Dienstag, 29. März 2011
Exit Through The Gift Shop
Der seine wahre Identität wie ein Staatsgeheimnis hütende, britische Street Artist Banksy ist wohl unbestritten der größte Star in seiner Szene. Anfangs nur als Graffitikünstler in Bristol und London tätig, stieg Banksy zu immer größerem Ruhm auf, als er unmöglich scheinende Aktionen wie das heimliche Aufhängen eigener Bilder in einer Ausstellung im Louvre vollbrachte. Banksy weitete sein Arbeitsfeld aus, sowohl künstlerisch (er malt, macht Kunstinstallationen und Aktionskunst), als auch lokal. Er war schon unter anderem in Deutschland, Mexiko, Italien und äußerst medienwirksam in Israel und Palästina. Letztes Jahr gestaltete er außerdem einen äußerst makabren Vorspann für Die Simspons. Zu den Markenzeichen des schwarzhumorigen Künstlers gehört die Ratte (in englischer Sprache immerhin ein Anagramm von "Kunst"): Einige seiner Bilder involvieren amüsant inszenierte, distinguierte übergroße Ratten, die den Betrachter zum Schmunzeln bringen, aber durchaus eine Bedeutung mit sich tragen können.
Exit Through The Gift Shop ist solch eine Ratte in Filmformat. Offiziell (und anfangs) ist es eine Dokumentation über den Aufstieg der Street-Art-Bewegung. Gestaltet ist sie ein wenig wie die Dokumentationen nach der Schule Robert J. Flaherty oder, aus jüngeren Zeiten, Michael Moore und Morgan Spurlock: Der Dokumentarfilmer ist kein stiller und neutraler Beobachter, sondern selbst Beobachtungsobjekt, er ist Bezugspunkt für den Zuschauer und mit seiner zunehmenden Begeisterung für Street Art wärmt sich auch der Zuschauer für den zum Teil künstlerisch beeindruckenden Vandalismus auf. Dann sehnt sich der Filmemacher danach, den unerreichbaren Halbgott dieser Subkultur auf Film zu bannen: Banksy. In einem kurzen Segment widmet sich die Dokumentation dieser Gralssuche, bis sich Banksy auf einen für ihn und die Street Art schicksalsträchtigen Trip nach Los Angeles begibt und sich die Wege zwischen ihm und unserem Dokumentarfilmer kreuzen. Daraufhin ändert Exit Through The Gift Shop erneut sein Gesicht.
Wie sicherlich auch zu einigen durchdrang, die Exit Through The Gift Shop noch nicht gesehen haben, ist diese Dokumentation ein Film von Banksy. Er wird auf Plakaten und im Vorspann als Regisseur betitelt. Der nichtsahnende Leser könnte deswegen vermuten, dass Banksy recht selbstverliebt sein muss, wenn er einen Film über sich selbst dreht und dabei noch paradoxerweise seine Identität geheimhalten möchte. Aber wie sich anhand der obigen, bewusst vagen Zusammenfassung ablesen lässt, ist Exit Through The Gift Shop weniger ein Film über Banksy, als ein Film von und mit Banksy. Der wahre Hauptdarsteller ist Thierry Guetta, ein ungeheuerlich kurzweiliger Zeitgenosse, der sich zu Beginn des Films als Dokuemtarfilmer anschickt und in Windeseile vom neutralen Beobachter zum beeinflussten (und beeinflussenden) teilnehmenden Erzähler wird. Bloß dass nicht er es ist, der Exit Through The Gift Shop erzählt. Es ist auch nicht Banksy. Die Erzählstimme ist die von Rhys Ifans, der gleichermaßen keck wie trocken die mehrere Metamorphosen durchmachende Dokumentation kommentiert. Stellt euch den Erzähler von Per Anhalter durch die Galaxis vor, nur hochgeschlossener und subtilerem Biss. Und so, wie man den Erzähler von Per Anhalter durch die Galaxis nicht 1:1 mit Douglas Adams gleichsetzen kann, wenngleich Adams einiges von sich selbst in ihn einfließen ließ, so muss man sich bei Exit Through The Gift Shop stur vor Augen halten, dass es ja noch immer Banksy war, der Regie führte.
Es dürfte wohl deutlich geworden sein, wie viele ineinander verwobene Schichten Exit Through The Gift Shop hat und mit welcher Leichtigkeit Diskussionsstoff liefert. Und dabei habe ich bislang nur die Oberfläche angekratzt, den mit seiner außergewöhnlichen Struktur schenkt uns die realsatirische Dokumentation Exit Through The Gift Shop einen einmaligen Blick auf die Street-Art-Subkultur, die Kunstszene und die kulturelle Maschinerie. Exit Through The Gift Shop lebt die Einheit von Form und Inhalt auf einmalige Weise aus und ist dabei noch höchst unterhaltsam. Denn wer anhand der komplexen und filmwissenschaftlich beeindruckenden, noch ausgiebig zu analysierenden Struktur von Exit Through The Gift Shop auf den Gedanken kommt, es handle sich dabei um eine verkopfte, unverständliche Kunst-Dokumentation (in jeglichem Sinne des Wortes), der irrt. Exit Through The Gift Shop ist witziger und erfrischender, als die meisten reinen Komödien, die ihren Weg ins Kino finden.
