Als ich frisch aus Tron: Legacy stolperte, sagte mir mein Verstand, ich sei hin und weg. Mein Bauchgefühl war dagegen verlangender als befriedigt. Nun gut, ich hatte mich mit Trailer-Dauerberieselung und stetem Verfolgen der viralen Kampagne sowie zahlreicher Interviews auch dermaßen hochgehypt, dass es eine cineastische Offenbarung benötigte, um mich weiterhin positiv überraschen zu können.
Mittlerweile habe ich jedoch eine Ahnung, was den wahren Grund für meine ambivalente Erstreaktion auf Tron: Legacy darstellte. Ich erwartete nichtmal zuviel, sondern was falsches. Ich malte mir eine Entwicklung von Super Mario Bros. zu Super Mario 64 aus, oder gar zu Super Mario Galaxy. Stattdessen steht Tron: Legacy seinem Vorgänger gegenüber, wie Super Mario Bros. 3 zu Marios Jump'n'Run-Lehrstunde. Meine Hoffnung hätte sicherlich einige Tron-Liebhaber verärgert, Tron: Legacy sollte das Original nehmen und radikal umstürzen, einen vollkommen anderen Ton anschlagen und anderen filmphysikalischen Gesetzen gehorchen. Tron: Legacy aber ist viel mehr eine konsequente Weiterentwicklung von Tron. Seine Welt ist ausgereifter, sein Verständnis und seine Bewertung der Computertechnologie dem heutigen Standard angepasst, gestalterisch setzt Tron: Legacy allerdings schlichtweg das um, was man schon damals gemacht hätte, wäre die entsprechende Voraussicht, Expertise und Technik vorhanden gewesen. Nur ein wenig glasiger, schlanker und transparenter ist es, das Spieleraster. Ein Hauch mehr Apple-Sexiness statt Arcade-Klobigkeit.
Im Hinblick auf die Fangemeinde und beim Versuch, etwas von meinen subjektiven Wünschen abzukehren, ist der Weg, den Tron: Legacy ging weiser gewählt, als der von mir erhoffte Pfad. Nicht, dass Tron: Legacy nur das Gute von Tron wiederholte. Die Figuren mögen schärfer umrissen und interessanter sein, ihre Dynamik untereinander und von Kevin Flynn und Quorra abgesehen auch ihre gesamte Charakterisierung ist eher mau beziehungsweise flach. Nur Michael Sheens schrille, wandelnde Jukebox namens Castor, eine Art "Cyberspace-Frank-N-Furter, hätte ihn Lucas Grabeel unter den weisen Ratschlägen von Ziggy Stardust gespielt", darf von den restlichen Figuren so offensichtlich charakterisiert sein, wie sie nunmal ist. Wirklich, Castor ist ein schillernder Pfau unter den Programmen von Tron: Legacy und verdient seine eigene Cyberpunk-Sitcom. Manche werden Castor hassen, aber die wissen seine verschrobene Art einfach nicht zu schätzen.
Dennoch, Tron: Legacy ist smarter, als viele wegen seines Blockbuster-Budgets und berauschend lärmenden Art zutrauen wollen. Es ist eine auf Film gebannte, schimmernde und tönende Kunstinstallation, deren ganzer sinnästhetischer Sinn sich nicht auf Anhieb entschließt, die aber ohne jeden Zweifel etwas über Technologie, Massenmedien und deren Nutzer aussagt. Dass nebenher noch eine konventionelle Popcornkino-Story erzählt wird, ist dem Medium geschuldet.
Was, ihr glaubt mir nicht, dass Tron: Legacy neben sinnloser Unterhaltung auch Verstand bietet? Eins sage ich euch, fänden einige der Szenen von Tron: Legacy nicht auf einer Leinwand im Multiplex statt, sondern auf der Theaterbühne oder (mit runtergedrehter Lautstärke und weniger Effekgewitter) zwischen zwei anerkannten Kunstfilmen, dann fingen alle an, die Architektur der Szenerie zu analysieren, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen (so lange es nicht um zwischenmenschliches geht, sind die Dialoge eigentlich recht passabel) und über die Sinnästhetik sowie ihrer verborgenen Intention zu philosophieren.
