Der sechste Artikel dieser Serie widmet sich einem Künstler, dessen Leben eine eigenwillige Komposition war und in der Tragödie endete: Frank Churchill
(v. l., Quelle Bildausschnitt: Michael Barrier, David Johnson)
Wer sonst, als ein Pianist, der sein Handwerk in dreckigen Kneipen perfektionierte, wäre in der Lage gewesen, die Filme eines Mannes mit Musik zu untermalen, der sich einen ersten Ruf erwarb, weil er im 1. Weltkrieg Ausrüstung des Roten Kreuzes verunstaltet hatte. Kein studierter Komponist, wie Leigh Harline, Paul Smith oder Oliver Wallace, kein populärer Liedermacher wie Ned Washington, sondern ein Kerl von der Straße, der vor einem Medizinstudium nach Tijuana in Mexiko geflohen war, dessen Beliebtheit bei Touristen aus dem nahen Kalifornien bis heute auf eine schier unerschöpflichen Quelle an Bars und Bordellen zurückzuführen ist. Er setzte sich ein Klavier und brauchte nur fünf Minuten, um Musikgeschichte zu schreiben. Und war ein Mensch, der nicht immer angenehm, aber absolut beständig und zielgerichtet war – sei es familiär, als Komponist und im Dialog mit anderen. Frank Churchill, der 1942, für alle unerwartet keine andere Lösung sah, als Suizid zu begehen, prägte den musikalischen Stil der Walt Disney Studios wie kaum ein anderer – bis heute.
(v. l., Quelle: Disney)
Frank Edwin Churchill wurde am 20. Oktober 1901 in Rumford, Maine, geboren. Als er vier Jahre alt war, zog seine Familie vom äußersten Nordosten der Vereinigten Staaten nach Südkalifornien. Bereits als Kind liebte er Musik, besonders die Franz Schuberts. Mit 15 Jahren begann er, in Kinos am Klavier zu sitzen und die Vorstellungen zu begleiten, um auf diese Weise etwas hinzuzuverdienen. In den seltensten Fällen handelte es sich bei der musikalischen Untermalung von Stummfilmen um echte Filmmusik, vielmehr bediente man sich aus einem breiten Repertoire aus klassischer und Populärmusik. Hatten die Kinogänger Glück, verstand es der Pianist, wenigstens in gewissem Maße die Stimmung des Films einzufangen.
Dem Wunsch seiner Eltern folgend, die einer musikalischen Zukunft keinen langfristigen Erfolg zutrauten, begann er Vorkurse in Medizin an der University of California zu besuchen. Es dauerte nicht lange, bevor er dies aufgab, um sich wieder voll der Musik zu widmen. Allerdings nicht in Form eines Studiums. Stattdessen ließ er sich als Pianist in verschiedenen Spelunken im mexikanischen Tijuana anheuern, bevor er zurück in die Vereinigten Staaten ging, um in Tucson, Arizona, Teil eines Orchesters zu werden. Einen großen Schritt für seine Karriere bedeutete sein Umzug nach Hollywood im Jahr 1924. Dort gelang es ihm, sich gegen die zahlreiche Konkurrenz durchzusetzen und eine Anstellung als Klavierbegleiter und Solist für die erst wenige Jahre zuvor gegründete Radiostation KNX zu erringen. In den Folgejahren wurde der Sender zum Flaggschiff von CBS an der Westküste. Zu diesem Zeitpunkt war Churchill bereits zu RKO Pictures gewechselt, wo er bis Ende des Jahres 1930 blieb.
Wie Frank Churchill in Ventura, war auch Carl Stalling bereits in seiner frühen Jugend im lokalen Kino als Klavierspieler aufgetreten. Stalling war es auch, der mit seinem Weggang von Disney im Frühjahr 1930 eine große Lücke hinterlassen hatte. In nur etwas mehr als einem Jahr hatte der „Vater der Disney-Musik“ große Veränderungen angestoßen, bevor er überraschend Ub Iwerks folgte, als dieser sich entschloss, ein eigenes Studio zu eröffnen. Churchill stand ab Dezember 1930 vor der Aufgabe, die Silly Symphonies musikalisch zu beerben, ab 1932 mit dem kongenialen Leigh Harline an seiner Seite. Dem intuitiven Churchill gelang die Aufgabe mit Bravour. Gerade seine langjährige Erfahrung in Etablissements verschiedenster Art – immerhin konnte er vor seiner Anstellung bei Disney bereits auf eine fünfzehnjährige Karriere zurückblicken –, in denen er vielfältige Programme spielte und lernte, die Stimmung des Publikums zu erkennen, erleichterten ihm das Erfüllen der neuen Aufgaben. Im Gegensatz zu vielen Kollegen, die dank einer universitären Ausbildung zwar komponieren konnten, ohne dabei auch nur an ein Instrument zu denken, denen aber oft die Nähe zur praktischen Umsetzung fehlte, wenn gefragt war, in der Musik auf Simplizität zu setzen. Churchill hingegen setzte sich an ein Klavier, dachte an einen klassischen Song und klimperte Alternativen dazu in die Tasten. Ihm wurde nachgesagt, er sei „geübt darin [gewesen], für Lieder einprägsame Notenfolgen zu entwickeln“.
