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Dienstag, 30. August 2011

Er hat Raketenantrieb! Er bekämpft die Mafia! Er bezwingt Nazis! Er verführt angehende Filmstars! Er... kann sich die Fortsetzung in die Haare schmieren.

Comicverfilmungen sind kaum noch aus Hollywod wegzudenken. Sie sind nicht nur recht verlässliche Publikumsmagneten, sondern ernten mittlerweile auch sehr viel Respekt seitens Cineasten und Kino-Kritkern.  Doch vor Captain America, Iron Man, The Dark Knight, Sam Raimis Spider-Man, Bryan Singers X-Men und meinethalben auch den ersten beiden Blade-Filmen sah dies noch völlig anders aus. Es gab viel weniger Comicadaptionen als heutzutage, und von wenigen Ausnahmen abgesehen, waren sie auch deutlich schlechter. Wohl auch deshalb scheint das kollektive Gedächtnis in Sachen Comicfilmen erst um die Jahrtausendwende einzusetzen.

Aus der Zeit zuvor werden nur für die ganz großen unter den Superhelden Ausnahmen gemacht. Superman, der 1978 erstmals eine "glaubwürdige" Superheldengeschichte auf die Leinwand brachte und von Fortsetzung zu Fortsetzung immer mehr zum Ziel des Spotts wurde, sowie Batman, dessen Kassenschlager von 1989 meiner Ansicht nach arg überschätzt wird, eine (wie ich finde) viel bessere Fortsetzung hatte und daraufhin eine lächerliche Wende nahm.

Abgesehen von diesen Comicgiganten gab es viele Filme, die entweder vergessen wurden, oder die Comic-Liebhaber versuchen, endlich zu verdrängen. Howard - Ein tierischer Held, Steel, Barb Wire, Judge Dredd, Tank Girl,... Einzig der Disney-Konzern schien während der 90er-Jahre abseits der ganz großen Comic-Helden aus dem Hause DC kleine Achtungserfolge zu feiern. The Crow wurde ein waschechter Kultfilm und Dick Tracy ist heutzutage zwar weitestgehend vergessen, aber er fand überdurchschnittlichen Erfolg an den Kinokassen (selbst wenn sich Disney mehr erhoffte) sowie überraschenden Zuspruch bei den Academy Awards. Warren Beattys ambitioniertes Projekt erhielt sieben Nominierungen für den Oscar, wovon er drei Stück gewann.

Verschaffen wir uns also einen Überblick: Vor dem aktuellen Comic-Boom im Kino hatten wir die zwei berühmtesten Superhelden aller Zeiten, einen Nischen-Kultfilm, einen vergessenen mäßigen Erfolg, der von bei den Oscars Anklang fand und einen Haufen Müll. Moment, haben wir nicht etwas vergessen? Eine Comicadaption, die nicht nur die Stimmung ihrer Vorlage einfing, sondern auch abenteuerliche, spaßige Filmstunden bot. Ein dynamisches, flockiges Heldenabenteuer, das Raum für eine äußerst vergnügliche Kinoreihe ließ, aber leider nie den verdienten Publikumserfolg fand. Nicht einmal rückblickend. Naja, von ein paar sehr lauten, stolzen Fans abgesehen. Darum wurden auch die eingangs geplanten zwei Fortsetzungen niemals gedreht.

Aber man sollte nie aufgeben. Jetzt, da der Regisseur dieses Films einen anerkannten Superhelden-Blockbuster ablieferte, ist genau der richtige Zeitpunkt, um zurückzublicken!

Meine Damen und Herren, ich erbitte mir mehr Respekt für...

