Another Nine widmet sich, in Anlehnung an Walt Disneys Nine Old Men, den über viele Jahrzehnte prägenden Trickfilmern des Studios, neun großartigen Künstlern, deren Einfluss bisher nur unzureichend erkannt und gewürdigt wurde. Vorgestellt werden Menschen, die ihre kreative Arbeit in völlig verschiedenen Bereichen verrichtet haben – Im Schatten der Maus.
Der vierte Teil dieser Serie widmet sich einem Mann, der Trickfilmgeschichte(n) schrieb: Ted Sears
Ted Sears am Schreibtisch (Quelle: michaelbarrier.com)
Wenn ein Künstler der Disney-Studios vorgestellt wird, sind wunderbare Skizzen, Model Sheets oder Cels stets Teil der Bildergalerie, die das geschriebene Wort begleiten. Dabei wird oft vergessen, dass der Zauber der Filme Walt Disneys nicht nur in der perfekten Animation begründet ist, sondern vor allem in der erzählten Geschichte. Wir vergessen diesen Aspekt mitunter, wenn wir den Szenen eines Films folgen und meinen manchmal sogar, dass es wohl keines großen Talents bedürfe, eine fantastische literarische Vorlage in ein filmreifes Drehbuch zu verwandeln, beruhen doch so viele Meisterwerke Disneys auf einer ebensolchen. Dass dies ein Irrtum ist, lässt sich leicht belegen, genügt dazu doch ein Blick auf Walts Verhältnis zu den Autoren seines Studios, wie Webb Smith, Bill Cottrell oder Perce Pearce, denen er viel Vertrauen schenkte. Mehr noch als das, tiefe Freundschaft und Verehrung, brachte er nur einem Mann gegenüber, für den er sich „ein Bein ausriss“, wie es Dick Huemer später formulieren sollte, einem Künstler, dem Winston Hibler zuschreiben sollte, er sei der „liebenswürdigste Mensch“ gewesen, den er je gekannt habe: Ted Sears.
Ted Sears wurde am 13. März 1900 in Massachusetts geboren, verbrachte seine Kindheit und Jugend aber in New York City. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und begann bereits früh, seine Eltern und die vier Schwester durch Gelegenheitsarbeiten finanziell zu unterstützen. Er war zwar sehr an Kunst und dem Zeichnen interessiert, glaubte aber nicht, dass sein Talent ausreichend sein würde, um eines Tages tatsächlich in diesem Gebiet Fuß zu fassen. Daher entschloss er sich etwa 1915, einen Kompromiss einzugehen und eine Berufsschule zu besuchen, die ihn auf eine Zukunft als Schildermaler vorbereiten sollte. Während dieser Zeit hangelte er sich weiter durch die Berufswelt und malte und zeichnete sowohl Werbeanzeigen, als auch Filmkulissen, nutzte seine in der Schule erworbenen Kenntnisse im Lettern und fertigte Zwischentafeln für Stummfilme an, gleichzeitig übte er sich in Trickfotografie. Im Studio von Charles Bowers werkelte Sears an allem, was anstand – und konfrontierte den Studiobesitzer mit seinen Ideen und Gags für unfertige Skripte, die er sich durchgelesen hatte. Bowers war von Sears Begabung so beeindruckt, dass er den 16-jährigen kurzerhand als Autor anstellte, damit er für ihn an den Mutt and Jeff-Cartoons arbeiten konnte, für deren Entwicklung Bowers eine Lizenz erworben hatte.