(v. l., Quelle: Michael Sporn, aus: „Filmguide’s Handbook to Cartoon Production“ von Harold Turney, ca. 1940)
Ein Musterbeispiel für Frank Churchills Arbeit ist Who's Afraid of the Big Bad Wolf?, das er, nach eigener Aussage, in nur fünf Minuten geschrieben hatte und 1933 in Die drei kleinen Schweinchen Verwendung fand. Die Komposition lehnt sich in gewissen Teilen an Happy Birtdhay to You an, die erste Textfassung lieferte der Kopf des Story Department, Ted Sears. Es handelt sich dabei auch um ein Musterbeispiel für Churchills überaus exzentrischen Charakter, der von einer Extreme in die andere Sprang. In diesem Fall schafften es neun Worte, einen Satz ergebend, Disneys Haus- und Hofkomponisten völlig aus der Fassung und in absolute Rage zu bringen. Walt Disney erinnerte sich noch zwanzig Jahre später sehr lebhaft daran, wie Frank Churchill ihn deswegen in Grund und Boden geschrien hatte und, auf die Sache angesprochen, noch Jahre später nicht im Ansatz an Versöhnung mit dem Geschehenen dachte.
Alles nahm seinen Anfang, weil Sol Bourne es gewagt hatte, über ein Notenblatt „Words and Music by Frank E. Churchill and Ann Ronell“ zu drucken. Bourne hatte zusammen mit Max Winslow und Irving Berlin (Komponist von White Christmas, der erfolgreichsten Single der Musikgeschichte) einen bis heute bestehenden Verlag für Notenblätter gegründet und eine langjährige Zusammenarbeit mit Walt Disney beschlossen, die das gesamte Golden Age Bestand hatte. Ursprünglich war nicht geplant gewesen, das Lied irgendwie zu vermarkten, da man dachte, es gäbe kein Interesse an Musik aus einem Cartoon. Auch als sich abzeichnete, dass Die drei kleinen Schweinchen ein überwältigender Erfolg sein würden, zog niemand eine Veröffentlichung der Musik in Betracht. Als der Film schon mehrere Monate im Kino lief, sah ihn die Liedermacherin Ann Ronell zum ersten Mal an. Sie war begeistert und bat, den Text zu erweitern und die Musik neu zusammenstellen zu dürfen – und traf auf Ablehnung, weil der Gedanke, ausgerechnet in einen kurzweiligen Song aus einem Zeichentrickfilm zu investieren, weiterhin als absurd galt. Nach viel Überzeugungsarbeit und weil sich zeigte, dass das Lied auch ohne eine gesonderte Veröffentlichung auf den Straßen gepfiffen wurde, nahm man Ronells Angebot schließlich wahr.
Who's Afraid of the Big Bad Wolf? wurde zu einem unbeschreiblichen Erfolg. Die Radiostationen spielten den Song rauf und runter und die Notenblätter wurden zu einem Bestseller. Alleine in New York City wurden innerhalb der ersten drei Tage fast 40.000 von ihnen verkauft. Das Lied wurde zum Soundtrack eines neuen, aus der großen Wirtschaftskrise auferstehenden Amerikas. Es transportierte ausgesprochene Fröhlichkeit und genau die Klugheit, die die Bürger der Vereinigten Staaten in ihren Führungskräften vermissten. Mit dem Erfolg kamen Ruhm und (mehr oder weniger) Reichtum über Ann Ronell, Bourne Music und die Disney-Studios – und damit ausreichend Potential für Auseinandersetzungen. Sol Bourne hielt sich zurück, standen doch die Chancen gut, dass er nun auch die kommenden Jahre reichlich an Walt Disneys Musik mitverdienen würde. Walt Disney selbst bekam den größten Teil des Kuchens und war damit offensichtlich zufrieden. Ronell flogen die Herzen zu – nach der Komposition Willow Weep for Me, die sich ab 1932 zu einem großen Erfolg entwickelt hatte, hatte sie erneut einen Kassenschlager erschaffen. Es gab nur einen, der tobte, als ihm ein Notendruck des Lieds in die Hände fiel: Frank Churchill.
