In dieser Artikelreihe seien die Cartoons vorgestellt, die Donald aus Sicht der Academy of Motion Picture Arts & Sciences in den Film-Olymp aufsteigen ließen. Dies sind die Filme, die dem Erpel eine Oscar-Nominierung einbrachten.
Dies ist Entengold.
Bleistift-Vorzeichnung zum Good Scouts-Kinoplakat (Bildquelle: Heritage Auctions)
1938 war Donald mit Abstand der unbestrittene Star der Walt Disney Studios. Micky Maus wurde längst zu einer zahmeren Persönlichkeit und benötigte in den meisten seiner Cartoons die Anwesenheit von Goofy und/oder Donald, um noch immer verwegene, komödiantische Abenteuer zu erleben. Weder Pluto, noch Goofy (beide vor Donald ins Disney-Universum eingeführt) verfügten über eine eigene, kontinuierliche Cartoon-Reihe und Disneys Kanon an abendfüllenden Zeichentrickfilmen beinhaltete zu diesem Zeitpunkt einen einzelnen Eintrag. Nicht so wie heute, wo Disney insbesondere für seine vielen abendfüllenden Meisterwerke bekannt ist.
Der Erpel befand sich also auf einem Popularitätshoch - aber das bedeutete nicht, dass sich die Disney-Künstler ausruhten. Zu dieser Zeit begehrte man studiointern einen Platz im Duck-Team, denn die Zeichner und Autoren rechneten den Cartoons Donald viel weitreichendere Möglichkeiten ein, als denen mit der Maus. Eine feste Formel für die Kurzfilme mit Donald gab es nicht. Mal war er der Störenfried, mal das zu bemitleidende Opfer, und wieder andere Male erfüllte er beide Rollen zugleich.
Einer der Männer, die versuchten, die Möglichkeiten Donalds auszureizen, war der erfahrene Trickzeichner Jack King. 1920 leitete er die damals populäre, nunmehr vergessene Stummfilm-Cartoonreihe Judge Rummy und fand am 17. Juni 1929 den Weg zu Disney, wo er zunächst als Zeichner (u.a. an Die drei kleinen Schweinchen) tätig war. 1933 folgte ein Intermezzo bei Warner Bros., King übernahm Verantwortung für die Filme um die Trick-Katze Beans und Schweinchen Dick - aber im April 1936 kehrte er zu Disney zurück. Er wurde als einer der Stamm-Regisseure für Donald Duck engagiert und startete seine Disney-Regiekarriere mit Modern Inventions, einem Cartoon, der von einer weiteren wichtigen Person in Donalds Karriere beeinflusst wurde: Carl Barks. Ursprünglich als Hintergrundzeichner zu Disney gekommen, fiel er schnell durch seine gelungenen Gag-Vorschläge auf (er erfand zum Beispiel den sprechenden Friseurstuhl aus Jack Kings Donald-Debüt) und wurde in die Story-Abteilung befördert, wo er hauptsächlich für Donald-Cartoons schrieb. Gemeinsam mit Jack King arbeitete Barks an Tick, Trick und Tracks Filmdebüt Donald's Nephews. Dieser zeigte Donald erstmals in der Rolle des vollkommen hilflosen und unschuldigen Opfers reinster Zerstörung, frei von seinem sprichwörtlichen Pech oder leicht reißendem Geduldsfaden. Donald war nur vier Jahre nach seinem Debüt in eine Erwachsenenrolle gewachsen und tauschte die Position mit jenen, die in seinen ersten Auftritten unter seinem Schabernack zu leiden hatten...
