X-Men: First Class, so heißt der neuste Eintrag in die Kino-Saga rund um Marvels Mutanten-Elitetruppe. In Deutschland entschied man sich, dem Prequel rund um die Gründung der X-Men, die Kubakrise und die einstige Freundschaft von Magneto und Professor X mit dem martialischeren, aber auch weniger hochtrabend misszuverstehenden Untertitel Erste Entscheidung zu versehen.
Dabei trifft der US-Titel, überraschenderweise, durchaus ins Schwarze. Prequels sind meistens eine heikle Sache. Etablierte Figuren in neue Problemsituationen zu verstricken, ist wesentlich leichter, als eine spannende Geschichte vor dem Punkt 0 zu erzählen. Schließlich beginnen die meisten Kinoserien am großen Scheidepunkt ihrer wichtigsten Figuren - alles was davorliegt, muss in vielen Prequels bemüht konstruiert werden. Doch die X-Men eignen sich für ein gutes Prequel, schließlich wurde in der Kino-Kontinuität nie explizit erklärt, was zwischen den einsttmals verbündeten Mutantenanführern vorgefallen ist.
Sehr hastig zimmerten Marvel und Fox eben diese Geschichte zusammen, nachdem Bryan Singer (X-Men 1 & 2) vom Regieposten abtrat, in seiner Autorenfunktion aber Elemente des geplanten Magneto-Kinofilms einarbeitete. In wenigen Monaten musste der neue Regisseur Matthew Vaughn einen stattlichen Kinoblockbuster aus dem Boden stampfen, und da die wesentlich weiter im Voraus geplanten letzten beiden X-Men-Filme versagten, waren die Erwartungen an X-Men: Erste Entscheidung nicht sonderlich hoch. Und ich persönlich muss sagen, dass mir sämtliche Trailer ziemlich mies vorkamen. Und dennoch... Vaughn hat es geschafft. Ja, man merkt dem Drehbuch an, dass irgendwann die Zeit davonlief, es wurden Entscheidungen getroffen, die man mit einer längeren Planungsphase wohl auf etwaige Sequels vertagt hätte - und in diesem Fall auch hätte vertagen sollen. Und manche der Effekt-Aufnahmen sind geradezu erbärmlich.
Diese groben Schnitzer sind allerdings recht schnell verziehen, da Vaughn den reifsten und ernstzunehmendsten X-Men-Film bis dato schuf. Und gleichzeitig bleibt der Film erfrischende, kurzlebige Sommerunterhaltung mit tollem Look und pointiertem Witz. Die Action ist groß, steht aber nie den unter der Oberfläche brodelnden, zentralen Konflikten im Weg und so verbringt man mit X-Men: Erste Entscheidung etwas mehr als zwei enorm unterhaltsame, durchdachte Kinostunden. Man spürt, dass Vaughn mit Kick-Ass bereits Erfahrungen mit der Balance zwischen Superheldenspaß und abgefeihter Gesellschaftskritik sammelte. Sein X-Men-Film ist nicht ganz so radikal und sensationell, das größere Erbe dieser Comicreihe verpasst ihm ein engeres Korsett, doch wem Kick-Ass zu wild gewesen sein sollte, darf Vaughn nun gerne eine erneute Chance geben.
Besonders hervorzuheben ist Michael Fassbender. Der Inglourious Basterds-Veteran liefert als Erik Lehnsherr (zukünftig Magneto) eine großartige, nuancierte Performance ab. Selten waren Comicschurken nachvollziehbarer und facettenreicher. Kevin Bacon ist in seiner Rolle als durchtriebener Ex-Nazi das krasse Gegenteil... und fast genauso gut. Overacting und überschwappende Boshaftigkeit mit Genuss - ein schöner Kontrapunkt, von dem im Zusammenspiel beide profitieren. James McAvoy dagegen fiel mir als Charles Xavier desöfteren auf die Nerven. Dieser angestrengte Blick mit der zerknautschten Augenpartie, dieses ständige Gesäusel... Er soll wohl als guter Mentor mit kleinen Schwächen gezeichnet werden, manchmal war er aber einfach nur ein Arsch. Mit Fassbender harmoniert er aber super. Dafür ist January Jones eine Katatsrophe - während Fassbender ab Ende des Jahres wohl auf den einen oder anderen Publikumspreis hoffen darf (wenn er viel Glück hat, sind ihm auch Außenseiterchancen auf den Golden Globe gegönnt... der Oscar wäre aber viel zu weit gegriffen, bleiben wir mal auf dem Teppich), sollte sich Jones schonmal nach einer Ecke für die Goldene Himbeere umschauen.
X-Men: Erste Entscheidung hat ein paar ungewollt komische Momente, ist aber sonst sehr spannend (so lange man wohl wenigstens den Schimmer eines Vorwissens über die Figuren hat), erfrischend und relativ klug. Ein gelungener Superheldenfilm, ausgereifter und relevanter als Thor, ernster als Sam Raimis Spider-Man, aber weniger ikonisch. Ganz große Momente gab's nicht - eine Superheldenversion eines 60er-Agentenspektakels rund um die Kuba-Krise ist allerdings keinesfalls zu verachten.
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