1916 schlossen sich Raoul Barré und Charles Bowers zusammen. Barré hatte zusammen mit seinem Partner, Bill Nolan, 1914 das erste reine Trickfilmstudio der Welt gegründet (andere sehen das zur gleichen Zeit entstandene Bray Studio in dieser Position), war aber zwei Jahre später von Medienmogul William Randolph Hearst „leergekauft“ worden – Hearst hatte einfach alle Angestellten, inklusive Bill Nolan, abgeworben, um sein eigenes Unternehmen, den International Film Service, zu gründen. Barré stand mit einem leeren Trickfilmtempel vor dem nichts, während Bowers Filmstudio, ob des gewaltigen Erfolgs der Mutt and Jeff-Filme, aus allen Nähten platzte – ein Deal bot sich also an, der dann rasch unter dem Namen Barré-Bowers Studio (eigentlich Bud Fisher Film Corporation, nach Bud Fisher, dem Schöpfer von Mutt and Jeff) umgesetzt wurde. So entdeckte Ted Sears nicht nur seine Leidenschaft für das Schreiben, sondern auch seine Liebe zum Trickfilm, betätigte er sich doch auch als Trickfilmzeichner. Die einfach gezeichneten Figuren sagten ihm zu, die aus den zusammengesetzten Cels animierten Filme faszinierten ihn. Er hatte, daran bestand für ihn gar kein Zweifel, etwas gefunden, dass seinen Ansprüchen an Abwechslungsreichtum und Kreativität genügte – und ihn und seine Familie ernähren konnte.
Ted Sears schüttelt den Staub von seinen Händen, 1941, Südamerika (Quelle: LIFE Magazine)
Ted Sears war einer der jüngsten Künstler im Studio, hatte aber keinesfalls die Rolle des Kükens inne. Treffend beschrieb ihn Dick Huemer als „unseren ganz eigenen Till Eulenspiegel“ und wieß damit darauf hin, dass Ted Sears Humor nicht nur in Gesprächen und auf dem Papier als wirkungsvolles Mittel betrachtete, sondern seinen Kollegen auch ganz reale Streiche spielte. Einem sehr auf seine Ernährung achtenden Kollegen stahl er den gesunden Pausensnack, um ihn zu präperieren. Er nahm die gefüllten Datteln, kratzte sie aus, drückte eine gute Portion Bull Durham-Tabak in jede der kleinen Früchte und bedeckte die Köstlichkeiten wieder vorsichtig, damit sein Streich dem Verzehrenden verborgen blieb. Voller diebischer Vorfreude wartete er zusammen mit seinem Freund Huemer darauf, dass der Kollege zum mitgebrachten Essen greifen würde – was er auch tat und dabei, wie üblich, einen abfälligen Blick auf das gemeine Volk warf, das die mitgebrachten Sandwiches verdrückte. Die eigentliche Überraschung erlebte jedoch nicht das Opfer, sondern das Duo Sears und Huemer, die zu ihrer Verwunderung keinerlei Reaktion beobachten konnte, während der Mann genüsslich eine Wüstenfrucht nach der anderen aß. Die Tatsache, dass er weder etwas vom Tabak zu schmecken schien, noch mit später eintretenden Verdaungsproblemen auf sich aufmerksam machte, verminderte jedoch nicht die Schadenfreude der beiden, sondern ließ sie allenfalls daran glauben, dass das die Wirkung vorbildlicher Ernährung auf einem Placebo-Effekt beruhen müsse.
Sears komödiantisches Talent speiste sich nicht aus Witzen, sondern war in seinem großen Sprachwitz und seiner schier unerschütterlich guten Laune begründet. Er war, egal ob privat oder im Studio, unentwegt damit beschäftigt, das Geschehen in seiner Umgebung zu kommentieren. Dick Huemer, der ihm bei Barré-Bowers gegenübersaß, schrieb später, das sein Arbeitsplatz besser gewesen sei, als ein Stuhl in der ersten Reihe des besten Theaters der Stadt. Am außergewöhnlichsten war vielleicht die Tatsache, dass sein Humor – man möchte fast sagen „Unterhaltungswert“ – nicht etwa dafür sorgte, dass er sich bei weiten Teilen der Belegschaft unbeliebt machte, sondern ihm, ganz im Gegenteil, alle Sympathien zuflogen. Er hatte nicht nur ein gutes Verhältnis zu Studiochef Charles Bowers sondern auch zu Kollegen wie Albert Hurter, der zwar wegen seines hohen künstlerischen Niveaus zunächst respektiert, später aber beneidet wurde und in der Zeit des 1. Weltkriegs als „Deutscher“ mit starkem Akzent von vielen Kollegen gemieden wurde (tatsächlich war Hurter Schweizer, ein Unterschied, der sich nur wenigen zu erschließen schien). Zu Sears, der nur halb so alt wie er selbst war, entwickelte Hurter ein tiefes, freundschaftliches Verhältnis. Obgleich Hurter das Studio 1918 verließ, hielten beide weiter Kontakt, als auch der Schweizer nach Kalifornien ging. 1931 sollte es dann Sears sein, der Hurter dazu bewegen konnte, sein Können bei Walt Disney einzubringen.
