Dies ist eine spoilerfreie Kurzkritik des Donnerstag startenden, neuen Piratenspektakels rund um Captain Jack Sparrow. Eine ausführlichere, spoilernde Kreuzung aus Filmanalyse und Rezension werde ich noch nachreichen, sobald ich ihn öfter gesehen habe. Ganz so wie bei Inglourious Basterds damals...
- Je nach Perspektive kann Pirates of the Caribbean - Fremde Gezeiten als gänzlich alleinstehendes Abenteuer oder als Anbruch einer neuen Trilogie betrachtet werden, doch in jedem Fall werden neue Seewege beschritten, so dass Fremde Gezeiten unbeschwert seine eigene, erfrischende Geschichte erzählen kann.
- Diese neue Geschichte ist auch deutlich simpler gestrickt, als die von Die Truhe des Todes (aka Fluch der Karibik 2) und Am Ende der Welt, und meines Erachtens nach ist sie auch ein Stückchen überschaubarer als die von Fluch der Karibik, weshalb ich für die Verrisse, die schon wieder mit "übertrieben komplexe, unverständliche und überfrachtete Story" ankommen wirklich keinerlei Verständnis mehr aufbringen kann, sondern mich nur noch wundere, wie konzentrationsunfähig einige Menschen wohl sein müssen.
- Auf der Suche nach dem Jungbrunnen trifft Jack Sparrow auch einige (für den Zuschauer) Unbekannte, darunter seine ehemalige Affäre Angelica, die von einer großartig agierenden Penélope Cruz gespielt wird, die mich, obwohl ich wahrlich kein Anhänger von ihr ist, mit ihrem Temperament, der gesunden Selbstironie sowie ihrer natürlichen Chemie im Zusammenspiel mit Johnny Depp vom ersten Moment an überzeugte, und die gerne noch etwas mehr Action hätte mitmachen können.
- Der neuste Schurke im stetig wachsenden Pirates of the Caribbean-Ensemble ist Blackbeard, gespielt von Ian McShane, der mit seiner überlebensgroßen Präsenz ein würdiger Zuwachs für die Reihe ist, jedoch für mich nach einmaligem Betrachten des Films klar der am wenigsten beeindruckende, schurkische Pirat ist, weil er weder Geoffrey Rushs famosen Humor mitbringt, noch wie Bill Nighy mit so viel Energie ein interessantes inneres Drama ausleben kann.
- "Welpe junior" Sam Claflin ist in Fremde Gezeiten absolut unbeeindruckend und kann selbst die Welpenblick-Karte nicht richtig ausspielen, sein Subplot hat sehr viel, leider kaum ausgeschröpftes Potential; die an seiner Seite aufgrund der Trailer und des Promo-Materials als Keira-Knighltey-Ersatz gehandelte Newcomerin Àstrid Bergès-Frisbey hingegen hinterlässt einen bleibenden Eindruck und konnte mich mit einem unaufdringlichen Spiel förmlich begeistern, sie (bzw. ihre Figur) ist mystisch, süß und hat eine starke Ausstrahlung, weshalb man gerne mehr von ihr sehen würde.
- Chicago-Regisseur Rob Marshall, der das schwere Erbe des wunderbar mit Genreversatzstücken und Atmosphären jonglierenden Gore Verbinskis antreten muss, macht als neuer Pirates-Steuermann eine sehr gute Figur, er kann den ambivalenten Tonfall der Pirates-Reihe genauso aufregend balancieren wie Verbinski, setzt aber mehr auf eine szenenspezifische Stimmung, als auf ein komplexes Stimmungsgesamtkonstrukt, Marshall choreographiert die Schwertkämpfe sehr schön (weshalb man sich für die Fortsetzung mehr von ihnen wünscht) und dreht für eine intensivere Seemannsgarn-Atmosphäre die augenzwinkernde Spritzigkeit Verbinskis herunter.
- Trotzdem fühlt sich Fremde Gezeiten wie ein vollwertiger Teil der bisherigen Reihe an, und nicht wie ein fremdes Werk, das der Pirates of the Caribbean-Stempel aufgezwängt wurde, was zu einem daran liegt, dass bereits die ersten drei Filme alle ihre eigene "Tonlage" hatten, zum anderen auch an dem wie eh und je in seiner Rolle aufgehenden Johnny Depp, dessen Spielfreude wahrlich ansteckend ist.
