Zugleich überschwemmten zahlreiche Remakes klassischer US-Produktionen das Genre. Marcus Nispels Texas Chainsaw Massacre und Freitag, der 13., Rob Zombies Halloween und nahezu alle anderen Neuverfilmungen setzten verstärkt auf mehr Blut, mehr Gedärme, mehr Schockeffekte.
In dieser Welt des neuen Horrorfilms wollte Bob Weinstein auf die Scream-Reihe zurückgreifen. Nicht jedoch in Form eines Reboots oder Remakes, sondern mit einer Fortsetzung. Auf die Ankündigung im Juli 2008 folgte fast zwei Jahre später Wes Cravens feste Zusage, er würde die Regie übernehmen. Außerdem kehrte Drehbuchautor Kevin Williamson zurück, der Scream 1 & 2 verfasste. Der freudige Aufschrei der Fans war kaum zu vermeiden - ebenso wie die typischen PR-Aussagen. Vor Kinostart schwörte ein Mitglied der Crew für Effekt-Makeup, dass Scream 4 mit der modernen Konkurrenz mithalten kann und ein äußerst grafischer Tod im Film garantiert Ärger mit der Jugendfreigabebehörde auslösen würde.
Irgendwann kam er endlich, der Kinostart von Scream 4. Und die Zuschauerreaktionen... die waren sonderbar gespalten. Ich habe Scream 4 letztlich im Kino ausgelassen, um ihn stattdessen auf DVD nachzuholen. Auch wenn ich meiner Kritik bereits vorgreife: Ich bereue es. Nicht, Scream 4 nachgeholt zu haben, sondern ihn nachholen zu müssen. Ich hätte wirklich ins Kino gehen sollen!
Selbstredend kann meine Kritik nicht ohne Spoiler zu Scream, Scream 2 und Scream 3 auskommen, also seien Neulinge zu dieser Kinoreihe gewarnt. Allerdings ist es bei Scream generell recht unsinnig, nicht chronologisch vorzugehen, also beschwert euch nicht, wenn Scream 4 eure erste Erfahrung mit Scream 2 versaut.
Die Mordserie wird wohl niemals enden...
Fünfzehn Jahre sind mittlerweile vergangen, seit die Teenager Billy und Stu eine blutige Mordserie begannen, welche als "die Woodsboro-Morde" große Medienaufmerksamkeit erlangte und die Horrorfilmreihe Stab inspirierten. Ihre Maskierung als Ghostface-Killer ist bis heute ein unvergesslicher Teil der Popkultur - und fast jeder Teenie hat auf seinem Smartphone eine App, die Ghostfaces bedrohliche Stimme nachahmen kann.
Sidney Prescott, das Hauptziel der echten und ursprünglichen Ghostfaces und eine Schlüsselperson in den Nachahmermorden auf dem Windsor College sowie am Set des Slasher-Films Stab 3, verarbeitete ihre Erfahrungen durch die Schriftstellerei. In ihrem Buch Out of the Darkness gelang es ihr, ihre vermeintliche Opferrolle neu zu definieren und Stärke auszustrahlen, was Menschen in vergleichbaren Situationen inspirieren und ermutigen soll. Als sie nach vielen Jahren im Rahmen einer Lesetour erstmals in ihre Heimatstadt Woodsboro zurückkehrt, werden zwei Jugendliche brutal ermordet vorgefunden, außerdem werden Sidneys Cousine Jill und eine ihrer Freundinnen von "Ghostface" telefonisch bedroht.
Die Polizei ermittelt unter der Leitung von Sherrif Dewey in dieser Sache, tappt jedoch im Dunkeln, was Dewey Ehefrau Gale Weathers-Riley auf den Plan ruft. Ihr Ruhm als Sensationsjournalistin ist mittlerweile verblasst, und ihre neue Berufung als Schriftstellerin fiktionaler Stoffe will nicht so richtig in Gang kommen. Also schließt sich sich kurzerhand mit den Nerds vom Filmclub der Woodsboro High School zusammen. Ihre Hoffnung: Mit ihrer Erfahrung und der Kenntnis moderner Horrorfilme sowie den neuen Medien, die der Filmclub mitbringt, kann sie die Tat aufklären und wieder ins mediale Rampenlicht treten.
