Rango - Gore Verbinskis erste Regiearbeit seit dem megalomanischen Piratenepos Am Ende der Welt habe ich selbstverständlich nicht übersehen! Viel mehr sah ich mir den ersten Animationsfilm aus der Spezialeffektschmiede Industrial Light & Magic bereits am deutschen Starttag an. Leider muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich die Schreiblust über Rango kurz nach dem Verfassen einiger Notizen schlagartig verlor. Und so lag der Echsenwestern bei mir erstmal auf Halde. Denn eine zwischen Mittagessen und Abwasch machen dahingeschriebene Kurzkritik sollte der Film, vollkommen unabhängig von meiner Meinung über ihn, wirklich nicht bekommen.
Im Anschluss an den dritten Teil von Pirates of the Caribbean hatte Gore Verbinski vorerst genug von Piraten und Großprojekten. Also nahm sich der ehemalige Werbefilmer vor, einen Fuß ins Animationsfeld zu setzen, hoffend, dass er sich in diesem Gebiet nach dem von Unwettern, explodierenden Budgets, gewaltigem Erwartungsdruck und einen unaufhaltsam näher rückenden Starttermin geplagten Am Ende der Welt endlich etwas erholen kann. Da zeigte Verbinski wohl das falsche Bild vom Animationsmedium: Selbstverständlich fielen solche Problemfaktoren wie das tückische Wetter aus, dafür musste er sich der nervenaufreibenden Detailarbeit und dem erschöpfend langsamen Produktionsprozess eines Trickfilms aussetzen. Denn wer Qualität wünscht, muss im Animationsbereich außerordentlich hart arbeiten. Kein Wunder, dass Verbinski in jüngeren Interviews seine Einschätzung widerrief: Rango wurde letztlich doch keine kleine, unanstrengende Produktion.
Dafür setzte Gore Verbinski einen seine gesamte Kinolaufbahn durchsetzenden Trend fort, den der unfokussierte Gelegenheitszuschauer spätestens mit Am Ende der Welt recht überdeutlich zu spüren bekommen hat: Verbinski macht Filme, die leicht... daneben sind. Verrückt, verschroben. Sie mischen Konventionalität mit einem gewissen Element der Seltsamkeit und Exzentrik. Das gigantomagische Piratenabenteuer mag eine Jerry-Bruckheimer-Spezialeffekt-Extravaganz mit ausschweifendem Action-Klimax gewesen sein, Verbinski kam nicht umher, sich in absonderliche und surrealistische Momente wie der in Davy Jones Reich zu verlieben. Und eben diese Tendenz zum grotesken im scheinbar Massentauglichen ist es, die Rango über alles andere prägt.
Am überdeutlichsten macht sich Rangos exzentrische Natur am Look des Films bemerkbar: Die Figuren sind grotestke Mischwesen aus fotorealistischen Oberflächen und altmodischen Tierwesen aus Kinderbuchklassikern. Die vertrockneten Reptilienschuppen, die schlaffen Vogelfedern und das dreckige, staubige Fell der mit menschenähnlicher Mimik und überzeichneter Gestik artikulierenden Figuren sind in naturnahen Formen gehalten, stecken allerdings in kleinen Westernkostümchen. Die Welt von Rango ist aufgrund dieser ungewöhnlichen Stilmischung hässlich - gewollt hässlich. Zum Knuddeln lädt von vornherein keines der Tiere ein, und diese unwohle Realitätsnähe gepaart mit unwirklichen Elementen macht die Western-Fauna in diesem Streifen noch grotesker. Aber es ist, anders als bei Robert Zemeckis Motion-Capturing-Versuchen, kein ungewollter Uncanny-Valley-Effekt, sondern ein bewusst gewählter Balanceakt zwischen abstoßend und fazinierender Quirligkeit.