Was Kosinski und den Autoren Adam Horowitz & Edward Kitsis, wie schon den Macher von Tron, nicht gelang, ist es beide Rezeptionswelten ihres Films so zu verschmelzen, dass er problemlos sowohl als eigenwilliges Experiment, wie auch als unterhaltender Blockbuster erkannt wird. In dieser Hinsicht blieb man dem Tron-Vokabular zu treu, um die eingeschworenen Fans nicht zu vergraulen, als dass man die Gelegenheit nutzte, das Drehbuch zu verfassen, dass Steven Lisberger zu Beginn der 80er Jahre mangels Erfahrung nicht kreieren konnte. Doch das ist sehr viel verlangt. Schon beim intelligenteren Inception werfen Cineasten ein, dass der Film nur intellektuell auftrete und eigentlich vollkommen hohl sei, da man der Handlung ja folgen kann. Als wenn sich Niveau nur auf der oberflächlichen Narrative abspiele...
Ein bedeutenderer Kritikpunkt ist, dass die Autoren keine fließende Dramaturgie schufen - und Regieneuling Joseph Kosinski inszenatorisch nicht gegen das unbeabsichtig episodische Naturell seines Films anzusteuern vermochte. Man könnte fast der TV-Herkunft der ehemaligen Lost-Autoren die Schuld in die Schuhe schieben. Da haben wir den alles in Bewegung bringenden Piloten, die Disc-Wars-Episode, die rührende Vater/Sohn-Drama-Folge, die spannungstechnisch durchhängende und Exposition nachschiebende Brückenepisode, die vollkommen abgefahrene Highlight-Episode mit jeder Menge "Nein, das entstand wirklich komplett nüchtern, ehrlich!"-Momenten... Tron: Legacy ist ein wahnsinniger Zusammenschnitt einer kompletten Fernsehserie, die es nie gab, und der einvernehmende, klanggewaltige Score von Daft Punk verstärkt dieses Gefühl nur. Dank Daft Punk und Kosinskis in Kapiteln betrachtet sehr zielsicheren und ästhetischen Inszenierung ist Tron: Legacy immer wieder für den Moment faszinierend und spannend - sobald man den gesamten Handlungsbogen betrachtet, halten die holpernden Aktübergänge den Gesamtfilm etwas stärker in Zaum.
Trotz eines das Werkumspannenden, sinnästhetischen Reizes, ist das Tron: Legacy demnach weniger als die Summe der beeindruckenden Actionpassagen und seiner gelungeneren Charaktermomente, welche abstrahiert einen über die konventionelle Handlung hinweg führenden, tieferen Sinn erörtern.
Anders ausgedrückt: An der Kinokasse Hirn gegen 3D-Brille austauschen und berauschen lassen, den Plot zugunsten der Spannung und Gesamtwirkung ungefragt hinnehmen. Oder aber die Membranen auf Hochtouren bringen und künstästhetische, philosophisch-informatische Analysen über den hinter der stupiden Blockbuster-Fassade der Narrative verborgenen Subtext führen. Bis die Fortsetzung kommt, und Tron endlich zur verdienten Perfektion bringt. Möglicherweise.
Weiteres zu Tron Legacy:
- Meine Quotenmeter-Kritik
- Die Historie von Tron
- Die 10 besten Soundtracks 2010
- Derezzed-Musikvideo
- Elektrifiziert die Jungs und Mädchen...
- Hinter den Kulissen des Tron: Legacy-Sounddesigns
- Neues vom Musikraster
- Der dritte umwerfende Trailer zum Film
- Somewhere Over The Grid
- Erlebnisbericht: Tron Night
- Wie der Lichtrenner gestaltet wurde
- Die Darsteller und der Regisseur verraten interessante Details
- Das Konzeptvideo, mit dem alles begann
Ich bin immer mal wieder überrascht, wie gut Du zwischen objektiver Quotenmeterkritik und subjektivem Eindruck hier im Blog umschalten kannst... Glüchwunsch dazu! Ein weiteres Qualitätsmerkmal ist m.E., dass Du kein "Angry Movie Nerd" bist, der Filme zerreisst, wenn Sie ihm halt mal nicht gefallen haben, sondern auch im Blog trotz allem Dein Niveau behältst.