Wie es zu ahnen war, schlägt der neue Ghostface-Killer bald darauf wieder zu...
"Wie Meta kann man sein?!"
Was habe ich es nicht vermisst, das waschechte Scream-Gefühl. Scream 3 strahlte für mich kaum die Identität eines Scream-Films aus, aber das holt der vierte Teil nach. Und wie! Mit einem gewaltigen WUMMS kehrt die mit komödiantischen Elementen versetzte Horrorreihe zurück. Scream 4 gelingt es in wenigen Sekunden den derzeitigen Genretrends gewaltig den Arsch zu versohlen, sich selbst mit kesser Selbstironie eine Ohrfeige zu verpassen und zwischen all dieser Filmsatire eine ernsthafte Schaueratmosphäre aufzubauen, auf welcher die Spannung dieses Films fußen kann.
Mir sind manche Stimmen bekannt, denen das Intro zu kompliziert sei - diese Leute kann ich nicht verstehen, und ich frage mich, was erst passiert, wenn sie einen wahrlich komplexen Film sehen. Scream 4 beginnt so, wie es Scream 2 schon wollte: Die Zuschauerwünsche werden mit einem sarkastischen Grinsen erfüllt, auf eine Weise, wie man es niemals erwartet hätte. Ich habe durchweg gegrinst, und war trotzdem auch gebannt und wegen mancher unvorhergesehenen Wendungen richtig baff. Nach dem nervenaufreibenden Startschuss zu Scream das beste Intro der ganzen Reihe, wenn ihr mich fragt.
Die Metaebene von Scream 4 glänzt von Beginn des Films an in all jenen Belangen, die mich am Medien- und Genrekommentar von Scream 3 ärgerten. War Scream 3 ein reines Hollywoodkonstrukt, haben die Beobachtungen über Horrorfilme in Scream 4 wieder Bodenhaftung - sie klingen wie echtes Gerede unter Jugendlichen, gewinnen aber durch die Aneinanderreihung und ihren Kontext einen parodistischen Touch, der von den Erfahrungen der Filmemacher zeugt. Und vor allem viel Spaß macht. Da wird über die Ideenlosigkeit und dem Mangel an Atmosphäre im Remakewahn gelästert, die postmoderne Selbstironie hinterfragt und mit dem Finger auf den Unterschied zwischen Ekel und Angst bzw. Spannung gezeigt.
Das Drehbuch von Kevin Williamson erhält von mir außerdem einige Bonuspunkte, da es ähnlich wie im ersten Teil der Reihe versteht, die von Figuren geäußerten "Gesetze des Horrorfilms" dramaturgisch zu nutzen. All das Gequatsche über Genrekonventionen ist nicht bloß amüsanter Zeitvertreib, sondern stützt die Narrative: Die Figuren sprechen vornehmlich über Reboots und Remakes, mutmaßen, dass der Killer durch Medienberichte beeinflusst wurde und nun ein Reboot der Woodsboro-Morde plant. Ähnlich, wie die Morde in Scream 2 als selbstgemachte Fortsetzung von Stab gehandelt wurden. So bauen die Metakommentare eine Erwartungshaltung auf: Inwiefern folgt Scream 4 den Reboot-Gesetzen, wo bricht er sie absichtlich?