Zu den Kollegen, die er später dazu brachte, bei Disney anzufangen, gehörte auch Grim Natwick, der in New York City zu den besten Freunden Sears zählte. 1988 erzählte der damals 97-jährige vergnügt vom allfreitagabendlichen Vergnügen, dem er mit Sears nachgegangen war. Mit ein wenig Gehalt in den Taschen zogen sie zu einem großen Gebäude der Amerikanischen Legion, einer Veteranenorganisation, die Freitagnacht Amateurboxkämpfe veranstaltete und sahen dabei zu, wie sich andere gegenseitig in Gesichtschirugie übten. 1935 stand Natwick vor der Entscheidung, ob er zu Ub Iwerks wechseln oder Walt Disney den Vorzug geben sollte – wobei Iwerks ihn regelrecht anflehte und mit Begünstigungen überschütten wollte. Jedoch hatte Natwick gehört, dass Disney an seinem ersten abendfüllenden Spielfilm arbeitete und wollte unbedingt daran beteiligt sein, konnte sich aber, sollte er Disneys Angebot annehmen, nicht sicher sein, ob er dem Projekt auch wirklich zugewiesen werden würde und dachte daher darüber nach, doch Iwerks den Vorzug zu geben. Allerdings war ihm zu Ohren gekommen, dass Disney Künstlern, die ein Angebot ausschlugen, keine zweite Chance geben würde und fragte daher Sears, ob er bei Walt Disney ein gutes Wort für ihn einlegen könne. Ted Sears sagte ihm das zu und arrangierte ein Treffen zwischen Natwick und Disney, damit er die Möglichkeit hatte, seinen Wunsch dem Studiogründer selbst näher zu bringen – am Ende sagte Walt Disney ihm nicht nur zu, dass er an Schneewittchen und die sieben Zwerge arbeiten würde, sondern übergab ihm sogar die künstlerische Verantwortung für den Prinzen.
Ted Sears, Südamerika, 1941 (Quelle: Walt Disney)
Ted Sears Karriere bei Barré-Bowers nahm ein Ende, als das Studio dank finanzieller Misswirtschaft in den Ruin getrieben wurde. Bowers selbst hatte das zu verantworten, da seine Buchführung – man hatte ihm ebendiese bei der Zusammenführung der Studios zugewiesen – in grobem Maße fahrlässig war. Er wurde 1919 entlassen, wieder eingestellt, 1921 erneut entlassen und musste 1923 zusehen, wie das Studio endgültig bankrott ging. Ted Sears hielt ihm dennoch die Treue, war es doch schließlich Bowers gewesen, dem er seine sichere Anstellung zu verdanken gehabt hatte. Charles Bowers entschloss sich, einen Neustart zu wagen und die Bowers Comedy Corporation zu gründen, um komödiantische Kurzfilme mit ihm selbst in der Hauptrolle zu drehen. Die Drehbücher der Filme wurden von Ted Sears verfasst, der damit sein Talent viel freier entfalten konnte, als es noch bei den Mutt and Jeff-Cartoons der Fall gewesen war. Die Filme sind noch heute als außergewöhnlich zu betrachten, voller Surrealismus, mit revolutionärer Tricktechnik umgesetzt und absurden Handlungen versehen.
