Das Tarantino/Rodriguez-Double-Feature Grindhouse (ab Freitag endlich auch in Deutschland in der Kinofassung erhältlich) mag kein Kinoerfolg gewesen sein, aber seine Nachwirkungen auf die Filmlandschaft sind unübersehbar. In den Jahren vorher waren Actionfilme der dritten Riege vermehrt an den Krawallfilmen orientiert, wie sie ProSieben am Wochenende nach der Primetime zeigt ("Mit Ice-T und [Stiernacken den keiner kennt]..."), den schwachen Trittbrettfahrern von Filmen wie Alarmstufe Rot. Seit Grindhouse scheint der klassische Exploitation-Film wieder größeren Raum einzunehmen. Meistens in Form von hyperaktiven, selbstironischen und dick aufgetragenen Parodien/Hommagen wie Machete, Black Dynamite oder Bitch Slap.
Die ersten Trailer zu Drive Angry 3D ließen ihn wie eine Machete-Version von Death Proof aussehen. Soll heißen: Ein Mann nutzt sein Auto, um Leute zu töten. Wie in Death Proof. Bloß schneller, wilder, blutiger. Eine zutiefst ironische, seine Vorlagen liebende Parodie auf 70er-Exploitation-Filme. Denn in dem fiktiven Universum, in dem Grindhouse ein echtes Doble Feature mit zwei echten, alten Schundfilmen war und ein Restaurant namens Acuna Boys existiert, war Quentin Tarantinos Thunderbolt keine solche rein auf den Schauwert gebügelte Produktion wie Planet Terror. Es war ein Film eines ambitionierten, technisch nicht hunderprozentig versierten Regisseurs, der seine Regiearbeiten gerne in Cannes sehen würde. Das gelang Thunderbolt vielleicht nicht, doch er lief durchaus respektiert auf ein paar kultivierteren Festivals - wo er von einem schmierigen Verleiher aufgekauft und daraufhin ausgeschlachtet wurde. Bis er zu Death Proof wurde.
Drive Angry 3D ist aber kein solcher Film wie Grindhouse. Weder ist die Exploitation-Illusionsbildung derart komplex und für spaßige Mutmaßungen geeignet, wie bei Death Proof, noch ist Drive Angry 3D so verrückt und extrem wie Planet Terror. Stattdessen ist Drive Angry 3D ein waschechter Exploitationfilm, wie ihn The Cinema Snob besprechen würde. Bloß dass auf moderne Tricktechnik zurückgegriffen wird und die Figuren hie und da moderne Technologie bedienen (die Karren sind größtenteils schmucke Oldtimer, doch wie bei Death Proof gibt es auch hier moderne Handys).
Dadurch, dass Drive Angry 3D keine postmoderne Verarbeitung solcher Actionfilme darstellt, sondern schlicht einen modernen Vertreter dieser Kinoströmung, wird auch das potentielle Publikum klarer geordnet. Natürlich sind die Köpfe hinter Drive Angry 3D keine weltfremden Spinner, die in ihrem mit übernatürlichen Elementen versehenen Rachestreifen hohe Kunst sehen. Regisseur Patrick Lussier (My Bloody Valentine 3D) ist niemand vom Schlage eines Ed Wood. Viel mehr weiß er, dass er einen bloßen, sehr anspruchslosen und relativ derben Unterhaltungsfilm dreht - nur zelebriert er das nicht wie Quentin Tarantino oder Robert Rodriguez. Wem also Machete zu selbstreferentiell und zu sehr in sich gebrochen war oder wer Planet Terror und Black Dynamite zu übertrieben findet, dennoch an Exploitation Freude findet, könnte Drive Angry 3D eher zu seinen Favoriten zählen. Wenn man allerdings den postmodernen Schleier braucht, um inhaltlichen Schund zu goutieren, könnte bei Drive Angry 3D grummelnd auf dem Beifahrersitz versauern.
Die Geschichte ist konsequent so, wie man es sich von einem solchen Film erwartet, und mixt zudem fröhlich Rache-Exploitation mit Satanismus-Exploitation sowie einer hübschen Portion Oldtimer-Car-Porn. Nein, niemand hat zügellosen Sex in alten Autos, sondern es geht in Drive Angry 3D natürlich noch darum, die ansehnlichen Wagen hübsch in Szene zu setzen - bevor sie bei wilden Autofahrten leider, leider ein wenig demoliert werden.
Der Ex-Knacki John Milton (Nicolas Cage) befindet sich auf einem blutigen Rachefeldzug: Jonah King (Billy Burke), der Anführer eines satanistischen Kultes, hat seine Tochter misshandelt und getötet, als nächstes soll Miltons Enkelin während einer Beschwörung geopfert werden. Als Milton (selbstverfreilich mittels tödlicher Gewalt) von einem Anhänger dieses Kultes erfährt, wo die Kindsopferung stattfinden soll, sabotiert er den schneidigen Oldtimer der Kellnerin Piper (Amber Heard), um so für den noch langen Weg einen fahrbaren (und ansprechenden) Untersatz zu haben.Frisch im Klinch mit ihrem Verlobten, schließt sich Piper dem mysteriösen Milton an. Doch Milton haftet die Polizei an den Fersen - und ein mysteriöser "Buchmacher"...