Somit spiegelt das Figurendesign das Wesen des Protagonisten von Rango wider: Unser "Held" ist nämlich ein vollkommen wirr gewordenes Haustier-Chamäleon, das in seiner Isolation jegliche Spur zu seiner eigentlichen Persönlichkeit verlor. Als es durch einen Unfall in der Freiheit landet und in der aufgrund Wassermangels dahinsiechenden (und von Tieren bewohnten) Westernstadt Dreck angelangt, nimmt es die Identität eines verwegenen Westernhelden auf, der ohne mit der Wimper zu zucken sieben auf einen Streich killen kann. Unter dem Namen "Rango" wird der wandelnde Haufen heißer Luft zum Sherrif der Stadt ernannt, der die knapp werdenden Wassereserven Drecks bewachen soll. Aber da Rango halt mehr armes Würstchen, als echter Held ist, geht einiges schief - und Rango muss zum Wohle der ihn ans Herzen wachsenden Stadt (sowie seiner eigenen Haut) das werden, was er zu sein behauptet.
Die Figur des Rango ist eine exzentrische, verlogene und prahlerische Gestalt, die schlacksig umherstackst und oftmals panisch vor sich herquietscht. Nicht gerade der prototypische Star für ein ausgewachsenes Westernabenteuer. Und seine Neurosen sowie sein mal verpeiltes, mal selbstgefälliges Getue macht ihn nicht gerade zur Durchschnitts-Vorbildfigur, die man in einem Animationsfilm mit familientauglicher Altersfreigabe erwartet. Dies ist für Rango Fluch und Segen zugleich. Gore Verbinskis Trickwestern erhält dadurch eine angenehme Frische, stellt sich als verschrobener Außenseiter in die stetig wachsende Riege der Hollywood-Animationsproduktionen. Aber da man sich, vor allem anfangs, wirklich enorm darauf versteifte, die Hauptfigur anders und atypisch zu gestalten, scheint man irgendwann die Sympathie aus den Augen verloren zu haben. Die Figuren in Rango sind einem zwar nicht egal, so richtig ans Herz wachsen konnte mir jedoch auch keines der Tierchen. Wodurch die Schwächen in der Story stärker ins Auge stechen.
Denn so verschroben der Humor, so ausgefallen der Verlauf einiger Szenen, so ungewöhnlich der generelle Tonfall von Rango sein mag, der eigentliche, grundlegende Plot ist ein überaus konventionelles Sammelsurium aus Desperado, Chinatown und Westernklischees. Der Drahtzieher hinter der Wasserverschwörung ist schnell durchschaut, die Irrführungen kommen auch sehr deutlich als eben solche rüber und generell mag Rango auf narrativer Ebene nie so richtig eine Eigendynamik entwickeln oder Fahrt aufnehmen. Die Geschichte besteht aus sehr viel Hin- und Hergerenne und kurzen Wegzweigungen, weil man noch Drehbuchautor John Logan (Sweeney Todd) noch diese oder jene archetypische Westernsequenz verarbeiten wollte.
Bloß, weil sich Logan in Rango nicht als meisterlicher Geschichtenerzähler zeigt, soll dies nicht bedeuten, dass er und Gore Verbinski in ihrem Animationsabenteuer generell schlechte Erzähler seien. Ihre Vereinnahmung und Abwandlung von Westernklischees resultiert in wirklich tolle Szenen und der stets präsente Humor ist in dieser Form nahezu einzigartig. Rango ist Sequenz für Sequenz betrachtet durchaus ansprechend und einfallsreich erzählt. Es kommt halt nur nicht zu einem makellosen Erzählfluss - das ist für mich das größte Manko. Teilschuld an diesem stockenden Erzählfluss könnte der in sich etwas unausgegorene Tonfall sein. Gore Verbinski erwies sich ja bereits als sehr guter Strippenzieher einer sich ständig wandelnder Atmosphäre, und deswegen will ich ihn bezüglich Rango nicht zu lautstark anklagen - andere Regisseure hätten ein ganz und gar in sich unstimmiges Werk abgeliefert. Das blieb Rango erspart. Trotzdem verläuft der Zick-Zack-Kurs zwischen Verballhornung, Hommage und Aneignung typischer Westernelemente, um etwas vollkommen eigenes, exzentrisches zu gestalten, zwischen ernsthaft spannend gemeint und kurios nicht so harmonisch und packend, wie in Die Truhe des Todes oder Am Ende der Welt. An manchen tonalen Wende- und Knotenpunkten fehlte mir in Verbinskis Trickfilmdebüt der Feinschliff.