Doch das in dieser Hinsicht meiner Meinung nach genialste: Die Taten scheinen wirklich ein "realer" Reboot der fiktiven Stab-Reihe, und somit der Woodsboro-Morde, zu sein. Deshalb ist man schnell gewillt, die Reboot/Remake-Diskussionen der Filmfiguren aufzusaugen. Dabei ist Scream 4 eigentlich eine Fortsetzung - ist die intensive Thematisierung neuer Horrortrends etwa eine gewitzte Finte Wes Cravens und Kevin Williamsons? Oder ist es eine Finte, dass man den Zuschauer darüber nachdenken lässt, ob er auf eine Finte reinfiel? Also, aufgrund mancher negativen Kritiken weiß ich, dass es nicht alle so aufnahmen, ich jedoch fand diesen Kniff sehr, sehr faszinierend.
Die alten Gesichter
Nachdem Courtney Cox und David Arguette in Scream 3 bloß noch so etwas ähnliches, wie ihre alten Rollen spielten, sind sie in Scream 4 wieder richtig in Form. Sowohl Dewey, als auch Gale sind wieder so, wie man sie aus Scream 1 & 2 kennt, zeigen aber auch schlüssiges Charakterwachstum. Gale ist längst nicht mehr die abgebrühte, schale Sensationsjournalistin, sondern wird von Cox mit wahnsinniger Spielfreude als eine widerwillig in ein langweiliges Leben gerutschte Ex-Journalistin gezeigt, die mit Feuereifer jede Gelegenheit ergreift, wieder etwas Aufregung in ihr Leben zu bringen. Cox hat einige der witzigsten Sätze des Films und gibt ein einfach sehr sympathisches Biest. Auch David Arquettes Dewey ist seit dem ersten Teil der Reihe gewachsen: Aus dem trotteligen Dorfpolizisten wurde ein bodenständiger, kompetenter Sheriff - der aber ein schlechtes Verständnis für die modernen Kommunikationswege hat und so den selbstständigen Ermittlungens einer Frau etwas hinterherhinkt.
Und dann wäre da halt noch Neve Campbell als Sidney, das Herzstück der Scream-Reihe. Fand ich sie in Scream noch etwas hölzern, hat sie sich mit jedem weiteren Teil der Reihe gebessert. Scream 4 bildet da in meinen Augen keine Ausnahme: Sie gibt eine sehr runde Performance, zeigt Sidney als eine von den vergangenen traumatischen Ereignissen seelisch vernarbte, aber dadurch auch erstarkte, selbstreflexive Frau. Als sie sich zum Schutz ihrer Familie in Scream 4 dem Ghostface-Killer stellt, ist man als die gesamte Reihe im Blick habender Zuschauer stolz auf sie, fürchtet jedoch auch um sie. Denn Scream 4 sagt sich: Neue Dekade, neue Regeln!
Scream - Die neue Generation
Fans kann man es ja schwer rechtmachen. Waren die neuen Figuren in Scream 3 allesamt zu flach, zu ausdruckslos und zu langweilig, nimmt der Zuwachs in Scream 4 einigen Zuschauern zu viel Raum ein. Ich kann ersteres nicht oft genug unterschreiben, letzteres nicht laut genug bestreiten. In Scream 4 ist natürlich nicht jede der jugendlichen Figuren ein echter Knaller: Der von Nico Tortorella gespielte Travis, Ex-Freund von Sidneys Cousine Jill, ist einfach nur ein anstrengender Laffe, welcher nur dadurch halbwegs interessant wird, wie andere Figuren über ihn reden. Auch Marielle Jaffe kann als blonde, vollbusige Teenagerin Olive keinen bleibenden Eindruck hinterlassen - sie ist halt das Quoten-Model unter Jills Freunden.
Die Filmnerds Charlie (Rory Culkin) und Robbie (Erik Knudsen) sind ganz klar als Ersatz für Randy gedacht, worauf sie auch anspielen. Somit haben sie bei einigen Fans einen schweren Stand, trampeln sie doch in den Fußstapfen des großen Fanfavoriten herum. Natürlich kommen sie nicht an Jamie Kennedy heran, der für Randy eine unbestechliche Mischung aus Selbstironie, liebenswürdiger Schusseligkeit und nerdiger Weltfremdheit an den Tag brachte. Aber ich finde Culkin und Knudsen trotzdem ganz nett in ihren Rollen - vor allem den Humor ihrer Parts treffen sie recht gut.