- Außerdem erhält Fremde Gezeiten seine Reihenkontinuität durch einen mit musikalischen Zitaten spielenden Hans Zimmer, dessen Soundtrack das unverwechselbare Fluch der Karibik-Feeling verbreitet und dennoch eine neue, gedämpftere Tonart anschlägt, da er die überwältigende Kraft des letzten Teils zu Gunsten von feurigen Flamenco-Klängen, Nachhall in den Actionsequenzen und Mystik in den übernatürlichen Momenten austauscht, insgesamt bleiben aber zumindest zu Beginn die neuen Arrangements und Verschmelzungen alter Melodien viel besser im Ohr, als die neuen Kompositionen.
- Auch Geoffrey Rush kehrt als Barbossa zurück, und er ist wieder einmal für mich direkt nach Depp das beste im Film, seine genüsslichen Übertreibungen, dieser spritzige und dennoch knochentrockene Humor, all das ist einfach fantastisch mitanzusehen.
- Pirates of the Caribbean - Fremde Gezeiten ist, abschließend gesagt, ein erfrischender, leichtfüßiger und inspirierter Neuanfang für die Pirates of the Caribbean-Reihe, der vielleicht nicht ganz so überraschend wie Fluch der Karibik ist, dafür aber mit ansteckender Leinwandchemie zwischen Depp und Cruz sowie Rush und einer intensiven schaurig-schönen Abenteuerromantik lockt.
3 Kommentare:
Ich gebe zu, dass ich mir nur den ersten Teil des Piratenabenteuers im Kino angesehen habe und die beiden anderen (auch wegen negativer Kritiken etc.) ausgelassen habe. Nach allem, was ich gehört habe, werde ich mir On Stranger Tides nun dann doch wieder im Kino ansehen - und die beiden anderen Teile auch auf die eine oder andere Weise nachholen.
Interessanterweise war es Ian McShane als Blackbeard, der mir in den Trailern so gut gefallen hat und bei mir mit den positiven Vorabberichten den Wunsch hat aufkommen lassen, On Stranger Tides im Kino zu sehen. (Bei Rapunzel gab es im Charaktervideo auch eine Szene, bei der ich dachte, dass der Film sicherlich nicht total schlecht sein kann, trotz shrekhafter Trailer.)
Eine Off-Topic-Frage: Wie gehst Du selbst eigentlich mit negativen Kritiken am Dir geschätzten Franchise der Piraten um? (Oft hört man ja die Allgemeinplätze "Der erste Teil war super, die beiden anderen [DMC und AWE] nur noch albern" etc.)
Hat Jacks neue Stimme gestört? Oder konnte man sich an sie gewöhnen?
Sooooo... verzeiht mir bitte die späte Reaktionen.
@ Stefan Kraft: Die negativen Allgemeinplätze zu den Fortsetzungen gehen ja praktischerweise in sehr unterschiedliche Richtungen, weshalb es ein leichtes ist, darauf hinzuweisen, dass man bei der Begutachtung wohl falsch hingeguckt hat. *g*
Die Kritik die Filme seien unverständlich etwa, kann ich kaum ernstnehmen. Komplexer, als der normale Abenteuerfilm? Ja, aber unverständlich? Da kann ich nur aufgeschlossene Zweitsichtungen empfehlen. Nur alberner Hokuspokus? Da kann ich nur drauf hinweisen, dass wieder andere die Fortsetzungen zu bombastisch-dramatisch finden.
Deswegen, die Kritik, die Fortsetzungen seien einfach nur SCHLECHT, kann ich schlicht nicht nachvollziehen. Wenn Leute die von mir gegenüber dem Original bevorzugten Fortsetzungen schwächer als "Fluch der Karibik" finden, ist das aber wieder eine andere Sache. So wie ich das sehe, spielen alle drei in der gleichen Liga - und wer der beste ist, ist halt Geschmacks- bzw. Typenfrage. Da lass ich noch gut mit mir diskutieren. Ananke darf hier Gastautorin spielen, obwohl sie FdK klar gegenüber den Fortsetzungen vorzieht - soooo ignorant kann ich dieser Ansicht also nicht gegenüber sein. ;-) Der erste hat halt seine eigene Identität, genauso wie Teil 2 & 3, klar, dass jeder auf andere Schwerpunkte mehr wert legt.
@ InvaderPhantom: Nachdem ich jetzt endlich auch die Synchro gesehen habe, kann ich, von meiner Warte aus, folgendes sagen... David Nathan ist gut als Sparrow. Marcus Off war perfekt. Es ist ein Verlust, es ist aus Prinzip schade, es ist aber allein der Vergleich zum besseren Off, der schmerzt. Nicht eine schlechte Leistung von Nathan.
Von meinen mitgebrachten Kinogängern fand einer Nathan aber total grottig, und eine andere hat den Wechsel überhaupt nicht bemerkt. Jeder Paar Ohren hört wohl anders.
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