So wird in Now You Tell One von 1926 von einer Gruppe edler Herren erzählt, die sich gegenseitig mit ihren Wundertaten beeindrucken wollen. Der eine erzählt, er habe vor kurzem Mussolini im Capitol getroffen und ihm zu Ehren 47 Elefanten hineingebeten, die er zuvor von der Maul-und-Klauen-Seuche befreit hätte. Begleitet wird die Geschichte von Bildern voranschreitender Elefanten, die die Stufen des Capitols erklimmen. Der nächste kontert mit einer Durchquerung des Ärmelkanals – auf dem Rücken eines Fahrradfahrers. In There It Is von 1928 schreibt Charles Bowers verzweifelt dem Scotland Yard, man solle doch einen Detektiv vorbeischicken, um das Rätsel der Anwesenheit eines Phantoms in seinem Hause zu klären. Der Brief erreicht die Adressaten per Fahrradkurier, die Zentrale des Scotland Yard wird als umzäuntes Gatter im menschenleeren Nirgendwo dargestellt, in dem sich ein halbes Dutzend Detektive im Schottenrock, über ihre Lupen gebeugt, hin und her bewegen. Der Anführer sitzt an einem erhöhten Pult und entscheidet mithilfe eines Abzählreims, wer dem Fall nachzukommen hat. Mit nach Amerika nimmt der Auserwählte nicht nur seinen Dudelsack, sondern auch eine wetterfeste Vesperbox und seinen kleinen Kameraden MacGregor, der in einer Streichholzschachtel lebt (und per Stop-motion-Technik zum Leben erwirkt wird). Bedauernswerterweise sind nicht alle Film Bowers erhalten, die existierenden zeugen jedoch von beeindruckender Kreativität und warten nur auf einer Wiederentdeckung durch ein größeres Publikum.
Tatsächlich erlangte Charles Bowers gegen Ende der 1920er-Jahre einen Bekanntheitsgrad, der dem von Chaplin, Keaton und Co. in wenig nachstand. Mit dem Tonfilm ging sein Stern jedoch unter, er verschwand in der Bedeutungslosigkeit und Ted Sears war gezwungen, sich anderweitig umzusehen.
Ted Sears entspannt im Hotel, Südamerika, 1941 (2. v. r., Quelle: LIFE Magazine)
Er entschied sich dafür, bei Max und Dave Fleischer einen Neustart im Zeichentrickfilm zu wagen und arbeitete etwa drei Jahre als Zeichner, unter anderem an Betty Boop. Er steuerte auch weiterhin Beiträge als Autor bei, konnte sich im Fleischer Studio jedoch nicht durchsetzen. Es kam für ihn dennoch nicht in Frage, den Film zu verlassen, um sich anderweitig auszuprobieren. Gelegenheit hatte er dazu reichlich – er lehnte jedoch stets ab. So wollte der Chefredakteur der renommierten Tageszeitung New York World (die Zeitung, die 1914 das erste Kreuzworträtsel der Welt abgedruckt hatte und zeitweise mehr als eine Million Exemplare am Tag verkaufte) Sears unbedingt für seine Reaktion gewinnen, nachdem er über den Journalisten Milt Gross Bekanntschaft mit ihm gemacht hatte. Tatsächlich machte er Sears ein Angebot, das nur wenige Angehörige der schreibenden Zunft abgelehnt hätten: eine eigene, tägliche Kolumne, die er, völlig frei von inhaltlichen oder stilistischen Vorgaben, gestalten hätte können. Sears lehnte ab und ließ sich von niemandem überzeugen, das Angebot weiter in Betracht zu ziehen.