Sehr witzig, allerdings auch unwesentlich mehr als ein wandelndes Klischee, sind Alison Brie als Sidneys oberflächliche Presseagentin sowie Marley Shelton (Dakota Block in Planet Terror) als Deweys leicht in ihn verknallte Kollegin. Gerade von Shelton hätte ich sehr gerne mehr gesehen, da sie ihre kleine, leicht dümmliche Rolle mit so einer Freude spielt, als sei es ihr großes Karrieresprungbrett. Sie hat eine kindliche Freude in dieser Rolle, die leicht albern werden könnte, doch von Shelton einfach nur goldig rübergebracht wird.
Ein echter Fanfavorit ist Kirby Reed, eine enge Freundin von Sidneys Cousine und absoluter Horrorfilm-Fan. Im Gegensatz zu Jill und Olive wurde sie nicht von Ghostface bedroht, und sie sieht es auch überhaupt nicht ein, aufgrund der neuen Mordserie Zuhause rumzugammeln. Sie will trotz allem ausgehen. Diese Figur wäre bei zahlreichen anderen Autoren und Regisseuren zu einer reinsten Zicke verkommen, da besteht keine Frage. Doch Williamson und Craven wollen noch, dass wir uns um die Figuren sorgen (was für eine altmodische Idee), und so zeigt Kirby auch Fürsorge für ihre Freundinnen. Dass sie von Hayden Panettiere gespielt wird, die irgendwie von fast der gesamten Männerwelt angesabbert wird (ich kann's nicht so ganz verstehen) ist mehr, als nur ein schaler Casting-Trick, um auch schwanzgesteuerte Buben ins Kino zu kriegen. Es ist ein Zugeständnis an die gewandelte Popkultur. 1996 galt noch das Klischee, dass Jungs eher von Horrorfilmen besessen sind, als Mädels. Das hat sich längst gewandelt, und dem zollt Kirby Tribut.
Außerdem überrascht Panettiere mit einem intensiven Schauspiel, das ich ihr nie zugetraut hätte. Die meiste Zeit über spielt sie recht routiniert ein populäres, oft angebaggertes Mädel, aber sie hat ihre Glanzmomente, in denen sie auch wirklich etwas leisten muss - und das Soll bei weitem übertrifft. In einer der besten Szenen der gesamten Reihe (!) schafft sie es, auf der Meta-Ebene von Scream 4 ein saukomisches "Take That!" an den modernen Horrorfilm zu richten und sich zugleich vor Scream zu verneigen, während sie auf der Handlungsebene Angst und Verzweiflung vermitteln muss. Und ja, ich saß wirklich gebannt vor dieser Szene. Gut, nach DVD-Sichtung habe ich entdeckt, dass sehr viele TV-Spots die Szene zerschnitten haben und ausschlachteten, so dass ich mir denken kann, dass sie für TV-Spot-Kenner längst nicht so impressiv war - doch das ist ja nicht meine Schuld.
Und trotzdem... Obwohl ich Panettiere gerade so sehr lobe: Ich finde die Fanreaktionen teilweise übertrieben. Ja, sie hat einige der Glanzmomente des Films abbekommen, doch sehr viel ihrer Leinwandzeit verbringt sie dann doch nur auf dem üblichen Niveau einer Scream-Nebenfigur. Dass Kirby so einen bleibenden Eindruck hinterließ, ist mindestens so sehr Verdienst des Drehbuchs, wie ihr eigener. Und ähnlich, wie die High-School-Szenen von Scream alterten, werden auch ihre Pendants aus Scream 4 altern.