Die Story liefert, was man in einem modernen Exploitation-Movie (im altmodischen Gewand) fordert: Sie ist derb, flott, simpel und schafft es, auch in Nicht-Actionszenen das Interesse des Publikums beizubehalten. Mit der Spannung hapert es ein klein wenig, da manches recht vorhersehbar ist. So ist die übernatürliche Komponente vom Zuschauer viel schneller erkannt, als es dem Film lieb ist. Da hätte man schneller die Karten auf den Tisch legen müssen - oder sie besser geheimhalten.
Loben muss ich, dass die in Drive Angry 3D gezeichnete Vorstellung der Hölle recht smart und relativ einfallsreich ist. Während Nicolas Cages Rolle zwar nicht viel mehr als eine Abwandlung des Ghost Riders ist, ist das Filmuniversum um ihn herum doch um einiges frischer. Wie die "Realität" der Hölle der okkulten Vereinigung im Film gegenübergestellt wird, wie die Grenze zwischen unserer und der Unterwelt gezeichnet wird, das alles ist enorm lässig. Ich würde mir weitere Exploitation-Filme wünschen, die im Drive Angry 3D-Universum angesiedelt sind, bloß werde ich die angesichts der bescheidenen Einspielergebnisse wohl nicht erhalten. Ganz zu schweigen von einem etwaigen Crossover mit anderen Ballerfilmen.
Die Frage, die sich natürlich stellt: Wie spielt Nicolas Cage? In solchen Trash-Produktionen kennt er schließlich zwei Modi: "Wahnsinnig cool" und "vollkommen besessen". In Drive Angry 3D gibt sich Cage eher cool, denn manisch. Klingt angesichts des Titels vielleicht zunächst befremdlich, tut dem Film letztlich aber gut, da ein wild gestikulierender und brüllender Cage seine großen Szenen plötzlich wieder in Richtung Exploitation-Parodie schieben würde
Ähnlich wie Cage nicht todernst bleibt, dennoch die "Integrität" des Films bewahrt, indem er eben nicht (wie vielleicht zu erwarten war) vollkommen vom Leder zieht, reizt auch die Action die Grenzen dieses Neo-Exploitationstreifens aus, ohne in Machete- oder Planet Terror-Territorium abzuwandern. Die ansehnlich inszenierten Actionpassagen leben von großen Explosionen, schnellen Schüssen und übertriebener Gewalt. Da spritzt Blut durch die Gegend, Körperteile fliegen durch die Luft und was sich sonst so gehört. Alles sehr gefällig, mir fehlte allerdings ein großer "Wow!"-Effekt, sei es ein innovativer Funken oder eine spektakuläre Kampfchoreographie. Bestes Beispiel dürfte die Schießerei in einem Country-Restaurant/Motel sein, in der Nicolas Cages Figur mit fetter Sonnenbrille auf der Nase, gewaltiger Zigarre im Mundwinkel und in einer Hand mit Pistole, in der anderen mit Whiskey bewaffnet eine Kellnerin rannimmt, als plötzlich ein kaum enden wollender Strom an Schurken das Zimmer stürmt. "Koitus Uninteruptus" lautet dann das Motto: Cage sorgt weiter für körperliches Vergnügen, während er den Kugeln seiner Gegner ausweichend mit ihr durchs Zimmer rollt und ohne eine Miene zu verziehen alles wegballert, was sich ihm in den Weg stellt. Das ist beeindruckend geschmacklos, derb und so witzig, wie man kurz vor der Grenzüberschreitung ins Parodie-Gebiet sein kann, bloß längst nicht so beeindruckend und mitreißend wie eine verflucht ähnliche Szene in Clive Owens Genredestillat Shoot'em Up. Und, wenn ich schon kurz über die Action meckere: Mir waren es eigentlich zu viele Faustkämpfe/Schießereien und zu wenig rasantes Rumgekurve - der Film hätte genauso gut Be Anrgy oder Shoot Angry heißen können. Oder Highway from Hell.