Dessen ungeachtet muss man Gore Verbinski gratulieren, dass er sich (wenigstens meiner Ansicht nach) immer besser in die kultigen Riegen solcher Leute wie Robert Rodriguez und Quentin Tarantino einreiht. Nicht nur, dass er ihnen in Sachen "Projekte ankündigen und dann doch nicht abliefern" in nichts mehr nachsteht, Rango zeigt auch überdeutlich, dass er das Dasein als Genreversatzstück-DJ ähnlich gut beherrscht. Dem Drehbuch von Rango fehlt zwar die Genialität eines Quentin Tarantino, aber das kann man nicht allein Verbinski anlasten, schließlich schreibt er seine Filme (noch?) nicht selbst. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass ein Animationsfilm von Robert Rodriguez nicht groß anders aussähe, als das, was Verbinski letztlich abgeliefert hat. Spaghetti-Western trifft groteske Komik trifft Mariachi-Feeling. Rodriguez wäre wohl etwas überdrehter und weniger surrealistisch an den Stoff herangegangen - und natürlich wäre die Selbstreferentialität anders ausgefallen, schließlich bedient sich Verbinski eines anderen selbstgeschaffenen Kosmos als Rodriguez.
Denn die Verweise auf die eigene Vergangenheit hat Gore Verbinski nun wohl ähnlich heraus, wie schon Tarantino und Rodriguez. Neben den zahlreichen Western-Verweisen und ebenfalls recht deutlichen Fingerzeigen auf Fear and Loathing in Las Vegas gibt es einige klare Rückgriffe auf die Pirates of the Caribbean-Trilogie, insbesondere auf Am Ende der Welt. Die Gestaltung der Traumwelten Rangos erinnert stark an das ebenfalls sehr monochrom-weiße Reich Davy Jones' in Am Ende der Welt, bloß mit einem etwas stärkeren Salvador-Dali-Touch. Wenn Rango eilig rennt, sind die Bewegungen fast haargenau die, des fliehenden Jack Sparrow und beim großen Western-Showdown mischt Komponist Hans Zimmer munter das Rango-Leitmotiv mit seiner Ennio-Morricone-Hommage Parley aus dem dritten PotC-Teil. Somit hat es das in Cowboystiefeln gesteckte Liebesthema von Am Ende der Welt also in einen weiteren Film geschafft...
Appropos Hans Zimmer: Rango gehört wieder Mal zu seinen exzentrischeren und originelleren Arbeiten. Anders als bei The Dark Knight, Sherlock Holmes oder Am Ende der Welt geht er zwar nicht ganz so mutig mit der Instrumentenwahl um, aber die Hauptmelodien in Rango sind eingängige, verschrobene Abwandlungen der Genrestandards - ganz so, wie es der Film auch verlangt. Zimmer mischt Verschrobenheit mit Western- und Mariachi-Klängen und während einer herrlichen Verfolgungsjagd vereint er seine Rango-Hauptkomposition mit dem Walkürenritt und An der schönen blauen Donau. Und weil's halt Spaß macht, setzt er beim Arrangement auf E-Gitarren und Banjos. Genial. Und im Abspann lehnt sich Zimmer sogar in Tarantino-Gefilde, mischt Mariachi-Western mit dem aus Pulp Fiction bekannten Surferrock-Gitarrenriff. Wieso? Ähm... wieso nicht? Es ist cool...!
Neben Depp und Bill Nighy unter den Darstellern sowie Komponist Hans Zimmer hat Gore Verbinski noch weitere alte Bekannte in die Welt von Rango eingeladen: Der Schnitt stammt, wie eh und je bei Verbinski, von Craig Wood, das Figurendesign stammt von Crash McCreery (der die Pirates-Filme mitgestaltete) und Verbinskis Effektspezialist seines Vertrauens, John Knoll, überwachte auch bei Rango die Spezialeffekte.