...aber Jack King und Carl Barks bewiesen noch im gleichen Jahr mit dem am 8. Juli erstveröffentlichten, zweiten Leinwandabenteuer von Donalds Neffen, wie flexibel ihr schnatternder Schützling ist:
Familie Duck wandert in einen Nationalpark, und Donald möchte seinen tüchtigen Pfadfinder-Neffen zeigen, wie sich ein waschechter Erpel beim Zelten im Wald zu schlagen hat. Der Unterricht beginnt mit der Lektion "Holz hacken", und da einer der Neffen einen mickrigen Strauch von einem Baum in Angriff nimmt, schiebt der eifrige Lehrmeister das Küken weg, um vorzuführen, wie er einen gewaltiger Baum fällt. Anders als sein Neffe übersieht Donald, dass das gewählte Exemplar versteinert ist - und belehren lässt sich Donald auch nicht. Schließlich hat der Anfänger zu schweigen, wenn der Meister handelt. Dies ist der Beginn einer Reihe von Trubel für Donald: Auch beim Zeltbauen feiert er sein Können voreilig, und als er daraufhin seinen Neffen einen Streich spielen will indem er eine Verletzung vortäuscht, wird er von den fürsorglichen Jung-Pfadfindern vollbandagiert. Blind durch die Natur stolpernd, ist Donald ganz seinem üblichen Glück ausgeliefert. Oder anders gesagt: Sein Pech liefert ihn der rauen Wildnis aus.
Für den Pechvogel und Choleriker vom Dienst bedeutete der so unscheinbare Cartoon einen unerwartet großen Schritt: In Good Scouts steigt Donald vom überforderten Kurzzeit-Aufpasser Tick, Trick und Tracks zu einer Autoritätsfigur auf: Als Anführer eines aus seinen Neffen bestehenden Pfadfinder-Trupps zeigt sich Donald in einer gänzlich neuen Position, und dieses Mal hat er nicht mit dem Widerstand seiner Schützlinge zu kämpfen. Dies gibt Donald eine ihm zuvor fremde Fallhöhe, denn auch wenn er als Figur gewachsen ist, knallt noch immer (im Gegensatz zu Donald's Nephews) voll und ganz sein klassischer Charakter durch. Er überschätzt seine Fähigkeiten gewaltig, ist furchtbar störrisch und das Glück ist ihm auch nicht gerade hold, wie gesamte Schlusspassage mit dem Geysir vorführt. Die Missgeschicke Donalds beruhen also sowohl auf eine ihm widrige Umgebung, als auch auf den Schwächen seiner selbst. Damit bedient er ein breites komödiantisches Feld, zeigt aber einen definierten Charakter, der sich gegenüber früheren Auftritten entwickelte, ohne ihn zu zähmen. Etwas, das den Disney-Machern mit Micky Maus nicht gelang.
Ich wäre gewiss überrascht, wenn die Academy of Motion Picture Arts & Sciences aus den genannten Gründen Good Scouts als ersten Donald-Cartoon in der Kategorie "Bester animierter Trickfilm" nominiert hat. Es ist letztlich doch sehr unwahrscheinlich, dass sich die Verantwortlichen jeweils hingesetzt haben und dachten: "Also, dieser Donald... Der macht sich seit vier Jahren so gut - und ist seither kein bisschen langweilig geworden. Und jetzt haben die bei Disney was ganz neues mit ihm gemacht. Aber anders, als bei anderen Cartoonfiguren üblich, fühlt es sich noch immer echt nach Donald an! So - ich nominier Good Scouts für den Oscar, das mach ich!"
Was exakt ausschlaggebend für die Oscar-Nominierung war, lässt sich selbstverständlich nur mutmaßen - schließlich veröffentlicht Academy keine umfassenden, offiziellen Statements zu jeder vereinzelten Nominierung. Meine Mutmaßung ist wohl, dass Good Scouts schlichtweg durch die rundum charmante und gelungene Umsetzung bestsach - und noch heute damit zu unterhalten weiß. Die Gags selbst waren schon damals keine Revolution, und rückblickend sind es fast schon Standardeinfälle. Donald will prahlen, scheitert aber anhand Unachtsamkeiten. Donald will sich durch einen Scherz Aufmerksamkeit ergaunern, wird danach überfürsorglich verartztet. Und auch mein Lieblings-Witz in Good Scouts ist dank Sitcoms und Sketch-Shows zu einer Konvention geworden: Mit lieblichem Blick und (für seine Verhältnisse) säuselnder Stimme versucht er, mit Schmeichelein einen übel gelaunten Bären zu besänftigen (schon im Folgejahr versucht Micky ähnliches - und es sieht nur halb so knuffig und witzig aus). Als wäre das Tier für schöne Augen empfänglich. Nun, wie abgegriffen diese Pointen heute sind, ist ja nicht die Schuld dieses Cartoons - aber weshalb er noch immer unterhält, zeigt auf, wie stark seine damaligen Qualitäten waren.
