zum am 29. Juni 1945 uraufgeführten Cartoon
Nachdem seine Dienste als patriotisches Sprachrohr nicht mehr gebraucht wurden, hätte für Donald Duck wieder der Cartoon-Alltag der Vorkriegszeit anbrechen können. Zumindest in der Theorie. Praktisch hingegen bedeutete das Ende der Kriegscartoons auch das Ende einer anderen Ära in Donalds Filmografie: Nachdem er sich an den "Soldat Donald"-Cartoons beteiligte und zusammen mit Jack Hannah den Comic Donald Duck Finds Pirate Gold umsetzte, verließ Carl Barks die Disney-Studios. Die Gründe für seine Kündigung waren allesamt dem Klima geschuldet: Einerseits soll Carl Barks mit dem Arbeitsklima in den vom Militär besetzten Studios nicht zurecht gekommen sein, andererseits machtem dem Allergiker die Klimaanlagen in den Studioräumen schwer zu schaffen.
Obwohl Barks bereits 1942 von dannen zog, woraufhin er Donalds Ruhm und Humor in einem anderen Medium festigte, konnte die Cartoon-Produktion noch eine gewisse Zeit von seinen Ideen zehren. Mit Home Defense und The Old Army Game schafften es zwei von Barks mitverfasste Kriegscartoons erst 1943 ins Kino, und danach holte man mit The Plastics Inventor sowie Trombone Trouble zwei Barks-Konzepte aus der Schublade, die keine militärische Thematik aufwiesen. Diese wurden 1944 veröffentlicht, und somit war Schluss mit Kurzfilmen vom Autoren-Duo Barks/Hannah, die Jack King als Regisseur leitete. Auch Hannah blieb dem Erpel nicht als Autor erhalten. Stattdessen stieg er zum Regisseur auf und leitete parallel zu King einen Großteil der Donald-Cartoons.
Die frühere Cartoon-Produktion stellt man sich heutzutage rückblickend wohl häufig als Fließbandarbeit vor. Angesichts solcher Zahlen, wie Ub Iwerks' legendären 700 Zeichnungen am Tag auch kein Wunder. Trotzdem flossen zweifelsohne auch kreative Säfte in die kurzen Gagfilme, was sich beispielsweise daran abzeichnet, welchen Wandel die Donald-Duck-Reihe nach der Auflösung ihres Haupt-Autorenteams durchmachte. Eigentlich stünde zu erwarten, dass die Formel von Barks/Hannah einfach stur kopiert würde. Dem war aber nicht so: Das "Donald gegen seine Neffen"-Schema, wie es Barks/Hannah/King prägten, wurde vorerst bei Seite gelegt, und auch die Cartoons, in denen Donald an kleine Alltagstücken gerät, waren nicht mehr so, wie früher. Unglaublich, aber wahr: Mit dem Verlust der wichtigsten Duck-Autoren suchte man eine neue kreative Stimme für Donald.
Donald blieb sich charakterlich zwar seinem alten Vorkriegs-Ich treu, die Suche nach neuen Kernkonzepten ist den Filmen der Jahre 1945 bis 1947 trotzdem deutlich anzumerken. So wurde Donald wieder sporadisch mit Goofy in ein und das selbe Boot gesetzt (in No Sail sogar wortwörtlich) und darüber hinaus wurde Daisy aus ihrem 1941 begonnen Habitus zurückgeholt. Allerdings fand man auch in ihren Cartoon-Auftritten eine neue Stimme. Was erneut wortwörtlich zu verstehen ist.
Ursprünglich war Daisy nichts anderes, als Donald mit einem anderen Kleidungsstil und Wimpern. Sie wurde von Clarence Nash mit praktisch der gleichen Stimme gesprochen wie der matrosenbejackte Erpel, was sich jedoch bei Daisys Comeback änderte. In Donald's Crime wurde sie erstmals von Gloria Blondell gesprochen, die Daisy eine angenehme, ja sogar leicht verführerische Frauenstimme verlieh.