Rocketeer

Der wichtigste Grund, weshalb mir Rocketeer so gut gefällt, ist seine das beste zweier (oder sogar dreier!) Abenteuer-Filmwelten vereinenden Grundstimmung. Regisseur Joe Johnston und die im Laufe der turbulenten Produktion mehrfach gefeuerten und wieder angeheuerten Drehbuchautoren Danny Bilson & Paul De Meo kreierten eine genüssliche Mischung aus dem naiv-ambitionierten Stil der Disney-Abenteuerfilme der 50er Jahre (nur mit einem wunderbaren Art-Deko-Setting an Stelle einer Jules-Vernes- oder Robert-Louis-Stevenson-Welt) und dem althergebrachten Pulp-Feeling einer Superhelden-Serial aus früheren Kinotagen.

Diesen Ansatz hat Joe Johnston sicherlich von George Lucas gelernt, dessen zwei großen Franchises (für die Johnston Effektarbeit leistete) bekanntlich ebenfalls moderne Rückgriffe auf alte Schundabenteuer sind. Und Johnston hat diesen spaßigen Filmstil ebenfalls drauf: Rocketeer fühlt sich wie ein guter Disney-Realfilm an, wie ein zeitgemäßer Blockbuster der frühen 90er und wie eine liebevolle Hommage an vergangenes Hollywood-Abenteuerkino.

Die Geschichte ist geradlinig, vergnüglich und grundsolide erzählt: Wir befinden uns im Jahr 1938, als Howard Hughs strenggeheimer Prototyp eines Jetpacks gestohlen wird. Zufällig gerät er in die Hände des unwissenden Stuntpiloten Cliff Secord (Billy Campbell), dessen Flugzeug kurz vor der großen Flugshow enormen Schaden nahm. Entgegen des Rats seines Mentors und Mechanikers Peevy (Alan Arkin), will er dieses Gerät unbedingt austesten. Auch wenn Peevy es nicht zugeben würde, ist er von dem Jetpack fasziniert und bemüht sich, es zu verbessern. Was die beiden nicht wissen: Sowohl das FBI, als auch die Mafia sind hinter dem Prototypen her, letztere im Auftrag des Hollywoodstars Neville Sinclair (Timothy Dalton), einem an Errol Flynn angelehnten Swashbuckler-Darsteller. Dieser wird von Herscharen von Frauen verehrt, darunter auch Cliffs Freundin Jenny (Jennifer Connelly), die als Statistin am Set von Nevilles neuen Film dabei sein darf.
Als Cliff während eines Notfalls bei einem Flugzirkus das Jetpack (sowie einen von Peevy entworfenen Helm) einsetzt, um einen Kollegen zu retten, machen Schlagzeilen über einen Superhelden namens "Rocketeer" die Runde - und natürlich dauert es nicht lange, bis die Mafia und das FBI sich an seine Fersen setzen...

Rocketeer hat ein paar kleinere Macken. Keine von ihnen ist gravierend, in der Summe sind sie dennoch auffällig. So hat der Film zwar eine sehr gesunde Dosis Humor, die hilft den Camp-Faktor seiner Handlung zu unterstreichen, aber dieser Humor findet keinen einheitlichen Tonfall. Manches ist der schiere Disney-Familienfilm-Slapstick, anderes ist schon etwas kerniger, etwa wenn ein älterer Mann in Jennifer Conellys Ausschnitt starrt und anmerkt, sie kennenzulernen sei ein doppeltes Vergnügen. Wohl auch wegen solcher Scherzchen (und der Ankunft der Nazis in Los Angeles via Zeppelin) hat sich Disney dazu entschlossen, Rocketeer in manchen Märkten als Touchstone-Film zu veröffentlichen, statt als Disney-Produktion. Dies war aber die ursprüngliche und in den USA bis heute geltende Einteilung - und die finde ich auch ganz und gar angebracht.