Zunächst stimmt einfach immer das Timing: Nie wird ein Gag zu lange hinausgezögert oder überreizt, nie kommt die Kette an Missgeschicken zu einem zähen Halt, zugleich wird das Geschehen auch nicht absurd schnell runtergehechelt. Es kommt alles in einem realistischen Tempo - Good Scouts ist im wahren Leben schwer denkbar, aber das Timing lässt ihn sehr echt wirken. Würden die Physik, die Biologie und der Zufall mitspielen, wäre es auf einmal genau so denkbar. Das macht den Cartoon, oder eher Donald, so echt und so menschlich. Die wohl prägendste Eigenschaft von Good Scouts ist eng damit verknüpft: Nicht nur die Fehltritte Donalds (einen versteinerten Baum fällen wollen, eine strunzdämliche Zeltkonstruktion bauen, in einem Geysir stecken bleiben...) sollen witzig sein, sondern auch die Reaktionen darauf.
Durch den gesamten, sehr gut gezeichneten Cartoon hinweg zeigen Donald und die Neffe in Mimik und Gestik unverzögert, wie sich das Geschehene auf sie auswirkt - und darin liegt die Güte dieses Cartoons. Eine solche Kette an Unfällen könnten sich viele Zeichenstudios ausmalen, doch das Donald-Team der späten 30er wusste, sie ansprechend umzusetzen. Nicht zu seicht und auch nicht mean spirited - sondern im perfekten Mittelfeld, so dass man unseren angeberischen Protagonisten weder verurteilt, noch Gewissensbisse vekommt, über ihn zu lachen. Auffällig ist, in dieser Beziehung, wohl auch, dass der Choleriker in Good Scouts kein einziges Mal vor Wut überkocht.
Stattdessen gaben die Zeichner ihm mit spitzem Bleistift viele andere, pointierte Mienenzüge mit: Donalds Gesichtsausdrücke, wenn er sich wieder einmal selbst überschätzt, einen Bären zu bezierzen versucht (und ganz genau weiß, wie absurd die Idee ist) oder wenn er realisiert, in welch großer Patsche er nun sitzt, sind einfach Gold wert. Oder nunmal eine Oscar-Nominierung.
Das Oscar-Feld für den besten animierten Kurzfilm 1938 war ein bis dahin beispielloser Triumphzug für die Walt Disney Studios: Erstmals wurden fünf statt drei Cartoons nominiert, und prompt füllte Disney vier dieser Slots. Good Scouts trat zum einen ironischerweise gegen Brave Little Tailor an, einer ambitionierten und kostspieligen Nacherzählung des Märchens Das tapfere Schneiderlein. Während Donald in Good Scouts eher subtil in eine neue Position geführt wurde, war Brave Little Tailor der engagierte Versuch, den nunmehr an den Rand gedrängten Micky wieder relevant zu gestalten. Der Zahn der Zeit war äußerst freundlich zu diesem Kurzfilm: 1994 wurde er in einer durch den Animations-Historiker Jerry Beck geleiteten Umfrage von Trickexperten auf Platz 26 der großartigsten Cartoons gewählt.
Außerdem nominiert wurde Mother Goose Goes Hollywood, in welchem Donald einen kurzen Cameo-Auftritt hat. Die Parodie auf die Mother Goose-Kinderreime ist mit Karikaturen damaliger Hollywood-Berümtheiten gespickt und nimmt sogar den MGM-Löwen auf's Korn. Regie führte Wilfried Jackson, der zuvor schon The Tortoise and the Hare und The Old Mill verantwortete und später das finale Segment von Fantasia auf die Leinwand brachte.
Der letzte nominierte Disney-Cartoon war Ferdinand the Bull, der überaus beliebte Kurzfilm über einen friedfertigen Stier, der sich zu kämpfen weigert. Dieser Klassiker des Zeichentrickmediums war es auch, der mit dem Oscar prämiert wurde. Und - wenn ich es an dieser Stelle anmerken darf - auch gänzlich zu recht.