Emma Roberts, zu guter letzt, macht ihre Sache einfach gut. Im Vorfeld wurde ja viel geklagt, dass ihre Rolle vom Marketing zu aufdringlich als "die neue Sidney" angepriesen wurde, ähnlich wie Shia LeBeouf den Staffelstab von Harrison Ford in Indiana Jones 4 erhalten sollte. Von der erwarteten Penetranz ist im Film aber nichts zu spüren: Roberts bringt unaufdrinliches Charisma und Respekt gegenüber Neve Campbell mit, und es fiel mir als Zuschauer leicht, sie als frisches Blut in der Scream-Familie zu akzeptieren.
Ansonsten gibt es noch ein paar weitere Auftritte, manche länger, andere kürzer - aber da sie meines Wissens nach nicht Teil des Marketings waren, will ich sie hier mal nicht ansprechen. Ich war bei DVD-Sichtung sehr überrascht, und wer wäre ich, andere daran hindern zu wollen, ähnliches zu fühlen?
Blutrünstiger denn je?
Wer sich Scream 4 auf DVD kauft, bekommt die (vermeintliche) Antwort entgegen geschrieen. Zumindest in Deutschland. Ein eiskaltes Blau prangt auf dem schlichten, schwarzen Cover mit der messerscharfen Ghostface-Maske. FSK-Freigabe ab 16 Jahren. Glücklicherweise gibt es ein Wendecover, doch gibt einem die FSK-Freigabe, bevor man sie für immer und ewig wegdreht, eine brauchbare Angabe über den Gewaltgrad von Scream 4?
Nun, dies zu beantworten fällt gar nicht so einfach. Um auf die Aussage eines der Makeup-Künstler zurückzugreifen: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Scream 4 in Zeiten der Saw-Fortsetzungen wirklich schwerwiegende Probleme mit der MPAA hatte. Trotzdem mag ich es nicht als reine PR-Aussage abstempeln. Denn der neue Ghostface-Killer lässt seine Opfer länger leiden, als es in Scream 2 & 3 der Fall war, und diese sadistischere Ader wird in manchen der Mordsequenzen (bei weitem nicht in allen) auch explizit gezeigt. Die Gewalt geht insofern zurück auf die letzten Minuten der legendären Eröffnungssequenz von Scream, bloß mit deutlich größeren Mitteln. Das ist sicherlich auch ein kleines Zugeständnis an das neue Horror-Publikum, doch ich sehe es mehr als Anpassung an die neuen Sehgewohnheiten. Wie sehr sich die Rezeption von Mediengewalt änderte, zeigen ja bereits die FSK-Freigaben. Scream war seinerzeit in der ungekürzten Fassung indiziert, der keinesfalls zimperlichere Scream 4 erhielt dagegen eine (sicherlich knapp erreichte) FSK ab 16 Jahren. Kurz darauf erhielt Scream in einem Neu-Prüfungsverfahren ebenfalls diese Freigabe. Wenn Craven in Scream 4 also genauso schocken will, wie in Scream, so muss er die Quantität von Kunstblut und Gedärmen wieder rauf fahren. Trotzdem macht Scream 4 keinen auf Folterhorror, sondern verfolgt das Konzept der ersten beiden Scream-Teile: Man soll dafür sein, dass Figuren entkommen, dass der Fall gelöst wird. Die Gewalt dient nicht dem Selbstzweck, sondern der Spannung und Fallhöhe.