Auch ohne eine regelmäßige Kolumne schreiben zu müssen, blieb ihm kaum Zeit, allem nachzukommen, das ihn begeisterte. Gerne zimmerte und bemalte er Kulissen für die Theaterstücke, die seine Tochter in der Schule aufführte und tüftelte viele Monate im Jahr an Trickfotografien, insbesondere seinen berühmten Weihnachtsgrußkarten, die die Familie Sears jahrelang an über 300 Freunde und Bekannte versandte – jede einzelne liebevoll kalligrafiert und mit persönlichem Text für den Empfänger versehen. Die Gestaltung der Karten ist schlicht beeindruckend – die Leser dieses Blogs dürfen sich in einem Spezialbeitrag vor Weihnachten noch selbst davon überzeugen. Auf vielen Karten setzte Sears sich und seine Frau Vee in Szene, später auch die gemeinsame Tochter. Diese schwärmte auch Jahrzehnte nach dem Tod ihres Vaters vom innigen Verhältnis ihrer Eltern, deren inneres Leiden allgegenwärtig gewesen sei, waren sie für längere Zeit gezwungen, sich voneinander zu trennen. Vee Sears hatte, wie ihre Schwester Irene, zunächst als Krankenschwester gearbeitet, wurde aber später Flugbegleiterin. Das sehr persönliche Verhältnis der Familien Disney und Sears – erstere war, wie auch viele Disney-Künstler, unter den Hochzeitsgästen von Vee und Ted – wurde noch gefestigt durch die Anstellung Irenes als persönliche Krankenschwester der Disneys. In dieser Funktion umsorgte sie auch die von Walt verehrte Mutter Flora, die 1938 unter tragischen Umständen verstarb.
Die Mitarbeiter des Walt Disney Studios, nachdem Micky Maus einen Ehrenoscar erhalten hat, 1932 (1. R. st., 3. v. l., Quelle: Walt Disney)
Im Jahr 1931 wurde Ted Sears von Walt Disney für sein Studio in Kalifornien abgeworben. Disney erschuf das Story Department, ernannte ihn zu dessen Leiter und gab ihm das zweitgrößte Büro des ganzen Studios (nur sein eigenes war größer), inklusive Vorzimmer mit Sekretärin und einem eigenen, gekühlten Wasserspender. In den folgenden 27 Jahren sollte sich wenig an dieser Situation ändern, sieht man vom Umzug des Studios in den 1940er-Jahren ab. Es sollte sich für Walt Disney bezahlt machen, soviel Vertrauen in Ted Sears gesetzt zu haben. Wahrscheinlich war Sears der einzige Mitarbeiter des Studios, der auf quasi jeden Zeichentrickfilm kreativen Einfluss nahm, sieht man von Walt Disney selbst ab. Ganz nebenbei revolutionierte er das gesamte Medium, für das er arbeitete, als er im Zuge seiner Arbeit für Walt Disney eine alte Idee, die im Fleischer-Studio auf wenig Gegenliebe gestoßen war, wieder aufleben ließ und später perfektionierte: das Storyboard.
Oftmals wird die Erfindung dieser wahrhaft revolutionären Pinnwand Webb Smith zugeschrieben, der mit Sears begonnen hatte, im Story Department Disneys zu arbeiten und zunächst dessen Assistent war. Dick Huemer hingegen schrieb später, sich selbst als „unbestechliche Quelle“ bezeichnend, dass er beschwören könne, es sei Sears Idee gewesen. Die Theorie, die Smith als Urheber sieht, sagt, er habe das Storyboard bei Disney entwickelt, wohingegen Huemer berichtet, Sears habe die Idee bereits Ende der 1920er-Jahre bei Fleischer gehabt. Da Huemer zur selben Zeit für Fleischer arbeitete, darf seiner Darstellung durchaus Glauben geschenkt werden. Webb Smith starb bereits kurz nach dem 2. Weltkrieg und wurde selbst nie dazu befragt, ähnliches gilt für Ted Sears, der auch kein großes Interesse daran hatte, in irgendeiner Art und Weise herausgestellt zu werden. Geht man davon aus, dass Ted Sears der Schöpfer des Storyboards war, ist das nur bezeichnend für seinen großen Einfluss, den er als erster reiner Gagman des Studios hatte.