Gloria Blondell sprach Daisy in insgesamt sechs Cartoons (Bildquelle: Fanpix.net)
Die Handlung von Donald's Crime ist folgende: Donalds Vorfreude auf das in wenigen Minuten anstehende Rendez-vous mit Daisy erfährt einen gewaltigen Dämpfer, als er bemerkt, dass er vollkommen blank ist. Kaum sind seine Neffen im Bett, demoliert Donald deswegen mit schwerem Geschütz und anfangs rebellierendem Gewissen das Sparschwein von Tick, Trick und Track.Mit dem Erspartem der Drillinge (insgesamt 1,25$) gönnt sich Donald einen ausgelassenen Abend in einem Tanzlokal.
Als er Daisy nach Hause begleitet und als echt toller Kerl, als ein big shot, angeschwärmt wird und sich einen inniglichen Kuss abholen konnte, fühlt sich Donald wie auf Wolken. Er sieht sich selbst als ein waschechter Playboy - doch dann macht ihm seine innere Stimme einen Strich durch die Rechung. Er sei in Wahrheit ein Schwindler, Betrüger, Räuber. Donalds beißendes Gewissen treibt Donald in eine albtraumhafte Paranoia, die ihn davon überzeugt, dass die Polente hinter ihm her ist ...
Donald's Crime ist eine Antwort auf das in den 40er-Jahren immens populäre Genre von rauen Kriminalfilmen, welche später als "Film noir" bekannt werden sollten. Sobald Donalds schlechtes Gewissen überhand nimmt, persifliert Regisseur Jack King einige der markanten Erkennungsmerkmale des Film noirs: Ein kerniger, sarkastischer Erzähler redet auf den "Verbrecher" Donald ein und setzt ihm unter anderen den Gedanken in den Kopf, dass die Polizei die Bluthunde auf ihn losließ und Donalds einzige Fluchtmöglichkeit vom Dach eines Hochhauses der wagemutige Sprung ins Bodenlose sei. Auch die Kleidung, in der sich Donald selbst sieht, ist an die Gangster des unglamourösen Film noir angelehnt: Ein schlapper Hut, ein dunkler Trenchcoat und natürlich ein Zigarettenstummel im Mundwinkel.
Zwei der zahlreichen, expressionistischen Hintergrundbilder dieses Cartoons
Besondere Erwähnung verdienen in diesem Zusammenhang die Hintergründe, die Layout-Künstler Ernie Nordli und Hintergrundmaler Merle Cox entwarfen. Nordlie, zunächst an Dumbo und dem Tanz der Stunden-Segment von Fantasia beteiligt und daraufhin für einige Jahre an den Donald-Cartoons beteiligt, und der Schneewittchen- sowie Bambi-erfahrene Cox orientierten sich sehr stark an der Ästhetik des deutschen Expressionismus, der mit seiner surrealistischen, schiefen Architektur und dem intensiven Schattenspiel das visuelle Vorbild für die Bildsprache des Film noir war. Neben schier unmöglichen Treppenhäusern, die deutschen Horrorklassikern wie Das Cabinet des Dr. Caligari (1920) oder Nosferatu (1922) entsprungen sein könnten, verpassten sie Donalds schuldbelasteter Wahnvorstellung auch trostlose, heruntergekommene Gassen, die in tiefschwarzen Schatten versinken.
Cox und Nordli waren beide zuvor an Donalds abendfüllenden Kinoausflügen Saludos Amigos und Drei Caballeros beteiligt, ebenso wie der für das Schreiben der Geschichte herausgestellte Ralph Wright und der Komponist dieses Cartoons. Dahingehend ist Donald's Crime eine kleine Rarität: Üblicherweise schrieb Oliver Wallace die Begleitmusik zu den Donald-Kurzfilmen, doch in diesem Fall verfasste sie Edward H. Plumb. Plumb, der gemeinsam mit Frank Churchill den Bambi-Score komponierte, verlieh Donald's Crime neben dramatischen, den Klang des Film noir ironisch nachahmenden Melodien auch eine heiße Swing-Nummer, die während Donalds und Daisys Besuch im Nachtclub läuft (denn jeder Film noir braucht einen Abstecher in eine Swingbar) und die beiden Enten eine kesse Sohle aufs Parkett legen lässt. Für ein solches Stück qualifizierte sich Plumb zweifelsohne durch seine Beteiligung an Drei Caballeros, für die er eine Oscar-Nominierung erhielt.