Ausnahme ist vielleicht ein Mord im Laufe des Films. Der scheint mir nur enthalten zu sein, um einen weiteren Horrormoment zu haben. Das erinnert etwas an den Mord am Rektor in Scream: Bob Weinstein merkte an, dass in der Mitte des Films eine lange Blut-Durststrecke ist. Also sollte ein neuer Mord eingefügt werden. Williamson und Craven entschieden sich dazu, den Selbstzweck-Mord zu nutzen, um die Geschichte weiter auszurunden: Der Rektor muss dran glauben. So erhalten die Partygänger am Ende des Films einen Anlass, das Landhaus zu verlassen. Und Billy & Stu haben auch ein Motiv, den Rektor umzulegen. Was der (für mich) überflüssige Mord in Scream 4 für eine Motivation hat, erschließt sich mir nicht. Passenderweise begeht das Opfer auch ein paar der üblichen Horrorfilm-Fehlschritte. OHNE, dass der Film sie zuvor aufklärt, wie etwa das Treppen-Hinaufrennen von Sarah Michelle Gellars Figur in Scream 2 ganz beiläufig begründet wurde. Diese unnötige Ermordung in Scream 4 ist eine enorm spannende Szene, keine Frage. Craven legt mit seiner Regieführung ein paar falsche Finten, der Score von Marco Beltramis Score ist intensiv und effektiv, die Ausleuchtung ist schaurig-stimmungsvoll... Doch es ist nahezu ausschließlich ein Lückenfüller.
Ansonsten finde ich die Gewalt in Scream 4 sowohl in einer Linie mit Scream 1 & 2, als auch grafischer und somit derber. Das wird jedoch wieder etwas relativiert, da (ähnlich Rose McGowans Sequenz in Scream) auch in Scream 4 einige der zuvor ernst angelegten, atmosphärischen Killerszenen plötzlich mit einer zynischen Pointe aufgelöst werden. Seien es witzige letzte Worte eines Ghostface-Opfers oder die Absurdität der Situation an sich. Das veranlasste manche Kritiker zu behaupten, Scream 4 sei der komödiantischste der Reihe. Das kann ich nicht unterstützen, mir scheint es so, als hätten diejenigen die Original-Trilogie seit ihren frühen Jugendjahren nicht mehr gesehen. Selbst bei TV Tropes steht, Scream 4 sei der komödienhafteste, da dieses Mal sogar einer der Tode zum Lachen anmutet - was Scream aber nicht anders machte. Scream 4 hat mehr solche Momente, doch er hat auch den höheren Bodycount und auch mehr atmosphärische, mehr schockende und mehr rein dramaturgische Todesszenen. Ich finde die Mischung vollkommen ausgewogen.
Ich schätze, dass die subjektive Bewertung von Scream 4 damit steht und fällt, wie man die Auflösung der Ghostface-Identität einschätzt. Ich finde sie zumindest so konsequent, schockierend und gallig bösartig wie die von Scream, und anders als bei Billy und Stu finde ich das nach der Auflösung folgende Schauspiel nicht unnötig übertrieben. Natürlich grimassiert Ghostface auch dieses Mal, aber es hat etwas viel diabolischeres, manisches als bei den irgendwann völlig den Halt verlierenden Buben aus Scream.
Im Vorfeld der Auflösung kann man aber, finde ich, nicht ganz so intensiv mitraten, wie im sehr auf das "Whodunit?"-Element ausgelegten Scream 2. Zudem fällt es noch schwerer, Scream 4 für sich betrachtet zu genießen, als Scream 2, bei dem man ohne Kenntnisse von Scream lediglich ein paar Gags versäumt oder manche Ticks der Figuren schwerer versteht. Dafür finde ich die stilistische Elemente in Scream 4, Humor, Horror, Treue gegenüber der Filmreihe und Innovationssuche, alles in allem ausgewogener als in der ersten Fortsetzung. Sehr schön finde ich etwa die zahlreichen satirischen Seitenhiebe auf Twitter, Facebook und Co. Scream 4 ist, wie schon Scream 2, nicht nur Horrorfilm, sondern zuweilen auch eine amüsante Abhandlung über den Einfluss der Medien. Dass diese Medienkritik zudem doppelbödig ist, also gleichermaßen die Kritik kritisiert, macht's für mich noch besser. Ein kleiner Wehrmutstropfen ist für mich, dass das Finale von Scream 4 auf dem Papier eigentlich danach schreit, noch soghafter, noch gigantischer zu sein, als das Finale von Scream. Inszenatorisch kommt es aber kleiner als der letzte Akt des Originals daher - 1996 haben Wes Craven und Kevin Williamson irgendwie ein besseres Händchen bewiesen, alle Fäden schnell zusammenzuführen und den Spannungsbogen extrem aufzuziehen. Scream hatte deswegen das größere Gefühl der Eskalation als Scream 4.