Was folgte, beschrieb Walt Disney später so: „Nun, Unterhaltung konnte man es nicht nennen; es war verdammt nahe an einer Katastrophe [...]“. Die Ursache lag in der Formulierung der Urheberschaft des Liedes auf den Notenblättern, die auf eine gleichberechtigte Leistung beider Musiker hindeutete. Das wiederum sah Churchill ganz anders. Seiner Meinung nach hatte Ronell lediglich sein Werk genommen, ein paar Zeilen dazugeschmiert und anschließend die Lorbeeren eingeheimst. Aus Furcht vor einer weiteren Attacke Churchills veranlasste Walt Disney sofort, dass der Text geändert werden müsse. Die zuvor verwendete Version kam aus der Feder des Verlags und war keine Vorgabe Disneys, Ronells oder gar Churchills gewesen. Bourne beeilte sich, Disneys Wunsch umzusetzen und druckte auf die nächste Auflage Churchill als alleinigen Schöpfer, mit dem Zusatz „additional Lyrics by Ann Ronell“. Die Bedeutung, die das Lied für Churchills späteren Ruhm hatte, lässt sich aus dem Titel des Nachrufs ableiten, den die Los Angeles Times ihm widmete: „Big Bad Wolf Creator Suicide“.
Üblicherweise findet sich an dieser Stelle nicht das Ende einer Geschichte, sondern die wahre Eskalation. Nachdem Churchill und Ronell Erwähnung auf den Noten gefunden und somit einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt hatten, regte sich Protest bei Walt Disneys übriger Belegschaft. Die Wut Churchills war keinem verborgen geblieben und es stand die Frage im Raum, weshalb nur Komponisten das Recht haben sollten, für ihre Leistungen besonders herausgestellt zu werden. Bis dato waren Credits in Disneys Produktionen äußerst rar gesät, was zwei Gründe hatte. Einerseits wollte Walt Disney seinen Namen in das Gedächtnis der Zuschauer einbrennen, um so eine Marke mit hohem Wiedererkennungswert zu erschaffen. Es war aber auch seine ehrliche Überzeugung, dass es sich bei den Produktionen um Gesamtkunstwerke handelte, die großartige Arbeit aller Beteiligter der Walt Disney Studios beinhaltete. Durch die Erwähnung der einzelnen Künstler wären zwangsweise einige zu kurz gekommen, gänzlich außenvorgeblieben oder übervorteilt worden. Dass nun eine studioexterne Person, noch dazu eine Frau, die, nach Churchills Version, welche sich natürlich wie ein Lauffeuer verbreitete, nur ein paar Zeilen verfasst hatte, ihren Namen unter den Disneys drucken durfte, sorgte für Wut unter den Mitarbeitern, die ihrerseits um jede Erwähnung kämpfen mussten. In der Folge kam Walt Disney auf seine Angestellten zu und erweiterte den Umfang der Genannten in den Credits seiner Filme.
Damit war das Thema vorerst ausgestanden. Who's Afraid of the Big Bad Wolf blieb ein vielfach verwendeter Klassiker, Ann Ronells Arbeitskraft wurde stetig nachgefragt und Frank Churchill die Aufgabe übertragen, die Filmmusik zu Schneewittchen und die sieben Zwerge zu komponieren. Ronell begann, freiberuflich für Disney zu arbeiten und schrieb im Verlauf der 1930er Jahre mehrere Liedtexte. Auch wenn Churchill sich weigerte, seine Meinung im Urheberstreit zu überdenken, war Ronell ihm dennoch dankbar und bewirkte, dass er Mitglied der ASCAP wurde. Mit Churchills Tod im Frühling 1942 schien die Grundlage für weitere Auseinandersetzungen genommen. Doch 1955 zeigte sich, das dem nicht so war, als Ann Ronell Walt Disney verklagte und versuchte, eine hohe Schadensersatzsumme vor Gericht zu erstreiten. Sie fühlte sich um ihr Ansehen betrogen, da Disney ihrer Ansicht nach systematisch versucht hatte, sie in den Jahren zuvor aus der „Schöpfungsgeschichte“ von Who's Afraid of the Big Bad Wolf? zu verbannen. Das Fass zum Überlaufen brachte 1954 eine Fernsehsendung, in der Walt Disney auftrat und eine nachgestellte Version der Erschaffung des Songs vorstellte. Zu sehen waren in dem kurzen Einspieler, neben Walt Disney selbst, unter anderem auch Ted Sears und Frank Thomas, letzterer stellte die Rolle des bereits verstorbenen Churchill dar. Es wurde gezeigt, wie Walt Disney und seine Mitstreiter, von zahlreichen Geistesblitzen erleuchtet, binnen kurzer Zeit Musik und Text des Lieds zu Papier bringen – von Ann Ronells Rolle war natürlich keine Rede. Letztere war zwar nicht unter den Zuschauern der Sendung, wurde aber von Freunden, die ihre Version der Geschichte kannten, darauf hingewiesen und war entsetzt von der Dreistigkeit des Studiogründers.