Ted Sears und Ilene Woods, Stimme von Cinderella, betrachten Storyboards, etwa 1949 (Quelle: Walt Disney)
Allerdings wollte Ted Sears nicht nur Gags, Charaktere und Handlungen ausarbeiten, so dass er sich entschloss, auch Liedtexte für die Filme zu schreiben. Schon die ersten Zeilen, die er verfasste, sollten binnen kurzer Zeit zu amerikanischem Kulturgut werden: „I built my house of straw, I built my house of hay, I toot my flute, I don’t give a hoot and play around all day …“ Sein Text zu Who's Afraid of the Big Bad Wolf?, Titelsong der Drei kleinen Schweinchen, muss 1933 vielen Kinobesuchern noch tagelang im Kopf herumgespukt sein. Zwar wurde der Text von Ann Ronell überarbeitet, bevor er auf Schallplatte veröffentlicht und so zum Hit wurde, dennoch ist dieser Einstand in die Welt der Musik mehr als nur erwähnenswert. Es sollten noch viele Zeilen aus der Feder Ted Sears das musikalische Repertoire der abendfüllenden Filme von Walt Disney erweitern, darunter We'll Smoke the Blighter Out und Old Father William für Alice im Wunderland und I Wonder für Dornröschen. Am erinnerungswürdigsten ist sicher sein wunderbarer Text zu Following the Leader, der 1953 als musikalische Untermalung von Peter Pan erschien.
Seine aus menschlicher Sicht vielleicht größte Leistung bestand darin, sich nie über seine Kollegen zu erheben, die faktisch weniger verdienten, weniger bedeutendes leisteten, weniger Einfluss besaßen – und auf die Walt Disney nicht hörte, im Gegensatz zu Sears, was, das ist jedem bewusst, der von den Charakterzügen des Studiogründers weiß, eine Sache war, die nur wenige von sich behaupten konnten. Ted Sears war Walt Disneys kreative Stütze, ihr Lebensweg war ein sehr ähnlicher gewesen. Beide in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, hatten sie sich früh gelöst, zum richtigen Zeitpunkt das nötige Glück genossen und waren stets ihrer Leidenschaft gefolgt, anstatt sich groß um finanzielle Fragen zu kümmern. Aber Ted Sears war Walt Disney in einem voraus: er war offen für jede kritische Meinung und bereit, seine eigenen Ansichten zu ändern, wenn ihm die Argumente eines anderen vernünftig erschienen. Als Walt Disney in gewisser Weise versuchte, Ted Sears dazu zu bringen, sich seinen Mitarbeitern gegenüber autoritärer zu verhalten, machte dieser seinem Freund behutsam klar, dass er nicht bereit war, einen solchen Führungsstil zu vertreten. Und Walt Disney tat, was er sonst nie tat: er gab sich einfach damit zufrieden. Um zu beschreiben, wie er von anderen wahrgenommen wurde, bietet es sich an, große Worte niederzuschreiben. Warum aber das tun, wenn Winston Hibler bereits genau das formuliert hat:
„Möglicherweise bestand Teds größtes Talent in seiner ganz eigenen Art von Humor. Es war ein herzlicher, freundlicher Humor, der ohne Spott auskam. Und das war der Schlüssel zu Teds ganzer Persönlichkeit. Er war der liebenswürdigste Mensch, den ich je kannte. Er lebte mit einem Lachen auf den Lippen und ohne jede Arglist. Er war in allen Dingen wohlwollend. Seine Begabung war jederzeit bereit – es gab keine Aufgabe, die zu klein und keine, die zu groß gewesen wäre. Das zeigte sich in seinen Fähigkeiten und persönlichen Tugenden. Ted war in der Lage, zwei Ziele zu erreichen, die er sich im Leben gesetzt hatte: er schuf gute Filme und er schuf gute Freundschaften.“