Müsste ich also eine Rangfolge der Scream-Filme erstellen, ich denke, ich würde Scream 1 & 2 und Scream 4 auf dem gleichen Niveau ansiedeln. Scream ist der atmosphärisch intensivste, Scream 4 ist sowohl witziger, als auch brutaler und inhaltlich wundervoll boshafter... und Scream 2 ist das stilistische Brückenstück. Scream 3 ist dafür das schwarze Schaf. Ehren Kruger überarbeitete einige der Dialoge in Scream 4, die grundlegende Arbeit übernahm laut Wes Craven jedoch Williamson allein - und der scheint von Scream 3 so viel zu halten, wie ich. Denn auch wenn nichts in Scream 4 seinem direkten Vorgänger widerspricht - Anspielungen gibt es nur auf die ersten beiden Teile.
Sollte es Scream 5 geben? Nun, ich weiß es nicht. Scream 4 funktioniert sehr gut als Kreisschluss und bitterböse Schlussfolgerung der zuvor angerissenen Themen sowie Handlungsfäden. Andererseits bewies Scream 4, dass der Meta-Slasher im Umfeld gänzlich anderer Horror-Trends wunderbar funktioniert. Und mit ein paar mutigen Ideen kann man aus dem Ende von Scream 4 einen richtig gemeinen "Was danach geschah"-Film schöpfen. Direkt eine zweite Trilogie anzuvisieren, wäre aber vorerst zu weit gegriffen. Ich sehe nur noch Raum für eine letzte Fortsetzung. Ob sie kommt..? Dimension Films ist eher unglücklich mit den Kinoeinnahmen. Also liegt's am DVD- und Blu-ray-Verkauf, ob wir ein letztes Mal vor Lachen und vor Schrecken schreien dürfen...
Siehe auch:
Du warnst doch vorher extra von Spoilern, wieso kommen dann so Umdenbreiherumrederein wie:
AntwortenLöschenDiese unnötige Ermordung in Scream 4 ist eine enorm spannende Szene, keine Frage.
Und ja, ich saß wirklich gebannt vor dieser Szene. Gut, nach DVD-Sichtung habe ich entdeckt, dass sehr viele TV-Spots die Szene zerschnitten haben und ausschlachteten, so dass ich mir denken kann, dass sie für TV-Spot-Kenner längst nicht so impressiv war - doch das ist ja nicht meine Schuld.
- ich kann mich nur deinen Aussagen nach nicht an daran erinnern, welche Szenen du meinst. Etwas mehr Mut zum Klartext fände ich da beim Lesen angenehmer; ich möchte nicht extra die DVD ausleihen und durchsuchen müssen, um deine grandiosen Artikel zu verstehen.
Ich warne vor Spoilern zu Teil 1 - 3, nicht vor Spoilern zu Teil 4. Und ich finde nunmal, dass Kritiken im Regelfall auch an Leute gerichtet sein sollten, die den besprochenen Film NICHT gesehen haben. Wer ihn wiederum sah, sollte auch ohne den Spoiler wissen, was gemeint ist.
AntwortenLöschenWenn dem hier nicht so war, nun, dann tut es mir leid und ich versuche, das in Zukunft besser zu machen. :-)
Aber es ist nun wahrlich nicht so, als würde ich in einem Spoiler-Beitrag schwammig rumreden.