Bei den am 7. März 1946 verliehenen, 18. Academy Awards wurde Drei Caballeros darüber hinaus für den besten Ton nominiert. Somit fielen sämtliche der drei Oscar-Nominierungen, die damals an das Disney-Studio gingen, in die Hände des nun nach einem neuen Stammkonzept suchenden Wüterichs. In der Kategorie für den besten animierten Kurzfilm trat Donald's Crime gegen sechs Cartoons an.
Als Gewinner ging Quiet Please! aus der Oscar-Nacht hervor. Es war der dritte Sieg für einen Tom & Jerry-Cartoon (obendrein der dritte in Folge), eine nunmehr 22 Filme umfassende Cartoonreihe, deren Popularität Disney nunmehr kaum verleugnen konnte. Ebenfalls nominiert wurde Mighty Mouse in Gypsy Life aus dem Haus Terrytoons - es war die erste und letzte Nominierung für die aus dem Nagetierreich stammende Superman-Parodie.
Und eine weitere bekannte Trickfigur erhielt ihre erste Oscar-Nominierung: Fritz Frelengs Life with Feathers markierte das Debüt des zu dieser Zeit noch namenlosen Kater Sylvester, der in diesem Cartoon jedoch noch nicht seinem Lebensziel nachjagt, den Vogel Tweety zu verspeisen. Stattdessen bittet in Life with Feathers ein liebeskranker Vogel Sylvester darum, ihn doch aufzufressen und ihn so von seinem Leid zu erlösen. Sylvester misstraut dem Vogel allerdings, und so dreht sich der Cartoon darum, wie der Vogel versucht, den Kater dazu zu bringen, ihn doch noch aufzufuttern.
Des Weiteren wurden mit George Pals Jasper and the Beanstalk eine Neuerzählung von Hans und die Bohnenranke, Bob Wickershams Rippling Romance und The Poet and Peasant nominiert. Letzterer entstand unter der Regie des früheren Donald-Zeichners Dick Lundy und ist eindeutig von Mickys erstem Farbauftritt The Band Concert inspiriert: Andy Panda spielt für ein Orchester von Farmtieren Dirigent, wird aber von einem vorlauten Eichhörnchen aus dem Konzept gebracht. Rippling Romance wiederum ist Teil der Cartoonserie Color Rhapsodies, Charles Mintz' Versuch, für Columbia Pictures den Erfolg der disney'schen Silly Symphonies zu wiederholen.
Während also Disneys Vorbildfunktion in der Trickfilmkunst weiterhin spürbar war, so zeigt sich am wiederholten Oscar-Erfolg von Tom & Jerry und der sich langsam abzeichnenden Welle ähnlich gearteter Cartoons aus anderen Studios, dass sich der populäre Cartoon wieder stärker in Richtung comichafter Gewalt verschieben sollte ...
Donald schleicht in einer Storyboardzeichnung durch die Gassen, als sei er ein Staatsfeind
Wie bereits angerissen, ist Donald's Crime ein einmaliges Projekt innerhalb Donalds-Cartoonreihe – ohne Stammkonzept und vom Erfolg der Film noirs beeinflusst entstand ein Kurzfilm, der ausnahmsweise keinen wütenden oder zunehmend frustrierten, vom Pech verfolgten Donald zeigt. Dennoch ist der Film komplett "in character". Welcher andere Disney-Held würde für eine Nacht oberflächlichen Vergnügens das hart ersparte Geld dreier Kinder stehlen? Und wem sonst würde man es nicht übel nehmen? Natürlich helfen auch die auf Donald einredende Stimme des Gewissens, dass der Zuschauer in diesem Cartoon, wie auch in den anderen Top-Kurzfilmen mit dem Enterich, gleichermaßen Schadenfreude, als auch Mitgefühl empfinden kann. Man gönnt es Donald, dass er versucht, vor seinem schlechten Gewissen weglaufen will, zugleich ist seine so ausdrucksstarke Mimik und die Bosheit seiner Tat genug, um auch über seine lächerliche Flucht vor der imaginären Polizei lachen zu können.