Wer nun aber glaubt, Ted Sears hätte mit höherem Alter und als wichtigster Autor von Zeichentrickfilmen aufgehört, Kollegen Streiche zu spielen, der irrt. Überliefert ist seine freundschaftliche Fehde mit Cy Young, dem ersten Leiter des Effects Department, das, im Gegensatz zu Sears Abteilung, allerdings nur aus zwei Mitgliedern bestand. Young setzte sich dafür ein, dass die Trickfilmzeichner die Dienste seines Departments in Anspruch nahmen und Schneefall, Nebel oder Regenschauer ihm überließen, anstatt diese Effekte selbst auf die Cels zu zeichnen, wie sie es zuvor gewohnt waren. Cy Young war zwar sehr gebildet und sprach perfektes Englisch, hatte aber einen starken Akzent und war sehr exzentrisch, was ihn zur perfekten Zielscheibe für Sears Humor machte. In regelmäßigen Abständen, genauer gesagt immer dann, wenn ein neues Projekt umgesetzt werden sollte, verfasste er im Namen Youngs kurze Botschaften, die er anschließend im Studio verteilte. Der Inhalt war in schlechtem Englisch verfasst, erweckte den Eindruck, als habe der Autor die Handlung des neuen Werks nicht wirklich verstanden und konzentrierte sich darauf, welche Figuren und Szenen eines neuen Films unbedingt im Effect Department umgesetzt werden sollten. Zwar ist Cy Youngs Meinung dazu nicht überliefert, es darf aber davon ausgegangen werden, dass er sich zumindest nicht aktiv dagegen wehrte.
Ted Sears und die Disney-Crew auf südamerikanischem Boden, 1941 (3. v. l., Quelle: Walt Disney)
Die Zahl der Filme, für deren Handlung Ted Sears verantwortlich war, ist so lang, dass allenfalls die Auswahl der abenfüllenden Meisterwerke noch überschaubar ist: Von Schneewittchen und die sieben Zwerge über Pinocchio, Fantasia, Dumbo und Bambi, Saludos Amigos und Cinderella bis Alice im Wunderland, Peter Pan, Susi und Strolch und Dornröschen, war er an allem beteiligt, was im Disney-Studio über die Zeichentische ging. Er schrieb auch, zusammen mit Winston Hibler, die Texte für viele Naturfilme Walt Disneys und entwarf später viele Ausgaben seiner Fernsehshow.
Natürlich versuchte sich Ted Sears auch in anderen Bereichen – etwa als Synchronsprecher, wenn auch nur vertretungsweise. Er lieh seine Stimme Pinocchio, bevor der junge Dick Jones die Rolle nachsprach. Eine weitaus interessantere Reise als die ins Synchrongewerbe unternahm er 1941, als er Walt Disney auf dessen Goodwill tour durch Südamerika begleitete, um sich für Saludos Amigos inspirieren zu lassen. Ted Sears befand sich in seinem Element und verewigte zahllose Zeichnungen, vor allem von Donald Duck, die beweisen, dass das Einzige, das er sich selbst nie zutraute, dennoch zu seinen Talenten zählte. Sears war fasziniert von den Farben Rio de Janeiros und dem kulturellen Schauspiel um ihn herum.
Ted Sears und Frank Thomas am Strand, Südamerika, 1941 (Quelle: Walt Disney)
Zu keinem Zeitpunkt wurde Ted Sears Position als Leiter des Story Departments in Frage gestellt. Körperlich durchleidete er ab Mitte der 1950er-Jahre einen Rückschlag nach dem anderen und magerte stark ab, bis er kaum mehr in der Lage war, seiner täglichen Arbeit nachzukommen. Auch Walt Disney belastete die Situation – so tat er alles in seiner Macht stehende, um Ted Sears dennoch bei guter Laune zu halten und verbreitete Optimismus, nicht gewillt, seinen besten Mitarbeiter einfach so aufzugeben. Am 22. August 1958 verlor Ted Sears seinen letzten Kampf.
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