Dies liegt zum Großteil an Thierry Guetta, der wie eine Mischung aus Inspektor Clouseau und Groucho Marx auftritt - er ist der gelebte Slapstick-Comedian, spricht charismatisch-gebrochenes Englisch und hat einen markanten Backenbart, den sich kein Karikaturist besser ausdenken kann. Seine Exzentrik (er filmt einfach alles) macht ihn scheinbar zum Opfer des Witzes, doch er ist liebenswert und vertrauenswürdig, so dass er zum Anti-Helden wird. Bis man ihn seinen dauernden Dusel irgendwann nicht mehr voll und ganz gönnen kann. Weiter trägt Banksy mit seinen knochentrockenen Kommentaren als eine Art verhüllter, griechischer Chor seines eigenen Films zur charismatischen Schrulligkeit von Exit Through The Gift Shop bei, die anbetracht ihres Themas auch ideal eingesetzt wird. Denn Street Art mag die künstlerisch elaboriertere Form des wahllosen Graffitis sein - sie bleibt in ihrem Kern auch ulkiger Schabernack. Das wird direkt zu Beginn etabliert, wenn wir mit Space Invader den ersten Street Artist kennenlernen, dem Thierry begegnet. Er bemalt Kacheln mit Space Invader-Motiven und klebt sie in Großstädten fest. Das hat keine politische Botschaft und wenig kreativen Eigenwert, doch es lässt die Mundwinkel sanft nach oben wandern.
Wenn Banksy die Bühne betritt und seine von Guetta begleiteten Aktionen thematisiert werden, braucht es letztlich im Grunde genommen weder Banksys Interviewkommentare, den schnippischen Erzähler oder die wandelnde Comicfigur Guetta; eine bloße Aneinanderreihung von Banksys Einfällen hätte bereits einen unterhaltsamen Film ergeben. Ich will nicht zu viel vorwegnehmen, aber anbetracht dessen, dass die meisten Blogleser über ihr Disney-Faible hierherfanden, sei schonmal gesagt, dass Banksy im kalifornischen Disneyland nahe der Big Thunder Mountain Railroad eine Protestaktion über die Gefangenenbehandlung in Guantanamo Bay startete - mit spannenden sowie komischen Folgen. Und das ist noch mit die bodenständigste Situation im zweiten Teil von Exit Through The Gift Shop.
Am besten wirkt Exit Through The Gift Shop, wenn man möglichst unvorbereitet in den Film geht. Vorarbeit über sein Sujet sind also nicht notwendig. Trotzdem hat der sarkastische Fingerzeig auf die Dialektik von Kunst und Kommerz auch jenen viel zu bieten, die sich bereits ausführlicher mit Street Art und Banksy beschäftigt haben. Und aufgrund ihrer ungewöhnlichen Machart hat diese Dokumentation auch Wiederholungswert. Wo andere Dokumentationen beim zweiten Mal langweilig werden, lädt Exit Through The Gift Shop beim zweiten Ansehen ein, genauer hinzublicken und abzuwägen, wieviel von ihr bloßes Protokollieren ist, und wo die künstlerische Leistung beginnt.
Die Limited-Edition-DVD enthält übrigens neben der Film-Disc (auf der sich auch eine rechtlich abgesicherte Version des Film-im-Films sowie eine Kurzdoku über Banksy befinden) zwei Postkarten, ein wenig ausführliches Booklet und einen Sticker.
Empfehlenswerte Artikel:
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
2 Kommentare:
Ja, diese, wie Du sagst, realsatirische Dokumentation ist ein toller Film und er war zwar für den Oscar nominiert, aber letztendlich wollte die Academy wohl wegen all dieser Vorzüge sowas vielschichtiges dem Publikum nicht zumuten...
Nunja, besonders vielschichtig, d.h. "herausfordernd" ist der Film meines Erachtens nicht. Den Inhalt, den er transportieren will, verschleiert er ja nicht – im geht es "einfach nur" darum, die Kunstwelt bloß zu stellen. Bewusst auf eine ganz simple Art und Weise, um zu zeigen, wie offensichtlich verlogen das ganze eigentlich ist.
Eins Frage ich mich aber, jedoch unabhängig vom Filminhalt an sich: Ist Banksys Werk am Ende gar eine Selbskritik? Banksy dreht einen Film, alle finden ihn toll, er erntet eine Oscar-Nominierung und bestimmt Millionen an Dollar. Hätte ein Banksy-Film wirklich ein Misserfolg werden können?
Kommentar veröffentlichen