Der einzige nominierte Non-Disney-Cartoon war Hunky and Spunky, produziert von Disneys altem Rivalen Max Fleischer, dessen jüngerer Bruder Dave Regie führte. Der im Wilden Westen angesiedelte Cartoon handelt von einer Eselsmutter und ihrem Sohn Spunky, den Mama Hunky davor zu bewahren versucht, als Arbeitstier zu enden. Der Cartoon war der Beginn einer sechs weitere Filme umfassenden Reihe über das Mutter-Sohn-Gespann.
Welche weiterreichende Relevanz hat Good Scouts denn für seinen Star? Zunächst ist es offensichtlich, dass die Köpfe hinter Good Scouts erkannten, mit diesem Cartoon etwas richtig gemacht zu haben. Die Dynamik zwischen Donald und Tick, Trick & Track sollte von nun an viel eher Good Scouts ähneln, als dem Debüt der Neffen - auch wenn sie sich in späteren Filmen durchaus wieder kleine Frechheiten erlauben, sind sie nicht mehr solch schlimme Finger wie in Donald's Nephews. Außerdem erhielt Good Scouts so etwas wie eine thematische Fortsetzung: Den maritimen Kurzfilm Sea Scouts, in welchem sich Donald als Kommodor statt Pfadfinder-Gruppenleiter versucht. Als Oscar-nominierter Cartoon schaffte es Good Scouts (zusammen mit seinem geistigen Nachfolger) 1984 auch in die Reihe der Sonder-Briefmarken, die in Bhutan zu Ehren von Donalds 50. Geburtstag herausgegeben wurden.
Und man kommt wohl nicht drumherum, an dieser Stelle auch darauf einzugehen, dass dies nicht Tick, Trick und Tracks einziges Auftreten als Pfadfinder ist. 1951 griff Carl Barks, mittlerweile erfahrener Comic-Zeichner/-Autor und in dieser Funktion der geistige Vater des einzigartigen Entenhausen-Kosmos, die Idee erneut auf, indem er das Fähnlein Fieselschweif erfand, zu dessen fleißigen Mitglieder auch Tick, Trick & Track gehören. Ihr pfadfinderisches Können zeichnete sich (zweifelsohne eher zufällig) schon in Good Scouts ab - kaum ist es Donald nicht weiter möglich, sie mit seinen Lektionen aufzuhalten, sieht das Camp der Ducks überaus vorbildlich aus. Aber auch auf anderem Wege schaffte es Good Scouts in die Comic-Welt: Der niederländische Donald-Zeichner Jules Coenen setzte die Geschichte 1979 als Comic um (die dt. Veröffentlichung folgte 1995 in Super Sommer Spaß #1). Als Hinweis auf den Ursprung zeigte er das Pfadfinder-Abenteuer als Urlaubsfilm, den sich Donald un die Neffen anschauen.
Bis zu Donalds zweiter Oscar-Nominierung sollten wiederum noch drei Jahre vergehen. Dann fand er mit Truant Officer Donald, seinem achten gemeinsamen Cartoon mit Tick, Trick und Track (Mini-Auftritte in Micky-Filmen nicht mitgezählt), erneute Anerkennung von der Academy. Mehr dazu gibt es in der nächsten Ausgabe von Entengold.
4 Kommentare:
Toller Artikel! Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich den Film bis vorhin noch gar nicht gesehen hab... wurde aber gleich nachgeholt!
Bei der Stelle über "Brave Little Tailor" hast du übrigens einen Wortdreher drin, da hast du "Zeit der Zahn" statt "Zahn der Zeit" geschrieben. ;)
Jetzt nicht mehr. ;-)
Vielen Dank für den Hinweis - und für das Lob.
Frage in dem Zusammenhang:
Werden denn die fehlenden Walt Disney Treasures wie z.B. Donald Vol. 4 irgendwann auch in deutscher Ausgabe (W.D. Kostbarkeiten) veröffentlicht? Weisst Du da was davon?
Disneys Antwort war leider ein: "Weitere Veröffentlichungen sind nicht geplant"
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