Regisseur Patrick Lussier ist handwerklich und technisch überaus versiert; Drive Angry 3D ist vielleicht der bestaussehendste "ernst gemeinte" Schundfilm der mir je untergekommen ist und gerade das 3D ist fantastisch (dazu jeden Moment noch etwas). Bloß scheint er den Film nur so runterzudrehen - es fehlt die Fiebrigkeit solcher ambitionierten Wirrköpfe wie Cranks Neveldine/Taylor oder nunmal das pervertierte Kunstverständnis von Rodriguez oder Tarantino. Drive Angry 3D ist dahingehend zu sehr wie The Expendables: Zufrieden mit dem, was er ist. Der Film ist da, ungeschliffen und somit etwas unter seinen Möglichkeiten. Zumindest abseits des 3D-Faktors. Denn wow, Lussier kann mit der dritten Dimension extrem gut umgehen. Das Bild ist gestochen scharf, hat eine weitreichende Tiefe und selbstverständlich nutzt er jede erdenkliche Gelegenheit, dem Publikum etwas entgegenzuwerfen. Was in Toy Story 3 und Co. nerven würde, wird hier zurecht ausgeschröpft. Von Münzen über ins Publikum ragende Baseballschläger bis zu halbierten Unterkiefern, was in die Luft geht, ragt auch schön brav und gutaussehend in den Kinosaal. Aber selbst die ruhigen Szenen sind beeindruckend: So bilden öfters Unmengen Qualm eine greifbar wirkende "Nebelwand" zwischen Kinosaal und dem tiefen Leinwandbild, ein anderes Mal sieht man den flotten Oldtimer während des immer später werdenden Abends am anderen Ende eines weitreichenden Kornfeldes. Die mit Unmengen von CGI vollgestopften Avatar und Tron: Legacy (optimales Kinoequipment vorausgesetzt) habe ich in keinem Realfilm eine bessere Tiefenwirkung erlebt. Perlen vor die Säue? Nein - eher Ansporn für vermeintlich "richtige" Filmemacher, sich anzustrengen. Wenn Lussier das kann, können das andere bestimmt auch.
Sonst bliebe noch auf die anderen Darsteller einzugehen: Nun, wie man den Rest des Casts einschätzt, hängt wohl wieder von der Neigung zu diesem Subgenre ab. Mir zum Beispiel blieb Billy Burke als satanistischer Kultanführer zu blass. Er ist schmierig und überzeichnet, aber mit einer sinnbildlich angezogenen Handbremse. Das Skript schustert seiner Rolle einige Bösartigkeiten zu, die er weiter hätte unterstreichen müssen - meiner Ansicht nach, doch ich bin auch weniger die Zielgruppe normaler Exploitation. Dass Drive Angry 3D als, sagen wir mal, "Hochglanz-Exploitation" seinen Schurken extrem dick zeichnet, ohne das letzte Stück Wahnsinn aus ihm rauszukitzeln, wird andere sicherlich erfreuen. Amber Heard (bekannt aus dem schrottigen All the Boys Love Mandy Lane) wiederum soll dem Publikum natürlich vor allem als Eyecandy dienen, hat allerdings auch sichtlichen Spaß am Projekt und ist nicht bloß für's Geld mit dabei. Ihre Rolle ist nicht einfach nur das Anhängel für Cage, das ab und an gerettet werden muss, sondern darf auch selbst austeilen. Bloß nicht genug. Immer wenn ich dachte "Jetzt! Girlpower! Hol ordentlich aus und gib' ihm eins auf die Fresse!"... wird sie dennoch umgehauen. Oder der Kampf endet anderweitig. Wir wollen dem Old-School-Publikum ja nicht zu viel Feminismus zumuten...
Ausnahmesensation von Drive Angry 3D ist William Fichtner (Prison Break, Black Hawk Down), der als Buchmacher geradeheraus jede einzelne Szene stiehlt, in der er auftaucht. Mit einer wahnsinnigen Leinwandpräsenz und einem fies vergnügten Leuchten in den Augen haucht er Drive Angry 3D ein Stück mehr Innovation und Frische ein, als er ohne ihn hätte. Sein weder schurkischer, noch heldenhafter, aber anfangs ganz klar ominöser und durchgehend übernatürlicher Buchmacher ist eine Wonne zuzuschauen und er sorgt für die lautesten Lacher im Film. Drive Angry 3D hat zwar seine nette Portion cooler Einzeiler, aber Fichtners trockenen Kommentare und sein unterdrücktes Lachen sind das meiste wert. Vor allem gegen Ende des Films, als er mit verschmitztem Grinsen in eine anstehende Schießerei reinplatzt...
Der Buchhalter ist aber auch die Figur, die am meisten unter dem Drehbuch leidet - während des Abspanns sollte man besser nicht darüber nachdenken, wieso er anfangs so handelte, wie er nunmal handelte, wenn doch später dieses und jenes über seine Motivation gesagt wird. Und kommt mir nicht mit einer Grindhouse-Begründung wie "das gehört sich so" - eben nicht, denn Drive Angry 3D ist nicht auf Lacher über seine eigenen Mängel aus.
Wie auch immer: Für Freunde der anspruchslosen, zügellosen Gewaltunterhaltung ist Drive Angry 3D einen Blick wert, wenngleich er definitiv furioser hätte sein können. Wer eine parodierende Schundhommage erwartet, könnte enttäuscht werden und wer Niveau sucht, ist eh fehl am Platz. Ich selbst? Ich wollte schon lieber etwas wie Machete, Drive Angry 3D konnte mich dennoch unterhalten, da er zwar den inhaltlichen Anspruch und die Derbheit eines Exploitation-Klassikers, nicht aber dessen handwerklichen Mängel geerbt hat. Cage und Fincher machen Spaß, das 3D ist super, die Action ansprechend für einen sehr kurzweiligen Abend unter Freunden. Für einen einmaligen Kinobesuch okay, die DVD werde ich allerdings eher ausschlagen.
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Ist das da Mike Krüger auf Ecstasy auf dem Foto, oder wer?
AntwortenLöschenNein, nein, die knappen Jeans (und deren Inhalt) gehören Amber Heard.
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