AntwortenLöschenZu "Schon beim intelligenteren Inception werfen Cineasten ein, dass der Film nur intellektuell auftrete und eigentlich vollkommen hohl sei, da man der Handlung ja folgen kann. Als wenn sich Niveau nur auf der oberflächlichen Narrative abspiele..."
Meine Interpretation ist eher, dass viele Kritiker "Nolan + Träume = hochphilosophischer Film, surreal verfilmt" assoziiert haben; stattdessen gab es gut geschnittene, intelligente Action von Nolan und seinem Team (wohl auch mit eingem Hintergedanken).
Ich bin schon zwei Leuten begegnet, die "Inception" "flach" fanden, ein dritter meinte sinngemäß "ein dummer Film für dumme Leute, die meinen, intelligent zu sein".
Tja, warum sollte Nolan mal nicht einen "flachen", gut gefilmten Film drehen dürfen? Letztendlich bleibt es wohl an der Frage hängen, welchen Anspruch Nolan selbst an diesen Film hatte und ob er ihm gerecht geworden ist.
Auch ich war von Inception in dem Sinne enttäuscht, dass ich auch eher ein surreales, philosophisches Werk erwartet habe. Was mich aber an dem Film letztendlich "stört" ist eher, dass ich mich emotional nicht mit der Hauptfigur Cobb identifizieren kann, zumindest so, wie es im Film inszeniert wurde. Ich gehe jetzt nicht so weit, Cobb vorzuschlagen, er solle einfach eine Beruhigungstablette nehmen und den Mund halten (sinngemäßes Zitat einer Filmkritik), aber so recht mitfühlen konnte ich nicht, was bei mir für einen letztlich eher unbefriedigenden Eindruck sorgte. (Ein ähnliches "Problem" habe ich auch mit The Dark Knight, ich hätte mir mehr Szenen gewünscht, wo auf das emotionale Leben zwischen den Figuren und in ihrem Inneren eingegangen ist, also in einem ähnlichen Umfang wie bei Batman Begins.)
Dass Nolan es auch (immer noch) besser kann (also "eigentlich so, wie ich es gefälligst erwarte und will" ;-) ) , zeigt er für mich in Inception gleich selbst: Die Charakterisierung Fischers und das Verhältnis zu seinem Vater hat mich überzeugt.
Langer Beitrag zu "Inception" zu einem "Tron Legacy"-Artikel - Hmmm... Da muss noch irgendein Alibisatz her...
Ich hoffe, mir "Tron Legacy" bald mal ansehen zu können. Gute Kombination von Musik und Bild? Für mich als Fantasia-Fan ja fast schon ein Muss! :-)
Hach, Lob liest man immer gerne, und besonders, wenn das Kompliment Dinge betrifft, von denen man nicht erwartete, dass sie auffallen. Dass dir der Unterschied zwischen den Quotenmeter-Kritiken und den vergleichenden Blog-Beiträgen positiv ins Auge stach, freut mich also umso mehr! :-)
AntwortenLöschenBei "Inception" scheinen wir leicht auseinanderzudriften, aber ich schätze, dass es eine überbrückbare Kluft ist. Flach halte ich "Inception" nicht, dafür stecken zu viele treffende Beobachtungen über "die Architektur des Verstands" (wie Nolan ja im Vorfeld so gerne den Schauplatz beschrieb) drin und zu viele schlüssige Interpretationsansätze. Aber ja, es ist eher intelligente Unterhaltung, als eine philosophische Abhandlung im Blockbuster-Kleid.
Bei "Inception" konnte ich beim zweiten Ansehen viel mehr mit Cobb mitfühlen, auch wenn die emotionale Ausarbeitung dieses Plots mehr Zimmers und Marion Cotillards Verdienst, als der des Drehbuchs ist. Finde ich aber keinen so großen Makel, da ich "Inception" von vornherein als "Konzeptfilm" und weniger als "Charakterstück" vermutet hatte. Solche Vorstellungen haben ja doch größeren Einfluss auf die Rezeption, als sie sollten. *g*
Dafür finde ich die Konstellation zwischen Fischer und seinem Vater offenbar nicht ganz so gut wie du. Wobei ich Murphy mag, deshalb hatte ich da auch nicht so viel Anlass zu meckern.