Großartiger Artikel. Zum Glück gefällt dir der Film; einen Zeriss hätte ich wohl nicht ertragen. :D
AntwortenLöschenFinde es auch leicht schade das inhaltlich so wenig auf Scream 4 selber eingegangen wurde und bin mir nicht bewusst, welche jene überflüssige Mordaktion war, aber nichtsdestotrotz schöner Artikel.
Und Gottseidank gibt es nun alle 4 Film Uncut - wurde echt Zeit.
"Generation Spoiler" sage ich da nur. Wenn ein Artikel nicht den kompletten Film durchkaut, wird's schon kritisch. Inwiefern wird die Kritik denn besser, wenn gesagt wird, wer der Killer ist und welche Figuren sterben?
AntwortenLöschenFür jemanden, der den Film nicht sah, ist dieser Artikel doch einfach super. So ist doch nur relevant, dass es unnötige Szenen gibt, die aber wenigstens gut umgesetzt sind. Und wer den Film kennt, sollte eigentlich dahinter kommen, welche Szene gemeint ist. Ich finde es jedenfalls offensichtlich und sage nur "Parkhaus". Deshalb fehlt mir die genaue Benennung nicht in der Kritik - und so ist es doch perfekt. Ich kann sie mir nun durchlesen und schauen, ob Sir Donnerbold so denkt wie ich (jepp, tut er), und ich kann sie jemandem verlinken, der sich wegen mieser Kritiken weigert, den Film zu gucken.
Ich weiß nicht einmal, ob ich je alle Scream-Teile gesehen habe... Teil 2 hab ich glaub ich tatsächlich nicht geguckt, Teil 1 nie am Stück. Und angefangen hab ich mit Teil 3, was irgendwie unpraktisch war.
AntwortenLöschenTeil 4 hab ich ja tatsächlich im Kino gesehen und mich gut unterhalten gefühlt, auch wenn ich diese Musik-Schockeffekte absolut nicht leiden kann. *g* Aber ich bin nicht hinter die Auflösung gekommen, das haben die schon ganz ordentlich gelöst. Den Filmeinstieg fand ich überhaupt nicht kompliziert und recht unterhaltsam, mit einem augenrollenden "Nicht deren Ernst, oder?!" *g*
Was heißt hier Generation Spoiler? Ich hasse Spoiler wie die meisten. Es war vielleicht etwas egoistisch von mir eben diese zu verlangen, da das mein eigenes Lesevergnügen erhöht hätte, aber ich bin ja sowieso der Meinung, dass man sich solche langen Texte vor dem Anschauen des Films nicht durchlesen sollte.
AntwortenLöschen@ den letzten anonymen Poster:
AntwortenLöschenDu würdest den Artikel also besser finden, wenn ich die Ghostface-Opfer und die Identität des Killers verrate? Oder hättest du dir nur etwas deutlichere Anspielungen gewünscht?
Übrigens finde ich es verwirrend, wenn so viele unter "Anonym" posten. Ich will euch keinesfalls angreifen, aber da ich gerade bei der "Anrede" wieder merke, wie umständlich das ist, wollte ich es mal erwähnt haben. Damit sich niemand wundert, wenn ich vlt. mal die Möglichkeit, anonym zu kommentieren, abschalte. Bitte nicht böse sein. :-)
Anonym = Klotz.
AntwortenLöschenWas heißt besser? Wie gesagt, im Grunde hat TheReader natürlich Recht. Deswegen habe ich ja bereits erwähnt das meine Anmerkung als "Kritik" nicht so geeignet war, aber für mich persönlich ist der Lesespaß höher, wenn direkt auf den Inhalt genau eingegangen wird und die geäußerte Meinung damit im Zusammenhang deutlich wird. Der "In die Szene zurückversetz"-Effekt wird in meinen Augen verstärkt.
Nun könnte man mir natürlich vorwerfen, dass ich alles auf dem Silbertablet präsentiert haben möchte, vielleicht ist das auch so, aber dies ist nunmal meine Meinung. ;)