Dass Donald die emotional am stärksten und überzeugendsten schwankende Disney-Cartoonfigur ist, nutzt das Autoren- und Zeichner-Team in diesem Cartoon obendrein, um die stärksten Emotionen hier auch durch visuelle Transformationen zu unterstreichen: Als Donald scheinheilig seinen Neffen gute Nacht wünscht, fühlt er sich selbst so mies, dass er sich als Stinktier sieht, und als er sich in der Falle angelangt sieht, verwandelt sich seine Kleidung in eine Sträflingsgarnitur. Alles mit optimalem Timing - was zusammen mit dem gelungenen Einsatz des Off-Sprechers und den superben Hintergründen die Oscar-Nominierung leicht nachvollziehbar macht.
Donald's Crime sollte nicht die letzte Disney-Parodie des Film noirs sein, die während der Blütezeit des Genres in die Kinos kam: 1952 folgte nach diesem sehr donaldhaften Ansatz mit How to be a Detective eine urtypische Goofy-Interpretation des Themas. Donald wiederum kehrte dem Film noir mehr oder weniger den Rücken. Ein paar Kleinigkeiten zog der Cartoon trotzdem nach sich - das Poster zu Donald's Crime diente 1993 als eines der Motive für eine Briefmarken-Serie mit Donald-Postern in Guyana. Und wie einige andere Cartoons erhielt auch Donald's Crime im Vorfeld des Kinostarts eine Comicadaption in Form eines einseitigen Zeitungsstrips von Al Taliaferro.
Die Academy of Motion Picture Arts & Sciences hielt den Cartoon übrigens warm in Erinnerung: 2010 war er Teil einer großen Film-noir-Retrospektive, in der er als Vorfilm zu The Blue Dahlia lief.
In jüngeren Jahren wurde Donald's Crime im Fernsehen und bei einigen Veröffentlichungen für den Heimkinomarkt geschnitten: Eine kurze Szene, in der Trick, Trick und Track mit Spielzeugpistolen fiel der Schere genauso zum Opfer, wie Donalds imaginäre Raucherei. Die dicke Zigarre, die im edlen Zigarettenhalter platzierte Dosis Tabak und der erwähnte Zigarettenstummel, die allesamt Donalds changierendes Befinden untermalen, könnten Kinder ja offenbar zur Nachahmung verleiten. Was wohl ebenso unerwünscht ist, wie die Idee, dass Kinder Spielzeugpistolen verwenden.
In Deutschland fiel Donald's Crime sogar, zusammen mit Commando Duck und Der Fuehrer's Face, aus der hiesigen Veröffentlichung der an erwachsene Sammler gerichteten Walt Disney Kostbarkeiten-Reihe heraus. Während bei Der Fuehrer's Face gewisse Reservationen hierzulande wenigstens erklärbar sind, entfernte man Donald's Crime aus der DVD-Veröffentlichung, da er eine FSK-Freigabe ab 6 Jahren erhalten habe. Mit Micky Maus in Schwarz-Weiß folgte später ein Teil der Kostbarkeiten-Kollektion mit dem vermeintlich verpöhnten, gelben FSK-Siegel. Und um weiter Öl ins Feuer zu gießen: Vom fehlenden Abspann abgesehen war Donald's Crime komplett ungeschnitten Teil der 2000 auf Videokasette veröffentlichten Cartoon-Sammlung Tick, Trick und Tracks größte Hits. Welche ohne Altersbeschränkung freigegeben wurde. Wer auf Import und Videokassetten verzichten möchte, findet den Cartoon zumindest in unbehelligter Form auf der Basil, der große Mäusedetektiv-DVD.
Bei der Suche nach einem neuen Stammkonzept für Donald war Donald's Crime keine Hilfe. Auf Donalds nächstem Oscar-Film wiederum gründete ein neues Subgenre an Kurzfilmen mit dem cholerischen Disney-Star. Genau davon handelt unser nächstes Entengold ...
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