Für die Kameraarbeit holte sich Verbinski dagegen jemanden, der sich nicht nur mit Western und verschrobenem Humor, sondern auch mit Animationsfilmen auskennt: Kameralegende Roger Deakins, der nahezu alle Coen-Filme drehte und schon bei WALL•E und Drachenzähmen leicht gemacht für greifbarere digitale Landschaften sorgte, half auch diesem Film auf die Sprünge. Und das Engagement Deakins' hat sich bezahlt gemacht: Die Landschaften in Rango sind hyperrealistisch, obwohl Verbinski bewusst auf 3D verzichtete, scheinen die Bilder der staubigen Wüste schier unendlich zu sein. Der Licht- und Schattenwurf von Rango unterstützt den realistischen Einschlag der Texturen, spielt aber gleichzeitig mit der typischen Western-Lichtdramaturgie. Einfach super - und mir auch einen Tacken lieber als das doch sehr gewöhnungsbedürftige Figurendesign.
Auch wenn mir Rango aufgrund der Story und den zwar erfrischend andersartig, nicht aber sonderlich rund entwickelten Figuren weniger gefällt, als The Weather Man (geschweige denn die PotC-Filme), war es ein richtiger und wichtiger Schritt für Gore Verbinski. Er macht seinen eigenen, kleinen Wahnsinn immer mehr zu einer durchdachten Methode und sein Genre- und Stimmungsmix kristallisiert sich immer stärker zu seiner eigenen Handschrift heraus. Und da er fremde Versatzstücke, etwas neues und eigene Rückverweise recht gut miteinander jongliert, könnte sich Verbinski bei Bedarf weiter in dieser Stilschule aufhalten und wie Rodriguez, Kevin Smith, Quentin Tarantino und einige andere einen eigenen Subkosmos aufbauen. Oder aber Verbinski macht als nächstes was normales, wir werden sehen.
Was ich an Rango jedoch schade finde, ist dass der Film wieder die Doppelzüngigkeit des Kritkerkonsens aufzeigt. Rango wurde für seine Intelligenz, Andersartigkeit und liebenswürdige Derbheit gelobt. Am Ende der Welt galt als verworren, übertrieben kompliziert, verrückt und dass der Film für seine Jugendfreigabe so hart war, kam auch nicht überall an. Schon seltsam - und dabei finde ich sogar, dass etwa die Traumsequenzen in Rango weniger gut in die Narrative eingebaut wurden, als die Verrücktheiten in Jack Sparrows vergangenem Kinoabenteuer. Die Erkenntnisse der surrealen Szenen in Am Ende der Welt kann man kaum anders einbauen, in Rango schien dagegen der Gedanke zu sein: "Wir brauchen eine Ephphanie... ähm... vielleicht via Traumsequenz?" Rango ist da meiner Ansicht nach der "faulere" Streifen - aber teure Blockbusterfortsetzungen sind halt die bessere Zielscheibe, als die durch Pixar plötzlich wieder als anspruchsvoll akzeptieren Animationsfilme dieser Welt. Oder anders gesagt: Ulkig, wie sich die Perspektiven verschieben können, wenn der eine Film eine teure Fortsetzung ist, und der andere ein "frischer und innovativer" Animationsfilm.
Wie dem auch sei: Rango ist in Anbetracht dessen, dass von Pixar dieses Jahr keine Revolution zu erwarten ist, ein guter Anwärter auf den nächsten Animations-Oscar. Einfallsreich, verrückt, ausdrucksstark animiert und trotz narrativer Schwächen unterhaltsam. Längst nicht die Weltsensation, die aus ihm gemacht wurde, aber für jeden Depp-, Western-, Verbinski- oder Animations-Fan einen Blick wert. Und ja, auch Robert-Rodriguez-Fans sollten reingucken, selbst wenn er nichts mit Rango zu tun hat.
Weitere Kritiken:
Rango schwächelt etwas am Ende ist aber ansonsten ein grandioser Film. Am Ende der Welt ist in großen Teilen (wie auch schon Teil 2) einfach nur langweilig. Du musst nicht überall eine Verschwörung wittern, nur weil du nicht einsehen willst, dass du einen verkorksten Filmgeschmack hast. ;)
AntwortenLöschen"Du musst nicht überall eine Verschwörung wittern, nur weil du nicht einsehen willst, dass du einen verkorksten Filmgeschmack hast. ;)"
AntwortenLöschenSeltsam, das gleiche denke ich gerade über dich. ;-)