Zu dieser Zeit hatte Ronell den Höhepunkt ihrer Karriere bereits überschritten und klagte vor Gericht um die Zahlung von Einnahmen, die sie erzielt hätte, wäre ihr Name im Zusammenhang mit dem erfolgreichen Lied öfter gefallen. Dabei ging es ihr einerseits darum, eine angemessene finanzielle Erstattung für das ihr entgangene Ansehen zu erhalten, andererseits verlangte sie Schmerzensgeld für die psychischen Qualen, die sie durch die Auseinandersetzung hatte ausstehen müssen. Desweiteren stritt sie um Geld für die ihr genommene musikalische Leistung und entstandene Lücke in der eigenen Biographie. Ein weiterer Punkt in den Forderungen lag im Ausgleich für Aufträge, die sie erhalten hätte, wäre ihre Urheberschaft angemessen genannt worden und dadurch ihre Bekanntheit gestiegen. Das galt nicht nur für potentielle Aufträge aus der Vergangenheit, sondern auch für alle zukünftigen. Insgesamt beliefen sich die Forderungen auf 90.000 US-Dollar. Am Ende des Rechtsstreits unterlag sie in jedem einzelnen Punkt – der Richter war nicht der Meinung, dass Walt Disney ihr in irgendeiner Weise Unrecht angetan hätte.
(Quelle: Vintage Disney Collectibles)
Mit dem Beginn der Arbeiten an Schneewittchen und die sieben Zwerge stand Frank Churchill vor der Aufgabe, zahlreiche Lieder zu schreiben und einen Soundtrack zu erschaffen, der zwar die Tradition des Studios verfolgen, aber eine ganz neue Qualität aufzeigen sollte. Seine großes musikalisches Gefühl zeigte sich erneut in Liedern, ersonnen am Klavier, die in kurzer Zeit ihren Weg in die Herzen der Zuschauer fanden und auch denen ein Begriff sind, die mit den Filmen Walt Disney allenfalls in ihrer Kindheit in Berührung kamen: Whistle While You Work, Someday My Prince Will Come und natürlich Heigh-Ho. Weiterhin waren seine Kompositionen von Einfachheit geprägt und an Eindringlichkeit kaum zu überbieten. Dieses Mal musste niemand überzeugt werden, um die Musik Churchills zu veröffentlichen: Schneewittchen und die sieben Zwerge wurde der erste Spielfilm, dessen Soundtrack auf Schallplatte veröffentlicht wurde. Seine Arbeit wurde mit einer Oscar-Nominierung belohnt. Wie auch Fred Moore war Frank Churchill durch Die drei kleinen Schweinchen zur großen Hoffnung geworden und hatte alle Erwartungen mit seiner Arbeit an Walt Disneys erstem abendfüllenden Meisterwerk noch übertroffen. War Fred Moore im Anschluss die Aufgabe anvertraut worden, Micky Maus' Gestalt grandios zu modernisieren, wurde Frank Churchill offiziell zum Supervisor of Music ernannt und gab damit in jedem Sinne den Ton an.
Zusammen mit Oliver Wallace schuf er die musikalische Untermalung für Dumbo und erhielt dafür den Oscar und eine weitere Nominierung für Babe Mine. Zusammen mit Edward Plumb entwickelte er die Kompositionen für Bambi und war, wie auch für den Soundtrack selbst, mit dem Lied Love is a Song erneut Anwärter auf eine der Goldstatuen. Wie bei Fred Moore trübten die oberflächlichen Erfolge Churchills Seelenzustand und wie bei Moore, verlor sich Frank Churchill zeitweise im Alkoholismus, wenn man der Aussage seiner Tochter aus erster Ehe glauben darf. Zu dieser Zeit wurde Frank Churchill noch verschlossener, als zuvor. Trotz seiner gelegentlichen Wutanfällen musste man ihn als schüchternen Menschen bezeichnen, der sich in erster Linie über seine Musik und die daraus hervorgehende Anerkennung identifizierte.