Wie dem auch sei, wenn man von manchen Problemen, den richtigen Humor zu finden oder auch von einer Eröffnungs-Verfolgungssequenz, die gerne etwas spektakulärer hätte sein dürfen, absieht, ist Rocketeer gebündeltes, tolles Unterhaltungskino. Campbell ist ein guter Durchschnittstyp, der in die Heldenrolle stolpert, Alan Arkin und Timothy Dalton sind richtig göttlich in ihren comichaften, und dennoch mit dem richtigen (herzlichen bzw. boshaften) Charme ausgestatten Rollen und Terry O'Quinn (Locke hochstpersönlich!) gibt ein nettes Stelldichein als Howard Hughes. Jennifer Connelly agiert mir etwas zu steif, doch wenigstens bricht ihre Figur etwas aus dem "Zu rettendens Püppchen"-Schema aus. Ja, gemäß der Pulp-Abenteuer-Orientierung muss auch sie mal befreit werden, aber verbal und auch körperlich teilt sie hie und da aus, was das ganze erfrischend hält. Dass ihre Figur in den Comics noch anders hieß und Aktmodell war, ist eine der grundlegendsten Änderungen gegenüber der Vorlage. Aber der Film profitiert davon, weil wir dadurch mehr Hollywood-Flair schnuppern dürfen.

Die Effekte waren für ihre Zeit sensationell, allerdings kam Rocketeer im Sommer von Terminator 2 in die Kinos, und verloren somit jeglichen Anspruch, die bahnbrechendsten Tricks des Kinojahres zu sein. Dafür kann die Ausstattung bei Liebhabern des 30er-Stils für Euphorie sorgen: Die Kostüme sehen toll aus und die Sets reflektieren den damaligen Hollywood-Zeitgeist. Natürlich auch inklusive seltsamer Architektur für Cafés und Restaurants. Für das verwendete Budget ist Rocketeer ein wahrer Augenschmaus. Und ein Genuss für die Ohren ist der Film obendrein: James Horner gab eine seiner besten Arbeiten ab, mit einem träumerisch-heroischen Soundtrack, der einen in Gedanken fliegen lässt. Ein paar altmodisch-jazzige Stücke haben sich auch mit eingeschlichen. Klassik, Jazz, schöner, nicht zu dick aufgetragener Filmpathos: Wie diese Filmmusik bei den Oscars komplett ignoriert werden konnte, ist mir ein Rätsel.

Rocketeer ist nicht perfekt. Aber Joe Johnstons zweite Regiearbeit beinhaltet schon sämtliche Qualitäten, die zwei Jahrzehnte später Captain America auszeichnen sollten, und ist schon für sich betrachtet ein so solides, charmantes Stück Hollywood-Kino, dass ihr die Apathie des Publikums einfach nicht gerecht wird. Dieses Disney- und Superhelden-Kleinod ist mir mit seiner handgemachten Action, dem wundervollen Score von James Horner und dem vergnügten Ensemble sogar lieber als der Vorzeigefilm Iron Man. Ja, die Downey-junior-Show ist reinstes Vergnügen, die Effekte sind keinesfalls mies, aber die Randfiguren sind nur halb so interessant, gegen Ende des zweiten Akts ist Iron Man was zäh und sich kloppende CGI-Roboter(anzüge) finde ich nur halb so cool, wie 30er-Mafiagangster in Nadelstreifenanzügen, die mit ihren MGs auf einen Nazi-Zeppelin feuern. Und Jeff Bridges' Leistung in Iron Man ist längst vergessen - Timothy Dalton in Rocketeer hingegen glüht vor Selbstgenuss.

Rocketeer ist im Vergleich zu modernen Comicverfilmungen eine Kleinproduktion. Doch in Sachen Sehvergnügen spielt er in der Liga der Pre-Avenger-Filme der Marvel Studios mit. Wo er sich mit den meisten der Filme auf verschmitzte Weise anlegen kann.

Und deshalb hat Rocketeer mehr Respekt verdient.

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1 Kommentar:

  1. Diesen positiven Review zu "Rocketeer" kann ich nur voll und ganz zustimmen.
    Ein zu unrecht vergessener "kleiner" Klassiker.

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