Mh, "Tron: Legacy" und "Fantasia" zu vergleichen, finde ich gerade sehr interessant. Definitiv nichts, was mir in den Sinn kam, aber eine wagemutige Idee, der man nachgehen sollte.
Kurz zu "Inception": Unüberbrückbar würde ich die Differenzen auch nicht nennen, den Film als Konzeptfilm anzusehen, kommt meiner Einschätzung eigentlich auch nahe.
AntwortenLöschenWäre Fischer im Mittelpunkt gestanden, hätte mir die so dargestellte Beziehung zwischen ihm und seinem Vater wohl auch nicht gereicht, aber bei einer Nebenfigur empfand ich es als gelungen. Und ja, ich mag Murphy auch.
"Fantasia " und "Tron Legacy": Auf die Idee hast Du mich gebracht! Immerhin hast Du ja erwähnt, dass für einige Szenen erst die Musik von Daft Punk fertig war, auf die dann die Szene abgestimmt wurde... Da braucht man nur noch "Disney" in den Raum zu werfen, und ich denke schon an "Fantasia". ;-)
"Dass dir der Unterschied zwischen den Quotenmeter-Kritiken und den vergleichenden Blog-Beiträgen positiv ins Auge stach, freut mich also umso mehr!"
Nun, allerspätestens bei Deiner Rapunzelkritik auf Quotenmeter war es mir bewusst. ;-) Statt Begeisterungsstürmen ein eher neutraler Hinweis, was gut (Märchen mit Witz und Gefühl) und was eher nicht so gelungen ist (keine besondere erzählerische Innovation). Das ist natürlich gut geschrieben (!), denn durch die Kritik inklusive der Zusammenfassung am Schluss kann man als potentieller Zuschauer gut beurteilen, ob man in den Film gehen möchte oder nicht (es soll ja Leute geben, die Disneymärchen nicht mögen... ;-) ) In Deinem Blog wäre das Ganze mit großer Sicherheit anders ("leidenschaftlicher") gestanden, allein "Rapunzel" auf Platz 1 Deiner Jahreshitliste sagt ja schon sehr viel.
Und Dein Hinweis am Anfang dieses Artikels hier ("meine objektivere, 'offizielle' Filmbesprechung bei Quotenmeter.de") ist natürlich auch ein dezenter Hinweis auf die Unterschiede im journalistischen Anspruch zwischen Blog und Quotenmeter.de (nicht von der Artikelqualität, aber von der Heransgehensweise).
Ach ja, ich warte immer noch auf Deine weiterführenden Artikel zu "Rapunzel" (Top 5, was gefiel und nicht etc.) Andererseits braucht Qualität natürlich etwas Zeit.
Durch deine Wiedergabe, sehe ich die Möglichkeit, auf die Idee zu kommen "Tron: Legacy" mit "Fantasia" zu vergleichen, jetzt auch. Allerdings haben beide Filme sowie ihre Musik ja schon recht unterschiedliche Selbstanforderungen. "Tron: Legacy" verschmilzt Bild und Ton definitiv deutlich besser, als die meisten Musikvideos, die einem so unterkommen. Trotzdem verfolgt "Fantasia" ein anderes Ziel. Was uns beiden natürlich klar ist, trotzdem mag ich es nochmal herausstellen. ;-)
AntwortenLöschenNach erster "privater" Sichtung von "Tron: Legacy" würde ich sagen, dass in seinen besten Momenten die Musik so klingt, wie das, was man sieht. "Fantasia" wiederum macht Musik bekanntermaßen sichtbar und lässt uns Bilder hören. *g*
Was "Rapunzel" angeht: Ja, ich will den Artikel wirklich nicht rausniesen, insbesondere nicht, da es hier bereits ausreichend "Rapunzel"-Material vorhanden ist und somit kein Zugzwang besteht. Die "Flop"-Liste wäre bereits fertig, bloß wollte ich ursprünglich Tops und Flops in einem Artikel behandeln - weil, öhm... oh, Eichhörnchen! :-P
Ich habe bald vorlesungsfreie Zeit, da habe ich wieder dem Blondchen gebührenden Atemfreiraum.