Auch familiär hatte Frank Churchill Höhen und Tiefen erlebt. Er hatte bereits jung geheiratet, war jung Vater und ebenso jung wieder geschieden geworden. Seine zweite Ehe beging er mit einer Dame, die in vielen Dingen gegenteilig zu ihrem Ehemann war. Carolyn Kay Shafer wurde 1905 als Tochter deutsch-irischer Eltern geboren und zog 1929, zusammen mit einem Großteil ihrer Familie, von Indiana nach Kalifornien, nachdem sich der Ehemann ihrer Schwester Rosine das Leben genommen hatte (Rosine heiratete später erneut – Frank Baum jr., Sohn des Autors von Der Zauberer von Oz). Dort wurde sie 1930 die Sekretärin von Walt Disney und war zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit rund um die Silly Symphonies und Micky-Maus-Cartoons, empfing und beantwortete Fanpost und wurde als „weltweit einzige Sekretärin einer Maus“ bezeichnet. Zudem ist davon auszugehen, dass sie es war, die viele der Autogramme schrieb, die von Walt Disney aus der Zeit zwischen 1930 und 1934 erhalten sind. Ihre exzentrische Art als handtaschenverrückte Lebefrau, der die Männer und eine Maus zu Füßen lagen, machten sie in Los Angeles bekannt. Während ihrer Arbeit im Studio traf sie Frank Churchill, das Paar heiratete am 10. Juni 1933. Kurz darauf verließ sie die Walt Disney Studios. Sie brachten es zu Wohlstand und erwarben die Paradise Ranch in den Weiten Kaliforniens, um Abstand vom Alltag nehmen zu können.
Forest Lawn Memorial Park in Glendale (Quelle: Find A Grave)
Nicht nur Franks, sondern in gewisser Weise auch Carolyns Leben endete, als sich der Komponist mit einem Gewehr das Leben nahm. Später heiratete sie erneut, wurde von ihrem zweiten Mann ihres gesamten Vermögens beraubt, wurde schwer krank und erblindete, 65 Jahre alt. 1974 schrieb sie verzweifelt an die Walt Disney Studios, bot Unterlagen ihres ersten Mannes an und fragte nach, ob das Studio der üblichen Erstattung der Beisetzungskosten 1942 nachgekommen war oder man ihr noch den Betrag zukommen lassen könne. Sie starb im Sommer 1977. Am 14. Mai 1942 fand Carolyn ihren Mann über dem Klavier auf einem Rosenkranz liegend. Sie war vom Schuss geweckt worden. Er hatte ihr eine kurze Abschiedsbotschaft hinterlassen:
Am Tag zuvor war er noch in den Disney-Studios gewesen und wollte, so seine Kollegen später, sich nur einige Tage auf der Paradise Ranch erholen. Dem waren sechs Monate vorausgegangen, in denen sich Frank Churchills Verfassung immer wieder verschlechterte, mehrfach war er in Behandlung gewesen, hatte seine Arbeit aber nicht unterbrochen. Die oft erzählte Legende, Churchill sei in eine Depression abgeglitten, weil seine Musik zu Bambi nicht akzeptiert worden war, lässt sich nicht durch Tatsachen untermauern. Die Hintergründe seiner Entscheidung, den Freitod zu wählen, sind mit Sicherheit komplex – und in jedem Falle nicht mehr rekonstruierbar.
Allerdings trat er nicht ab, ohne eine letzte Provokation anzuzetteln, die abermals in einem Rechtsstreit endete. Er vermachte seiner ersten Frau keinen Cent, der gemeinsamen Tochter Corinne, 18 Jahre alt, die Summe von einem (in Zahlen: 1) US-Dollar. In seinem letzten Willen begründete er die Entscheidung:
Seine Tochter ging daraufhin vor Gericht und beschuldigte Carolyn Shafer, einen schlechten Einfluss auf Frank Churchill gehabt und systematisch versucht zu haben, sie und ihre Mutter von ihm zu entfremden. Zudem sei er zu dem Zeitpunkt, als er das Testament aufsetzte nur bedingt zurechnungsfähig gewesen („mentally incompetent“). Die von ihrem Anwalt geforderte Summe betrug stolze 50.000 US-Dollar. Wie der Rechtsstreit ausging ist, anders als sein Auftakt, der es bis in die Los Angeles Times schaffte, nicht dokumentiert.